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MTD_DDG_2018_01-02

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diabeteszeitung · 3. Jahrgang · Nr. 1/2 · 28. Februar <strong>2<strong>01</strong>8</strong><br />

News & Fakten<br />

3<br />

Sicher im Straßenverkehr<br />

Neue S2e-Leitlinie zeigt, was Diabetespatienten beachten sollten<br />

BERLIN. Welcher Diabetespatient kann bedenkenlos hinter<br />

dem Steuer sitzen? Wer sollte das Auto lieber stehen lassen? Und<br />

was sind die Pflichten der behandelnden Ärzte und Berater? Die<br />

Leitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“ der <strong>DDG</strong> gibt Antworten.<br />

Die Diagnose Diabetes heißt<br />

nicht gleich Führerscheinentzug.<br />

Dennoch sollten Patienten<br />

in bestimmten Situationen<br />

auf das eigenständige Fahren eines<br />

Kraftfahrzeugs verzichten, für manchen<br />

ist sogar ein generelles Fahrverbot<br />

auszusprechen. Welche Faktoren<br />

sollten bei der Aufklärung angesprochen<br />

werden?<br />

Hypoglykämien<br />

Sinkt der Blutzuckerspiegel, kommt<br />

es zu kognitiven Beeinträchtigungen<br />

und einer verminderten Fahrsicherheit.<br />

Jeder Diabetespatient sollte deshalb<br />

über das Hypoglykämierisiko<br />

seiner Diabetestherapie aufgeklärt<br />

werden. Es ist sinnvoll, für Straßenverkehrsteilnehmer<br />

eine Diabetestherapie<br />

mit möglichst geringem<br />

Hypoglykämierisiko zu wählen. Bei<br />

erhöhtem Hypoglykämierisiko oder<br />

-wahrnehmungsproblemen kann ein<br />

spezifisches Wahrnehmungstraining<br />

helfen. Auch technische Hilfsmittel<br />

wie Pumpen oder CGM können zur<br />

Vermeidung von Unterzuckerungen<br />

angeboten werden.<br />

Für Diabetespatienten mit erhöhtem<br />

Hypoglykämierisiko ist eine Blutglukosemessung<br />

vor Fahrtbeginn<br />

zu empfehlen. Bei Werten von 50–<br />

80 mg/dl sollten vor Fahrtantritt geeignete<br />

Mengen Kohlenhydrate aufgenommen<br />

werden. Im Falle einer<br />

Hypoglykämie ist von einer Fahrt<br />

abzuraten bzw. ein Fahrtstopp geboten,<br />

bis normale Blutglukosewerte<br />

erreicht werden und alle Symptome<br />

»Die Empfehlungen<br />

sind ordnungsgemäß<br />

zu<br />

dokumentieren«<br />

überwunden sind. Ein Blutzuckermessgerät<br />

und Snacks sollten im<br />

Fahrzeug immer griffbereit mitgeführt<br />

werden.<br />

Schwere akute<br />

Stoffwechselentgleisungen<br />

und chronische Hyperglykämien<br />

Es ist zwar kein Schwellenwert einer<br />

Hyperglykämie auszumachen,<br />

der zu einer Fahrunfähigkeit führt.<br />

Jedoch sollte jeder Diabetespatient<br />

über das Hyperglykämierisiko der<br />

Diabetestherapie und die Folgen<br />

für die Fahrsicherheit informiert<br />

werden. Schwere Stoffwechselentgleisungen<br />

(diabetische Ketoazidose)<br />

können zu Benommenheit und<br />

Bewusstseinsstörungen führen und<br />

so die Fahrtauglichkeit einschränken<br />

bzw. unmöglich machen. Findet<br />

eine schnelle Senkung längerfristig<br />

erhöhter Blutglukosewerte statt (z.B.<br />

durch Insulin), kann die Sehkraft<br />

vermindert sein und verschwommenes<br />

Sehen auftreten, wodurch<br />

die Fahrsicherheit vermindert wird.<br />

Diabetische<br />

Folgeerkrankungen<br />

Diabetespatienten mit verminderter<br />

Sehkraft aufgrund einer Retinopathie<br />

oder einer Makulopathie<br />

können eine eingeschränkte Fahrtauglichkeit<br />

besitzen. Bei fortgeschrittener<br />

Erkrankung sollten nur<br />

Patienten mit ausreichender Sehfähigkeit<br />

nach Fahrerlaubnis-Verordnung<br />

(FeV) ein Fahrzeug führen.<br />

Periphere Polyneuropathien können<br />

die Benutzung der Pedale beeinträchtigen.<br />

Werden klinisch relevante<br />

Funktionseinschränkungen<br />

