blu Januar 2018
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
MUSIK<br />
Es gibt sie noch, die Selfmade-<br />
Künstler, die über die Jahre<br />
einfach ihr Ding machen und sich<br />
einen feuchten Dreck um Major-<br />
Deals oder soziale Medien kümmern,<br />
die nur in Ruhe ihre Musik machen<br />
– und damit ihr Publikum finden. So<br />
bekommt man Fans, die mittlerweile<br />
so zahlreich sind, dass das neuste<br />
Album auch schon mal auf Platz drei<br />
der Charts einsteigen kann.<br />
Dass einer dieser außergewöhnlichen Musiker<br />
aber ausgerechnet Daniel Wirtz sein<br />
würde, für den es als Sänger von Sub7even<br />
steil nach oben und dann genauso schnell<br />
wieder runterging, darauf hätte 2007, als er<br />
seine Solokarriere begann, niemand auch<br />
nur einen Cent gewettet. Doch diese überraschende<br />
zweite Karriere machte ihn vom<br />
Helden seiner Fans zur einer Rockgröße<br />
des Landes.<br />
Als Wirtz zusammen mit dem Produzenten<br />
Matthias Hoffmann vor zehn Jahren die<br />
ersten Lieder auf Myspace hochlud, ahnte<br />
er nicht, dass das der Neubeginn sein würde.<br />
Er steckte damals bis zum Hals in einer<br />
Lebenskrise und die ersten Songs waren<br />
vor allem brutal ehrliche Abrechnungen<br />
und Aufarbeitungen. Er sang damals auch<br />
das erste Mal auf Deutsch … und etwas<br />
Eigenartiges geschah: Über die folgenden<br />
Jahre wuchs seine Gefolgschaft, ohne dass<br />
es dazu Werbung, Fernsehauftritte oder<br />
Unterstützung großer Labels bedurfte.<br />
Seine Fans brachten Wirtz einfach ihren<br />
Freunden näher, und so wurden es mehr<br />
und mehr, die seine Konzerte besuchten<br />
und seine Musik kauften – so lange, bis er<br />
plötzlich mit „Akustik Voodoo“ in den Top<br />
Ten der Albumcharts auftauchte und man<br />
sich fragte, wie das überhaupt möglich<br />
war. „Das fragen sich einige Plattenfirmen<br />
heute noch“, lacht er. „Aber das kennt man<br />
doch: Wenn jemand, der mir etwas bedeutet,<br />
eine Empfehlung gibt, dann gehe ich<br />
da hin oder kaufe es.“<br />
Vor zwei Jahren lernte ihn dann endlich<br />
auch der Rest der Republik kennen – er<br />
wurde zu „Sing meinen Song“ eingeladen<br />
und sang plötzlich mit den bekanntesten<br />
Namen des Musikgeschäfts. Kurz danach<br />
bekam er mit „One Night Song“ sogar seine<br />
eigene Sendung, ohne je danach gesucht<br />
zu haben. Deshalb erscheint sein neues<br />
Album „Die fünfte Dimension“ unter einem<br />
ganz neuen Stern – es gibt heute sehr viel<br />
mehr aufmerksame Augen und Ohren,<br />
die auf ihn neugierig sind. Denn ob er es<br />
schon akzeptiert hat oder nicht, er ist oben<br />
angekommen. „Ja, die letzten zwei Jahre<br />
waren für mich sehr aufregend, im guten<br />
Sinn“, stellt er fest und klingt dabei, als<br />
FOTO: NADA LOTTERMAN<br />
würde es ihn immer noch wundern. „Wenn<br />
Udo Lindenberg anruft, um mit ihm die<br />
großen Stadien zu spielen, Xavier Naidoo<br />
dich mit auf Tour nimmt, wenn du aus<br />
deinem kleinen, süßen, überschaubaren<br />
Rock ’n’ Roll-Zirkus rausgerissen wirst und<br />
auf einmal auf dem roten Teppich beim<br />
ECHO oder Bambi läufst – dann ist das ein<br />
komplett anderer Kosmos.“<br />
Natürlich ist das nicht der einzige Unterschied<br />
zu damals, als er sich entschlossen<br />
hatte, neu anzufangen. „Die erste Platte<br />
hat mir den Arsch gerettet. Das war Eigentherapie.<br />
Aber es gibt jetzt natürlich auch<br />
