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soziologie heute April 2009

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20 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>April</strong> <strong>2009</strong><br />

nur, weil sie in der ursprünglichen<br />

synthetischen Einheit des Habitus<br />

vorliegt, dem einheitsstiftenden Erzeugungsprinzip<br />

aller Formen von<br />

Praxis.<br />

Wir finden bei Bourdieu eine systematische<br />

Formel, die die Auswahl<br />

bestimmter Inhalte und Ausdrucksformen<br />

steuert, was uns erspart, auf<br />

eine wahllose Aufzählung derselben<br />

zurückzugreifen. Die Wahl der Gegenstände<br />

entspricht bestimmten<br />

Neigungen und Präferenzen, die einem<br />

einheitlichen Prinzip entspringen.<br />

Lebensstil ist also hier ein System<br />

kohärenter Ausdrucksformen<br />

und Orientierungsmuster.<br />

Diese Handlungen sind typisch für<br />

eine soziale Gruppe oder gar für<br />

eine Kultur. Ein begrenzter Satz von<br />

Dispositionen erzeugt eine schier<br />

unendliche Zahl von Handlungen,<br />

denen man nachträglich ihre Stilähnlichkeiten<br />

ansieht, ohne dass man<br />

sie immer vorhersehen könnte. Und<br />

diesem Umstand ist es zu verdanken,<br />

dass man Lebensstile untersuchen<br />

kann. Folgt man diesen Überlegungen,<br />

so müsste es möglich sein, bei<br />

der Beschreibung von herausragenden<br />

Bereichen der Lebenspraxis eine<br />

Einheitlichkeit zu entdecken, die in<br />

sämtlichen Bereichen deutlich wird.<br />

Wobei selbstredend nicht vergessen<br />

werden darf, dass die Ausdrucksformen<br />

von Lebensstil stets in den<br />

ökonomischen und sozialen Lebenszusammenhängen<br />

der Menschen zu<br />

sehen sind. Und nicht zuletzt bleibt<br />

zu berücksichtigen, dass diese Ausdrucksformen<br />

auf die kulturellen<br />

Normen bezogen werden, die den<br />

Stilwillen der Einzelnen oder der<br />

sozialen Gruppen inhaltlich bestimmen.<br />

Wie entstehen Lebensstile?<br />

Lebensstile entwickeln sich auf der<br />

Grundlage bestimmter Lebensbedingungen.<br />

Die politischen Verhältnisse<br />

eröffnen die Freiräume, in denen<br />

eine Vielfalt von Lebensformen<br />

möglich ist. Natürlich begrenzen sie<br />

diese Räume auch entsprechend. Die<br />

materiellen Umstände – das Ausmaß<br />

der Versorgung mit lebenswichtigen<br />

Gütern sowie die Ermöglichung von<br />

Konsumwünschen, die über den notwendigen<br />

Bedarf hinausgehen, bestimmen<br />

Einstellungen und Verhaltensformen.<br />

Die Lebensgestaltung<br />

wird geprägt von der Art, wie das<br />

wirtschaftliche Leben in Produktionsformen<br />

und Arbeitsorganisation<br />

geregelt wird. Danach richtet sich<br />

der Tagesablauf, danach ergeben<br />

sich Möglichkeiten eigenständiger,<br />

selbstbestimmter Berufsausübung<br />

– oder eben auch nicht. Es ist also<br />

festzuhalten, dass die sozialen Beziehungen<br />

nur im Zusammenhang mit<br />

der politischen und wirtschaftlichen<br />

Organisation angemessen gedeutet<br />

werden können.<br />

Der Grad gesellschaftlicher Differenzierung<br />

spiegelt sich in der Ausbildung<br />

und Entwicklung von Lebensstilen<br />

wider, die je nach sozialer<br />

Gruppe unterschiedlich ausgeprägt<br />

sein können oder von anderen übernommen<br />

werden. In diesem Sinn lässt<br />

sich dann sogar behaupten, dass es<br />

einen einheitlichen Lebensstil gibt,<br />

der für eine Gesellschaft zu einer bestimmten<br />

Zeit charakteristisch ist.<br />

Allerdings ist eine derartige Verwendung<br />

des Begriffs dann nur mehr für<br />

die Unterscheidung verschiedener<br />

Epochen (also diachron) dienlich,<br />

während ein differenzierender Blick<br />

auf die Gegenwart (synchron) verwehrt<br />

ist.<br />

Doch es sind nicht ausschließlich<br />

materielle Faktoren, die den jeweiligen<br />

Lebensstil beeinflussen. Auch<br />

geltende Normen, Interessen, Wertsetzungen,<br />

persönliche Einstellungen<br />

spielen dabei eine bedeutende Rolle,<br />

wobei klar ist, dass sie ihrerseits<br />

nicht isoliert von den politischen<br />

und wirtschaftlichen Gegebenheiten<br />

der jeweiligen Gesellschaft zu begreifen<br />

sind.<br />

Individualisierung als prägende<br />

Kraft im 21. Jahrhundert<br />

Eine erschöpfende Analyse der die<br />

moderne Gesellschaft prägenden<br />

Kräfte – unerlässlich für ein Aufspüren<br />

und Verstehen sich darin zeigender<br />

Lebensstile - kann selbstredend<br />

hier nicht geleistet werden. Immerhin<br />

dürfte weitgehend außer Streit<br />

stehen, dass im Blick auf die Gesellschaft<br />

der Gegenwart dem Prozess<br />

der Individualisierung besondere<br />

Bedeutung zukommt. Dies gilt ungeachtet<br />

der auftretenden Gegentendenzen,<br />

die die Individualisierung<br />

nicht zurückdrängen, sondern mitgestalten.<br />

Ulrich Beck widmet ihr in<br />

seinem Buch Risikogesellschaft besondere<br />

Aufmerksamkeit.<br />

Genauerhin führt die Modernisierung<br />

neben anderem auch zu einer dreifachen<br />

Individualisierung: zum ersten<br />

haben wir es zu tun mit der Herauslösung<br />

aus historisch vorgegebenen<br />

Sozialformen und –bindungen im<br />

Sinne traditionaler Herrschafts- und<br />

Versorgungszusammenhänge, zum<br />

zweiten mit dem Verlust von traditionalen<br />

Sicherheiten im Hinblick auf<br />

Handlungswissen, Glauben und leitende<br />

Normen und zum dritten mit<br />

einer neuen Art der sozialen Einbindung.<br />

Diese drei Momente bilden ein<br />

allgemeines, ahistorisches Modell<br />

der Individualisierung. Wir sehen<br />

dieses Modell genauer, wenn wir es<br />

entlang einer zweiten Dimension begrifflich<br />

differenzieren, nämlich nach<br />

Freiräume?<br />

Foto: Jeanne, pixelio

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