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Die Wahrheit über Isidor Wanner

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Zum Aufführungsrecht<br />

• Das Recht zur Aufführung erteilt der<br />

teaterverlag elgg, CH-3123 Belp<br />

Tel. + 41 (0)31 819 42 09<br />

www.theaterverlage.ch / information@theaterverlage.ch<br />

Montag - Freitag von 09.00 bis 11.30 Uhr & 13.30 bis 17.00 Uhr<br />

• Der Bezug der nötigen Texthefte - Anzahl Rollen plus 1 - berechtigt<br />

nicht zur Aufführung.<br />

• Es sind dar<strong>über</strong> hinaus angemessene Tantièmen zu bezahlen.<br />

• Mit dem Verlag ist vor den Aufführungen ein Aufführungsvertrag<br />

abzuschliessen, der festhält, wo, wann, wie oft und zu welchen<br />

Bedingungen dieses Stück gespielt werden darf.<br />

• Auch die Aufführung einzelner Teile aus diesem Textheft ist<br />

tantièmenpflichtig und bedarf einer Bewilligung durch den Verlag.<br />

• Bei eventuellen Gastspielen mit diesem Stück, hat die aufführende<br />

Spielgruppe die Tantième zu bezahlen.<br />

• Das Abschreiben oder Kopieren dieses Spieltextes - auch<br />

auszugsweise - ist nicht gestattet (dies gilt auch für<br />

Computerdateien).<br />

• Übertragungen in andere Mundarten oder von der Schriftsprache in<br />

die Mundart sind nur mit der Erlaubnis von Verlag und Verfasser<br />

gestattet.<br />

• <strong>Die</strong>ser Text ist nach dem Urheberrechtsgesetz vom 1. Juli 1993<br />

geschützt. Widerhandlungen gegen die urheberrechtlichen<br />

Bestimmungen sind strafbar.<br />

• Für Schulen gelten besondere Bestimmungen.<br />

"Es gibt Leute, die ein Theaterstück als etwas "Gegebenes"<br />

hinnehmen, ohne zu bedenken, dass es erst in einem Hirn erdacht,<br />

von einer Hand geschrieben werden musste.“<br />

Rudolf Joho


Mike LaMarr<br />

<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong><br />

<strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Komödie in zwei Akten<br />

Besetzung: 5 Frauen, 8 Männer (teilweise variabel)<br />

Bild: Wohnzimmer<br />

< Neuesten Untersuchungen zu Folge schrieb <strong>Isidor</strong><br />

<strong>Wanner</strong> jeden Abend von halb neun bis Punkt elf. ><br />

Dank des professionellen Managements seines Verlegers<br />

sowie der seriösen Arbeit seines Lektors gelingt dem<br />

Karosserie-spengler <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> die Sensation: Sein<br />

Erstlingsroman «Der Wirbelmacher» wird von den Medien<br />

als Höhepunkt der deutschsprachigen Literatur betrachtet und<br />

erreicht schwindel-erregende Auflagen. Mitten in einen<br />

Medientermin platzt allerdings der Grundschullehrer Felix<br />

Hungerbühler, der behauptet, <strong>Wanner</strong> habe ihm die Diskette<br />

mit dem Roman im Zug gestohlen...Das Gerangel um die<br />

«<strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> » beginnt.<br />

< Sie verzeihen, wenn ich ein weiteres Mal den Begriff<br />

„Meisterwerk“ bemühe. ><br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

elgger schaulust 17


Personen<br />

Führerin<br />

Schöne Frau<br />

Junge Frau<br />

Älterer Herr<br />

Junger Mann<br />

<strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

Felix Hungerbühler<br />

TV-Reporterin<br />

Zeitungsjournalist<br />

Lektor<br />

Fotografin<br />

Kameramann<br />

Ort<br />

<strong>Wanner</strong>s Wohnzimmer<br />

Zeit<br />

Heute<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 2 -


<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Prolog<br />

Führerin<br />

Junger Mann<br />

Führerin<br />

Ein biederes Wohnzimmer. Hinten links ein Sofa,<br />

dahinter eine Pendule, davor ein ovales Holztischchen.<br />

In der Mitte ein Fenster mit geblümten<br />

Gardinen und Blumenkistchen auf dem Sims. Hinten<br />

rechts eine Wohnwand samt Fernseher, kitschigen<br />

Figürchen und Reader’s Digest-Bänden. In der Ecke<br />

ein Gummibaum. Zwischen Sofa und Wohnwand<br />

eine Stehlampe. Auf dem Boden ein älterer<br />

Spannteppich.<br />

Rechts vorne - nicht im Einklang mit der übrigen<br />

Einrichtung - ein Personal Computer auf einem<br />

Tischchen. Über dem PC-Bildschirm einige Wörterbücher,<br />

davor ein Bürostuhl. An der rechten Wand<br />

ein Porträtfoto von <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> und seiner Frau.<br />

Links eine Tür hinaus in den Gang.<br />

Durch diese Tür treten fünf Personen ein, drei<br />

Frauen und zwei Männer. Angeführt wird die Gruppe<br />

von einer älteren, streng blickenden Frau.<br />

Und dies, meine Damen und Herren, ist das<br />

Wohnzimmer. Auf diesem Sofa hier studierte <strong>Isidor</strong><br />

<strong>Wanner</strong> jeden Abend die Lokalzeitung. Mit gespielter<br />

Bescheidenheit. Mit Vorliebe übrigens die von mir<br />

betreute Kulturseite.<br />

<strong>Die</strong> übrigen, mit Ausnahme einer jungen,<br />

unkonventionell gekleideten Frau am Schluss der<br />

Gruppe, nicken bedeutungsschwer. Ein junger Mann<br />

mit Brille macht sich eifrig Notizen.<br />

Wissen Sie zufällig, wo genau er jeweils sass? Eher<br />

links oder eher rechts?<br />

<strong>Die</strong> Beschaffenheit des Sofabezugs lässt erkennen, dass<br />

<strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> meistens auf der linken Seite gesessen<br />

haben muss.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 3 -


Junger Mann<br />

Schöne Frau<br />

Älterer Herr<br />

Junge Frau<br />

Führerin<br />

Schöne Frau<br />

Älterer Herr<br />

Junger Mann<br />

Führerin<br />

Führerin<br />

Junger Mann<br />

Älterer Herr<br />

Führerin<br />

notiert. Links. Natürlich.<br />

Eine attraktive Frau streicht - zum Missfallen der<br />

Führerin – <strong>über</strong> die betreffende Stelle.<br />

betont ergriffen. Mein Gott! Wie authentisch!<br />

versucht der schönen Frau zu imponieren. Sie sagen<br />

es. <strong>Die</strong> Luft vibriert geradezu vor literarischer<br />

Bedeutung.<br />

hat nicht zugehört. Puah! Ist das muffig hier drin. Als<br />

hätte man ewig nicht gelüftet. Sieht sich auf eigene<br />

Faust um, während die übrigen missbilligend den<br />

Kopf schütteln.<br />

weist feierlich auf den PC. Und hier drüben schuf<br />

<strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> sein schriftstellerisches Œuvre.<br />

zwischen Faszination und Enttäuschung. Was für ein<br />

bescheidenes Tischchen.<br />

Gewaltiges wächst häufig durch Bescheidenheit. Sartre<br />

beispielsweise schrieb ausschliesslich im Bistro. Auf<br />

Papierservietten.<br />

<strong>Die</strong> schöne Frau zeigt sich beeindruckt, während die<br />

Führerin Belehrungen anderer nicht schätzt.<br />

Fotografieren ist doch gestattet?<br />

Nur ohne Blitzlicht.<br />

Der jüngere Mann zückt seine Kamera. Da sich der<br />

ältere Mann dem PC nähert.<br />

Nicht berühren, bitte! Auch dieses Zimmer wurde<br />

genau so belassen, wie es sich an jenem tragischen<br />

Abend präsentiert haben muss.<br />

Am 3. April!<br />

Der schönen Frau entfährt ein kleiner Schrei.<br />

Ein Trauertag.<br />

zeigt effektvoll auf den Teppich. Wer genau hin sieht,<br />

erkennt da und dort noch Blutflecken.<br />

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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 4 -


<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Schöne Frau Mein Gott! Wie schrecklich! Weicht einen Schritt<br />

zurück. Der ältere Mann möchte sie am liebsten<br />

beschützend in die Arme nehmen.<br />

Älterer Herr Sie sagen es.<br />

Junge Frau versucht am anderen Ende des Zimmers den<br />

Spannteppich etwas anzuheben. <strong>Die</strong>sen scheusslichen,<br />

fleckigen Spannteppich dürfte man doch raus reissen,<br />

oder? Da drunter versteckt sich garantiert ein<br />

wunderbarer Parkettboden.<br />

Führerin entsetzt. Raus reissen?! <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>s Teppich?!<br />

Hindert die junge Frau an ihrem Vorhaben.<br />

Schöne Frau Mein Gott! Wie pietätlos!<br />

Älterer Herr Um nicht zu sagen: blasphemisch!<br />

Junge Frau nachdenklich. Allerdings müsste man das Parkett wohl<br />

noch gehörig abschleifen.<br />

Führerin Ich muss doch sehr bitten!<br />

Jüngerer Mann immer noch fotografierend. Verzeihung, weiss man<br />

eigentlich, zu welchen Zeiten <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> jeweils<br />

schrieb?<br />

Führerin Nun, neuesten Untersuchungen zu Folge, an denen<br />

mitzuwirken ich die Ehre hatte, schrieb <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

jeden Abend von halb neun bis Punkt elf. Mit einer<br />

kurzen Pause um viertel vor zehn.<br />

Älterer Herr Von einer solchen Disziplin könnte sich manch junger<br />

Schnösel eine Scheibe abschneiden.<br />

Führerin Hätte <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> geahnt, wie knapp seine Zeit<br />

bemessen sein würde, er hätte zweifellos sogar bis um<br />

halb zwölf gearbeitet.<br />

Junger Mann Wo hat man ihn denn - gefunden?<br />

Führerin mit routinierter Ergriffenheit. Sein Kopf lag genau<br />

hier, in dieser Blutlache.<br />

Schöne Frau Mein Gott! Weicht in die offenen Arme des älteren<br />

Herrn zurück. Wie tragisch!<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 5 -


Älterer Herr<br />

Junge Frau<br />

Schöne Frau<br />

Älterer Herr<br />

Führerin<br />

Junge Frau<br />

Führerin<br />

Junge Frau<br />

Führerin<br />

Junge Frau<br />

Führerin<br />

Junge Frau<br />

Führerin<br />

Junge Frau<br />

Schöne Frau<br />

Älterer Herr<br />

Junge Frau<br />

tätschelt der schönen Frau besänftigend die Schulter.<br />

Was für ein Verlust!<br />

kommt wieder hinzu. Tschuldigung, darf man hier<br />

eigentlich Katzen halten? Im Inserat stand nichts von<br />

Haustieren.<br />

Katzen?<br />

Inserat?<br />

Wovon in aller Welt reden Sie <strong>über</strong>haupt?<br />

Na, vom Zeitungsinserat... Ob der entrüsteten Blicke<br />

unsicher. <strong>Die</strong>s ist doch die freie Mietwohnung an der<br />

Glockengasse 4, oder?<br />

spitz. Bedaure. <strong>Die</strong>s ist das <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>-Museum an<br />

der Glockengasse 6.<br />

Ach du Schande. Da hab’ ich mich offenbar im<br />

Eingang geirrt.<br />

Ganz offensichtlich.<br />

Na sowas. Tja, dann geh’ ich mal wieder.<br />

Das wird wohl das Beste sein.<br />

will ab, zögert. Was für ein Museum, sagten Sie, ist<br />

das?<br />

mit Nachdruck. Das <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>-Museum!<br />

Aha. Und was war das für einer?<br />

Alle starren sie entsetzt und ungläubig an, auch der<br />

junge Mann, der mit Fotografieren und Notieren<br />

beschäftigt war. Schliesslich.<br />

Das gibt’s doch gar nicht.<br />

Wollen Sie, mein Fräulein, allen Ernstes behaupten,<br />

Sie hätten noch nie etwas von <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> gehört?<br />

Nein. Das heisst: Mein Oberstufenlehrer hiess <strong>Wanner</strong>.<br />

Doch soweit ich mich erinnere, war sein Vorname<br />

Willy. Nachdenklich. Oder Walter? Jedenfalls nannten<br />

wir ihn nur „<strong>Wanner</strong>, den Spanner“. Weil er uns<br />

Mädchen beim Turnunterricht immer auf die...<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 6 -


<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Führerin <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> war zufälligerweise der bedeutendste<br />

Schweizer Autor der letzten fünfzig Jahre.<br />

Junger Mann strebsam. Wahrscheinlich sogar der letzten fünfundsiebzig<br />

Jahre.<br />

Älterer Herr bemüht, den Jüngeren zu <strong>über</strong>trumpfen. Oder der<br />

letzten hundert Jahre.<br />

Junge Frau Ach tatsächlich? Ich dachte immer, das waren Frisch<br />

und Dürrenmatt.<br />

Führerin So wichtig diese beiden auch gewesen sein mögen, ihre<br />

Werke verblassen vor der unerhörten Schaffenskraft<br />

eines <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>s.<br />

Schöne Frau Vor seiner animalischen Fabulierlust.<br />

Junger Mann Vor seiner bestechenden Erzähltechnik.<br />

Älterer Mann wie oben. Und vor seiner philosophischen Stringenz.<br />

Junge Frau Wirklich? Ich werde mir mal was von ihm ausleihen.<br />

Üblicherweise lese ich ja nur Krimis. Oder Gaston-<br />

Comics. Will ab, zögert. Woran ist der Typ denn<br />

gestorben?<br />

Führerin mit Nachdruck. <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> wurde ermordet.<br />