andere Sorgen und andere Ängste. Ich bin<br />
Vater geworden, und dann sieht man die<br />
Welt mit anderen Augen. Wenn du zum<br />
Beispiel siehst, was in Europa los ist, wie<br />
die Freiheit in Gefahr ist, wie Rechtspopulisten<br />
an die Macht kommen, dann denke<br />
ich an die Zukunft meines Kindes und wie<br />
er wohl leben wird.“ Zum Beispiel wie in<br />
dem Lied „Das verheißene Glück“. „Da geht<br />
es darum, dass man sich fragt, wie das<br />
damals vor über siebzig Jahren passieren<br />
konnte. Da waren doch auch Leute wie wir,<br />
bei denen die Alarmglocken geschrillt haben!<br />
Es wird in der Türkei so sichtbar, denn<br />
da werden genau diese Menschen mal<br />
schnell weggesperrt, man regiert mit Angst<br />
und keiner macht mehr das Maul auf,<br />
weil die, die es getan haben, ins Ausland<br />
geflüchtet sind oder im Knast sitzen. Ich<br />
habe es nicht so mit dem Zeigefinger und<br />
will mich nicht als Politexperte aus dem<br />
Fenster hängen, der Song soll eher sagen:<br />
Du, das ist schon das eine oder andere Mal<br />
schiefgegangen, das kann man nachlesen.<br />
Es kann also jederzeit wieder schiefgehen,<br />
wenn man nicht aufmerksam bleibt.“<br />
Aber nicht nur er hat sich entwickelt, auch<br />
seine Fans mussten sich anpassen und<br />
akzeptieren, dass mit seinen Auftritten bei<br />
„Sing meinen Song“ Wirtz jetzt nicht mehr<br />
nur ihnen gehört. „Da gab es ein Beben,<br />
Richterskala 7,5! Jetzt ist der Ausverkauf<br />
gekommen!“, lacht er. „Aber als die erste<br />
Sendung lief, sind auch achtzig Prozent<br />
wieder zurückgerudert. Ich kenne meine<br />
Leute ja und wusste, wenn sie es sehen,<br />
in der Art und Weise, wie ich meine Lieder<br />
darbiete, und dann nicht verstehen, dann<br />
hätte ich sie falsch eingeschätzt. Sie alle<br />
wollten ja immer, dass mehr auf mich aufmerksam<br />
werden. Aber sie hatten Angst,<br />
dass man mich anders darstellt als ich bin,<br />
oder die Person, die ihnen wichtig ist, ein<br />
bisschen zum Clown macht oder ich mich<br />
verbiege.“ Aber natürlich begann Daniel<br />
nicht, sich für ein paar Fernsehauftritte zu<br />
verändern – dafür geht er zu lange seinen<br />
eigenen Weg. Auch als er sich entschloss,<br />
das Angebot anzunehmen und mit „One<br />
Night Song“ seine ganz eigene Fernsehsendung<br />
bei VOX zu machen, musste<br />
das Format zu ihm passen und nicht<br />
umgekehrt. „Sie haben mehrerer Konzepte<br />
eingereicht und irgendwann auch<br />
dieses. Da kann ich rauchen und trinken<br />
im deutschen Fernsehen – das kann man<br />
machen!“, lacht er. Dort singt er mit seinen<br />
„Blind Date“-Überraschungsgästen – von<br />
Henning Wehland bis Wolfgang Niedecken,<br />
von Max Mutzke bis Ella Endlich.<br />
Trotzdem hat er noch immer Hemmungen,<br />
sich einfach bei den großen Namen<br />
einzureihen. „Ich darf mich in dieser Liga<br />
bewegen und ganz viel lernen, aufsaugen<br />
und für mich rausziehen“, beschreibt er<br />
seine Situation. Andererseits passieren ihm<br />
jetzt Dinge, die nun wirklich nicht jeder von<br />
sich berichten kann: „Als ich jetzt gerade<br />
das Video zur Single ,Gib mich nicht auf‘<br />
hochgeladen habe, gab es nachts um 5:34<br />
Uhr eine SMS von Udo, der total ausflippt<br />
und es abfeiert und das Video teilt … Da<br />
kann ich nur sagen: Das ist echt ein geiles<br />
Gefühl, auch und gerade weil es eben doch<br />
noch eine andere Liga ist.“ *fis