E_1929_Zeitung_Nr.076
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Aasgabe: Deutsche Schweiz.<br />
BERN, Dienstag 3. September <strong>1929</strong><br />
Nummer 20 Cts.<br />
25. Jährgang. — N° 76<br />
ERSTE SCHWEIZERISCHE AUTOMOBIL-ZEITUNG<br />
Zentralblatt für die schweizerischen Automobil- und Verkehrsinteressen<br />
ABONNEMENTS-PREISE: Erscheint jeden Dienstag und Freitag Monatlich „Gelbt Liste"<br />
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Der San Giacomo<br />
Das Auto auf dem Pass.<br />
Vor wenigen Tagen ging die Nachricht<br />
'durch den Blätterwald, dass italienischerseits<br />
die Strasse im Formazzotale, das zwischen<br />
Tessin und Wallis eingeklemmt liegt,<br />
bis auf die Höhe des Giacomopasses, das<br />
heisst, bis zur Schweizergrenze fertiggestellt<br />
worden sei. Da auf italienischem Boden unterhalb<br />
des Giacomopasses auch Befestigungsarbeiten<br />
.und Kasematen errichtet wurden,<br />
erregte die Nachricht in unserem Lande<br />
etwelche Sensation. Trotzdem wurde auf<br />
schweizerischer Seite der Ruf nach Ausbau<br />
der Giacomostrasse im Bedrettotale laut, damit<br />
das touristische Verbindungsstück aus<br />
dem Eschental nach Airolo hergestellt werde.<br />
Dieser Vorschlag hat in der Presse bereits<br />
zu gewissen Auseinandersetzungen geführt.<br />
Wir wollen die militärische Seite der ganzen<br />
Frage hier nicht des weitem erörtern. Die<br />
Ausführungen des Herrn Armeekorpskom-<br />
-mandanten Weber, die vor ca. zwei Jahren<br />
in einer zürcherischen Tageszeitung erschienen<br />
und die sich gegen den Ausbau der Giacomostrasse<br />
aussprachen, haben unserer Ansicht<br />
nach den militärischen Standpunkt genügend<br />
abgeklärt. Wir wissen, dass in Generalstabskreisen<br />
auch heute noch die Auffassung<br />
Webers als die allein richtige bezeichnet<br />
wird.<br />
Für ans gilt es nur, die Frage nach der<br />
- touristischen Seite hin abzuklären. Die «Automobll-iRevue»<br />
hat je und je für den Ausbau<br />
der Strassen. plädiert. In diesem Falle aber<br />
. gelangt sie aus folgenden Ueberlegungen<br />
ebenfalls zu einer ablehnenden Haltung. Im<br />
Bedrettotale ist die Strasse bis Bedretto-<br />
Villa ausgebaut. Eine Fortsetzung der<br />
Strasse kommt höchstens bis All Acqua in<br />
Frage, Damit ist den ca. 180 Einwohnern des<br />
Tales .gedient. Das volkswirtschaftliche Bedürfnis<br />
ist ohne den Ausbau bis zur Höhe<br />
des San Giacomopasses befriedigt.<br />
Vom touristischen Standpunkt aus betrachtet,<br />
brächte das Verbindungsstück All<br />
Acqua-Giacomo-Passhöhe für den schweizerischen<br />
Automobilisten absolut keine Vorteile.<br />
Wir besitzen heute in der Nordsüd-<br />
Transversale über den St. Gotthard einen<br />
Strassenzug, der uns in touristischer Hinsicht<br />
vollauf befriedigen kann. Es ist dies<br />
eine internationale Verkehrsader, deren Wert<br />
noch dadurch gesteigert werden wird, als<br />
auch die Schweizerischen Bundesbahnen<br />
schon in allernächster Zeit dem Automobiltransport<br />
durch den Gotthard-Tunnel vermehrtes<br />
Interesse schenken dürften. Die Prophezeiung<br />
ist gewiss nicht gewagt, dass infolge<br />