Junge Frau Donnerwetter nochmal, wirklich? Erschauernd. Und<br />

ich wollte hier einziehen... Mit neu erwachtem<br />

Interesse. Und wurde der Täter gefasst?<br />

Führerin Wenigstens das, ja.<br />

Schöne Frau Ein geisteskranker Fanatiker.<br />

Junger Mann Ein arglistiger Meuchler.<br />

Älterer Herr Ein impotenter Milchbart.<br />

Führerin Zweifellos. Doch vergessen wir nicht: <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

zerbrach nicht zuletzt auch an seiner Zeit.<br />

Junger Mann Er war ihr um Jahre voraus.<br />

Älterer Herr Um Jahrzehnte!<br />

Junge Frau Und wann geschah dies alles?<br />

Junger Mann wie an einem Examen. Am 3. April vor zwei Jahren,<br />

gegen zehn Uhr abends.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 7 -


Älterer Herr<br />

Schöne Frau<br />

ebenso. Dreieinhalb Monate nach Erscheinen seines<br />

sensationellen Erstlings.<br />

entnimmt der Handtasche ein Buch. „Der Wirbelmacher“.<br />

Junger Mann und Älterer Herr ziehen ebenfalls je ein Buch hervor.<br />

„Der Wirbelmacher.“<br />

Führerin Richtig. Doch im Grunde nahm das Unglück bereits<br />

einige Tage zuvor seinen Lauf.<br />

Junger Mann Ende März also. Notiert.<br />

Führerin nickt. Anfänglich deutete noch nichts auf eine<br />

tragische Entwicklung der Ereignisse hin. Im<br />

Gegenteil: <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> stand auf dem Zenith seiner<br />

jungen Karriere. Sein erstes Buch...<br />

Schöne Frau, Junger Mann und Älterer Herr ihr Exemplar<br />

präsentierend. „Der Wirbelmacher“.<br />

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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 8 -


Führerin<br />

Junger Mann<br />

Schöne Frau<br />

Älterer Herr<br />

Junge Frau<br />

Führerin<br />

<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

<strong>über</strong> die Unterbrechung genervt. Ähm, genau. „Der<br />

Wirbelmacher“ also hatte mit ungeahntem Erfolg<br />

eingeschlagen und nun wollten sie alle ein Interview<br />

oder eine Reportage: <strong>Die</strong> Presse, die Radiostationen,<br />

Fernsehsender aus dem In- und Ausland, einfach alle.<br />

Auch an jenem Tag war es nicht anders. Doch ich<br />

weiss, Sie kennen dies alles schon. Kokett. Ich möchte<br />

niemanden langweilen.<br />

Aber keineswegs.<br />

Über <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> kann gar nicht genug gesagt<br />

werden.<br />

mit Blick auf die junge Frau. Ausserdem können<br />

gewisse Leute hier etwas Nachhilfe in Sachen Literatur<br />

durchaus vertragen.<br />

arglos. Mir geht’s wie ihm. Zu gerne möchte ich<br />

wissen, weshalb dieser <strong>Wanner</strong> abgemurkst wurde.<br />

Na schön, wenn Sie alle darauf bestehen. Wie gesagt:<br />

An jenem Tag wimmelte es in dieser Wohnung nur so<br />

von Leuten: Fernsehmitarbeitern und Verlegern,<br />

Zeitungsjournalisten und Lektoren, Radioreportern und<br />

Fotografen...<br />

Ihre Stimme wird leiser und die Gruppe zieht sich von<br />

der Bühne zurück (möglichst nicht durch die Türe),<br />

während die besagten Personen das Wohnzimmer<br />

betreten.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

Kein Vorhang.<br />

- 9 -


1. Akt<br />

Gleiches Bühnenbild. Bereits gegen Ende des Prologs<br />

hat ein Kameramann damit begonnen, seine Geräte<br />

ins Wohnzimmer zu schleppen. Er richtet die Kamera<br />

sowie einen Scheinwerfer auf das Sofa. Eine sehr<br />

gepflegte Fernsehjournalistin <strong>über</strong>prüft ihre Notizen<br />

und den Sitz ihres Deux-Pièce.<br />

Ein Zeitungsjournalist und eine Fotografin treten<br />

ebenfalls ins Wohnzimmer. Der Journalist, ein<br />

nachlässig gekleideter Kettenraucher, stösst mit dem<br />

Knie an den Scheinwerfer, der gleich bei der Türe<br />

steht.<br />

Journalist Autsch! Verdammt nochmal, müsst ihr Fernsehfritzen<br />

eure Scheisskameras ausgerechnet beim Eingang hin<br />

stellen.<br />

Reporterin Erstens ist dies keine Scheisskamera, sondern ein<br />

Scheissscheinwerfer. Und zweitens lassen wir uns von<br />

einem Zeilenschinder der „Goldpost“ gewiss nicht vorschreiben,<br />

wie wir zu arbeiten haben.<br />

Journalist Im Gegensatz zu euch verschleudern wir wenigstens<br />

keine Steuergelder.<br />

Reporterin zum Kameramann, den Journalisten meinend.<br />

Ungebildeter Torfkopf!<br />

Journalist zur Fotografin, die Reporterin meinend. Eingebildete<br />

Schnepfe!<br />

Sie richten sich weiter ein.<br />

Reporterin mit Blick auf die Uhr. Wenn die nicht bald kommen,<br />

wird’s knapp für’s Abendjournal.<br />

Fotografin nickt zum „Goldpost“-Team hin. <strong>Die</strong> beiden sind erst<br />

noch vor uns dran.<br />

Reporterin Ich weiss, ich weiss. Betrachtet sich zufrieden in<br />

einem Handspiegel und zupft an ihrem Haar herum.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 10 -


Journalist<br />

Reporterin<br />

Journalist<br />

Reporterin<br />

Verleger<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

Lektor<br />

<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

An diesen schlaffen Strähnen kannst du noch lange<br />

rumzupfen, Schätzchen, das wird nie eine Frisur.<br />

ihn abschätzig musternd. So? Was verstehen denn<br />

ausgerechnet Sie von Frisuren?<br />

Ich betreue nebenher noch unsere „Beauty“-Seite.<br />

sarkastisch. <strong>Die</strong> „Beauty-Seite“ der „Goldpost“? Da<br />

bin ich aber ausserordentlich beeindruckt.<br />

Dennoch betrachtet sie sich nun mit neuer Skepsis im<br />

Spiegel und zieht schliesslich verstohlen einen Kamm<br />

hervor. <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> und sein Verleger treten ein,<br />

gefolgt vom Lektor. <strong>Wanner</strong> ist Ende Vierzig und von<br />

ungeschlachtem Äussern. Er spricht nur wenig und<br />

dies erst noch zögernd und unsicher. Der Verleger,<br />

Anfang Vierzig, ist selbstgefällig, dynamisch und<br />

momentan hochzufrieden. Der Lektor wiederum<br />

wirkt dürr und verkniffen.<br />

in sein Funktelefon. <strong>Die</strong> komplette vierte Auflage ist<br />

weg? Wiederhol’ das bitte, es klang so wunderschön.<br />

Lauscht entzückt. Nochmals! Lauscht nochmals. Das<br />

ist ja grossartig. 100'000 Exemplare in nur dreieinhalb<br />

Monaten. <strong>Die</strong> anderen Verlage werden sich in den<br />

Hintern beissen. Und wir sind fürs erste saniert. Gib<br />

sämtlichen Redaktionen Bescheid, dass wir für<br />

Interviews bereit stehen. Und mit sämtlichen meine ich<br />

sämtliche, klar? Steckt das Telefon weg und klopft<br />

<strong>Wanner</strong> auf die Schulter. Na, das nenn’ ich eine gute<br />

Nachricht, was, <strong>Wanner</strong>? Und als nächstes stürmen wir<br />

den Zweihunderttausender. „Der Wirbelmacher“ wird<br />

als der Superbestseller in die Geschichte der<br />

deutschsprachigen Literatur eingehen. Da verschlägt’s<br />

Ihnen glatt die Sprache, was, <strong>Wanner</strong>?<br />

Ich äh...<br />

zu den Journalisten. Tja, Qualität setzt sich letzten<br />

Endes eben doch durch. Professionelles Management<br />

vorausgesetzt natürlich.<br />

Und gewissenhaftes Lektorat.<br />

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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 11 -


Verleger<br />

Reporterin<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Journalist<br />

Natürlich.<br />

die Haare neu frisiert. Wir gratulieren, Herr <strong>Wanner</strong>.<br />

Wie fühlt sich denn ein Automechaniker als neuer<br />

Stern am Schweizer Literaturhimmel?<br />

eher leise. Karosseriespengler. Nicht Automechaniker.<br />

Halt, so nicht! Wir sind zuerst dran.<br />

Verleger beschwichtigend. Nun, offenbar eilt es den<br />

Fernsehleuten.<br />

Journalist<br />

Verleger<br />

Lektor<br />

Verleger<br />

Verleger<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

Journalist<br />

Verleger<br />

Mir Wurscht. <strong>Wanner</strong> kriegt unser Titelblatt. Und vier<br />

Seiten gleich nach dem Horoskop.<br />

Gleich nach dem Horoskop? Legen Sie los. Zum<br />

Fernsehteam. Wollen Sie sich unterdessen mit Herrn<br />

Döbeli unterhalten, unserem Lektor...<br />

Cheflektor.<br />

Natürlich. Er wird Ihnen erzählen, wie wir <strong>Isidor</strong><br />

<strong>Wanner</strong> entdeckt und aufgebaut, ich meine: gefördert<br />

haben. Und hier noch unsere Dokumentationsmappe<br />

mit Biografie, Pressestimmen aus ganz Europa sowie<br />

unserem übrigen Verlagsprogramm. Reicht der<br />

Reporterin die Mappe; Lektor und Fernsehcrew<br />

gehen nach rechts. Verleger wählt auf seinem Funktelefon<br />

eine Nummer. Während er auf Anschluss<br />

wartet, zu <strong>Wanner</strong>.<br />

Nennen Sie möglichst oft den Buchtitel, <strong>Wanner</strong>. Und<br />

den Verlag. Und natürlich den Preis: Nur 29 Franken<br />

90.<br />

begriffsstutzig. 29 Franken 90? Wozu denn?<br />

klopft ihm auf die Schulter. Ganz der weltfremde<br />

Künstler, was? Na gehen Sie schon.<br />

auf das Sofa zeigend. Hier r<strong>über</strong> bitte, Herr <strong>Wanner</strong>.<br />

ins Funktelefon. Ich bin’s. Sag’ der Druckerei, wir<br />

erhöhen die fünfte Auflage um 10'000, klar? <strong>Die</strong><br />

„Goldpost“ knallt <strong>Wanner</strong> aufs Titelblatt; das heisst,<br />

jede Hausfrau, die beim nächsten Kaffeekränzchen<br />

nicht stumm wie ein Fisch dasitzen will, sprintet<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 12 -


Journalist<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

Journalist<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

Fotografin<br />

Verleger<br />

Journalist<br />

Fotografin<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

Fotografin<br />

Journalist<br />

<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

nächsten Donnerstag Richtung Buchhandlung. -<br />

Ausgezeichnet. Klappt das Telefon zu.<br />

Also, die eigentliche Homestory hatten wir ja schon.<br />

<strong>Die</strong>smal wollen wir unseren Leserinnen zeigen,<br />

wie bescheiden und natürlich Sie trotz allem geblieben<br />

sind. Ich nehme an, Sie kriegen täglich Fanpost.<br />

Was für Post?<br />

Natürlich kriegt er Fanpost. Weist auf einen Korb voll<br />

Briefe. Das kam allein diese Woche.<br />

pfeift beeindruckt. Alle Achtung.<br />

verblüfft. <strong>Die</strong> sind alle an mich? Will einen Brief<br />

rausnehmen.<br />

klopft ihm auf die Finger. Herr <strong>Wanner</strong> beantwortet<br />

jeden Brief persönlich. Von unserem Sekretariat<br />

wirkungsvoll unterstützt.<br />

Herr <strong>Wanner</strong>, würden Sie den Korb bitte auf die Knie<br />

nehmen. Genau so. Knipst mehrfach. Und jetzt<br />

vielleicht noch mit Ihrem Verleger.<br />

Wenn Sie darauf bestehen. Schiebt sich fürs Foto in<br />

den Vordergrund.<br />

tippt einen Text in seinen Laptop. „Eine gemütliche<br />

Stube in einer heimeligen Altbauwohnung. Niemand<br />

würde vermuten, dass hier einer der führenden<br />

Schweizer Schriftsteller lebt...“<br />

Fürs Titelblatt, Herr <strong>Wanner</strong>, bräuchten wir noch ein<br />

Bild mit Ihrer Frau.<br />

Mit... mit meiner Frau? Blickt hilfesuchend zum<br />

Verleger.<br />

Mit seiner Frau?<br />

nickt Richtung Bild, das <strong>über</strong> dem PC hängt. Wie<br />

schon letztes Mal. Ein glückliches Paar auf dem Cover<br />

zieht immer.<br />

Deshalb haben wir auch so wenige Titelstories mit dem<br />

Papst.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 13 -


<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Fotografin<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Journalist<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

