MTD_DDG_2018_01-02
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10 Kongress aktuell<br />
diabeteszeitung · 3. Jahrgang · Nr. 1/2 · 28. Februar <strong>2<strong>01</strong>8</strong><br />
Alltag und Blutzucker ohne<br />
Augenlicht eigenständig managen<br />
Welche praktischen Hilfen gibt es für Blinde und Sehbehinderte?<br />
MANNHEIM. Blinde und sehbehinderte Menschen mit Diabetes<br />
müssen besondere Hürden in ihrem Alltag meistern.<br />
Sie sind auf praktische Hilfen und Barrierefreiheit angewiesen.<br />
Doch was dieser Zielgruppe tatsächlich nutzt,<br />
darüber herrschen häufig falsche Vorstellungen, sagt<br />
Diana Droßel, Vorstandsmitglied von diabetesDE.<br />
Die Diagnose einer schweren<br />
Augenschädigung wirft Betroffene<br />
erst einmal aus der<br />
Bahn. Dieses Gefühl kennt Diana<br />
Drossel aus eigener Erfahrung:<br />
Sie erkrankte bereits als Kleinkind<br />
an Typ-1-Diabetes und erblindete<br />
1982 als junge Frau infolge einer<br />
Augeninfektion. „Heute wird dank<br />
moderner Therapien zum Glück<br />
kaum jemand mehr komplett blind.<br />
Doch auch eine starke Sehbehinderung<br />
macht den Betroffenen große<br />
Angst. Schließlich stehen die meisten<br />
zu diesem Zeitpunkt mitten im Berufsleben“,<br />
berichtete sie.<br />
Als Vorstandsmitglied von diabetesDE<br />
und Gründungsmitglied<br />
einer Arbeitsgruppe zum Thema<br />
„Apps und Diabetes“ innerhalb der<br />
Arbeitsgemeinschaft Diabetes und<br />
Technologie (AGDT) der <strong>DDG</strong> engagiert<br />
sich Droßel für Barrierefreiheit<br />
und praktische Hilfen für blinde<br />
und sehbehinderte Menschen mit<br />
Diabetes. Denn angebotene Lösungen<br />
entsprechen häufig nicht den<br />
Bedürfnissen den Betroffenen.<br />
Blutzuckermessgeräte trotz<br />
Sprachsteuerung unhandlich<br />
So bieten etliche Hersteller von<br />
Blutzuckermessgeräten zwar mittlerweile<br />
Geräte mit Sprachsteuerung<br />
an, doch die Handhabung sei<br />
für Menschen mit eingeschränkter<br />
oder fehlender Sehkraft schwierig:<br />
„Die Teststreifen sind meist sehr<br />
dünn und wackelig. Es ist schwierig,<br />
sie in den vorgesehenen Spalt im Gerät<br />
einzuführen“, berichtete Droßel,<br />
„und wie bringe ich dann das Blut<br />
auf den Teststreifen auf?“<br />
Moderne Diabetestechnologie<br />
auch für Sehbehinderte<br />
Bei einem Insulinpen ist es ihrer<br />
Einschätzung nach für Blinde und<br />
Sehbehinderte nicht unbedingt erforderlich,<br />
dass die Zahl der eingestellten<br />
Einheiten angesagt wird:<br />
„Die hörbaren Klicks beim Einrasten<br />
reichen aus um zu wissen, wie viele<br />
Einheiten am Pen eingestellt wurden.“<br />
Dank der Endabschaltung ließen<br />
sich bei einer leeren Insulinampulle<br />
auch keine Einheiten mehr am<br />
»Blinde werden<br />
bei Digitalisierung<br />
nicht immer<br />
mitgenommen«<br />
Insulinpen einstellen:<br />
„Dann wissen<br />
auch Sehbehinderte,<br />
dass die Insulinampulle<br />
gewechselt<br />
werden muss.“<br />
Längst nutzen auch<br />
Blinde und Sehbehinderte<br />
moderne Diabetestechnologie<br />
wie Insulinpumpen<br />
und CGM-Systeme.<br />
Smartphone bedeutet<br />
Unabhängigkeit<br />
Die wichtigste Neuerung, die ihnen<br />
hierbei die Handhabung erleichtert,<br />
sind Smartphone-Apps. „Smartphones<br />
verfügen heutzutage über eine<br />
Sprachausgabe, mit der alle Inhalte<br />
auf dem Bildschirm vorgelesen<br />
werden können“, erklärte Droßel,<br />
„was das Smartphone auf diese<br />
Weise für mich an Unabhängigkeit<br />
Tricks und Kniffe:<br />
Wie bekommt man ein<br />
Glukosemesssystem<br />
zum Reden?<br />
WIESBADEN. Technisch<br />
interessierte Mitglieder<br />
der Diabetes-Community<br />
bauen nicht nur den<br />
Closed Loop in Eigenregie,<br />
sondern bringen<br />
auch Glukosemesssysteme<br />
zum Reden, die eigentlich<br />
über keine App<br />
verfügen und damit herstellerseitig<br />
nicht für die<br />
Nutzung durch Sprachassistenten<br />
vorbereitet sind. Im<br />
Folgenden finden sich einige<br />
ausgewählte Erfahrungsberichte<br />
von der Anwenderfront:<br />
Dexcom G5:<br />
Das G5-System verfügt über eine eigene<br />
App, die sämtliche Display-Informationen<br />
vollständig vorliest. Aber auch<br />
das G4-System lässt sich über die App<br />
