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hinnerk März 2018

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Er weiß sehr wohl, es wird in Zukunft<br />

viel Hass auf ihn warten, denn Nakhane<br />

tritt gerade vor die ganze Welt<br />

und personifiziert dabei zwei Sachen,<br />

die so viele Menschen verachten: Er ist<br />

schwarz und schwul.<br />

„Ich werde nie erlauben, dass mich dieser<br />

Hass erreicht. Niemals. Das verdienen<br />

sie nicht“, sagt er entschieden. „Wenn<br />

überhaupt, dann bringt es mich dazu,<br />

noch mehr zu machen. Ich klinge damit<br />

vielleicht wie ein Politiker – aber wir können<br />

dem Hass nicht erlauben zu gewinnen.“<br />

Vor allem und gerade jetzt nicht. „Es sind<br />

dunkle Zeiten. Aber wir haben so etwas<br />

schon mal durchgemacht. Die Menschheit<br />

lernt nicht, das ist offensichtlich. Ich dachte,<br />

wir würden all das hinter uns lassen,<br />

aber Liebe kommt eben nicht einfach so<br />

– wir müssen dafür arbeiten. Das ist das<br />

Einzige, was ich aus meinem religiösen<br />

Leben mitgenommen habe: Liebe musst<br />

du leben.“<br />

Seine Kreativität ist dabei nicht unbedingt<br />

seine Waffe gegen den Hass, denn<br />

der Wunsch nach Musik ist bei ihm eine<br />

Familientradition. „Meine Mutter und ihre<br />

Schwestern haben alle in Chören gesungen.<br />

Mozart, Händel. Klassisch trainierte<br />

Sängerinnen, was damals großartig für<br />

mich war – und heute ganz schrecklich,<br />

weil sie ständig alle eine Meinung zu meinen<br />

Phrasierungen und meiner Atemtechnik<br />

haben!“, lacht er. Gleichzeitig zu diesen<br />

Prägungen hörte er bei seiner Tante die<br />

großen Soulmeister wie Marvin Gaye und<br />

The O’Jays. Er wurde nicht nur ein Fan von<br />

ihnen, er war regelrecht besessen. „Ich war<br />

besessen von Musik überhaupt. Ich habe<br />

immer die Platten meiner Mutter ruiniert“,<br />

gesteht er. „Sie liebte es zwar, dass ich<br />

ihre Musik liebe, aber sie hasste es, dass<br />

sie ständig wieder neue Platten kaufen<br />

musste – und manche waren echt schwer<br />

zu bekommen!“<br />

Er war zwölf, als er eine für ihn einfache<br />

Entscheidung traf, obwohl er auch über<br />

eine Karriere als Sportler nachdachte: „Ich<br />

laufe wirklich gern. Aber ich liebe Musik!<br />

‚Das wird es sein, was ich tun werde‘, entschied<br />

ich damals.“ Während seine Mutter<br />

hinter ihm stand, gab es deswegen viele<br />

Streitigkeiten mit seinem Vater. „Er wollte<br />

immer, dass ich Anwalt oder Buchhalter<br />

werde. ,Warum kannst du nicht wie andere<br />

Jungs sein?‘, waren ausgerechnet seine<br />

Worte.“ Und damals ging es noch nicht<br />

einmal um Nakhanes Coming-out. Als es<br />

endlich so weit war, „war es schwierig, für<br />

alle Beteiligten. Außer für meine Freunde,<br />

denen war es sowieso klar.“ Der Widerstand<br />

in der Familie ging sogar so weit,<br />

dass er sein Schwulsein wieder verleugnete<br />

und für kurze Zeit versuchte, ein strikter<br />

Christ zu sein und dementsprechend zu<br />

leben – bis er endgültig feststellte: So geht<br />

es nicht weiter! „Da hatte ich zum Glück<br />

schon meine eigene Wohnung. Und endlich<br />

machte dann auch mein Vater seinen<br />

Frieden mit dem Fakt, dass er es nicht<br />

ändern kann.“<br />

Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Nakhane<br />

schon an seiner eigenen Musik. Sein erstes<br />

Album erschien 2013, da war er 25. „Es<br />

dauerte, bis es in Südafrika sein Publikum<br />

fand, und da schrieb ich bereits an völlig<br />

neuen Songs.“ Kurze Zeit später erschien<br />