Journalist<br />

Fotografin:<br />

Verleger<br />

Lektor<br />

Verleger<br />

Also meine Frau ist...<br />

In Urlaub. Bei ihrer Schwester. Nicht wahr, <strong>Wanner</strong>?<br />

erstaunt. In Urlaub? Begreift, nachdem ihm der<br />

Verleger gegen das Bein getreten hat, doch noch. Au!<br />

Aber ja, doch. In Urlaub. Sie ist in Urlaub.<br />

Das ist aber jammerschade. Haben Sie wenigstens ein<br />

Haustier? Was Niedliches mit Pelz?<br />

Mit Pelz? Nein, ich äh...<br />

Arbeiten Sie eigentlich bereits an einem neuen Pelz,<br />

ich meine: an einem neuen Stoff, Herr <strong>Wanner</strong>?<br />

Also ich...<br />

Wir haben mit <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> einen Vorvertrag für drei<br />

weitere Bücher abgeschlossen. <strong>Die</strong> nächste Veröffentlichung<br />

ist bereits für Mitte Dezember geplant. Übers<br />

nächste Weihnachtsgeschenk braucht sich also<br />

niemand den Kopf zu zerbrechen, hehe. Das dürfen Sie<br />

ruhig so verwenden.<br />

Danke.<br />

Der Journalist tippt. Der Kameramann hört sich<br />

desinteressiert die engagierten Ausführungen des<br />

Lektors, der immer wieder auf sich zeigt, an, während<br />

die Reporterin wieder mit ihrer Frisur beschäftigt ist.<br />

Noch eine abschliessende Serie bei der Wohnwand,<br />

Herr <strong>Wanner</strong>.<br />

<strong>Wanner</strong> posiert mit einem „Wirbelmacher“-<br />

Exemplar vor der Wohnwand. Das Funktelefon des<br />

Verlegers piepst.<br />

Ja? - Ah, buenas dias. Sì... sì..., momentos. Zum<br />

Lektor. Döbeli! Der spanische Übersetzer möchte<br />

wissen, ob man „Wirbelmacher“ mit „Der wirbelnde<br />

Macher“ oder „Der wirblige Macher“ <strong>über</strong>setzt. Hier.<br />

entrüstet. Aber beides ist doch falsch; aus dem<br />

Gesamtkontext geht unzweifelhaft hervor, dass ...<br />

Erzählen Sie das nicht mir, sondern dem Übersetzer.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 14 -


Reporterin<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Reporterin<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

Lektor<br />

Verleger<br />

Reporterin<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Reporterin<br />

<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Lektor mit Telefon ab. Verleger zum Fernsehteam.<br />

So, ich denke, Ihre Kollegen von der Presse sind gleich<br />

fertig.<br />

Kamm und Spiegel wegsteckend. Das sind nicht<br />

unsere Kollegen.<br />

Sie begibt sich zum Sofa, wo <strong>Wanner</strong> wieder Platz<br />

genommen hat. <strong>Die</strong> Fotografin knipst <strong>Wanner</strong>s PC.<br />

Also, Herr <strong>Wanner</strong> Der berüchtigte Literaturkritiker<br />

Luzius Muggli-Hofstetter schreibt <strong>über</strong> Sie: „Unsere<br />

selbsternannte Schriftsteller-Intelligenzia mit ihrer<br />

blutleeren Buchhalterprosa wird ausgerechnet von den<br />

subtilen Gefühlsdiagrammen eines Automechanikers in<br />

den Schatten gestellt.“<br />

Karosseriespengler, nicht Automechaniker.<br />

Was denken Sie? Geniessen Sie als Automechaniker<br />

eine Art Arbeiterbonus?<br />

unsicher. Einen Bonus? Also, ich hatte immer einen<br />

ganz normalen Monatslohn. Ohne dreizehnten. Das<br />

heisst, bevor ich entlassen wurde. Wegen meines<br />

Rückens, wissen Sie?<br />

<strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>s begründeter Erfolg beruht einzig und<br />

allein auf harter Arbeit und professionellem<br />

Management.<br />

den Kopf ins Zimmer steckend. Und gewissenhaftem<br />

Lektorat.<br />

Verschwinden Sie, Döbeli. Im übrigen will sich Herr<br />

<strong>Wanner</strong> inskünftig ausschliesslich der Schriftstellerei<br />

widmen.<br />

Sie sind Automechaniker, Herr <strong>Wanner</strong>,...<br />

Karosseriespengler.<br />

...schreiben aber <strong>über</strong> die erschütternden Erfahrungen<br />

eines ehemaligen Primarschullehrers in einer psychiatrischen<br />

Klinik. Wie gelang es Ihnen, sich derart<br />

hautnah und wortgewaltig in diese besondere Situation<br />

ein-zufühlen?<br />

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Kein Aufführungsrecht.<br />

- 15 -


<strong>Wanner</strong> Nun, also, ich...<br />

Von draussen werden Rufe hörbar wie: „Wo ist er?<br />

Ich muss zu ihm!“<br />

Reporterin Kamera stopp! Was in aller Welt ist da draussen los?<br />

In der Türe steht Felix Hungerbühler, ein hagerer<br />

Mann Ende Dreissig mit dicken Brillengläsern und<br />

einer abgewetzten Aktentasche. Seine dünne Stimme<br />

<strong>über</strong>schlägt sich wiederholt. Der Lektor zerrt an<br />

seinem Ärmel.<br />

Hungerbühler Wo ist er?! Wo ist dieser elende Schurke?! stösst beim<br />

Eintreten mit dem Knie gegen den Scheinwerfer.<br />

Aua!<br />

Fotografin Sagen Sie mal, können Sie denn nicht aufpassen.<br />

Hungerbühler sich das Knie reibend. Verzeihung.<br />

Lektor Ich habe ihm gesagt, er dürfe da nicht rein.<br />

Verleger zu Hungerbühler. Was zum Henker fällt Ihnen ein,<br />

einfach so hier reinzuplatzen?<br />

Hungerbühler Ich, nun...<br />

Lektor Gerade wollte ich diesem Übersetzer erklären, weshalb<br />

es weder „Der wirblige Macher“ noch „Der wirbelnde<br />

Macher“ heissen kann, wenn alles im Gesamtkontext<br />

darauf hinweist, dass...<br />

Verleger zum Lektor. Halten Sie die Klappe, Döbeli. Zu<br />

Hungerbühler. Na?<br />

Hungerbühler ob der vielen Blicke verwirrt. Ich... ich hatte nicht mit<br />

derart vielen Leute gerechnet.<br />

Verleger Dann sorgen Sie augenblicklich dafür, dass es einer<br />

weniger wird. Für Autogrammkarten oder <strong>Isidor</strong><br />

<strong>Wanner</strong>-T-Shirts wenden Sie sich gefälligst an unser<br />

Sekretariat. Bedeutet dem Lektor, Hungerbühler<br />

hinaus zu begleiten.<br />

Hungerbühler wendet sich humpelnd zum Gehen. Ach so. Na dann<br />

werde ich... Aber Moment mal! Ich will ja gar kein T-<br />

Shirt. Schüttelt den Arm des Lektors ab, wobei er mit<br />

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- 16 -


<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

der Hand gegen den Scheinwerfer stösst. Aua! Zum<br />

Kameramann. Verzeihung.<br />

Verleger ungeduldig. Wir haben auch <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>-<br />

Baseballmützen oder Aschenbecher, wenn Sie lieber<br />

wollen. Und jetzt gehen Sie endlich.<br />

Hungerbühler eindringlich. Ich will doch nur Gerechtigkeit. Zu<br />

allen. Nichts als Gerechtigkeit.<br />

Journalist Ich fürchte, fürs Bezirksgericht müssen Sie schon nach<br />

Zürich.<br />

Hungerbühler mit <strong>über</strong>schlagender Stimme. Das Buch „Der<br />

Wirbelmacher“ stammt nicht von <strong>Isidor</strong><br />

<strong>Wanner</strong>!<br />

Verblüfftes Schweigen. <strong>Wanner</strong> sitzt regungslos auf<br />

dem Sofa. Schliesslich.<br />

Reporterin ungläubig. Was haben Sie da eben gesagt?<br />

Hungerbühler <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> hat das Buch „Der Wirbelmacher“ nicht<br />

geschrieben. Nicht eine Silbe.<br />

Journalist So? Und wer war es dann? DJ Bobo?<br />

Hungerbühler Nein. Ich! Ich habe es geschrieben!<br />

Kurzes Schweigen, anschliessend explodierendes<br />

Gelächter.<br />

Was ist daran so komisch?<br />

Noch mehr Gelächter. Einzig <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> rutscht<br />

unruhig auf dem Sofa hin und her, während Verleger<br />

und Lektor einen raschen Blick austauschen. Der<br />

Verleger nimmt Hungerbühler am Arm.<br />

Verleger Werter Herr...<br />

Hungerbühler Hungerbühler, Felix Hungerbühler. Ehemals Primarschullehrer<br />

in Zürich-Altstetten.<br />

Verleger Hören Sie, Herr Hugentobler, als Verleger schätze ich<br />

phantasiebegabte Menschen ausserordentlich. Wie<br />

beispielsweise meine liebe Grossmutter. Ach, sie<br />

konnte uns Kindern stundenlang die unglaublichsten<br />

Geschichten erzählen, und wir hingen ihr wie gebannt<br />

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- 17 -


an den Lippen. Und wissen Sie, Herr Hugentobler, was<br />

ich tun würde, wenn diese gütige alte Frau in diesem<br />

Augenblick zur Türe rein geschlurft käme?<br />

Hungerbühler blickt unwillkürlich zur Türe. Nein. Keine Ahnung.<br />

Verleger Ich würde sie hochkant rauswerfen lassen. Weil ich im<br />

Moment auf gar keinen Fall gestört werden will. Habe<br />

ich mich einigermassen deutlich ausgedrückt? Macht<br />

dem Lektor ein Zeichen, worauf dieser Hungerbühler<br />

ebenfalls am Arm packt.<br />

Hungerbühler erregt und hastig. Vor acht Monaten, am 16. August,<br />

fuhr ich mit dem Schnellzug von Winterthur nach<br />

Zürich. Während der Fahrt muss mir eine Diskette aus<br />

dieser Aktentasche hier gefallen sein. Er hält die<br />

Tasche hoch und stopft ein Buch, das aus einer<br />

zerschlissenen Ecke ragt, in die Tasche zurück. Und<br />

auf jener Diskette befand sich das nahezu fertige<br />

Manuskript meines allerersten Romans.<br />

Journalist zündet sich eine Zigarette an. Oje, mir kommen gleich<br />

die Tränen.<br />

Hungerbühler Ich weiss: Ein banales Missgeschick, werden Sie<br />

sagen. Doch es war eine Katastrophe. Denn nur zwei<br />

Tage zuvor hatte mir ein bösartiger Festplattenvirus<br />

sämtliche Computerdaten zerstört. Und deshalb besass<br />

ich einzig diese eine Sicherheitskopie.<br />

Verleger Ein böser, böser Virus. Hört, hört.<br />

Hungerbühler Nachdem ich mich bei sämtlichen Fundbüros<br />

vergeblich nach der Diskette erkundigt hatte, blieb mir<br />

nur eines übrig: den gesamten Roman aus meinem<br />

Gedächtnis zu reproduzieren. Reisst sich vom Verleger<br />

und vom Lektor, die ihn beinahe draussen hatten, los,<br />

wobei er mit dem Kopf gegen den Scheinwerfer stösst.<br />

Aua! Hält sich den Kopf, zum Kameramann.<br />

Verzeihung. Es war eine unerhört mühevolle Aufgabe,<br />

glauben Sie mir. Vorgestern aber, wie ich zum zweiten<br />

Mal so gut wie fertig war, blättere ich in einer<br />

Buchhandlung in einem der ausgestellten Bücher, und<br />

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- 18 -


<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

da trifft mich fast der Schlag: Das war mein Roman.<br />

Satz für Satz. Wort für Wort. Einzig der Titel war<br />

geändert worden. Und natürlich der Autor. Mit<br />

Abscheu. <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>. Ein erbärmlicher <strong>Die</strong>b und<br />

