MTD_DDG_2018_01-02
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24 Consilium Diabetes<br />
diabeteszeitung · 3. Jahrgang · Nr. 1/2 · 28. Februar <strong>2<strong>01</strong>8</strong><br />
Wenn die Schilddrüse aus dem<br />
Gleichgewicht gerät<br />
Update zu Diagnosekriterien einer Funktionsstörung |<br />
Einfluss von Schilddrüsenhormonen auf den Blutzucker<br />
ESSEN. Die Endokrinologin Professor Dr. Dr. Dagmar Führer<br />
berichtet, warum die Diagnosestellung einer Schilddrüsenfunktionsstörung<br />
durchaus ihre Tücken hat. Zudem warnt sie<br />
davor, den Zusammenhang von Schilddrüsenfunktion und<br />
Blutzuckerwerten überzubewerten, und gibt einen Einblick,<br />
was die endokrinologische Forschung für die zukünftige<br />
Therapie des metabolischen Syndroms in petto hat.<br />
Ob Hyper- oder Hypothyreose,<br />
in beiden Fällen gilt es, eine<br />
latente von einer manifesten<br />
Funktionsstörung abzugrenzen. Bis<br />
dato hängt diese Einordnung stark<br />
von den Laborparametern ab. Diese<br />
werden wiederum von zahlreichen<br />
Faktoren beeinflusst. U.a. spielen die<br />
verwendeten Assays eine Rolle, aber<br />
auch Lebensalter, Medikation und<br />
sogar die Tageszeit.<br />
Den ersten Anhaltspunkt für eine<br />
Funktionsstörung liefert die Bestimmung<br />
des Thyroidea-stimulierenden<br />
Hormons (TSH) im Serum. Der Referenzbereich<br />
für das Hypophysenhormon<br />
war lange Gegenstand<br />
intensiver Diskussionen. Nachdem<br />
er zu Beginn des Jahrtausends auf<br />
Werte zwischen 0,4 und 2,5 mU/l<br />
festgelegt wurde, damit aber viele<br />
gesunde Menschen pathologisiert<br />
wurden, wird der Bereich nun wieder<br />
breiter gefasst. Wir sprechen aktuell<br />
über einen Referenzbereich von<br />
0,4–4,5 mU/l.<br />
Liegt die TSH-Konzentration oberhalb<br />
dieses Bereiches, ist dies ein<br />
Hinweis auf eine Unterfunktion,<br />
unterhalb für eine Überfunktion. Allerdings<br />
lässt im Alter die Funktion<br />
der Schilddrüse ohnehin nach, die<br />
physiologische TSH-Konzentration<br />
steigt damit an. In dem aktuellen Referenzbereich<br />
wird das jedoch nicht<br />
abgebildet. Ein TSH-Wert von z.B.<br />
6 mU/l bei einem 80-Jährigen muss<br />
anders bewertet werden als bei einem<br />
24-Jährigen!<br />
Schilddrüsenhormone<br />
organspezifisch einsetzen<br />
Die potenziellen positiven Effekte<br />
von Schilddrüsenhormonen auf den<br />
Fettstoffwechsel konnten bislang aufgrund<br />
von negativen Auswirkungen auf<br />
Herz und Knochen nicht medizinisch<br />
genutzt werden. Vor Kurzem gelang<br />
es der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Dr.<br />
Matthias Tschöp, Helmholtz Zentrum<br />
München und DZD, nun aber, T3 gekoppelt<br />
an Glukagon im Tiermodell spezifisch<br />
in die Leber einzuschleusen. 1 Dabei<br />
verbesserten sich Glukosestoffwechsel,<br />
Cholesterin und Körpergewicht. Zudem<br />
nahm die Verfettung der Leber ab. Erste<br />
klinische Studien für dieses neuartige<br />
Wirkprinzip sind in Planung.<br />
