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Landshuter Mama Ausgabe 9

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Experten klären auf<br />

Integration und Inklusion –<br />

Eine Bilanz<br />

Prof. Dr. Clemens<br />

Dannenbeck:<br />

Diplom-Soziologe,<br />

Professor für<br />

Soziologie und<br />

Sozialwissenschaftliche<br />

Methoden und<br />

Arbeitsweisen in<br />

der Sozialen<br />

Arbeit an der<br />

Fakultät Soziale<br />

Arbeit der<br />

Hochschule Landshut, u.a. Mitglied in den<br />

Herausgeberkreisen von Gemeinsam Leben,<br />

Zeitschrift für Inklusion, Inklusion-Online.<br />

1. Wie gut sind behinderte Menschen<br />

in unserer Gesellschaft<br />

eingebunden?<br />

Im Sinne der UN-BRK ist es mit der<br />

Inklusion von Menschen, die als ‚behindert’<br />

gelten, in unserer Gesellschaft<br />

nicht weit her. An dieser Stelle mache ich<br />

einen kategorialen Unterschied zwischen<br />

den Begriffen der Integration und<br />

der Inklusion. Ganz offenbar – und das<br />

ist gar nicht kleinzureden – wurden im<br />

Sinne des Bemühens um Integration in<br />

den letzten Jahrzehnten eine Reihe von<br />

Fortschritten gemacht. Zu nennen wären<br />

bspw. Schritte in Richtung rechtlicher<br />

Gleichstellung (Ergänzung Art 3 GG,<br />

Gleichstellungsgesetze, das Bundesteilhabegesetz<br />

u.a.).<br />

Auch sehen wir bei einem bewussten<br />

Blick in den öffentlichen Raum hie und<br />

da die Erfolge behindertenpolitisch erkämpfter<br />

Barrierefreiheit (mit ihren nach<br />

wie vor erfahrbaren Grenzen, denken Sie<br />

bspw. an die Deutsche Bahn …).<br />

Und nicht zuletzt ist es inzwischen<br />

immerhin im Bereich des Denk- und<br />

Vorstellbaren, dass Kinder mit Behinderung<br />

oder chronischer Erkrankung unter<br />

bestimmten Voraussetzungen und wenn<br />

sie am richtigen Ort aufwachsen und die<br />

richtigen Fürsprecher/innen haben, auch<br />

integrativ beschult werden dürfen und<br />

können. Aber: Mit inklusiven Verhältnissen<br />

haben diese Entwicklungen und<br />

punktuellen Integrationserfolge nichts zu<br />

tun.<br />

2. Wo gibt es Probleme?<br />

Ich habe meine Probleme mit der immer<br />

wieder kolportierten Formulierung „Umsetzung<br />

von Inklusion“. Zum einen, weil<br />

dabei das, was mit ‚Inklusion’ gemeint<br />

ist, weitgehend unbestimmt bleibt – ich<br />

habe den Verdacht, hinter einer solchen<br />

Formulierung steht die (bisweilen auch<br />

unbewusste) Annahme, es gehe letztlich<br />

nur um „noch etwas mehr“ Integration<br />

von denjenigen, die als behindert gelten,<br />

in die Regelschule (ein reichlich verkürztes<br />

Verständnis der Anliegen der UN-<br />

BRK) – und zum anderen scheint mir in<br />

der Formulierung mitzuschwingen, dass<br />

es um die Umsetzung eines konkreten<br />

Programms gehe, nach dessen Erledigung<br />

dann die „inklusive Gesellschaft“<br />

als realexistierende Utopie der besten<br />

aller Welten steht.<br />

Eine in diesem Sinne inklusive Gesellschaft<br />

kann es aber nicht geben – nicht<br />

weil sie nicht finanzierbar wäre, oder aus<br />

anderen Gründen praktisch nicht realisierbar<br />

erscheint – sondern, weil inklusiven<br />

Verhältnissen die notwendige (selbst)<br />

kritische Inklusionsorientierung abgeht.<br />

Inklusionsorientierung steht zwangsläufig<br />

im Widerspruch zu Verhältnissen, die<br />

z.B. zunehmende Soziale Ungleichheiten,<br />

autoritäre Machtstrukturen oder<br />

rassistische Denkmuster billigend in Kauf<br />

nehmen.<br />

3. Wie kann man diese Probleme<br />

lösen?<br />

Inklusion erfordert die Analyse der Frage<br />

nach den sich wandelnden Bedingungen<br />

gesellschaftlichen Zusammenhalts, nach<br />

sozialer Kohäsion in Zeiten des Wandels.<br />

In einer Demokratie sollte die Verfassung<br />

und Befindlichkeit einer kritischen<br />

Öffentlichkeit uns alle sorgen, insofern<br />

von ihr wesentlich abhängt, wie unsere<br />

Lebenswelt jenseits proklamierter<br />

Wertebezüge zukünftig ausgestaltet ist.<br />

Insofern muss die Sorge um die demokratische<br />

und politische Kultur des<br />

Landes ein Fundament inklusionsorientierter<br />

Praxis sein. Andreas Zick u.a. vom<br />

Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und<br />

Gewaltforschung an der Universität<br />

Bielefeld befassen sich mit der Bedeutung<br />

von Stereotypen, Vorurteilen und<br />

menschenfeindlichen Ideologien der<br />

Ungleichwertigkeit für die Integration von<br />

spezifischen Gruppen.<br />

Zentral für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit<br />

und Vorurteile ist demnach<br />

die Reproduktion einer so genannten<br />

Ideologie der Ungleichwertigkeit, mit<br />

deren Hilfe Exklusionsverhältnisse<br />

legitimiert und ihre Durchschaubarkeit<br />

erschwert werden. Die Befunde verweisen<br />

auf einen so genannten marktförmigen<br />

Extremismus in der (fragilen) Mitte<br />

der Gesellschaft, der mit der Abwertung<br />

von sogenannten Unproduktiven wie<br />

Langzeitarbeitslosen, Wohnungslosen<br />

und Menschen mit Behinderung verbunden<br />

ist. Zick/Küpper zeigen, wie dieser<br />

marktförmige Extremismus in (rechts)<br />

populistische Einstellungen mündet und<br />

zusammen mit Selbsterfahrungen der<br />

Orientierungslosigkeit zu Diskriminierung<br />

und Abwertung von als Sozialschmarotzer<br />

apostrophierten gesellschaftlichen<br />

Gruppen führt.<br />

Bei Inklusionsorientierung geht es darum,<br />

Teilhabebarrieren zu identifizieren<br />

und abzubauen, Diskriminierung zu bekämpfen<br />

und zu verhindern und das auf<br />

struktureller, professioneller, wie privater<br />

Ebene – also auf den Ebenen politischen<br />

Gestaltung von Rahmenbedingungen<br />

sowie des individuellen Handelns und<br />

des Denkens.<br />

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