der Bedeutung zunehmender Autotransporte<br />
die S.B.B. dazu kommen werden, diese<br />
Von Otto Frei.<br />
Unser Marsch passaufwärts hatte bereits<br />
ein volles Dutzend Stunden gedauert. Ein<br />
Dutzend Stunden — und jede war voll Sonne<br />
und Glühwind gewesen und hatte buchstäblich<br />
Feuer gespien. Hugo, mein sonst so<br />
draufgängerischer Begleiter, machte sich gerade<br />
daran, Rucksack und Stock unwillig von<br />
sich zu werfen. «Ich habe wahrhaftig nicht<br />
im Sinn, heute noch in den Himmel zu klettern,»<br />
spasste er ärgerlich, «und zudem —<br />
wir riskieren einen Sonnenstich.» Als er aber<br />
nach der Riemenschnalle des Rucksackes<br />
griff, um sie zu lockern und zu lösen, bogen<br />
wir eben wieder um eines der unzähligen<br />
Strassenknie, vielleicht um das zwanzigste<br />
seit dem frühen Morgen, und nun trat endlich<br />
schräg oben die Passhöhe in Sicht, und<br />
auf ihr schimmerte, wie ein winziges rotes<br />
Hütchen auf einem grossen kahlen Schädel,<br />
das Hospizdach.<br />
Da warfen wir uns am Strassenbord langhin,<br />
krochen seitlich unter die Alpenrosenbüsche,<br />
und ehe einer auch nur auf sieben<br />
gezählt haben würde, wussten wir schon<br />
nichts mehr von uns.<br />
Wir mochten vielleicht eine knappe Viertelstunde<br />
so dagelegen haben, als von der<br />
Strasse her plötzlich ein heftiges Gepuste und<br />
Geratter erscholl : eine Musik, die zur Musik<br />
der weissen Felswände und stürzenden Wasserfälle,<br />
der üppigen Alpenrosen und des knisternd<br />
blauen Himmels nicht recht passen<br />
wollte. Wir fuhren mit den Köpfen aus den<br />
blühenden Stauden empor, und richtig, dicht<br />
VOT uns stand ein Auto am Strassenrand, ein<br />
prächtiger, weinrot gestrichener Wagend um<br />
den ein paar Leute mit halb ärgerlichen und<br />
halb verdutzten Mienen herumlehnten. Ein<br />
Herr mit zurückgestülpten weissen Hemdärmeln<br />
hatte eben den Motordeckel zurückgeworfen,<br />
und nun hantierte er geräuschvoll<br />
und unter beständigem Zetern und Schimpfen<br />
im Motorgehäuse herum.<br />
«Siehst du,» lachte ich, «der hat nun doch<br />
einen Sonnenstich abbekommen.»<br />
«Der Motor, meinst du?»<br />
«Ja.» — Und ich malte mir den Fall aus,<br />
wo solch ein Motor wirklich sein Letztes aus<br />
sich herausgibt, willig und ausdauernd wie<br />
ein Reitgaul oder ein braver Pflugochse, aber<br />
schliesslich geht ihm der Atem doch aus und<br />
sein Herz steht plötzlich still.<br />
Das war hier geschehen. Und nun stand die<br />
biedere kleine Reisegesellschaft wie von einem<br />
plötzlichen Regen begossen um den<br />
prächtigen weinrot gestrichenen Wagen herum<br />
und hatte aller Voraussicht nach reichlich<br />
Zeit, sich der bekömmlichen Höhenluft<br />
und all der grossartigen Gebirgsherrlichkeiten<br />
ringsum zu freuen. Mir fiel besondern eine<br />
silberhaarige alte Dame auf. Um ihre Augen<br />
blühte und funkelte es seltsam. «Der Zauber<br />
dieser Bergfahrt», dachte ich. Aber von Zeit<br />
zu Zeit blickte sie zur Passhöhe hinauf, und<br />
dann flackerte jedesmal so etwas- wie eine<br />
durch den Gotthard zu spezialisieren und<br />