festgestellt, muss dem Patienten bis<br />

auf weiteres ein „ärztliches Fahrverbot“<br />

ausgesprochen werden. Dieses<br />

Verbot wird auch nach Amputationen<br />

und Prothesenversorgungen<br />

nötig, wenn die Pedalbenutzung beeinträchtigt<br />

ist. Auch andere schwere<br />

neurologische Folgekomplikationen<br />

Aufklärung durch den Arzt / das Diabetesteam<br />

Form der Aufklärung: Laut § 630e BGB<br />

muss die Aufklärung mündlich erfolgen.<br />

Ergänzend kann der Patient Unterlagen in<br />

Textform erhalten. Es muss sichergestellt<br />

sein, dass die Aufklärung für den Patienten<br />

verständlich ist. Falls erforderlich, sollte ein<br />

Dolmetscher hinzugezogen werden.<br />

Dokumentation: § 630f BGB verpflichtet<br />

den Arzt zur ordnungsgemäßen Dokumentation.<br />

Der wesentliche Inhalt des<br />

müssen abgeklärt werden, um die<br />

Fahrsicherheit zu bestimmen.<br />

Technische Hilfen wie z.B. die Umrüstung<br />

des Fahrzeugs können bei<br />

Bedarf herangezogen und gegebenenfalls<br />

von Sozialleistungsträgern<br />

finanziell unterstützt werden.<br />

Aufklärungsgesprächs und die ausgesprochenen<br />

Empfehlungen und Bewertungen<br />

müssen wiederzufinden sein. Die<br />

Aufklärung über ein Fahrverbot soll zweifelsfrei<br />

aus den Unterlagen hervorgehen<br />

und bestenfalls Ort, Datum, Uhrzeit, Dauer<br />

des Gesprächs sowie die anwesenden<br />

Personen beinhalten. Es ist vorteilhaft, die<br />

Aufklärung zur Fahruntauglichkeit vom<br />

Patienten unterschreiben zu lassen, jedoch<br />

ist er dazu nicht verpflichtet.<br />

Relevante diabetesassoziierte<br />

Begleiterkrankungen<br />

Menschen mit Diabetes leiden häufiger<br />

und früher an Herz-Kreislauf-<br />

Erkrankungen, die Einfluss auf die<br />

Fahrsicherheit haben. Dazu sollten<br />

die Betroffenen beraten werden.<br />

Hierzu können die Begutachtungsleitlinien<br />

zur Kraftfahreignung im<br />

Anhang der Leitlinie genutzt werden.<br />

Patienten mit Diabetes und Depression<br />

können durch die Depression<br />

selbst oder durch Psychopharmaka<br />

nur eingeschränkt fahrtauglich sein.<br />

Jeder Patient sollte individuell beurteilt<br />

werden. Selektive Serotonin-<br />

Wiederaufnahme-Hemmer weisen<br />

offenbar keinen negativen Effekt<br />

hinsichtlich der Fahrsicherheit auf<br />

und sollten deshalb trizyklischen<br />

Antidepressiva vorgezogen werden.<br />

Der Patient ist immer über mögliche<br />

beeinträchtigende Nebenwirkungen<br />

aufzuklären.<br />

Das Schlaf-Apnoe-Syndrom führt<br />

durch die auffällige Tagesschläfrigkeit<br />

unbehandelt zur Fahruntauglichkeit.<br />

Tritt eine komorbide Demenz auf,<br />

sollten die Patienten über Einschränkungen<br />

der Fahrsicherheit<br />

aufgeklärt werden. Bei der Diagnose<br />

ist dem Patienten zu vermitteln,<br />

dass er im Verlauf der Erkrankung<br />

die Fahrtauglichkeit verlieren kann.<br />

Für die Beurteilung ist nicht nur die<br />

Anam nese des Patienten erforderlich,<br />

sondern auch eine Fremdanamnese<br />

der Angehörigen.<br />

Menschen mit<br />

Diabetes können<br />

in der Regel am<br />

Straßenverkehr<br />

teilnehmen.<br />

Fotos: iStock/iNueng,<br />

iStock/zmicierkavabata<br />

Folgen unterlassener bzw. unzureichender<br />

Aufklärung: Wird der Patient nicht ausreichend<br />

aufgeklärt, liegt hierin meist ein<br />

Behandlungsfehler in Form verletzter Sicherheitsaufklärung.<br />

Kommt es infolgedessen zu<br />

einem Unfall, können dem Arzt rechtliche Konsequenzen<br />

drohen. Umgekehrt ist dieser nicht<br />

dafür verantwortlich, wenn der Patient seinen<br />

ärztlichen Ratschlägen nicht Folge leistet und<br />

es deswegen zu einem Unfall kommt. Der Patient<br />