Hochstapler. Zum ersten Mal zeigt <strong>Wanner</strong> eine<br />

Regung der Empörung. <strong>Die</strong>ser jämmerliche Betrüger<br />

muss die Diskette damals gefunden und an sich<br />

gerissen haben. Und deshalb bin ich nun gekommen,<br />

um meinen Roman zurück zu fordern. Hier auf der<br />

Stelle!<br />

Schweigen. Alles blickt auf <strong>Wanner</strong>, der weiterhin<br />

schweigt.<br />

Reporterin mit nachsichtiger Skepsis. Eine äusserst<br />

ungewöhnliche Geschichte, Herr Hungerbühler. Ich<br />

nehme an, Sie haben Ihr Manuskript zuvor schon<br />

verschiedenen Leuten gezeigt, die Ihre Darstellung nun<br />

alle belegen können.<br />

Hungerbühler Ja. Das heisst: nein. Ich... seit ich aus der<br />

psychiatrischen Klinik entlassen wurde, lebe ich sehr<br />

zurück gezogen.<br />

<strong>Die</strong> anderen sehen sich vielsagend an.<br />

Journalist Aha. Keine Menschenseele hat Ihr Wahnsinnsmanuskript<br />

also jemals gelesen: Was für ein unglaubliches<br />

Pech.<br />

Hungerbühler Ja, aber Sie müssen mir glauben...<br />

Verleger Verzeihen Sie, meine Damen und Herren, aber mich<br />

packt gleich ein heiliger Zorn. Kaum landet ein bodenständiger<br />

Arbeiter dank professionellem Management<br />

...<br />

Lektor ... und gewissenhaftem Lektorat...<br />

Verleger ...Schnauze, Döbeli! Kaum landet dieser also einen<br />

Bestseller, spaziert auch prompt so ein intellektueller<br />

Klugscheisser daher und behauptet ohne zu erröten, er<br />

habe das Buch geschrieben. Das musste wohl noch so<br />

kommen.<br />

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- 19 -


Hungerbühler verzweifelt. Aber ich habe das Buch geschrieben.<br />

Journalist<br />

Verleger<br />

So, jetzt fehlt mir nur noch die Schlagzeile.<br />

etwas beruhigt. Herr Hugentobler, verraten Sie mir<br />

bitte etwas. Wie viele Autos haben Sie in Ihrem<br />

Leben schon auseinander genommen? Nur so ungefähr.<br />

Hungerbühler Autos auseinander genommen? Ich?<br />

Verleger Sieht es etwa so aus, als rede ich mit diesem<br />

Scheinwerfer hier? Natürlich Sie.<br />

Hungerbühler Ich... noch keines. Ich bin ja auch kein<br />

Automechaniker.<br />

<strong>Wanner</strong> Karosseriespengler.<br />

Verleger Aha. Sie sind also kein Automechaniker. Aber wissen<br />

Sie was: <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> ist Automechaniker.<br />

<strong>Wanner</strong> Karosseriespengler.<br />

Verleger Bis vor wenigen Monaten nahm er Tag für Tag<br />

unzählige Autos auseinander und setzte sie<br />

auch wieder zusammen. Bis sein Rücken irgendwann<br />

nicht mehr mit machte. Bis er von seiner langjährigen<br />

Firma auf Knall und Fall entlassen wurde. Ohne das<br />

leiseste Danke-schön.<br />

Hungerbühler kleinlaut. Das tut mir wirklich leid.<br />

Verleger Es braucht Ihnen aber nicht leid zu tun, Herr<br />

Hugentobler. Denn <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> hatte Glück. <strong>Isidor</strong><br />

<strong>Wanner</strong> verfügt nämlich <strong>über</strong> eine wundervolle Gabe.<br />

Nach einem harten Arbeitstag hockt er sich nicht etwa<br />

stumpfsinnig vor den Fernsehkasten. <strong>Wanner</strong> hustet<br />

schuldbewusst. O nein, <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> setzt sich Abend<br />

für Abend an diesen PC und schreibt an einem Buch.<br />

Und als er das Buch schliesslich vollendet hat, findet er<br />

tatsächlich einen couragierten Verleger...<br />

Lektor ... und einen gewissenhaften Lektor...<br />

Verleger Döbeli! Er findet also einen selbstlosen Verleger, der<br />

ihm zu einem Sensationserfolg verhilft. Und nun<br />

kommen Sie, Herr Hugentobler, und wollen sich mit<br />

fremden Federn schmücken.<br />

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- 20 -


<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Hungerbühler Hungerbühler. Felix Hungerbühler.<br />

Verleger<br />

Schämen Sie sich, Herr Hugentobler!<br />

<strong>Die</strong> übrigen Anwesenden nicken. <strong>Die</strong> Medienleute<br />

beginnen das Interesse an Hungerbühler zu verlieren<br />

und sehen ungeduldig auf die Uhr. <strong>Die</strong> Reporterin<br />

ändert nochmals ihre Frisur.<br />

Hungerbühler geht auf <strong>Wanner</strong> zu. Reden Sie endlich, Sie<br />

Scharlatan! Geben Sie zu, dass Sie mein Manuskript im<br />

Schnellzug aufgelesen haben! Los, gestehen Sie, zum<br />

Teufel nochmal! Will <strong>Wanner</strong> an den Schultern<br />

packen, doch hält ihn dieser mit Riesenpranken an<br />

den Handgelenken fest. Der Verleger, der Lektor und<br />

der Kameramann eilen zu Hilfe.<br />

Verleger Immer schön sachte, Herr Hugentobler.<br />

Journalist weiterhin auf seinem Laptop tippend. Den haben sie<br />

ein paar Jahre zu früh aus der Klappsmühle entlassen.<br />

Hungerbühler Hilfe! Meine Handgelenke! Meine Handgelenke!<br />

Reporterin Lassen Sie Herrn <strong>Wanner</strong> sofort los. Wir wollen<br />

endlich drehen.<br />

Hungerbühler Wo waren Sie am <strong>Die</strong>nstag, 16. August, gegen<br />

sechzehn Uhr, Herr <strong>Wanner</strong>? Im Schnellzug<br />

Winterthur - Zürich, nicht wahr? Ganz hinten in der 2.<br />

Klasse, nicht wahr?<br />

<strong>Wanner</strong> mit leisem Triumph. Ich fahre gar nie mit dem Zug.<br />

Ich habe ja ein Auto.<br />

Verleger Da hören Sie es, Sie Psychopath. Er hat ein Auto.<br />

Reisst Hungerbühler weg.<br />

Journalist Sonst wäre er wohl auch der erste Automechaniker, der<br />

mit dem Zug pendelte.<br />

Allgemeines Gelächter.<br />

Hungerbühler ausser sich. Er lügt! Glauben Sie mir doch, er lügt!<br />

Haben Sie sich als kritische Journalisten denn gar nie<br />

gefragt, ...<br />

Reporterin Und Journalistinnen, bitte.<br />

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Kein Aufführungsrecht.<br />

- 21 -


Hungerbühler Natürlich, Verzeihung. Haben Sie sich nie gefragt,<br />

weshalb ein Automechaniker ausgerechnet <strong>über</strong> einen<br />

nervenkranken, ehemaligen Primarschullehrer schreibt?<br />

Wie in aller Welt sollte er sich in dessen Gefühle und<br />

Gedanken versetzt haben?<br />

Journalist Erich von Däniken schreibt von kleinen grünen<br />

Männchen und hat auch noch keinem das Händchen<br />

geschüttelt.<br />

Hungerbühler Und der Stil? Schreibt so etwa ein ungebildeter<br />

Automechaniker?<br />

<strong>Wanner</strong> Karosseriespengler.<br />

Reporterin Ihr akademischer Dünkel ist hier denkbar fehl am Platz,<br />

mein Herr. Offensichtlich gibt es tatsächlich noch<br />

Automechaniker, denen Goethe und Musil mehr sagen<br />

als nackte Brüste auf dem Pirelli-Jahreskalender.<br />

<strong>Wanner</strong> hustet schuldbewusst.<br />

Verleger Im übrigen hat sich <strong>Wanner</strong> mit Hilfe verschiedener<br />

Wörterbücher selber weitergebildet. Weist auf die<br />

Wörterbücher <strong>über</strong> dem PC. Autodidaktisch.<br />

Journalist Das ist meine Schlagzeile: <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>, der Auto -<br />

Strich - Didakt. Einfach genial. Tippt.<br />

Hungerbühler zu sich, verstört. Sie wollen mir einfach nicht glauben.<br />

Niemand interessiert sich für die <strong>Wahrheit</strong>.<br />

Reporterin steckt ihren Kamm weg. Können wir jetzt endlich<br />

weiter drehen? Wir sind bereits deutlich in Verzug.<br />

Verleger Bringen Sie ihn weg, Döbeli.<br />

Der Lektor will den ermatteten Hungerbühler hinaus<br />

führen, doch bricht dieser vorne links schluchzend<br />

zusammen.<br />

Fotografin Psst. Ton läuft.<br />

Hungerbühler Verzeihung. Schluchzt leiser. Der Lektor reicht ihm<br />

ein Taschentuch. Das Fernsehteam dreht, während<br />

sich die Fotografin verabschiedet. Hungerbühler<br />

schneuzt sich geräuscharm.<br />

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- 22 -


<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Vier Jahre. Vier lange Jahre habe ich an den „Hoden<br />

meines Cousins“ gearbeitet.<br />

Lektor verständnislos. „<strong>Die</strong> Hoden Ihres Cousins“?<br />

Hungerbühler „<strong>Die</strong> Hoden meines Cousins“. Der geplante Titel<br />

meines Romans. Und ihr habt daraus „Der<br />

Wirbelmacher“ gemacht. Was für ein scheussliches,<br />

gefühlloses Verbrechen.<br />

Lektor beleidigt. Was passt Ihnen nicht an meinem... ich<br />

meine: an diesem Titel?<br />

Hungerbühler <strong>Die</strong> Schlüsselszene meines Romans ist unbestreitbar<br />

die Stelle, wo der Erzähler seinen Cousin erstmals<br />

unbekleidet in der Herrengarderobe sieht. Da wird ihm<br />

seine eigene Unzulänglichkeit schlagartig bewusst.<br />

Lektor nickt herablassend. Penisneid, na schön. Doch<br />

weshalb widmen Sie dieser Begebenheit gerade mal<br />

eine viertel Seite, während Sie auf 125 Seiten<br />

ausführlich <strong>über</strong> Ihren Psychiatrieaufenthalt... Ihren<br />

Psychiatrieaufent-halt... <strong>Die</strong> Bedeutung seiner Worte<br />

beginnt ihm zu dämmern. Erschrocken und<br />

hilfesuchend sieht er sich nach dem Verleger um, der<br />

tatsächlich Unge-mach wittert und hinzu kommt.<br />

Flüsternd zum Verleger. Ich fürchte beinahe, er...<br />

Verleger Herr Hugentobler. Jetzt hören Sie mir mal gut zu.<br />

Hungerbühler Mein Name ist...<br />

Verleger Nehmen wir doch einmal rein theoretisch an, das Buch<br />

„Der Wirbelmacher“ wäre wahrhaftig von Ihnen. Ich<br />

betone: rein theoretisch. Sie hätten sich nach Ihrer<br />

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Entlassung aus der Irrenanstalt also tatsächlich<br />

hingesetzt, rasch eines der besten Bücher der letzten<br />

fünfzig Jahre geschrieben und anschliessend das<br />

Manuskript auf fahrlässige Art und Weise<br />

verschlampt. Nehmen wir eine halbe Minute lang an,<br />

Ihre abstruse und lächerliche Geschichte wäre nicht<br />

von A bis Z erstunken und erlogen. Können Sie mir<br />

einigermassen folgen, Herr Hugentobler?<br />

Hungerbühler nickt. Gut. Selbst für diesen<br />

- 23 -


schlechterdings unmöglichen Fall müsste ich Ihnen<br />

dringendst raten, nicht länger zu insistieren. Ich habe<br />

weder Aufwand noch Mühe gescheut, den Medien die<br />

verblüffende Story vom schreibenden Automechaniker<br />

schmackhaft zu machen. Es dauerte ein Weilchen, bis<br />

sie alle anbissen, aber mittlerweile kann es sich keine<br />

Zeitung, kein Radio und kein Fernsehsender mehr<br />

leisten, nicht <strong>über</strong> dieses Phänomen zu berichten.<br />

Ausführlich zu berichten, wohl-gemerkt. Und deshalb<br />

werde ich es keinesfalls zulassen, dass ein daher<br />

gelaufenes Exemplar aus der Heerschar schreibender<br />

Schullehrer mein Werk zunichte macht. Haben Sie<br />

mich verstanden, Herr Hugentobler?<br />

Hungerbühler sich aufrappelnd. Und wenn ich vor Gericht gehe?<br />

Verleger Ohne Beweise? Nur zu. Mein Anwalt wird Sie wegen<br />

Verleumdung derart in die Mangel nehmen, dass Sie<br />

sich danach nicht einmal mehr einen Bleistiftstummel<br />

werden leisten können. Legt seinen Arm um<br />

Hungerbühlers Schulter. Doch ich bin ja kein<br />

Unmensch. Sollten Sie mit Ihrer blühenden Phantasie<br />

tatsächlich einmal ein Buch schreiben, schicken Sie es<br />

mir ruhig zu. Ich werde einen Blick reinwerfen.<br />

Hungerbühler Aber ich habe ein Buch geschrieben: „<strong>Die</strong> Hoden<br />

meines Cousins“.<br />

Verleger Deshalb brauchen Sie noch lange nicht ausfällig zu<br />

werden. Guten Tag. Nickt dem Lektor zu. Döbeli.<br />

Lektor Kommen Sie schon.<br />

Hungerbühler wirft einen letzten Blick auf <strong>Wanner</strong>,<br />

der starr wegsieht, und lässt sich schliesslich resigniert<br />

vom Lektor hinausführen.<br />

Verleger Am besten, meine Damen und Herren, vergessen wir<br />

den Zwischenfall einfach. Offenbar gewährt man<br />

Geistesschwachen wieder vermehrt Ausgang.<br />

Reporterin Eine kuriose Geschichte. So absurd, man möchte sie<br />

fast wieder glauben.<br />

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- 24 -


Verleger<br />

Journalist<br />

Reporterin<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

Reporterin<br />

Fotografin<br />

Verleger<br />

Reporterin<br />

<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

forciert lachend. Ich bitte Sie: Bereits von Shakespeare<br />

behaupteten Neider, er lasse die Stücke schreiben.<br />

Lächerlich.<br />

Trotzdem gäbe es vielleicht eine Story her: „Irrer<br />

springt Erfolgsautor an die Gurgel!“ Anna, hast du von<br />

dem Spinner ein paar Bilder geschossen? Sieht sich<br />

um. Ach ja, sie ist bereits auf der Redaktion. Nun,<br />

lassen wir das. Tippt weiter.<br />

Herr <strong>Wanner</strong>, was sagen Sie zu den Anwürfen von<br />

vorhin?<br />

Anwürfe? Nun, ich...äh...<br />

Erfolg zieht Profiteure nun mal an wie das Licht die<br />

Motten. Deshalb vertraut <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> ausschliesslich<br />

seinen wahren Freunden, nicht wahr? Legt seinen Arm<br />

auf <strong>Wanner</strong>s Schulter.<br />

Sehr schön. Also, legen wir endlich los.<br />

Moment. Herr <strong>Wanner</strong>s Gesicht wirkt eine Spur blasser<br />

als vorhin.<br />

Finden Sie? Na das haben wir gleich. Entnimmt seiner<br />

Jackentasche eine Puderdose und bepudert <strong>Wanner</strong>s<br />

Gesicht.<br />

Bestens. Also Herr <strong>Wanner</strong>, Sie gelten als der grosse<br />

Favorit für den diesjährigen Friedrich Glauser-Preis<br />

und Sie werden die Schweiz auch an der Frankfurter<br />

Buchmesse vertreten. Haben Sie jemals damit<br />

gerechnet, dass „Der Wirbelmacher“ derart... Ihre<br />

Stimme wird leiser.<br />

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Kein Aufführungsrecht.<br />

