stahlmarkt 10.2011 (Oktober)
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22 K Steel International<br />
Der Schiefergassektor<br />
in den USA wächst rasant<br />
US-Stahlhersteller hoffen auf gute Geschäfte<br />
New York (bln). Neues Leben für den amerikanischen »Rust Belt«, der<br />
in der Blütezeit amerikanischer Manufakturen von Chicago und entlang der<br />
großen Seen bis hin zur Ostküste reichte und u. a. die Industriegebiete<br />
Illinois, Michigan, Ohio und Pennsylvania einschloss.<br />
Das Gebiet erstreckt sich von Tennessee<br />
über Teile von Kentucky, Ohio, West Virginia<br />
und Pennsylvania bis in den Bundesstaat<br />
New York – genau das Gebiet der einstigen<br />
Hochburgen von Kohle und Stahl.<br />
Kein Wunder, dass für die Hersteller von<br />
Stahl für den neuen Energiesektor alte<br />
Stahlstandorte in dieser Region wieder<br />
hochinteressant sind. Zum einen haben die<br />
Stahlunternehmen Zugang zu relativ preiswertem<br />
Naturgas, das sie fast ausschließlich<br />
als Heizmittel für ihre Öfen verwenden. Zum<br />
anderen finden sie in diesen Gebieten erfahrene<br />
Stahlarbeiter, die ihre Jobs im Laufe<br />
wiederholter Restrukturierungen und Zu <br />
sammenschlüsse verloren.<br />
WW K Die Abwanderung der herstellenden<br />
Industrie in Entwicklungsländer mit weitaus<br />
niedrigeren Arbeitskosten und in den amerikanischen<br />
Süden, wo die meisten Arbeiter<br />
nicht gewerkschaftlich organisiert sind, verwandelte<br />
die einstige Hochburg der Industrie,<br />
vor allem der Schwerindustrie, in einen<br />
»Rostgürtel« mit schrumpfender wirtschaftlicher<br />
Bedeutung. Weil jedoch beim Abbau<br />
von Schiefergas große Mengen von Stahl<br />
benötigt werden, sind die alten Stahlgebiete<br />
in Ohio, Pennsylvania und anderswo im<br />
Osten und Mittleren Westen plötzlich wieder<br />
ideale Standorte für Stahlwerke, die<br />
Produkte für den rasch wachsenden Schiefergassektor<br />
herstellen.<br />
Wie die Steinkohlevorkommen im Ruhrgebiet<br />
und die Eisenerzlager in umliegenden<br />
Regionen Grundlagen für die Stahlindustrie<br />
im einstigen »Kohlenpott« waren, bereiteten<br />
Kohlevorkommen in den Appalachen,<br />
Erdölreserven in Pennsylvania und Eisenerzlager<br />
in Ohio den Weg für die Stahlindustrie<br />
mit dem Zentrum Pittsburgh und die Autoindustrie<br />
mit dem Zentrum in Detroit, Michigan.<br />
Nun scheint der Abbau von Schiefergas<br />
– und vielleicht in Zukunft auch Ölschiefer<br />
– dem »Rostgürtel« einen Rettungsring zu <br />
zuwerfen.<br />
Naturgasgewinnung soll Jobs<br />
und mehr Wohlstand bringen<br />
U.S. Steel, Timken und die Vallourec & Mannesmann<br />
Holding Inc. (V & M) gehören zu<br />
den Unternehmen, die in der Erwartung<br />
eines dauerhaften Schiefergasbooms be <br />
trächtliche Investitionen in den Neubau oder<br />
den Ausbau von Werken stecken. Das wundersame<br />
Comeback der drei Automobilunternehmen<br />
General Motors, Ford und<br />
Chrysler mit dem Gros ihrer Werke im Rostgürtel<br />
ist ebenfalls ein gutes Omen für die<br />
Zukunft der Stahlindustrie, auch wenn diese<br />
positiven Entwicklungen von der anhaltenden<br />
Konjunkturschwäche vorerst noch überschattet<br />