macht sich in solchen Fällen meist strafbar.<br />

Altersspezifische<br />

Besonderheiten<br />

Jugendliche Diabetespatienten<br />

und ihre Eltern sollen schon früh<br />

auf Auswirkungen der Erkrankung<br />

auf die Fahrsicherheit aufmerksam<br />

gemacht werden. Es empfiehlt sich,<br />

das Risiko zusammen mit den Betroffenen<br />

individuell zu bewerten<br />

und zu dokumentieren. Die Stoffwechseleinstellung<br />

sollte vor Führerscheinerwerb<br />

optimiert werden.<br />

Fahrlehrer und Begleitpersonen<br />

beim Fahren ab 17 Jahren sind über<br />

die Erkrankung und eventuelle Folgen<br />

für die Fahrsicherheit aufzuklären.<br />

Alle Beteiligten sollten Symptome<br />

einer Hypoglykämie erkennen<br />

und behandeln können.<br />

Dr. Judith Besseling<br />

Direkter Link zur Leitlinie:<br />

www.awmf.org/leitlinien/detail/<br />

ll/057-<strong>02</strong>6.html<br />

„Ein wichtiger Punkt ist die Aufklärung“<br />

Kommentar der Autoren Dr. Barbara Bohn, RA Oliver Ebert, Prof. Dr. Reinhard Holl<br />

Viele Ärzte und Diabetesberater sind unsicher,<br />

unter welchen Voraussetzungen<br />

die Patienten (noch) fahren dürfen bzw.<br />

fürchten etwaige Haftungsrisiken. Mit der<br />

Leitlinie werden Unklarheiten beseitigt,<br />

Haftungsrisiken reduziert und handhabbare<br />

Tipps zur Umsetzung in der Praxis<br />

gegeben.<br />

Die Leitlinie richtet sich an Ärzte und<br />

Dia betesberater, an Sozialmediziner und<br />

Gutachter, an Psychologen und Juristen<br />

sowie an politisch Verantwortliche, deren<br />

Entscheidungen den Lebensalltag von<br />

Menschen mit Diabetes entscheidend<br />

prägen. Es ist ein Spezifikum dieser Leitlinie,<br />

dass nicht nur medizinische Fragestellungen<br />

thematisiert werden, sondern<br />

das Zusammenspiel zwischen der Erkrankung,<br />

dem Versorgungssystem, der Gesellschaft<br />

und den geltenden Gesetzen<br />

und Richtlinien.<br />

Eine zentrale Aussage ist: Menschen<br />

mit Diabetes können in der Regel am<br />

Straßenverkehr teilnehmen – und zwar<br />

sowohl im Privat-PKW als auch beruflich<br />

als Busfahrer, im Lastwagen oder Taxi. Hier<br />

wird in der Beratung von Menschen mit<br />

Diabetes oft zu zurückhaltend vorgegangen.<br />

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die<br />

Aufklärung: Bei Umstellung oder Dosiserhöhung<br />

einer hypoglykämiebehafteten<br />

Therapie muss der Patient klar und<br />

rechtssicher über die Auswirkungen auf<br />

die Fahrsicherheit aufgeklärt werden. Für<br />

Menschen, die wegen Hypoglykämien<br />

oder verminderter Hypoglykämiewahrnehmung<br />

aktuell nicht am Straßenverkehr<br />

teilnehmen können, steht heute<br />

eine weite Palette an Kompensationsmöglichkeiten<br />

zur Verfügung, dies reicht<br />

von der Hypo-Wahrnehmungsschulung<br />

über die Therapieumstellung bis zum<br />

kontinuierlichen Glukosemonitoring mit<br />

Warnfunktion.<br />

Menschen mit Dia betes wird die Fahrerlaubnis<br />

oft entzogen oder gar nicht erteilt,<br />

da in der Beurteilung häufig antiquierte<br />

Konzepte der Diabetestherapie und des<br />

Glukosemonitorings zugrunde gelegt<br />

werden. Aktuelle Möglichkeiten der Diabetestherapie<br />

und strukturierte Schulungsprogramme<br />

haben die Häufigkeit<br />

von Hypoglykämien reduziert. Einfache,<br />

schnelle Glukosemessung und kontinuierliches<br />

Glukosemanagement haben das<br />

frühzeitige Erkennen von Hypoglykämien<br />

– dem Hauptrisiko im Straßenverkehr –<br />

dramatisch vereinfacht.<br />

Dr. Barbara Bohn,<br />

Koordinatorin der Leitlinie<br />

RA Oliver Ebert,<br />

Vorsitzender des Ausschuss Soziales<br />

Prof. Dr. Reinhard Holl,<br />

Mitglied im Ausschuss Soziales

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