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soziologie heute April 2009

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<strong>April</strong> <strong>2009</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 7<br />

sitionen sollen der Selbstbeschreibung<br />

unserer Gesellschaft zufolge<br />

aufgrund von Leistung erfolgen. Und<br />

das gilt für den Sport in besonderem<br />

Maße, da es im Sport praktisch um<br />

nichts anderes als um Leistung geht<br />

und jeder Ausschluss die Idee der<br />

Höchstleistung gefährdet.<br />

<strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong>: Die Beschreibung<br />

sportlicher Leistungen in Zahlen<br />

wird oft als charakteristisches Merkmal<br />

des modernen Sports genannt. In<br />

der Leichtathletik ist die Mess- und<br />

Quantifizierbarkeit ja noch leicht<br />

nachvollziehbar, beim Fußball dürfte<br />

es etwas komplizierter sein. Welche<br />

Kriterien zieht man eigentlich im<br />

Spitzenbereich des Fußballs heran?<br />

Müller: Alltagstheoretisch gehen<br />

wir davon aus, dass die Leistung im<br />

Sport besonders einfach messbar<br />

ist und daher auch Gratifikation und<br />

Hierarchiebildung im Sport eine klare<br />

Sache sind. Das gilt aber vor allem<br />

für die sog. Meter-Gramm-Sekunde-<br />

Sportarten wie die Leichtathletik, in<br />

denen sportliche Leistung tatsächlich<br />

leicht mess- und quantifizierbar<br />

ist. Im Fußball ist es zum einen deshalb<br />

schwieriger, weil man immer die<br />

unmittelbare körperliche Anwesenheit<br />

der gegnerischen Mannschaft<br />

braucht, um die Leistung erst mal<br />

abzurufen.<br />

Diese Bedingung der Kopräsenz bindet<br />

die Leistungsmessung im Gegensatz<br />

zur Leichtathletik aber an Zeit<br />

und Raum: D.h. eine fußballerische<br />

Leistung lässt sich nicht von Ort, Zeit<br />

und Gegner abstrahieren und auf einen<br />

anderen Gegner (zu einem anderen<br />

Zeitpunkt und an einem anderen<br />

Ort) übertragen. Wenn Mannschaft<br />

A gegen Mannschaft B gewinnt, und<br />

Mannschaft B gegen Mannschaft C<br />

gewinnt, bedeutet das nicht zwangsläufig,<br />

dass Mannschaft A auch gegen<br />

Mannschaft C gewinnen würde.<br />

Die Unvorhersehbarkeit und Kontingenz<br />

des Fußballs können wir jedes<br />

Wochenende in der Bundesliga beobachten.<br />

Noch komplizierter wird die Leistungsmessung<br />

im Fußball jedoch<br />

auf der Individualebene. Die Mannschaftsleistung<br />

lässt sich ja zumindest<br />

noch in der Anzahl der Tore<br />

messen, und es hat die Mannschaft<br />

gewonnen, die mindestens ein Tor<br />

mehr als der Gegner hat. Dagegen<br />

lässt sich die Leistung der einzelnen<br />

Spieler nicht nur in Toren oder Torschüssen<br />

messen, denn es gehört ja<br />

nicht zu den Aufgaben von Torwart<br />

oder Verteidiger, Tore zu schießen.<br />

Hier arbeiten die Vereine mit einer<br />

ganzen Reihe von Hilfskonstruktionen<br />

und Indikatoren für Leistungsfähigkeit.<br />

So misst man die Antrittsgeschwindigkeit,<br />

die Schussstärke, die<br />

Zweikampfstärke, man misst Laktatwerte<br />

und zählt Pässe oder Torvorlagen.<br />

Von besonders großer Bedeutuung<br />

sind aber auch psycho-soziale Fähigkeiten,<br />

wie Disziplin, Teamgeist,<br />

Kampfwille und der sog. „Charakter“.<br />

Die lassen sich aber kaum objektiv<br />

messen oder in Zahlen ausdrücken,<br />

stattdessen gibt es subjektive<br />

Einschätzungen, die dann auf Menschenkenntnis<br />

und Erfahrung beruhen,<br />

und sich vielfach auch an der<br />

nationalen und ethnischen Herkunft<br />

der Spieler orientieren bzw. an den<br />

Vorstellungen über damit verbundene<br />

typische Eigenschaften.<br />

Die Wahrscheinlichkeit, mit der bei<br />

der Spielerbewertung und -rekrutierung<br />

auf nationale Stereotype zurückgegriffen<br />

wird, hängt aber auch<br />

vom Professionalisierungsgrad eines<br />

Fußballklubs ab. Einfach gesagt: Je<br />

professioneller ein Klub geführt wird<br />

und je deutlicher die Trennung zwischen<br />

Funktionsrolle und Person<br />

ausfällt, desto unwahrscheinlicher<br />

ist der Einfluss nationaler Zuschreibungen<br />

bei der Spielerrekrutierung.<br />

<strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong>: Fußball wird von<br />

vielen als typischer Männersport<br />

gesehen. Warum werden in dieser<br />

Sportart Ausschlüsse wegen der Geschlechtszugehörigkeit<br />

allgemein als<br />

legitim wahrgenommen?<br />

Müller: Fußball war keineswegs immer<br />

schon ein Männersport - auch<br />

wenn die Geschlechterforschung<br />

in der Sportwissenschaft das bisher<br />

weitgehend ignoriert hat. Der<br />

Ausschluss der Frauen erfolgte beispielsweise<br />

in England in zwei Stufen:<br />

Zuerst erließ der englische Verband,<br />

die FA, ein Verbot an ihre Mitglieder,<br />

mit und gegen „Ladyteams“ anzutreten.<br />

Und 1921 erfolgte schließlich<br />

das vollständige Verbot für die Ladyteams.<br />

Allein die Existenz dieser<br />

beiden Verbote und die polemische<br />

Rhetorik drumherum, mit der die<br />

Exklusion der Frauen durch Verweise<br />

auf Medizin und Moral legitimiert<br />

wurde, beweisen, dass es offenbar<br />

bis dahin Fußball spielende Frauen<br />

in nicht ganz unerheblichem Umfang<br />

gegeben haben muss und dass Fußball<br />

keineswegs ein reiner Männersport<br />

war.<br />

Die männliche Codierung scheint<br />

vielmehr erst im Zuge der Militarisierung<br />

des Fußballs während des<br />

Ersten Weltkrieges erfolgt zu sein.<br />

Foto: Jessica Konrad, pixelio

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