werden.<br />
Für die Gas- und Ölunternehmen und die<br />
ländlichen Landbesitzer, die ihre Grundstücke<br />
meistbietend verpachten und einen<br />
Anteil am Erlös der geförderten Gasmengen<br />
erhalten, sind die bisherigen Erschließungen<br />
nur mehr Auftakt zu einem Schiefergasrush,<br />
der den einstigen »Gold Rush« in den Schatten<br />
stellen soll.<br />
Weil Schiefergas in den horizontalen Ge <br />
steinsschichten enthalten ist, waren technische<br />
Neuerungen notwendig, um die Förderung<br />
dieser Energievorräte wirtschaftlich<br />
interessant zu machen: horizontales Bohren<br />
über große Strecken hinweg und das hydraulische<br />
Spalten des Gesteins, sodass das<br />
Gas durch die Bohrlöcher an die Erdoberfläche<br />
entweichen kann. Für die Netzwerke<br />
von kilometerlangen, horizontal gelegten<br />
Rohren werden große Mengen von Stahlrohren<br />
benötigt. Auch für die Konstruktion von<br />
Bohrplattformen und die Herstellung von<br />
Auffangbehältern wird Stahl benötigt.<br />
Eine Reihe von Bundesstaaten, u. a. Colorado,<br />
Texas, Oklahoma und Ohio, verfügen<br />
über große Vorkommen von Schiefergas<br />
und Ölschiefer. Allein in Pennsylvania wurden<br />
in den vergangenen drei Jahren über<br />
2.500 Ölschieferquellen gebohrt. Die sogenannte<br />
Marcellus-Shale-Region gilt als eines<br />
der größten Lager von Naturgas in der Welt.<br />
Stahlwerke investieren Millionen<br />
in ihre Rohstahlproduktionen<br />
V & M steckt 650 Mill. USD in den Bau eines<br />
neuen Stahlwerkes in der alten Stahlstadt<br />
Youngstown in Ohio, die so etwas wie eine<br />
Eingangspforte zur Marcellus-Shale-Region<br />
ist. Das Werk, das Ende des Jahres in Betrieb<br />
genommen wird, soll ca. 350 Arbeiter be <br />
schäftigen. Die Timken Company investiert<br />
50 Mill. USD in den Ausbau ihres Stahlwerkes<br />
in Canton, Ohio, und die U.S. Steel<br />
Corporation 95 Mill. USD in die Modernisierung<br />
und Expansion ihres Werkes in Lorain,<br />
Ohio. Alle drei Betriebe planen, ihre Produktion<br />
von Rohstahl deutlich zu erhöhen.<br />
Präsident Obama, der sich in seinem<br />
Wahlkampf vor drei Jahren für strikten Um <br />
weltschutz stark machte, unterstützt Gasdrilling,<br />
weil Naturgas im Verein mit Windund<br />
Sonnenenergie helfen soll, Amerika bis<br />
2035 zu 80 % mit »grüner« Energie zu versorgen.<br />
Aber Umweltschützer protestieren<br />
gegen Schäden, die beim Schieferdrilling<br />
entstehen. Insbesondere geht es in den<br />
Beschwerden um die mit einer Reihe von<br />
Chemikalien behandelten großen Wassermengen,<br />
die zum Spalten und Auswaschen<br />
des Schiefergesteins notwendig sind, weil<br />
sie angeblich Grundwasser und das Trinkwasser<br />
für viele Menschen in diesen Gebieten<br />
zu verschmutzen drohen. Doch die Ölund<br />
Gasindustrie halten eine Trumpfkarte in<br />
der Hand, nämlich ein vor sechs Jahren verabschiedetes<br />
Energiegesetz, dass das »fracking«<br />
(die Spaltung von Gestein) von Ge <br />
setzesauflagen zur Sicherung von sauberem<br />
und sicherem Trinkwasser befreit.<br />
<br />
(sm 111002768) K<br />
<strong>stahlmarkt</strong> <strong>10.2011</strong>