soziologie heute April 2009
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<strong>April</strong> <strong>2009</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 33<br />
Ethnische Statistiken in Frankreich erlaubt<br />
(Les Echos, Frankreich, 18.3.<strong>2009</strong>/bpb)<br />
Die französische Tageszeitung Les Echos schreibt über die Reaktionen auf die Entscheidung<br />
des französischen Kommissars für Vielfalt, Yazid Sabeg, ethnische Statistiken<br />
in Frankreich zu erlauben:<br />
Auffälligerweise befürworten diejenigen, denen das widerstrebt, gleichzeitig die<br />
Chancengleichheit am heftigsten. ... Tatsächlich fürchten zahlreiche Behörden oder<br />
Vereine, die sich für die republikanische Gleichheit einsetzen, dass sich das Ausgrenzungsgefühl<br />
verstärkt, wenn Menschen nach ethnischer Herkunft eingeordnet würden.<br />
[In den Vereinigten Staaten] haben ethnische Minderheiten asiatischer Herkunft<br />
gefordert, nicht unter die Kategorie ‚asiatisch‘ zu fallen, um anders als die Mehrheit<br />
der Asiaten behandelt zu werden! Dies zeigt, dass das Gefühl einer gemeinsamen Zugehörigkeit<br />
nicht verbessert werden kann, wenn man damit anfängt, Individuen nach<br />
besonderen ethnischen Kriterien einzuordnen.<br />
Krisenerprobte rumänische Dekretkinder<br />
(Adevarul, Rumänien, 17. 3. <strong>2009</strong>/bpb))<br />
Im Jahr 1966 wurden in Rumänien per Dekret Verhütungsmethoden sowie Schwangerschaftsabbrüche<br />
verboten. Unter „Dekretkinder” versteht man nun jene Generation,<br />
welche zwischen 1966 und 1990 geboren wurde - im Westen verwendet man für diese<br />
Generation die Bezeichnung „Baby Boomer”. Emilian Isaila hat sich in der rumänischen<br />
Tageszeitung Adevarul mit der Krisenfestigkeit rumänischer Dekretkinder beschäftigt<br />
und schreibt:<br />
Ich gehöre zu einer Generation, die in einer Krise geboren wurde - in einer demografischen.<br />
Ich bin ein Dekretkind, das in Krisenzeiten aufgewachsen ist, erzogen wurde<br />
und gearbeitet hat. Wenn Sie mich fragen: Für mich war der Zustand der ‚Nicht-Krise‘<br />
das Seltsame. Ich war nie im Leben in einer Situation, wo das Jobangebot die Nachfrage<br />
übersteigt, wenn wir von der Anomalie der letzten drei Jahre absehen. ... Was jetzt<br />
passiert, ist dramatisch. Eine Krise, die aus dem Nichts kommt, die vom blauen Himmel<br />
herab unseren schwer wiedergewonnenen Optimismus zerstört. Aber zwischen der<br />
Krise des kommunistischen Systems und jener des kapitalistischen Systems gibt es einen<br />
kleinen Unterschied. Letzteres System gibt einem eine Chance. Und ein Dekretkind<br />
braucht nicht mehr als eine Chance. Der Kommunismus gab ihm keine. Ich gehöre zu<br />
einer Generation, die nichts hatte und der niemand etwas geschenkt hat; die gezwungen<br />
war, auf sich selbst gestellt auszukommen. Menschen wie ich empfinden die Krise nicht<br />
wie einen Weltuntergang, sondern wie den Untergang einer Welt. Und das ist meistens<br />
nur eine neue Chance.<br />
Ulrich Beck: Was ist und will Europa sein?<br />
(La Repubblica, Italien, 16. 3. <strong>2009</strong>/bpb)<br />
In der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica äussert sich der deutsche Soziologe<br />
Ulrich Beck zur Frage „Mehr oder weniger Europa?”.<br />
Wo bleibt <strong>heute</strong> der europäische Enthusiasmus des britischen Premiers Winston<br />
Churchill, seine prophetische Stimme, die die Europäer daran erinnerte, dass die immer<br />
größere nationale Engstirnigkeit nicht nur das europäische Wunder - die Feinde in<br />
Nachbarn zu verwandeln - zerstört, sondern am Ende auch Europa selbst? ... Der französische<br />
Präsident Nikolas Sarkozy hat in überraschender Übereinstimmung mit dem<br />
britischen Premier Gordon Brown die Ausweitung der Kompetenzen der Wirtschaftspolitik<br />
der EU vorgeschlagen. Und dennoch ist dieser Vorschlag - und nicht minder<br />
überraschend - auf die Ablehnung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel gestoßen. ...<br />
Die Wirtschaftskrise hat die peripheren Staaten unvorbereitet erwischt. ... Die (daraus<br />
folgende) strukturelle Krise Europas, in die wir geraten sind, wirft mitleidlos die Frage<br />
der Existenzberechtigung auf. Was ist und was will Europa sein? ... Trotzdem gibt es<br />
immer noch keine gemeinsame Wirtschafts-, Steuer -, Unternehmens- und Sozialpolitik<br />
in Europa, um die Konsequenzen der Finanzkrise zu bekämpfen, die den gemeinsamen<br />
Markt bedrohen. Und wer dieses ‚Mehr‘ Europa, das historisch notwendig geworden<br />
ist, ablehnt und damit allen schadet - ist die Bundeskanzlerin Angela Merkel.