Vorhang<br />

- 25 -


2. Akt<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Gleiches Bühnenbild. Es herrscht beträchtliche<br />

Unordnung. Bierdosen, Pizzaschachteln, Zigarettenstummel<br />

und Zeitungsausschnitte liegen herum; der<br />

Fernseher steht nicht mehr in der Wohnwand,<br />

sondern auf dem ovalen Tischchen; das Sofa schräg<br />

davor. <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> sitzt am PC, auf dem Tisch eine<br />

Flasche Bier (darunter einige mehr), und versucht zu<br />

schreiben. Allerdings hat er, da offenkundig angetrunken,<br />

bereits beträchtliche Mühe, auch nur die<br />

richtige Taste zu treffen.<br />

Scheiss-Tastatur! Nimmt einen langen Schluck aus<br />

der Flasche. Wie er sie hinstellt, klirrt Fensterglas im<br />

Zimmer nebenan. <strong>Wanner</strong> glaubt, das Geräusch<br />

selber erzeugt zu haben, und sieht die Flasche<br />

verdutzt an. Da er nichts entdecken kann, nimmt er<br />

sicherheitshalber einen weiteren Schluck. Wie er sie<br />

hinstellt, klirrt es nebenan nochmals. Wieder studiert<br />

<strong>Wanner</strong> die Flasche, nimmt einen Schluck und stellt<br />

sie vorsichtig hin. Da es diesmal nicht klirrt, will er<br />

beruhigt weitertippen, als es nochmals klirrt. Er stutzt<br />

und erhebt sich schliesslich, wegen Rückenschmerzen<br />

und Trunkenheit eher mühevoll.<br />

Mein Rücken! Und mein Kopf! Nicht verängstigt.<br />

Holla! Äh, hallo! Wer ist da? Keine Antwort. <strong>Wanner</strong><br />

trinkt mit einem langen Schluck die Flasche leer und<br />

hält sie als Schlagwaffe, mit schwerer Zunge. Ich<br />

weiss, dass jemand da ist. Ich gebe Ihnen drei<br />

Sekunden, hervor zu treten: Eins, zwei... Rülpst<br />

unbeabsichtigt. Tschuldigung.... drei! Erblickt im Flur<br />

jemanden, den wir noch nicht sehen. Sieh einer an.<br />

Sie sind’s also. Dacht’ ich’s mir doch.<br />

Felix Hungerbühler tritt ein, in der einen Hand die<br />

Aktentasche, in der anderen einen mittelgrossen<br />

Stein.<br />

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Kein Aufführungsrecht.<br />

- 26 -


<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Hungerbühler Ganz recht. Ich bin’s. Felix Engelbert Hungerbühler.<br />

Autor Ihres unwahrscheinlichen, vielbejubelten, epochalen<br />

und sensationellen Bestsellers, Herr <strong>Wanner</strong>.<br />

Hat den Stein weggeworfen. Realisiert, dass sein<br />

rechter Zeigefinger blutet. Verflixt nochmal, diese<br />

vertrackten Doppelfenster.<br />

<strong>Wanner</strong> Niemand hat Ihnen befohlen, dort einzusteigen. Ich<br />

hätte Ihnen die Türe schon aufgemacht. Ich habe nichts<br />

zu verbergen.<br />

Hungerbühler drückt ein Taschentuch gegen die Wunde. Kein<br />

Wunder. Ich habe ja auch kein Manuskript mehr zu<br />

stehlen.<br />

<strong>Wanner</strong> wirft erbost die Flasche weg. Ich habe in meinem<br />

ganzen Leben noch nie gestohlen. Zumindest nicht, seit<br />

mich mein Vater einmal erwischte. Reibt sich noch in<br />

Erinnerung die Wange.<br />

Hungerbühler Und ob Sie gestohlen haben, Sie kleptomanischer<br />

Lügenbold. Entnimmt seiner Aktentasche ein<br />

Wörterbuch, schlägt es an einer markierten Stelle<br />

auf. Unter <strong>Die</strong>bstahl versteht man laut Duden: „Das<br />

unrechtmässige Ansichbringen fremden Eigentums.“<br />

Entnimmt seiner Tasche ein Strafgesetzbuch. Und im<br />

Schweizerischen Strafgesetzbuch, Artikel 139 heisst<br />

es: „<strong>Die</strong>bstahl wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren<br />

oder mit Gefängnis bestraft.“ Sehr empfehlenswerte<br />

Lektüre für Ihresgleichen. Sie dürfen sie behalten.<br />

Reicht die beiden Bücher <strong>Wanner</strong>, der sie erzürnt<br />

wegwirft. Ich sehe, Sie haben Ihr eigenes<br />

Ablagesystem.<br />

<strong>Wanner</strong> Verlassen Sie meine Wohnung.<br />

Hungerbühler Jedenfalls war das, was Sie am <strong>Die</strong>nstag, 16. August,<br />

gegen sechzehn Uhr getan haben, nichts weiter als<br />

<strong>Die</strong>bstahl, Herr <strong>Wanner</strong>. Ein besonders verabscheuungswürdiger<br />

<strong>Die</strong>bstahl obendrein.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 27 -


<strong>Wanner</strong> Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass ich nie Zug<br />

fahre. Wer hat schon je von einem Automechaniker<br />

gehört, der Zug fährt. Lacht gezwungen.<br />

Hungerbühler Karosseriespengler, lieber <strong>Wanner</strong>, nicht Automechaniker.<br />

Zieht einen Ordner aus der Aktentasche<br />

und schlägt ihn auf. Darf ich Ihr Gedächtnis etwas<br />

auffrischen: Am Montag, 15. August, zwei Monate<br />

nach Ihrer Entlassung, verkauften Sie Ihr Auto Ihrem<br />

ehemaligen Arbeitgeber.Vermutlich brauchten Sie<br />

Geld, obwohl er Ihnen einen miserablen Preis zahlte.<br />

<strong>Wanner</strong> unwillkürlich. <strong>Die</strong>ser elende Halunke.<br />

Hungerbühler Erst vor vier Wochen kauften Sie Ihr Auto wieder<br />

zurück. Zu einem stolzen Aufpreis von 1500 Franken.<br />

<strong>Wanner</strong> erregt. <strong>Die</strong>sem Halsabschneider hätte ich am liebsten...<br />

Stutzt. Aber woher...? Verstummt.<br />

Hungerbühler Woher ich das alles weiss? Tja, wir Schriftsteller<br />

pflegen dann und wann zu recherchieren. Doch das<br />

brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen, nicht wahr, werter<br />

Kollege? <strong>Wanner</strong> holt sich schweigend eine Dose<br />

Bier, Hungerbühler blättert im Ordner weiter. Somit<br />

verfügten Sie am <strong>Die</strong>nstag, 16. August, <strong>über</strong> kein Auto<br />

und reisten mit dem Zug von Winterthur nach Zürich.<br />

Abfahrt fünfzehn Uhr vierzig, 2. Klasse hinten,<br />

Nichtraucher. Da sich <strong>Wanner</strong> eine Zigarette anzündet.<br />

Oh, ich sehe, Sie haben sich ausser dem<br />

Stehlen noch weitere Laster angewöhnt.<br />

<strong>Wanner</strong> Das geht Sie einen feuchten Dreck an. Zieht an der<br />

Zigarette und wirft sie angewidert zu Boden. Und<br />

selbst wenn ich in jenem verdammten Zug drin war.<br />

Das bedeutet noch lange nicht, dass ich diese alberne<br />

blaue Diskette gefunden habe.<br />

Hungerbühler Ach? Und woher wissen Sie dann, dass es eine blaue<br />

Diskette war? Immerhin sind die meisten Disketten<br />

grau oder schwarz. Es gibt sie aber auch in rot oder<br />

grün oder gelb, gelegentlich sogar in orange, meiner<br />

Lieb-lingsfarbe.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

<strong>Wanner</strong> nach einem Schluck Bier, fast schon müde. Weshalb<br />

scheren Sie sich nicht endlich zum Teufel!<br />

Hungerbühler Ich kann Sie mit Ihren Gewissensqualen doch nicht<br />

allein lassen, <strong>Wanner</strong>. Entnimmt dem Ordner ein<br />

Blatt. Ich habe ein schriftliches Geständnis vorbereitet,<br />

das Sie einfach unterschreiben können. Soll ich es<br />

vorlesen? Oder können Sie lesen?<br />

<strong>Wanner</strong> entreisst Hungerbühler zornig das Blatt, liest<br />

stockend. „Hiermit gestehe ich, <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>, im<br />

Vollbesitz meiner bescheidenen geistigen Fähigkeiten,<br />

dass ich...“ Zerknüllt das Blatt und wirft es weg.<br />

Hungerbühler Ts, ts, Sie haben gar nicht zu Ende gelesen, <strong>Wanner</strong>...<br />

<strong>Wanner</strong> Gar nichts werde ich unterschreiben.<br />

Hungerbühler Sie können auch einfach drei Kreuze hinsetzen. Ich<br />

habe noch ein paar Exemplare dabei.<br />

<strong>Wanner</strong> Ich habe nichts gestohlen. Ich habe die Diskette<br />

gefunden.<br />

Hungerbühler Natürlich. Immer vorausgesetzt man fasst den Begriff<br />

„finden“ etwas weniger eng als der Duden dort, was?<br />

<strong>Wanner</strong> Ich wollte sie im Fundbüro abgeben. Doch es - war<br />

geschlossen.<br />

Hungerbühler blättert im Ordner. Ihr Schnellzug kam um sechzehn<br />

Uhr nullfünf an - allenfalls mit drei, vier Minuten<br />

Verspätung. Das Fundbüro schliesst wochentags um<br />

zweiundzwanzig Uhr fünfzig. Sechseinhalb Stunden<br />

müssten eigentlich gerade noch reichen.<br />

<strong>Wanner</strong> Ich war in Eile. Ich wollte das dämliche Ding am<br />

nächsten Tag abgeben.<br />

Hungerbühler Was Sie nicht sagen.<br />

<strong>Wanner</strong> Ich vergass es in meiner Tasche. Denken Sie bloss<br />

nicht, ich hätte mir deswegen ständig den Kopf<br />

zerbrochen. Ein Arbeitsloser mit Rückenschaden hat<br />

ganz andere Sorgen, das lassen Sie sich mal gesagt<br />

sein.<br />

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- 29 -


Hungerbühler Ach? Rannten Sie deshalb mit der Diskette zum<br />

nächstbesten Verlag und gaben sich als grossen<br />

Schriftsteller aus?<br />

<strong>Wanner</strong> trinkt eine Dose leer und wirft sie weg. Also gut, Sie<br />

