Landkreis Gifhorn - ganz persönlich
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Eine Jahrhundertkatastrophe, die ich sieben<br />
Stunden lang live im Fernsehen moderiert habe.<br />
Damals habe ich den Rückzug nach Wittingen<br />
<strong>ganz</strong> besonders gebraucht. Als Journalist<br />
ist es wichtig, professionelle Distanz aufzubauen.<br />
Ein Besuch zu Hause hilft mir wie<br />
nichts anderes. Er erdet mich wohltuend.<br />
Denke ich an meine Kindheit, laufe ich meinen<br />
Schulweg durch die Wittinger Innenstadt<br />
mit ihren Fachwerkhäusern. Schuster<br />
Götje, der in der Achterstraße mit ihren<br />
krummen Hausgiebeln in seiner Werkstatt<br />
am Fenster saß. Tag für Tag leimte, nähte<br />
und hämmerte er – total vertieft in sein<br />
Handwerk. An den Wänden stapelten sich in<br />
einem wilden Durcheinander bis unter die<br />
Decke Schuhe, alte und neue. Noch heute<br />
spüre ich den unverwechselbaren Leimgeruch<br />
in der Nase. Damals reihte sich an der<br />
Hauptstraße Geschäft an Geschäft. Ein<br />
Milchladen, ein Augenoptiker, ein Haushaltswarengeschäft,<br />
eine Modeboutique, ein<br />
Lederwarengeschäft, der Fischladen und natürlich<br />
unser Favorit – die Eisdiele.<br />
Doch meinen Schulweg gibt es heute nicht<br />
mehr. Keines der Geschäfte, die mir so vertraut<br />
waren, ist noch an seinem Fleck. Leider<br />
verschwindet der Einzelhandel immer mehr<br />
und viele Traditionsgeschäfte haben längst<br />
dichtgemacht. Für mich ist das ein Verlust an<br />
Lebensqualität. Es betriff ja leider nicht nur<br />
Wittingen. Überall bluten die Innenstädte aus.<br />
Stattdessen: gesichtslose Billigmärkte an der<br />
Peripherie. Mit immer demselben Sortiment.<br />
Umso mehr hat es mich gefreut, als ich von<br />
einer Initiative erfuhr, die das Ziel hatte, das<br />
Haus Kreyenberg zu erhalten, das älteste Bürgerhaus<br />
der Stadt aus dem Jahr 1640. Das alte<br />
Fachwerkgebäude im Herzen der Stadt stand<br />
drei Jahrzehnte leer und drohte zu verfallen.<br />
In einer Gemeinschaftsaktion sammelten die<br />
Wittinger Spenden, um das Haus denkmalgerecht<br />
wieder aufzubauen. Heute beherbergt<br />
das historische Fachwerkhaus ein Café und<br />
dient als kulturelle Begegnungsstätte. Für<br />
mich ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass<br />
den Wittinger Bürgern viel daran liegt, ihre<br />
Heimatstadt liebenswert zu erhalten.<br />
In Wittingen verändern sich die Dinge nur langsam. Das mag manche<br />
Daheimgebliebene verstören oder gar ärgern. Mich beruhigt diese Stetigkeit<br />
in turbulenten Zeiten immer mehr. Wittingen ist mein Rückzugsort.<br />
Ohnehin halte ich bürgerschaftliches Engagement<br />
für unser Zusammenleben für unverzichtbar.<br />
Ich bin in dem Bewusstsein erzogen<br />
worden, dass jeder Einzelne Mitverantwortung<br />
für das Gemeinwesen trägt. Das mag auch der<br />
Grund dafür sein, dass ich mich bis heute ehrenamtlich<br />
im politischen Bereich engagiere.<br />
Zwölf Jahre lang habe ich als Vorstandssprecherin<br />
die Organisation „Reporter ohne Grenzen“<br />
geleitet, die sich für Presse- und Meinungsfreiheit<br />
weltweit einsetzt. Auch wenn sich<br />
die Lage für Journalisten und Medien in vielen<br />
Ländern angesichts von Kriegen und Krisen<br />
eher verschlechtert hat, konnte „Reporter ohne<br />
Grenzen“ doch so manchen Kollegen in Notlagen<br />
helfen. Unsere Arbeit wurde vielfach preisgekrönt.<br />
Besonders gefreut habe ich mich aber,<br />
als ich unlängst von Schülern meines ehemaligen<br />
Gymnasiums in Hankensbüttel gebeten<br />
wurde, unsere Organisation vorzustellen.<br />
Welchen Einfluss Politik auf den Alltag der<br />
Menschen hat, habe ich schon früh erfahren.<br />
Unsere Jugendzeit in Wittingen war durch<br />
die geografische „Randlage“ im innerdeutschen<br />
Grenzgebiet geprägt. Nur zwei Kilometer<br />
von der DDR-Grenze entfernt hatten<br />
wir sehr konkret vor Augen, was die deutsche<br />
Teilung aus Land und Leuten machte.<br />
Es begann damit, dass die Straße nach<br />
Salzwedel, Richtung Osten, an der Grenze<br />
einfach aufhörte. Stumpf, grob, sehr widernatürlich<br />
mutete das an. Gespenstisch kam<br />
uns Kindern der mit Stacheldraht und Minen<br />
gesicherte Grenzzaun vor. Am Grenzübersichtspunkt<br />
Rade haben wir oft von einer<br />
hölzernen Plattform aus die DDR-Grenzer<br />
bei ihren Patrouillenfahrten entlang des<br />
Zauns beobachtet. Von dort aus konnten wir<br />
auch „rübergucken“ ins gegenüberliegende<br />
Dorf Waddekath auf DDR-Seite. Es war so