xDrip mit einem selbstgebauten Transmitter<br />
auslesen und dann von einem<br />
Sprachassistenten vorlesen.<br />
Guardian Connect:<br />
Der Sprachassistent kann aus der App<br />
immerhin den aktuellen Blutzuckerwert<br />
und die Aufforderung zur Kalibrierung<br />
des CGM-Systems vorlesen. Was<br />
fehlt, sind allerdings die Ansagen der<br />
Glukosetrends.<br />
Blinden erleichtert<br />
das Smartphone den Alltag.<br />
bedeutet, ist kaum in Worte zu fassen“.<br />
Apple war lange Vorreiter bei<br />
den Bedienungshilfen für blinde<br />
und sehbehinderte Nutzer. Beim<br />
iPhone (Betriebssystem iOS) kann<br />
die Vorlesefunktion „VoiceOver“ bei<br />
den Bedienungshilfen in den Einstellungen<br />
aktiviert werden.<br />
Eversense:<br />
Der Sprachassistent liest aus der App<br />
des implantierten CGM-Sensors die<br />
Warngrenzen für zu hohe bzw. zu<br />
niedrige Glukosewerte vor, nicht aber<br />
den aktuellen Glukosewert.<br />
Freestyle Libre:<br />
Mit dem BlueCon Reader, der auf den<br />
Freestyle Libre-Sensor aufgesetzt wird,<br />
wird aus dem FGM- ein CGM-System,<br />
dessen Messwerte mithilfe der App<br />
xDrip auch vorgelesen werden können<br />
– allerdings ohne die aktuellen Glukosetrends.<br />
Wer zusätzlich zum Sensor die<br />
App Libre Alarm nutzt, kann sich auch<br />
Trends und Alarme ansagen lassen.<br />
Doch auch Android-Smartphones<br />
haben bei der Barrierefreiheit mittlerweile<br />
aufgeholt: Hier heißt<br />
die entsprechende Funktion<br />
TalkBack und ist ab Version<br />
4.0 des Betriebssystems<br />
vorinstalliert; Nutzer älterer<br />
Android-Versionen<br />
können sie als App im<br />
Playstore herunterladen.<br />
Auch Sprachassistenten<br />
wie Siri oder<br />
Alexa können Inhalte<br />
über ihre jeweiligen<br />
Endgeräte vorlesen.<br />
Voraussetzung für die<br />
Nutzung von Sprachassistenten<br />
ist allerdings, dass die<br />
genutzten Apps den Standards<br />
für Barrierefreiheit genügen. So<br />
müssen Reiter, Tabulatoren und<br />
Bedienfelder so programmiert sein,<br />
dass der jeweilige Helfer sie eindeutig<br />
identifizieren kann. Genau an<br />
diesem Punkt hinken viele Anbieter<br />
den Erfordernissen von Blinden<br />
und Sehbehinderten und auch den<br />
technischen Möglichkeiten hinterher,<br />
wie Droßel kritisch anmerkte:<br />
„Die Einhaltung von Standards für<br />
Barrierefreiheit ist in der Industrie<br />
leider nicht selbstverständlich.“<br />
Blutzuckermesssysteme:<br />
Die App lumind, eine neue Anwendung,<br />
die Menschen mit Diabetes<br />
diskret u.a. an fällige Blutzuckermessungen<br />
erinnern soll, empfängt<br />
Werte vom Accu-Chek Guide, Accu-<br />
Chek Connect, Beurer GL50 und dem<br />
Contour Next One. Sofern Voiceover<br />
aktiviert ist, wird beim Starten als erstes<br />
der Blutzuckerwert vorgelesen.<br />
thie<br />
dz-Recherche<br />
Sie selbst nutzt das CGM-System<br />
Dexcom G5: „Hier hat der Hersteller<br />
die Standards für Barrierefreiheit<br />
vorbildlich umgesetzt“, lobte Droßel.<br />
Neben dem aktuellen Glukosewert<br />
werde auch der Trend angesagt, sämtliche<br />
Menüpunkte der App können<br />
per Klick auf das Display vorgelesen<br />
werden. Bei den Apps von Medtronic<br />
(Guardian Connect), Roche/Senseonics<br />
(Eversense CGM) und Abbott<br />
(Freestyle LibreLink) hingegen sei<br />
dies – wenn überhaupt – nur eingeschränkt<br />
möglich.<br />
Barrierefreiheit als<br />
Zertifizierungskriterium<br />
Droßel bat darum, sich bei Pharmaund<br />
Medizinprodukteherstellern für<br />
die Einhaltung der Standards für<br />
Barrierefreiheit einzusetzen: „Hier<br />
auf dem Kongress wird so viel über<br />
Digitalisierung geredet, doch leider<br />
werden Blinde und Sehbehinderte<br />
dabei nicht immer mitgenommen.“<br />
Immerhin: Auf ihre Initiative hin<br />
ist die Einhaltung der Standards für<br />
Barrierefreiheit ein Kriterium für die<br />
geplante Zertifizierung von Diabetes-<br />
Apps durch die <strong>DDG</strong>. Antje Thiel<br />
11. Diabetes Herbsttagung und<br />
41. Hypertonie-Kongress<br />
Nicht nur Smartphones, sondern<br />
z.B. auch Sprachassistenten<br />
können Sehbehinderten beim<br />
Auslesen ihrer Daten helfen.<br />
Fotos: fotolia/AndSus, fotolia/Co-Design