Nervtöter: Ich werd’ Ihnen verraten, wie’s wirklich<br />

war.<br />

Hungerbühler Es wird auch langsam Zeit.<br />

<strong>Wanner</strong> Letzten Sommer besuchte ich in Zürich einen<br />

Computerkurs für Arbeitslose.<br />

Hungerbühler mit Blick in den Ordner. Von Juli bis September bei<br />

einer Frau Lydia Schnellmann.<br />

<strong>Wanner</strong> Schlimm. Nicht nur wegen dieser Frau Schnellmann,<br />

sondern auch wegen diesen winzigen Tasten. Und<br />

diesem flirrenden Bildschirm. Ich hatte ständig einen<br />

solchen Brummschädel. Jedenfalls nahm ich die<br />

vermaledeite Diskette in den Kurs mit, um nachzusehn,<br />

ob <strong>über</strong>haupt etwas drauf war.<br />

Hungerbühler Worauf Sie dann Ihren Augen nicht trauten, wie?<br />

<strong>Wanner</strong> Stimmt. Völlig hirnrissiges Kauderwelsch war da<br />

drauf. Wie von einem Verrückten.<br />

Hungerbühler Das ist doch...<br />

<strong>Wanner</strong> Zuerst dachte ich noch, mit dem Computer stimme<br />

etwas nicht.<br />

Hungerbühler entrüstet. Jetzt reicht’s aber, Sie Kunstbanause.<br />

<strong>Wanner</strong> Doch plötzlich stand diese Frau Schnellmann hinter<br />

mir und wollte wissen, ob dies bereits meine Arbeit für<br />

nächste Woche sei. Und weil mir jene Arbeit ziemlich<br />

auf dem Magen lag, sagte ich halt ja. Worauf Frau<br />

Schnellmann die Diskette gleich mitnahm.<br />

Hungerbühler Und Sie wollen mir weis machen, Ihre Lehrerin habe<br />

Ihnen einen derartigen Text zugetraut?<br />

<strong>Wanner</strong> schulterzuckend. Offenbar hielt sie mich für total<br />

plemplem. Wie auch immer: Nur wenig später zeigte<br />

sie die Diskette ihrem Schwager, einem Verleger.<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Hungerbühler <strong>Die</strong>sem windigen Wichtigtuer von letzter Woche?<br />

<strong>Wanner</strong> nickt. Und plötzlich ging alles wahnsinnig schnell. Ich<br />

bin selber noch gar nicht richtig mit gekommen.<br />

Hungerbühler Eine bemerkenswerte Story, <strong>Wanner</strong>. Hollywood made<br />

in Switzerland. Fürs Happy End brauchen Sie nur noch<br />

zu unterschreiben. Hält ihm ein weiteres Geständnis<br />

hin. <strong>Wanner</strong> wirft es routiniert weg.<br />

<strong>Wanner</strong> Wissen Sie, ich habe in letzter Zeit viel nachgedacht.<br />

Hungerbühler So? Womit denn?<br />

<strong>Wanner</strong> Und ich bin zum Schluss gekommen, dass alles eine<br />

Fügung des Schicksals war.<br />

Hungerbühler Eine Fügung des Schicksals?<br />

<strong>Wanner</strong> nickt. Als ich mein Auto verkaufen musste, war ich am<br />

Boden stört. Doch gleich bei meiner ersten Zugfahrt<br />

finde ich diese Diskette. Da muss irgendeine<br />

irgendeine höhere Macht im Spiel gewesen sein.<br />

Hungerbühler Sie glauben doch nicht etwa, ungeschoren davon zu<br />

kommen, wenn Sie Ihre ruchlose Tat einer höheren<br />

Macht unterschieben, oder?<br />

<strong>Wanner</strong> Was heisst hier „ungeschoren“? Vor zehn Tagen verliess<br />

mich meine Frau, weil sie die Lügen nicht mehr<br />

ertragen konnte.Und meine Stammtischkollegen<br />

wenden sich von mir ab, weil sie mich für einen<br />

abgehobenen Federhelden halten. Und weil ich in<br />

meinem nächsten Buch <strong>über</strong> sie schreiben könnte.<br />

Hungerbühler Ihr nächstes Buch. Ha! Der ist nicht schlecht!<br />

<strong>Wanner</strong> trotzig. Ich habe einen Vertrag für drei Bücher. Und am<br />

ersten arbeite ich bereits.<br />

Hungerbühler Nicht mehr lange, <strong>Wanner</strong>. Denn wissen Sie, ich habe<br />

nicht nur Papierkram mit dabei. Zieht aus der Tasche<br />

ein riesiges Klappmesser hervor. <strong>Die</strong>ses Klappmesser<br />

habe ich vor Jahren einem meiner Schüler<br />

abgenommen. Es ist immer noch verteufelt scharf.<br />

<strong>Wanner</strong> Dann stecken Sie es besser weg. Bei Ihrem Ungeschick<br />

säbeln Sie sich noch einen Finger ab.<br />

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- 31 -


Hungerbühler Erstens bin ich nicht ungeschickt, und zweitens säble<br />

ich Ihnen etwas ab, wenn Sie nicht augenblicklich<br />

unterschreiben.<br />

<strong>Wanner</strong> Dafür ist es doch längst zu spät. Ich habe bis anhin<br />

zwei Literaturpreise erhalten sowie einen<br />

eidgenössischen Förderbeitrag; ich gelte als Beweis<br />

dafür, wie wirkungsvoll unsere kantonalen<br />

Arbeitslosenprogramme sind; und mein Verleger<br />

verhandelt mit zwei Fernseh-sendern <strong>über</strong> so eine Talk-<br />

Dings.<br />

Hungerbühler Talkshow?<br />

<strong>Wanner</strong> Genau. Würde ich jetzt gestehen, wäre ich mit einem<br />

Schlag die Witzfigur der Nation.<br />

Hungerbühler grimmig. Lieber eine Witzfigur als eine Leiche.<br />

<strong>Wanner</strong> nicht triumphierend. Ach, Hungerbühler, Sie könnten<br />

doch keiner Fliege etwas zu Leide tun. Dank Ihres<br />

Buches kenne ich Sie beinahe ebenso gut wie mich<br />

selbst.<br />

Hungerbühler Na schön. Sie haben es so gewollt. Sterben Sie! Klappt<br />

das Messer auf, schneidet sich dabei aber tief in den<br />

linken Zeigefinger; lässt das Messer fallen. Aua!<br />

Verdammt! Verdammt!<br />

<strong>Wanner</strong> Sehen Sie. Ich hab’ ja gesagt, Sie sind ein Tollpatsch.<br />

Wenn meine Frau das Blut auf ihrem Teppich sähe...<br />

Geht auf Hungerbühler zu. Na, zeigen Sie schon her.<br />

Hungerbühler hebt rasch das Messer auf und fuchtelt<br />

damit herum, obwohl er es seiner verletzten<br />

Zeigefinger wegen kaum halten kann.<br />

Hungerbühler Kommen Sie mir ja nicht zu nahe. Verwundet bin ich<br />

besonders gefährlich... Sieht das Blut an sich herunter<br />

laufen. O Gott. Mir wird plötzlich so übel. Lässt das<br />

Messer fallen und sinkt in <strong>Wanner</strong>s Arme.<br />

<strong>Wanner</strong> Aua! Mein Rücken! He Sie! Lassen Sie sich nicht so<br />

hängen! Tätschelt Hungerbühlers Wange. Ohnmächtig,<br />

auch das noch. Was jetzt? Aufs Sofa. Legt<br />

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<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

<strong>Wanner</strong> aufs Sofa. Ich brauche Verbandszeug. Geht<br />

zur Türe, betrachtet das Blut. Das geht wohl nie mehr<br />

raus. Ab. Hungerbühler liegt stöhnend auf dem Sofa.<br />

Plötzlich richtet er sich auf.<br />

Hungerbühler Das Messer. Ich muss ihn umlegen. Wo ist das Messer?<br />

Sieht das Messer am Boden. Dort liegt es. Will<br />

aufstehen. O je, weshalb wird hier alles schwarz? Fällt<br />

aufs Sofa zurück. <strong>Wanner</strong> kehrt mit einem Erste-<br />

Hilfe-Kasten zurück.<br />

<strong>Wanner</strong> Wie fühlen Sie sich, Hungerbühler?<br />

Hungerbühler Blendend. Ich verblute ja nur.<br />

<strong>Wanner</strong> Sie haben höchstens einen Deziliter Blut verloren. Und<br />

mein Wohnzimmer ruiniert. Verbindet beide Zeigefinger,<br />

während Hungerbühler jammert.<br />

Hungerbühler Aua. Nicht so grob. Meine Finger sind keine Schraubenschlüssel.<br />

<strong>Wanner</strong> Schraubenschlüssel zappeln wenigstens nicht so<br />

herum.<br />

Hungerbühler Sie brauchen meine Zeigfinger nicht meterdick<br />

einzuwickeln; ich kann sie ja kaum mehr bewegen.<br />

<strong>Wanner</strong> Ich bin im Zivilschutz bei den Sanitätern, also reden<br />

Sie mir nicht drein. Hungerbühler lässt sich erschöpft<br />

zurück fallen. <strong>Wanner</strong> versieht Hungerbühlers<br />

Zeigefinger mit dicken Bandagen.<br />

So, das hätten wir.<br />

Hungerbühler Danke, dass Sie mich einbalsamieren wollen.<br />

Kurzes Schweigen.<br />

<strong>Wanner</strong> sich räuspernd. Ich - ich hätte vielleicht einen recht<br />

brauchbaren Vorschlag, Hungerbühler. Felix.<br />

Hungerbühler Für Sie immer noch Hungerbühler.<br />

<strong>Wanner</strong> Schön, Hungerbühler. Also: Da Sie ja keinerlei<br />

Beweise gegen mich haben...<br />

Hungerbühler Ich habe Ihr Geständnis. Sobald ich an mein Messer<br />

komme, kriege ich von Ihnen ein Geständnis.<br />

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Kein Aufführungsrecht.<br />

- 33 -


<strong>Wanner</strong> energisch. Jetzt lassen Sie das Geschwafel und hören<br />

mir zu.<br />

Hungerbühler Na gut. Wie lautet denn Ihr Vorschlag? Sie gestehen<br />

und ich verzichte auf eine Anklage, nehme ich<br />

an.<br />

<strong>Wanner</strong> Nein. Wir teilen uns die Arbeit.<br />

Hungerbühler Wir teilen uns die Arbeit?<br />

<strong>Wanner</strong> Genau.<br />

Hungerbühler Was zum Teufel meinen Sie mit „teilen“?<br />

<strong>Wanner</strong> Ganz einfach. Sie <strong>über</strong>nehmen das Schreiben und ich<br />

den restlichen Kram.<br />

Hungerbühler Was für einen „restlichen Kram“?<br />

<strong>Wanner</strong> Sie wissen schon: <strong>Die</strong> Interviews, die Fototermine, die<br />

Autogrammstunden, die Lesungen, die öffentlichen<br />

Auftritte; halt alles was mit Public Relations zusammen<br />

hängt.<br />

Hungerbühler beeindruckt, dass <strong>Wanner</strong> dieses Wort kennt. Public<br />

Relations.<br />

<strong>Wanner</strong> PR. Im Kulturbereich wichtiger denn je. Eifrig. Und<br />

vor allem habe ich darin mittlerweile reichlich<br />

Erfahrung.<br />

Hungerbühler richtet sich auf. Sie wollen mein PR-Verantwortlicher<br />

werden?<br />

<strong>Wanner</strong> Aber nein. Viel mehr als das. Ich würde Sie gegen<br />

aussen hin repräsentieren, während Sie inkognito<br />

schreiben könnten.<br />

Hungerbühler Inkognito?<br />

<strong>Wanner</strong> redet sich in Fahrt. Gewiss. Sie könnten in aller Ruhe<br />

arbeiten. Unerkannt und ungestört. Ohne jeden<br />

Presserummel. Ohne diesen fürchterlichen<br />

Erfolgsdruck. Das würde alles ich <strong>über</strong>nehmen.<br />

Hungerbühler Sie?<br />

<strong>Wanner</strong> Ja, ich. Für Sie. Wir wären zwei Hälften eines Ganzen:<br />

Sing und Sang.<br />

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- 34 -


Hungerbühler Sie meinen: Ying und Yang.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

<strong>Wanner</strong> Genau. Ich wäre Ihr Gesicht, Ihre Stimme. Und Sie<br />

wiederum wären mein Geist und meine Seele.<br />

Hungerbühler Ihr Geist und Ihre Seele? Sie sind wohl<br />

<strong>über</strong>geschnappt.<br />

<strong>Wanner</strong> Ganz im Gegenteil. Natürlich würden wir uns den<br />

Gewinn fair teilen: Fifty-fifty.<br />

Hungerbühler Kommt <strong>über</strong>haupt nicht in Frage.<br />

<strong>Wanner</strong> Na schön: 60 für Sie, 40 für mich.<br />

Hungerbühler Vollkommen absurd.<br />

<strong>Wanner</strong> Also gut: 70 für Sie, 30 plus Spesen für mich.<br />

Hungerbühler Verschonen Sie mich mit Ihrem lächerlichen<br />

Kuhhandel. Ich brauche keinen ungebildeten Strohkopf<br />

- Strohmann, um mich dahinter zu verstecken.<br />

<strong>Wanner</strong> Was ist Ihnen denn wichtiger: Zu schreiben oder Ihr<br />

