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Hinz&Kunzt 293 Juli 2017

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Momentaufnahme<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>293</strong>/JULI <strong>2017</strong><br />

Neue Zähne, neues Leben: Trotz seiner<br />

Angstzustände traute sich Gerold endlich zum<br />

Zahnarzt. Das Resultat kann sich sehen lassen:<br />

mehr Selbstvertrauen – und ein Lächeln!<br />

„Ich muss jetzt erst<br />

mal kochen lernen“<br />

Gerold (46) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> vor<br />

dem Hofladen an der S-Bahn-Station Kornweg.<br />

TEXT: JONAS FÜLLNER<br />

FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />

Unfassbar aufgeregt war Gerold vor seiner<br />

Zahn-OP. „Ich bekomme in drei<br />

Tagen ein neues Gebiss“, erzählte der<br />

46-Jährige Anfang Juni. „Ich hoffe, ich<br />

packe das.“ Einen Tag später stand er<br />

wieder in der Redaktion, berichtete von<br />

seinen Sorgen, seiner Angst. Dass ihm<br />

das Reden guttat, merkte man dem<br />

Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer deutlich an.<br />

Panikattacken und Angstzustände<br />

sind Gerolds großes Problem. „Jahrelang<br />

habe ich nur auf dem Sofa gesessen“,<br />

erzählt er. Er habe sich um nichts<br />

gekümmert, sei niemals zum Amt gegangen,<br />

habe kein Geld erhalten und<br />

keine Krankenversicherung mehr gehabt.<br />

Seine Freundin habe das irgendwann<br />

nicht mehr ausgehalten und ihn<br />

verlassen. Er blieb alleine zurück in der<br />

Wohnung. „Danach ging es mir noch<br />

beschissener“, erinnert er sich.<br />

Drei Jahre ist das jetzt her. Seine<br />

Lethargie und Selbstmordgedanken habe<br />

er nur durch den Zeitungsverkauf<br />

überwunden. „Mir hat Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />

das Leben gerettet“, sagt Gerold oder<br />

auch „Alex“, wie er bei einigen Freunden<br />

aus der alten Zeit noch heißt. Und<br />

er hat sich aufgerafft, um sich psychische<br />

Betreuung zu suchen. Seitdem arbeitet<br />

er kontinuierlich auf, was in seinem<br />

Leben alles schieflief. Und das ist<br />

eine Menge. „Ich hatte eine Scheißjugend“,<br />

sagt Gerold, der in Ostfriesland<br />

aufwuchs. Mit den Eltern gab es nur<br />

Ärger. Auf Schule und Ausbildung ließ<br />

er sich nie richtig ein.<br />

Mit Anfang 20 hatte er genug. Es<br />

zog ihn nach Hamburg. Er jobbte mal<br />

hier, mal da. Schlief bei Bekannten,<br />

teilweise auch auf der Straße. Dadurch<br />

kam er mit Hinz&<strong>Kunzt</strong> in Kontakt<br />

und begann, die Zeitung zu verkaufen.<br />

20 Jahre ist das jetzt her. Das war<br />

auch die Zeit, in der erstmals die Angstzustände<br />

auftraten, die ihn seither begleiten.<br />

Die Panikattacken hat er inzwischen<br />

weitgehend im Griff. Die<br />

Zustimmung zu der Gebiss-OP hat ihn<br />

trotzdem noch sehr große Überwindung<br />

gekostet.<br />

Doch sein Mut hat sich gelohnt.<br />

Unglaublich stolz war Gerold, als er<br />

Mitte Juni schließlich seine neuen Zähne<br />

präsentierte. Dieses Mal hatte er keinen<br />

Rückzieher gemacht. Er war stärker als<br />

seine Angst.<br />

Unterstützt hat ihn dabei Zahnärztin<br />

Birgit Horschler-Fricke, die Gerold<br />

seit Langem kennt. Eine Stammkundin,<br />

die den fast zahnlosen Mann behutsam<br />

unterstützte, Termine vereinbarte und<br />

ihn auf die bevorstehende Operation<br />

vorbereitete. Schritt für Schritt. So soll<br />

es jetzt auch weitergehen.<br />

Bewerbungsfotos könne er endlich<br />

mal machen, sagt Gerold. Mit seinem<br />

alten Gebiss habe er sich gar nicht mehr<br />

getraut, sich irgendwo vorzustellen.<br />

„Und ich muss wohl mal kochen lernen“,<br />

sagt er lachend. „Jetzt kann ich ja<br />

wieder richtig kauen und muss nicht<br />

aus der Dose essen.“ •<br />

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