1. Finan B, Clemmensen C et al. Cell 2<strong>01</strong>6;<br />
167: 843-857<br />
Univ.-Prof. Dr. Dr.<br />
Dagmar Führer<br />
Klinik für<br />
Endokrinologie,<br />
Diabetologie und<br />
Stoffwechsel<br />
Universitätsklinikum<br />
Essen<br />
Foto: zVg<br />
Die klinischen Symptome äußern<br />
sich sehr individuell, es gibt sogar<br />
geschlechtsspezifische Unterschiede.<br />
Bei älteren Patienten ist außerdem<br />
zu beachten, dass eine tatsächliche<br />
Funktionsstörung der Schilddrüse<br />
häufig maskiert ist und vorliegende<br />
Symptome übersehen werden können.<br />
Generell hat eine einzelne Abweichung<br />
des TSH-Werts keine Aussagekraft.<br />
Wir wissen, dass sich<br />
50–60 % aller initial abweichenden<br />
TSH-Werte spontan wieder normalisieren.<br />
Erst bei einer reproduzierbaren<br />
Abweichung muss man der<br />
Ursache auf den Grund gehen. Als<br />
mögliche Auslöser kommen neben<br />
einer originären Schilddrüsenerkrankung<br />
auch eine Hypophysenerkrankung<br />
oder Medikamentennebenwirkungen<br />
infrage.<br />
Erkenntnisse zur Wirkung von Schilddrüsenhormonen im Körper<br />
Die aktuelle Studie 1 des Teams um Privatdozent Dr. Lars<br />
Möller von der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie<br />
und Stoffwechsel am Universitätsklinikum Essen läutet<br />
einen Paradigmenwechsel ein: Die Arbeitsgruppe konnte<br />
erstmals nachweisen, dass das Schilddrüsenhormon<br />
nicht nur, wie bisher angenommen, über Rezeptoren an<br />
Dabei gilt es zu beachten, dass bei einer<br />
reproduzierbaren Hyperthyreo se<br />
nicht zugewartet werden darf – egal,<br />
ob latent oder manifest –, da sich<br />
durch den Schilddrüsenhormonüberschuss<br />
das Risiko u.a. für kardiale<br />
Ereignisse und Schlaganfall<br />
deutlich erhöht. Bei einer latenten<br />
Hypothyreose folgt der Therapiebeginn<br />
nach Ermessen des Behandlers.<br />
Nachweis einer manifesten<br />
Schilddrüsenfunktionsstörung<br />
»Abweichung des<br />
TSH muss<br />
reproduzierbar sein«<br />
Manifest ist eine Hyperthyreose,<br />
wenn zusätzlich zu den erniedrigten<br />
TSH-Werten freie Schilddrüsenhormone<br />
fT4 und fT3 nachgewiesen<br />
werden können. Bei einer manifesten<br />
Hypothyreose mit stark erhöhtem<br />
TSH ist fT4 erniedrigt.<br />
Was sind die Auslöser für eine manifeste<br />
Funktionsstörung? Mitunter ist<br />
eine Schilddrüsenautonomie ursächlich<br />
für eine manifeste Hyperthyreose.<br />
„Heiße Knoten“ produzieren dabei<br />
autonom einen Überschuss an<br />
Schilddrüsenhormon. Die Therapie<br />
erfolgt z.B. über Resektion bzw.<br />
Radiojod-Therapie. Häufiger liegt<br />
jedoch eine Autoimmunerkrankung<br />
zugrunde. Im Fall einer Hyperthyreose<br />
spricht man von M. Basedow,<br />
bei einer Hypothyreose von Autoimmunthyreoiditis.<br />
Die gute Nachricht:<br />
In etwa 50 % der Fälle reguliert sich<br />
der M. Basedow unter Behandlung<br />
von selbst wieder.<br />
Diagnose<br />
Autoimmunthyreoiditis?<br />