Einheitstaxen von 20—30 Fr. aufzustellen.<br />
Einmal soweit, wird die alte, historisch berühmte<br />
Gotthardroute auch im Winter für<br />
den Automobilverkehr offen sein.<br />
Als Einreiseroute nach Italien besitzen wir<br />
ebenfalls noch die Simplonroute. Diese tritt<br />
allerdings heute noch gegenüber dem St.<br />
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deren Raum 45 Cts. für die Schweiz; für Anzeigen aus dem Ausland 60 Cts.<br />
Grössere Inserate nach Seitentarif.<br />
Inseratensehlnss 4 Tage vor Erscheinen der Nummern<br />
Gotthard, vor allem infolge exzentrischer<br />
Lage etwas zurück. Aber die Zeit dürfte auch<br />
hier nicht mehr allzu fern liegen, da der<br />
Simplontunnel, ähnlich wie der Gotthardtunnel,<br />
den Autotouristenverkehr aus der Westschweiz<br />
und dem Wallis nach Italien das<br />
ganze Jahr über offen halten wird. Beide<br />
Pässe zusammen genügen vollauf, um den<br />
schweizerischen Automobilverkehr nach Italien<br />
oder in den Tessin zu bringen.<br />
In Anbetracht dieser Tatsachen gewänne<br />
der Autotourismus mit einem ausgebauten<br />
San Giacomo-Uebergang eigentlich rein<br />
nichts. Die Schweizer Automobilisten nördlich<br />
der Alpenkette sind auch mit einer Giacomostrasse<br />
auf den Gotthardübergang angewiesen.<br />
Im Winter fällt die Fahrbarkeit<br />
der San Giacomostrasse sowieso ausser Betracht<br />
und in der eigentlichen Fahrsaison<br />
wird der schweizerische Automobilist mit<br />
Vorteil und mit Vergnügen die tessinische<br />
Route einschlagen, die ihn in gerader Linie<br />
durch die herrlichen Gefilde dieses Kantons<br />
dem Luganersee entlang direkt nach Mailand,<br />
ins Zentrum der Poebene, führt. Einzig für<br />
Fahrten mit Pallanza als Ziel könnte die Giacomostrasse<br />
in Betracht fallen, wobei aber<br />
zu betonen ist, dass eine Fahrt über Locarno-<br />
Brissago-Cannofobio jedenfalls ebenso lohnend<br />
ist.<br />
Aus obigen Ausführungen geht bereits hervor,<br />
welch eminent grosses Interesse der<br />
Kanton Tessin in wirtschaftlicher Hinsicht<br />
am Nichtausbau der Giacomostrasse besitzt.<br />
Weder vom tessinischen, noch vom allgemein<br />
schweizerischen, noch vom Standpunkt<br />
des internationalen Autotourismüs ist deshalb<br />
der Ausbau der Giacomostrasse notwendig<br />
oder begehrenswert.<br />
Wir in der Schweiz haben zudem unser<br />
Augenmerk auf grössere Probleme zu richten.<br />
Die Eidgenossenschaft tut gut daran,<br />
wenn sie das Geld, welches sie zum Ausbau<br />
von Alpenstrassen zur Verfügung stellen will,<br />
vorerst auf einige wenige, dafür touristisch,<br />
wirtschaftlich und militärisch hochwichtige<br />
Alpenübergänge konzentriert. Wir nennen<br />
hier vor allem die schon längst notwendige<br />
Sustenstrasse, deren Ausbau als äusserst<br />
wichtige Ost-West-Transversale eigentlich<br />
sofort in Angriff genommen werden sollte.<br />
Wir erinnern des fernem an den Ausbau der<br />
Prageistrasse und an die unbedingt notwendige<br />
Verbesserung der Axenstrasse. Es sind<br />
dies alles Strassenzüge, die für unsere<br />
Schweiz von ganz anderer Bedeutung sind<br />
als eine San Giacomostrasse. K.<br />