Bild in der „Goldpost“ zu sehen? Wollen Sie ein<br />

Künstler sein oder nur prominent?<br />

Hungerbühler Ich will meinen Roman zurück, zum Teufel nochmal.<br />

Meine Gedanken, meine Gefühle.<br />

<strong>Wanner</strong> Papperlapapp. Es geht Ihnen doch nur um den Ruhm,<br />

Hungerbühler. Sie wollen im Rampenlicht stehen,<br />

nichts weiter.<br />

Hungerbühler erbost. Ich will nicht im Rampenlicht stehen, Sie<br />

Ignorant; ich will etwas aussagen.<br />

<strong>Wanner</strong> Dann sagen Sie es durch mich.<br />

Hungerbühler Ich möchte etwas bewegen.<br />

<strong>Wanner</strong> Bewegen Sie es durch mich.<br />

Hungerbühler Ich will etwas verändern.<br />

<strong>Wanner</strong> Verändern Sie es durch mich. Sie würden damit eine<br />

Unmenge Zeit sparen. Und Ihre Kräfte und Nerven<br />

schonen. Sie wirken übrigens immer noch sehr<br />

angespannt und blass.<br />

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- 35 -


Hungerbühler Ich fühle mich auch hundeelend. Er lehnt sich wieder<br />

zurück, legt die Brille auf den Boden und massiert<br />

sich die Schläfen. Nach einer Weile. Vielleicht hat Ihr<br />

Vorschlag ja tatsächlich etwas für sich, <strong>Wanner</strong>.<br />

Womöglich ist er gar nicht mal so unsinnig.<br />

<strong>Wanner</strong> Glauben Sie?<br />

Hungerbühler Manchmal fühle ich mich tatsächlich ungeheuer<br />

erschöpft. Oder wage mich vor lauter<br />

Depressionen kaum aus dem Haus.<br />

<strong>Wanner</strong> Wirklich? Das freut mich aber. Ich meine, es freut<br />

mich, dass Sie meinen Vorschlag <strong>über</strong>denken wollen.<br />

Drückt <strong>über</strong>schwenglich Hungerbühlers verletzte<br />

Hände.<br />

Hungerbühler Aua! Lassen Sie sofort meine Hände los. Noch habe<br />

ich nicht eingewilligt.<br />

<strong>Wanner</strong> Aber Sie <strong>über</strong>legen es sich, nicht wahr? Sie <strong>über</strong>legen<br />

es sich.<br />

Es klingelt an der Wohnungstüre.<br />

Hungerbühler sitzt rasch auf. Wer kann das sein? Ihre Frau?<br />

<strong>Wanner</strong> schüttelt den Kopf. Sie würde nicht klingeln.<br />

Wahrscheinlich mein Verleger.<br />

Hungerbühler Den Mistkerl bringe ich gleich mit um.<br />

<strong>Wanner</strong> Unsinn. Verstecken Sie sich. Er braucht Sie hier nicht<br />

zu sehen. Hievt Hungerbühler hoch, steht dabei auf<br />

dessen Brille.<br />

Hungerbühler Meine Brille! Sie Halbschuh haben meine Brille<br />

zertreten.<br />

<strong>Wanner</strong> Verstecken Sie sich hinter dem Sofa.<br />

Hungerbühler Ohne meine Brille sehe ich aber nichts.<br />

<strong>Wanner</strong> Sie müssen auch nichts sehen. Hauptsache, man sieht<br />

Sie nicht. Es klingelt ungeduldig. <strong>Wanner</strong> laut. Ich<br />

komm’ ja schon. Zu Hungerbühler. Los. Hinters Sofa<br />

mit Ihnen.<br />

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- 36 -


<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Hungerbühler Wo ist denn das Sofa? <strong>Wanner</strong> wuchtet Hungerbühler<br />

<strong>über</strong>s Sofa, worauf dieser dahinter zu Boden plumpst.<br />

Aua! Meine Hände.<br />

<strong>Wanner</strong> Psst.<br />

Der Verleger tritt ein.<br />

Verleger Abend, <strong>Wanner</strong>. Habe mir erlaubt einzutreten. Ich<br />

kenne ja mittlerweile den Weg. Schüttelt ihm die<br />

Hand. Sagen Sie mal, wie sehen Sie denn aus! Und das<br />

Zimmer erst!<br />

<strong>Wanner</strong> Ich...<br />

Verleger Vor lauter Schreiben keine Zeit zum Aufräumen, was?<br />

Ich werde Ihnen eine Putzfrau vorbei schicken. Schiebt<br />

das Sofa zur Wand hin, so dass Hungerbühler<br />

dahinter eingeklemmt wird.<br />

Hungerbühler Ahh!<br />

Verleger verblüfft. Was war denn das?<br />

<strong>Wanner</strong> Das? Äh, das war mein Rücken. Demonstriert seine<br />

Schmerzen. Ahh!<br />

Verleger Sie haben also schon fleissig geschrieben. Darf man<br />

einen Blick drauf werfen?<br />

<strong>Wanner</strong> stellt sich beschützend vor den Computer. Ich - ich bin<br />

noch nicht ganz fertig.<br />

Verleger Macht nichts. Es geht nur um einen ersten Eindruck.<br />

<strong>Wanner</strong> Ich bin eigentlich eher noch ganz am Anfang.<br />

Verleger Verstehe. Ein Schreibstau. Ein writer’s block. Klopft<br />

<strong>Wanner</strong> auf die Schulter. Kein Grund zur<br />

Verzweiflung, <strong>Wanner</strong>. Das ist schon ganz anderen<br />

widerfahren.<br />

<strong>Wanner</strong> erleichtert. Wirklich?<br />

Verleger nickt. Konsalik soll mal zwei Wochen lang keine<br />

einzige Zeile geschrieben haben.<br />

<strong>Wanner</strong> Oh.<br />

Verleger greift in seine Aktentasche. Da ich mit dieser<br />

Möglichkeit beinahe gerechnet habe, habe ich mir von<br />

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<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

<strong>Wanner</strong><br />

Verleger<br />

<strong>Wanner</strong><br />

unserem Lektor ein erstes Manuskript entwerfen<br />

lassen. Noch nicht ganz ausgefeilt, aber, wie ich denke,<br />

ganz in Ihrem Sinne. Reicht es <strong>Wanner</strong>. Gehen Sie es<br />

bei Gelegenheit doch rasch durch, damit ein<br />

waschechter <strong>Wanner</strong> draus wird, einverstanden?<br />

Also ich...<br />

Und was die Abreise Ihrer Frau betrifft, brauchen Sie<br />

sich nicht länger zu grämen.<br />

Nein?<br />

Nein. Wir gehen damit publizistisch voll in die<br />

Offensive. Wir schildern den Medien, wie Ihre Ehe an<br />

Ihrer Berufung zerbrechen musste und dass Sie als<br />

Autor die Einsamkeit brauchen.<br />

Nun ich weiss nicht recht...<br />

Glauben Sie mir, die einsamen Frauenherzen werden<br />

Ihnen danach nur so zufliegen. Reicht <strong>Wanner</strong> eine<br />

Aktenmappe. Hier haben Sie noch die Termine für<br />

nächste Woche. Montagvormittag: Autogrammstunde<br />

in der grössten Buchhandlung von Dagmarsellen; nachmittags:<br />

Fotoaufnahmen für Ihren neuen Hauptsponsor<br />

Krähenbühl Siebdruck; und am Abend: Podiumsgespräch<br />

mit dem Lesezirkel Schwamendingen.<br />

Am Montagabend wollte ich mir eigentlich eine<br />

Sportsendung ansehen.<br />

leichthin. Daraus wird wohl nichts. Am <strong>Die</strong>nstagvormittag:<br />

Autogrammstunde in...<br />

Schon wieder eine Autogrammstunde?<br />

Was soll das heissen: „schon wieder“? Jetzt hör’n Sie<br />

mal zu, <strong>Wanner</strong>. Auf den Tasten rumhauen ist das eine.<br />

Doch wenn man ein Buch auch verkaufen will, ist es<br />

damit noch lange nicht getan.<br />

Aber wollten wir nicht bei Gelegenheit meinen Vertrag<br />

besprechen? Mein Anteil dünkt mich eigentlich<br />

ziemlich bescheiden.<br />

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- 38 -


<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Verleger Jetzt schlägt’s wohl dreizehn. Ich reiss mir für Sie den<br />

Hintern auf, sorge dafür, dass Ihre Visage bekannter<br />

wird als die von Sepp Trütsch; und zum Dank mäkeln<br />

Sie an unserm Vertrag herum.<br />

<strong>Wanner</strong> Ich meine doch nur, mein Buch hat dies alles erst<br />

ermöglicht.<br />

Verleger Hören wir endlich auf, uns etwas vorzumachen,<br />

<strong>Wanner</strong>. Sie haben das Buch nicht geschrieben. Sie<br />

haben das Manuskript im Zugabteil gefunden, so wie<br />

dieser Hugentobler es beschrieben hat.<br />

Hungerbühler hinter dem Sofa. Hungerbühler. Felix Hungerbühler.<br />

Verleger Oder wie dieser Holzkopf auch immer heissen mag.<br />

Das Ganze war mir ja von Beginn weg suspekt, doch<br />

andererseits sagte ich mir: Warum eigentlich nicht?<br />

Bloss weil jemand etwas von Autos versteht, braucht er<br />

keine Dumpfbacke zu sein. Mein Garagist<br />

beispielsweise ist verflucht gerissen. Als aber dieser<br />

Hugentobler...<br />

Hungerbühler Hungerbühler.<br />

Verleger ... meinetwegen, als er auftauchte, war der Fall für<br />

mich noch offensichtlicher als bei „Derrick“. Ihr<br />

Glück, <strong>Wanner</strong>, dass dieser Typ eindeutig einen<br />

schweren Knacks hat. Und dass sich ein schreibender<br />

Auto-mechaniker bedeutend besser vermarkten lässt als<br />

der zwölftausendste Schullehrer mit dubiosen<br />

literarischen Ambitionen.<br />

Hungerbühler hinter dem Sofa hervorspringend, wobei er die<br />

kaputte Brille so vors Gesicht hält, dass er dennoch<br />

etwas sieht. Jetzt reicht’s aber, Sie skrupelloser<br />

Profitjäger. Ich habe weder einen Knacks noch dubiose<br />

Ambitionen.<br />

Verleger erschrickt. Was zum Henker tun Sie hier?<br />

Hungerbühler Dasselbe wie vor drei Tagen. Ich fordere meinen<br />

Roman zurück.<br />

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- 39 -


Verleger Wenn Sie diese Wohnung nicht augenblicklich<br />

verlassen, hole ich die Polizei.<br />

<strong>Wanner</strong> fest. Nein, das werden Sie nicht tun.<br />

Verleger Ach? Und weshalb nicht?<br />

<strong>Wanner</strong> Weil Herr Hungerbühler mein Gast ist.<br />

Verleger Wie bitte? Ihr Gast? Dann verbiete ich Ihnen hiermit<br />

einen derartigen Umgang, <strong>Wanner</strong>. Zu Hungerbühler,<br />

der auf allen vieren am Boden kriecht. Was tun Sie da<br />

am Boden?<br />

Hungerbühler Ich habe das hier gesucht. Steht mit dem Messer auf.<br />

Er hat Mühe es zu halten, da seine Zeigefinger<br />

eingebunden sind und er mit der linken Hand die<br />

Brille vor das Gesicht halten muss. Wenn Sie nicht<br />

abhauen, haue ich Ihnen was ab. Schwingt das Messer<br />

wild in der Luft.<br />

Verleger bekommt es mit der Angst zu tun. <strong>Wanner</strong>, halten Sie<br />

mir diesen Wahnsinnigen vom Leib. <strong>Wanner</strong> sieht<br />

schweigend zu. Der ist ja gemeingefährlich. Rennt,<br />

von Hungerbühler verfolgt, um den Tisch herum. Zu<br />

Hilfe!<br />

Hungerbühler Sie werden schon sehen, wie teuer <strong>Die</strong>bstahl von<br />

geistigem Eigentum zu stehen kommt.<br />

Verleger tippt auf seinem Funktelefon eine Nummer. Nehmen<br />

Sie ihm das verdammte Messer weg, <strong>Wanner</strong>. <strong>Wanner</strong><br />

setzt sich. Verleger ins Telefon. Hallo? Polizei? Hören<br />

Sie mich?! Ich bin hier an der Glockengasse 6 und<br />

werde von einem Amokläufer verfolgt. Nein, nicht<br />

Schokomasse. Glockengasse. Es geht um Leben und<br />

Tod. Er stürzt, das Telefon rutscht unters Sofa. Na<br />

schön, ich gehe. Ich gehe ja schon. Doch ich werde<br />

dafür sorgen, dass Sie wieder in der Klappsmühle<br />

landen, Hungerbühler, verlassen Sie sich drauf. Und<br />

Sie, <strong>Wanner</strong>, spielen unser Spiel zu Ende. Zu meinen<br />

Bedingungen. Ab.<br />

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- 40 -


<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Hungerbühler hat in der Hitze des Gefechts die Brille verloren. Wo<br />

verkriecht sich das Schwein? Ich lege es um.<br />

<strong>Wanner</strong> Das Schwein ist abgehauen, Hungerbühler. Quiekend,<br />

wie es sich für ein Schwein gehört.<br />

Hungerbühler Abgehauen?<br />

<strong>Wanner</strong> Ja.<br />

Hungerbühler Quiekend?<br />

<strong>Wanner</strong> Wie auf dem Weg zur Schlachtbank. Imitiert das<br />

Quieken eines Schweins. Iiii-iiii-iiii.<br />

Hungerbühler Oink-oink-iiii-iiii. Sie imitieren gemeinsam und<br />

lachen herzhaft. Hungerbühler fuchtelt dabei mit<br />

dem Messer herum, weshalb <strong>Wanner</strong> es ihm abnimmt<br />

und auf den Tisch legt.<br />

<strong>Wanner</strong> Vorsicht, das Ding kitzelt.<br />

Hungerbühler Vor lauter Schiss hat der doch gleich ein<br />

Ringelschwänzchen gekriegt.<br />

<strong>Wanner</strong> Etwa so? Deutet ein geringeltes Geschlechtsorgan an,<br />

beide brüllen vor Lachen.<br />

Hungerbühler Der hat von jetzt an grosse Mühe mit dem Zielen.<br />

Gelächter.<br />

<strong>Wanner</strong> Und mit dem... du weisst schon was... Sie können sich<br />

kaum mehr beruhigen. Schliesslich aber, abrupt.<br />

Hungerbühler Das Schwein will mich einlochen lassen, <strong>Isidor</strong>.<br />

