AJOURE´ Magazin Juni 2018
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AJOURE / KOLUMNE<br />
Umut, vom Bosporus ab ins idyllische Heidelberg,<br />
wo er sich dachte, er könne ja mal Germanistik<br />
studieren. Er kennt mehr Worte, als Langenscheidts<br />
komplette Enzyklopädie. Kaum jemand nimmt sich<br />
so oft selbst auf die Schippe und ist dabei gleichzeitig<br />
noch so zurückhaltend selbstkritisch.<br />
All Eyes On You<br />
Umut Akcay<br />
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.<br />
Diese sechs Worte mögen vielleicht<br />
der Leitspruch für die eine oder andere<br />
Person innerhalb einer Beziehung<br />
sein, während sie bei der vertrauenden<br />
Bevölkerungshälfte Schweißperlen auf<br />
die Stirn zaubert, da sie Einengung,<br />
Kontrollwahn und krankhafte<br />
Eifersucht bedeuten. Bereits in der<br />
Jugend stellen wir fest, dass Vertrauen<br />
durchaus seltenes Gut ist, wenn unsere<br />
Mutter beim Aufräumen die sorgfältig<br />
versteckte Zigarettenschachtel oder,<br />
nicht gerade weniger schlimm, die<br />
Kondome entdeckt. Eine der wichtigsten<br />
Lebensaufgaben muss nun erlernt und bis<br />
ins kleinste Detail verinnerlicht werden.<br />
Man vertraut uns nicht. Mit dieser<br />
nonverbalen Unterrichtseinheit über<br />
Vertrauen, Kontrolle und Überwachung<br />
wachsen wir nun auf und stellen eines<br />
Tages fest, dass es durchaus berechtigt<br />
ist, uns in der einen oder anderen<br />
Situation nicht zu trauen und wir dies<br />
ebenfalls bei unseren Gegenübern nicht<br />
immer und vielleicht sogar wahrhaftig<br />
gar nicht tun sollten. Bis zum Auszug<br />
aus dem vertrauten Heim, wird der eine<br />
oder andere Leser dieser Kolumne sich<br />
wohl nickend eingestehen, hat nahezu<br />
ein jeder von uns schon manch eine<br />
Lüge aufgetischt, natürlich nur um zu<br />
überleben. Wäre das nicht notwendig<br />
gewesen, hätten wir das sicherlich nie<br />
getan. Wieso denn auch?<br />
Nun stellen wir heute, einige Jahre später,<br />
fest, dass es selbstverständlich auch ohne<br />
diese vermeintlich notwendigen Lügen<br />
möglich gewesen wäre, das heutige Alter<br />
problemlos zu erreichen. Warum dann<br />
lügen? Ein Schlagwort genügt, um die<br />
vorangegangene Frage zu beantworten,<br />
nämlich Bequemlichkeit. Der Luxus, den<br />
Konsequenzen, die mit der Wahrheit<br />
verbunden sind, zu entgehen und sich<br />
somit das Leben leichter zu machen,<br />
als es tatsächlich wäre. Also lügen wir,<br />
dass sich die Balken biegen und zwar<br />
im Elternhaus, in der Schule, im Job,<br />
in Freundschaften und in der Liebe.<br />
Der Teufelskreis beginnt. Hierdurch<br />
vertrauen wir weder uns noch unserem<br />
Gegenüber. Dieser Mangel an Vertrauen<br />
hat die Folge, dass nun ein wahnwitziger<br />
Staffellauf der Kontrolle beginnen darf.<br />
Stets im Wechsel gibt es prompt nur<br />
noch ein Objekt der Begierde in der<br />
Liebe und zwar das Handy unseres<br />
Partners. Als ob Facebook und diverse<br />
andere Perversionen des Internets<br />
unsere Daten und Chats nicht bereits<br />
im Visier hätten, sind sie nun auch im<br />
Fokus des Partners oder im eigenen<br />
Blickfeld. Sämtliche Chats und Fotos<br />
der Vergangenheit und Gegenwart<br />
werden wie von einem Scharfschützen,<br />
der sein Ziel ins Visier nimmt, erfasst.<br />
Das gefundene Beweismaterial wird<br />
analysiert, interpretiert, gewertet und<br />
somit darf unser Partner nun auch vor<br />
Gericht geladen werden. Ganz ohne<br />
Jurastudium befördern wir uns zum<br />
Richter mit absolutistischen Urteilen.<br />
So darf der Prozess endlich beginnen.<br />
Selbstverständlich hat der Angeklagte<br />
keinen Verteidiger, denn der persönliche<br />
Gerichtssaal obliegt nur unseren<br />
AJOURE MAGAZIN SEITE: 112 | JUNI <strong>2018</strong>