hurtige Angst in ihrem Gesicht auf. Kein<br />
Wunder, denn auf so alte und gebrechliche<br />
Füsse war hier oben wirklich kein Verlass<br />
mehr.<br />
Unterdessen gab sich der Mann mit den<br />
zurückgestülpten weissen Hemdärmeln vorn<br />
am Motorgehäuse alle erdenkliche Mühe. Ich<br />
dachte unwillkürlich an eine Operation und<br />
musste lächeln, als dieser seltsame Arzt seinen<br />
noch viel seltsameren Patienten immer<br />
wieder mit den seltsamsten Namen nannte.<br />
«Spitzbube!» zischte er ihn an, «so ein Auskneifer<br />
! Du Donnerskerl!» Aber der bewusste<br />
Motor kehrte sich keinen Deut darnach.<br />
Er gab höchstens von Zeit zu Zeit ein<br />
dünnes, unendlich hilfloses Gebelfer von sich<br />
— das war alles.<br />
Aber es ging viel Leben über die Passhöhe<br />
an diesem Spätnachmittag.<br />
Postautomobile, grosse und breitspurige<br />
gelbe Wagen. Sie kamen wie schwebend vom<br />
Tal her, nahmen Kehre um Kehre wie im<br />
Spiel, und immer wenn sie sich' dem weinrot<br />
gestrichenen Auto da am Strassenbord näherten,<br />
stiessen sie einen schönen, weithin<br />
hallenden Dreiklang aus ihrem Hörn. Und in<br />
diesem Dreiklang schwang immer ein sonderbares<br />
Schütteln und Beben mit, ein mitleidig<br />
zitterndes Lächeln, wie wenn einer sagt:<br />
«Armer kleiner Bruder!»<br />
Knatternde Motorräder — jedes mit einem<br />
glückstrahlenden Fräulein auf dem Hintersitz.<br />
Sie krochen und krabbelten wie flinke Ameisen<br />
die Berglehnen herauf, und immer wenn<br />
sie an der herumlehnenden kleinen Reisegesellschaft<br />
vorbeipusteten, stiessen sie ihr Geknatter<br />
heftiger und um einige Töne höher<br />
heraus. Das war nun schon kein Mitleid mehr.<br />
Und hie und da ein Trüpplein armseliger<br />
Radfahrer. Sie schoben ihre Tretmaschinen<br />
schwitzend und mit brandroten Gesichtern<br />
vor sich her und stolperten über jeden Stein.<br />
Aber immer wenn sie an dem prächtigen<br />
weinrot gestrichenen Wagen da am Strassenbord<br />
vorüberkamen, verdoppelten sie ihre<br />
Schritte, nickten einander lachend zu und<br />
spürten von ihrer Schlaffheit und elenden<br />
Beinmüdigkeit plötzlich nichts mehr. Das war<br />
nun schon eine- richtige, waschechte und unverhaltene<br />
Schadenfreude.<br />
So wanderte das Leben an diesem Nachmittag<br />
über die Passhöhe, auf heissen Gummireifen<br />
und in staubigen, zweireihig genagelten<br />
Schuhen, und der Gott der Berge hatte<br />
seine helle Freude dran.<br />
Hugo und ich waren mittlerweile wieder ins<br />
Rosengebüsch zurückgesunken und abermals<br />
eingeschlafen. Und wie es einem übermüdeten<br />
Schläfer zuweilen passiert: ich hatte einen<br />
höchst merkwürdigen Traum. Eine lange,<br />
bunte Prozession von Männern und Frauen bewegte<br />
sich feierlich gegen einen kleinen Bergsee<br />
hin, und jedes trug irgendeinen Autobestandteil<br />
unterm Arm, der eine ein losgeschraubtes<br />
Rad, der andere einen abgewundenen<br />
zerfetzten Reifen, dieser ein zerbrochenes<br />
Steuer und jener eine ausgebrannte Laterne.<br />
Dem seltsamen Zug voran schritt eine<br />
silberhaarige alte Dame, den Abschluss<br />
machte ein Mann mit zurückgestülpten weis-