<strong>Wanner</strong> Ich weiss. Und ich bin schuld. Schweigen. Ich werde<br />

dein idiotisches Geständnis unterschreiben,<br />

Felix.<br />

Hungerbühler ernst. Bist du dir auch ganz sicher?<br />

<strong>Wanner</strong> Absolut. Lieber eine Witzfigur als eine Marionette.<br />

Hungerbühler Du wirst es nicht bereuen, <strong>Isidor</strong>.<br />

<strong>Wanner</strong> Wahrscheinlich doch. Ich hole meinen Füller. Ab.<br />

Hungerbühler nachdenklich. Ich krieg’ meinen Roman zurück.<br />

Erfreut. Ich krieg’ meine vier Jahre zurück. Jubelnd.<br />

Und ich werde berühmt und angesehen. Etwas ertappt<br />

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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 41 -


zur Türe hin. Was freilich völlig nebensächlich ist.<br />

Meine Dokumente. Wo ist die Aktentasche? Sucht auf<br />

dem Boden. Ohne Brille finde ich gar nichts in diesem<br />

Schweinestall! Oink-oink-iiii-iiii. Lacht. Moment, lag<br />

die Tasche nicht noch eben auf dem Tisch... Wirft<br />

Pizzaschachteln, Bierdosen und anderen Abfall<br />

beschwingt nach allen Seiten. Auch sein Messer<br />

schleudert er, ohne es zu realisieren, weg; links - zur<br />

Türe hinaus.<br />

<strong>Wanner</strong> von draussen. Also, dann wollen wir... aaaaah!<br />

Hungerbühler hat weiter gesucht und die Aktentasche gefunden. Ah,<br />

da ist sie ja.<br />

<strong>Wanner</strong> torkelt ins Zimmer, das Messer im Bauch. Scheisse,<br />

Felix. Damit hatte ich nicht mehr gerechnet.<br />

Hungerbühler Was ist denn mit dir los? Sieht zu <strong>Wanner</strong> und<br />

erschrickt. Du meine Güte, was hast du denn?<br />

<strong>Wanner</strong> Wenn mich nicht alles täuscht, ein Messer im Bauch.<br />

Hungerbühler O mein Gott! Wie ist das passiert? Was habe ich bloss<br />

getan!<br />

<strong>Wanner</strong> ohne Vorwurf. Ich wollte diesen albernen Wisch doch<br />

gerade unterschreiben. Lässt den Füller fallen.<br />

Hungerbühler Um Himmels Willen, das war doch keine Absicht,<br />

<strong>Isidor</strong>. Das war ein Unfall. Meine Brille. Wo ist meine<br />

gottverdammte Brille? Tastet nach ihr.<br />

<strong>Wanner</strong> Bis anhin zwickte es mich ständig im Rücken. Jetzt<br />

sticht’s mal zur Abwechslung im Bauch.<br />

Hungerbühler seine Brille suchend. Nicht reden, <strong>Isidor</strong>. Du darfst<br />

dich jetzt nicht anstrengen.<br />

<strong>Wanner</strong> Ich seh bestimmt aus wie eine abgestochene Sau. Iiiiiiii.<br />

Lacht, bis er husten muss und auf die Knie fällt.<br />

Hungerbühler Nein, <strong>Isidor</strong>! Findet die Brille. Gütiger Himmel! Was<br />

soll ich bloss tun? Du warst doch bei den Sanitätern.<br />

Soll ich das Messer rausziehn oder eben nicht?<br />

<strong>Wanner</strong> Du musst... Hustet. Du musst...<br />

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- 42 -


<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Hungerbühler Ich muss was? Sag, was ich tun muss!<br />

<strong>Wanner</strong> Du musst mir verraten: Waren die Hoden deines<br />

Cousins wirklich so unglaublich... du weisst schon...<br />

Fällt zu Boden.<br />

Hungerbühler Neeeiiin! Du darfst nicht sterben, <strong>Isidor</strong>. Stützt<br />

<strong>Wanner</strong>s Kopf. Du musst doch noch unterschreiben.<br />

Du musst der Welt die <strong>Wahrheit</strong> verkünden. <strong>Die</strong><br />

<strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>.<br />

<strong>Wanner</strong> entrückt lächelnd. Verrückt, dass selbst ein einfacher<br />

Automechaniker mit einem so grossen Geheimnis<br />

abtreten kann.<br />

Hungerbühler Karosseriespengler, <strong>Isidor</strong>, nicht Automechaniker.<br />

<strong>Wanner</strong> Was soll’s. Sein Kopf fällt zurück.<br />

Hungerbühler Beatmen. Ich muss ihn beatmen. Mein Gott, wie macht<br />

man das schon wieder? Versucht es.<br />

<strong>Wanner</strong> gutmütig. Nicht ins Ohr, du Tollpatsch. Stirbt.<br />

Hungerbühler schreiend. <strong>Isidor</strong>!!! <strong>Wanner</strong>! Schüttelt ihn. Hör sofort<br />

auf damit!! O mein Gott! Lässt <strong>Wanner</strong>s Kopf fallen.<br />

O mein Gott! Steht auf. Das wird mir keiner glauben.<br />

Niemals. Stolpert <strong>über</strong> den Tisch und ergreift die<br />

Aktentasche. Mit einem letzten Blick auf <strong>Wanner</strong>. O<br />

mein Gott! Taumelnd ab.<br />

Kein Vorhang<br />

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- 43 -


Epilog<br />

<strong>Die</strong> Gruppe aus dem Prolog betritt wieder die Bühne,<br />

wenn möglich nicht durch die Türe. <strong>Wanner</strong> bleibt tot<br />

liegen; die Gruppe benimmt sich aber so, als habe<br />

sich gegen<strong>über</strong> dem Prolog nichts verändert.<br />

Führerin Und so, meine Damen und Herren, endete also der<br />

unvergleichliche <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>.<br />

Schöne Frau mit einem Taschentuch eine Träne wegtupfend. Ein<br />

furchtbares Ende.<br />

Junger Mann Ein tragisches Ende.<br />

Älterer Herr bemüht den Jüngeren zu <strong>über</strong>treffen. Ein<br />

alttestamentarisches Ende.<br />

Junge Frau Wahnsinn. Dann war dieser <strong>Wanner</strong> also nichts weiter<br />

als ein Schwindler. Und sein Tod nur ein dummer<br />

Unfall.<br />

Schöne Frau entsetzt. Wie bitte? <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> ein Schwindler?<br />

Junger Mann verständnislos. Sein Tod nur ein Unfall?<br />

Älterer Herr Nun gehen Sie aber entschieden zu weit, mein<br />

Fräulein.<br />

Junge Frau Aber wieso denn? Wir haben doch eben gehört, wie<br />

dieser <strong>Wanner</strong>...<br />

Führerin Was ich Ihnen erzählt habe, weiss ich sehr wohl.<br />

Nämlich das, was Felix Hungerbühler am nächsten Tag<br />

der Polizei zu Protokoll zu geben beliebte.<br />

Älterer Herr <strong>Die</strong> Ausgeburt seiner kranken Phantasie.<br />

Führerin Seine eigene Version der Geschehnisse vermochte<br />

<strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> leider nicht mehr zu schildern.<br />

Älterer Herr Selbst der Wortgewaltigste verstummt im Tode. Da die<br />

schöne Frau schluchzt, tätschelt er sie. Nanana, es<br />

wird ja alles wieder gut.<br />

Führerin <strong>über</strong> die Unterbrechung wenig erfreut. Glücklicherweise<br />

gibt es da noch die höchst glaubwürdige<br />

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- 44 -


<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Aussage seines Verlegers, der <strong>Wanner</strong> an jenem Abend<br />

in der Gewalt dieses bewaffneten Unholds vorfand.<br />

Und der, selber von dessen Schusswaffe bedroht, in<br />

aller-höchster Not zu fliehen und die Polizei zu<br />

alarmieren vermochte.<br />

Älterer Herr <strong>Die</strong> jedoch leider Gottes zu spät eintraf.<br />

Führerin Nach diesen unfassbaren Ereignissen verschrieb sich<br />

der Verleger ganz der Aufgabe, <strong>Wanner</strong>s Erbe zu bewahren.<br />

Nur wenige Wochen nach dieser Bluttat<br />

gelang es ihm, aus dem unerwartet reichhaltigen<br />

Nachlass einen Roman sowie einen Gedichtband zu<br />

veröffentlichen.<br />

Junger Mann eifrig notierend. „Neues vom Wirbelmacher“ und<br />

„Folgt mir nach, ich geh voraus“.<br />

Älterer Mann Jedes für sich ein Meisterwerk.<br />

Führerin Zur Zeit sichtet dieser verdienstvolle Kunstförderer<br />

<strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>s Frühwerk. Und wie Sie sicherlich<br />

wissen, gründete er auch die <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>-Stiftung,<br />

die alljährlich den <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>-Gedenkpreis vergibt<br />

und der vorzusitzen ich die Ehre habe.<br />

Junge Frau Und wie erging es eigentlich Felix Hungerbühler?<br />

Älterer Herr erzürnt. <strong>Die</strong>sem gewissenlosen Schlächter erging es<br />

noch viel zu gut.<br />

Führerin Wegen vorgeblicher Unzurechnungsfähigkeit landete<br />

er wieder in einer Psychiatrischen Klinik. Es heisst, er<br />

schreibe dort unter irgendeinem Pseudonym an einem<br />

Theaterstück.<br />

Junger Mann Interessant. Weiss man, wor<strong>über</strong>?<br />

Führerin Angeblich lautet der Titel „<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong><br />

<strong>Wanner</strong>“.<br />

Junger Mann „<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>“.<br />

Älterer Herr „<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>“? Welch widerwärtiger<br />

Zynismus.<br />

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Junge Frau<br />

Junger Mann<br />

Älterer Herr<br />

Junge Frau<br />

Führerin<br />

Schöne Frau<br />

Älterer Herr<br />

Führerin<br />

Älterer Herr<br />

Schöne Frau<br />

Älterer Herr<br />

Führerin<br />

Junger Mann<br />

Führerin<br />

Na, ich weiss nicht. Vielleicht tauchen ja tatsächlich<br />

ein paar neue Fakten auf. Immerhin, verwunderlich ist<br />

es ja schon, wenn ein Karosseriespengler urplötzlich...<br />

<strong>Die</strong> schöne Frau schreit auf.<br />

lässt sein Notizmaterial fallen. Meine Güte, bin ich<br />

erschrocken.<br />

Was haben Sie denn?<br />

zeigt auf <strong>Wanner</strong> am Boden. Da... da...<br />

genervt. Was ist da?<br />

Ich... einen Augenblick lang hätte ich schwören<br />

können, <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong> liege hier am Boden. Erstochen<br />

in seinem Blut.<br />

Das sind die Nerven. Sie sind etwas angespannt. Mit<br />

vorwurfsvollem Blick auf die junge Frau. Kein<br />

Wunder angesichts des Benehmens gewisser Leute.<br />

Gibt es noch Fragen zu <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>?<br />

zur schönen Frau. Kommen Sie. Ein romantisches<br />

Candle Light-Dinner wird Sie wieder beruhigen.<br />

Meinen Sie?<br />

Bestimmt. Zufällig kenne ich ein gemütliches Lokal<br />

gleich um die Ecke.<br />

Beide ab.<br />

ruft ihnen nach. Beachten Sie bitte die Kasse beim<br />

Ausgang. Spenden für die <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>-Stiftung sind<br />

immer willkommen.<br />

<strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>s Frühwerk wird bald publiziert, sagten<br />

Sie?<br />

Ganz richtig. Erstaunlich reife Aufsätze aus seiner<br />

Lehrzeit sowie Kurzgeschichten, die er in<br />

Arbeitspausen auf ölverschmierte Blätter hingeworfen<br />

hat. Ich hatte das Privileg, einige Kostproben lesen zu<br />

können, und Sie verzeihen, wenn ich ein weiteres Mal<br />

den Begriff „Meisterwerk“ bemühe.<br />

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Kein Aufführungsrecht.<br />

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Junge Frau<br />

Führerin<br />

<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong><br />

Und dieses Theaterstück von Felix Hungerbühler oder<br />

wie er sich jetzt nennt: „<strong>Die</strong> <strong>Wahrheit</strong> <strong>über</strong> <strong>Isidor</strong><br />

<strong>Wanner</strong>?“ Weiss man, wann es erscheinen soll?<br />

scharf. Ich weigere mich mir vorstellen, dass ein derart<br />

verlogenes Machwerk <strong>über</strong>haupt je vollendet werden<br />

wird, junge Frau. Aber falls doch, so werde ich als<br />

Vorsitzende der <strong>Isidor</strong> <strong>Wanner</strong>-Stiftung persönlich<br />

dafür sorgen, das es niemals aufgeführt wird. Mit<br />

Nachdruck. Glauben Sie mir: Niemals!<br />

Vorhang<br />

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Kein Aufführungsrecht.<br />

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