Die Diagnosekriterien für eine<br />
Auto immun thyreo iditis sind nicht<br />
eindeutig definiert. Das sorgt in der<br />
Praxis für Unsicherheit. Die Diagnose<br />
kann z.B. auf einem Ultraschall-<br />
die DNA bindet und Genexpressionsprofile beeinflusst.<br />
Im Mausmodell fanden die Wissenschaftler Evidenz dafür,<br />
dass der Hormonrezeptor auch unabhängig davon<br />
schnelle physiologische Veränderungen im Bereich des<br />
Energiestoffwechsels wie Glukosekonzentration, Körpertemperatur<br />
und Herzfrequenz vermittelt. Damit scheinen<br />
zelluläre durch Hormone regulierte Effekte auf den Blutzucker<br />
viel komplexer zu sein als bis dato angenommen.<br />
1. Hönes GS et al. PNAS 2<strong>01</strong>7; doi: 10.1073/pnas.17068<strong>01</strong>115<br />
Eine Funktionsstörung<br />
der<br />
Schilddrüse<br />
manifestiert sich<br />
oft schleichend.<br />
Fotos: Science Photo Library/<br />
Animated Healthcare Ltd,<br />
iStock/zilli<br />
Befund wie einer inhomogenen<br />
echoarmen Schilddrüse basieren.<br />
Zusätzlich lassen sich ein positiver<br />
Antikörper-Titer gegen die Thyreoperoxidase<br />
(TPO) und/oder Thyreoglobulin<br />
(TG) sowie das Vorliegen<br />
einer Schilddrüsenfunktionsstörung<br />
als notwendige Diagnosekriterien<br />
heranziehen.<br />
Die Prävalenz einer Autoimmunthyreo<br />
iditis bei jungen Frauen in<br />
Deutschland auf Basis eines positiven<br />
TPO-Antikörper-Titers liegt bei<br />
5–7,5 %.<br />
Kaum Einfluss auf die<br />
Diabeteseinstellung<br />
Welche Relevanz hat nun eine Schilddrüsenüber-<br />
bzw. -unterfunktion<br />
auf den Blutzuckerspiegel bei Diabetespatienten?<br />
Keine ausnehmend<br />
große! Zwar wirkt das Schilddrüsenhormon<br />
systemisch als kontrainsulinäres<br />
Hormon, allerdings ist eine<br />
maßgebliche Beeinträchtigung der<br />
Diabeteseinstellung nur in besonders<br />
gravierenden Fällen einer Schilddrüsenüberfunktion<br />
relevant. Bei einer<br />
ausgeprägten Unterfunktion können<br />
Hypercholesterinämie und Gewichtszunahme<br />
einen gleichzeitig bestehenden<br />
Diabetes negativ beeinflussen.<br />
Das polyglanduläre<br />
Autoimmun-Syndrom<br />
Ähnlich schwach ist der Zusammenhang<br />
einer Autoimmunthyreoiditis<br />
mit anderen Autoimmunerkrankungen<br />
wie Typ-1-Diabetes<br />
zu bewerten. Das in seltenen Fällen<br />
gleichzeitige Auftreten mehrerer<br />
autoimmun bedingter Erkrankungen<br />
des Endokrinums bzw.<br />
bestimmter Organsysteme bezeichnet<br />
man als polyglanduläres<br />
Autoimmun-Syndrom. Tatsächlich<br />
entwickeln Menschen mit seltenen<br />
Autoimmun erkrankungen, wie<br />
z.B. Typ-1-Dia betes, das Syndrom<br />
deutlich öfter als Menschen mit<br />
z.B. einer häufiger vorkommenden<br />
Autoimmunthyreoi ditis. Dennoch<br />
sollte man auch bei Menschen mit<br />
einer Schilddrüsen-Autoimmunerkrankung<br />
bei neu auftretenden und<br />
nicht einordbaren Symptomen das<br />
polyglanduläre Autoimmun-Syndrom<br />
im Hinterkopf behalten.<br />
Univ.-Prof. Dr. Dr. Dagmar Führer