sein erster Roman – und er bekam plötzlich<br />

sogar eine Filmrolle: „The Wound“<br />

stand gerade auf der Shortlist für den<br />

Oscar, auch wenn es nicht für die finale<br />

Nominierung gereicht hat. „Ich weiß auch<br />

nicht, wie das alles geschah … Ich schaue<br />

auf mein Leben und es ist so eigenartig“,<br />

überlegt er. „Ich wusste zwar früh, dass<br />

ich für all diese Künste große Leidenschaft<br />

empfand, aber ich dachte immer,<br />

ich müsste mich entscheiden. Das ist es<br />

jedenfalls, was alle sagen.“ Aber Menschen<br />

konstruieren diese Vorstellungen, diese<br />

Rollen natürlich nur. „Bevor wir kolonialisiert<br />

wurden, war das Sein eines Künstlers<br />

in Südafrika, dass du von deinen Ahnen<br />

ausgewählt wurdest, denn du solltest die<br />

Botschaften der Vorfahren oder Götter<br />

oder was auch immer weitergeben. Das<br />

wurde durch Tanz getan, durch Poesie,<br />

durch Singen und Schauspielern. Und du,<br />

als der Sprecher für diese Entitäten, musstest<br />

du das alles gleichzeitig können – und<br />

das auch noch sehr gut! Die Idee, dass man<br />

nur eines machen kann, war also nie eine<br />

afrikanische Sache – das kommt aus<br />

der westlichen Kultur. Das müsst ihr<br />

nicht auf mich übersetzen, das ist<br />

euer Scheiß!“, lacht er.<br />

Der Erfolg des Films, die Aufmerksamkeit,<br />

die sein Roman<br />

bekommen hat, und jetzt<br />

die weltweite Veröffentlichung<br />

seines zweiten<br />

Albums „You Will Not<br />

Die“ durch ein Major-Label,<br />

das alles machte die<br />

letzten Monate zur aufregendsten<br />

Zeit seines<br />

Lebens. „Ich kann jetzt<br />

keine Angst vor all dem<br />

haben, was passiert.<br />

Wenn ich mich unsicher<br />

fühle, dann reiße ich mich<br />

zusammen. Wenn ich unzufrieden<br />

bin, dann kann ich<br />

es in der Zukunft<br />

immer noch<br />

besser<br />

machen<br />

–<br />

aber<br />

MUSIK<br />

jetzt gilt: Tu es, zum Teufel!“ Es ist der<br />

Moment, auf den er sein Leben lang hingearbeitet<br />

hat. „Und ich bin froh, dass es erst<br />

jetzt passiert, wo ich älter bin.“<br />

Schon alleine deshalb, weil heute jeder –<br />

und auch Nakhane – über die Social Media<br />

erreichbarer, näher und verwundbarer ist<br />

als je zuvor. Es ist oft schwer, den Troll<br />

nicht zu füttern, doch auf Hasskommentare<br />

reagiert er bedacht, wie letztens auf<br />

Twitter mit einem „Vielen Dank.“ „Mich<br />

hat eine Freundin vor vielen Jahren schon<br />

gefragt, was ich tun würde, wenn jemand<br />

einfach sagen würde, dass er mich hasse.<br />

Mich und meine Arbeit. Damals meinte<br />

ich, das wird mir nie passieren, weil meine<br />

Arbeit nie die Bedeutung haben wird, dass<br />

sich jemand diese Mühe macht.“ Als es<br />

dann doch losging, rief er sie an: „Du wirst<br />

nicht glauben, was gerade jemand zu<br />

mir gesagt hat! Jemand hat mir den Tod<br />

gewünscht!“ Sie haben nur gelacht. „Es hat<br />

mir zwar noch niemand so etwas direkt<br />

ins Gesicht gesagt … aber ich wäre bereit<br />

dafür. Ich komme aus einer starken Familie.<br />

Meine Mutter meinte zu mir, als dieser<br />

Hass begann: ,Du kommst klar, oder?‘ Ich<br />

fragte: ,Wie kommst du darauf?‘ ,Weil du<br />

bei uns aufgewachsen bist!‘, war ihre Antwort“,<br />

lacht er wieder und sagt dann mit<br />

Ruhe und Selbstsicherheit: „Wir haben uns<br />

immer gegenseitig sehr übel aufgezogen<br />

und haben dafür immer unsere größten<br />

Unsicherheiten und Schwächen genommen.<br />

Deshalb kann mir das alles nicht<br />

wehtun.“ *fis

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