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BEITRÄGE<br />
86<br />
zu <strong>de</strong>m je größeren Gott begegnet uns in<br />
<strong>de</strong>n vielen herausgehobenen (vgl. Abraham,<br />
Sarah und die Erzelternerzählungen;<br />
Elia, Jeremia, Rut; Ester und Judit)<br />
und genauso in <strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>n ersten Blick<br />
unscheinbaren Personen- und Familiengeschichten<br />
<strong>de</strong>r Bibel.<br />
Die Botschaft und Sendung Jesu und<br />
seine Verkündigung <strong>als</strong> Messias Gottes<br />
zum Heil <strong>de</strong>r ganzen Welt ist hineingeschrieben<br />
in die Gottesoffenbarung an<br />
Israel, in die dramatische Bun<strong>de</strong>sgeschichte<br />
Gottes mit seinem Volk: In diesem<br />
Jesus von Nazaret spricht Gott sich<br />
selbst aus, wer er ist, wie er zu <strong>de</strong>n Menschen<br />
steht. Ein für alle Mal schenkt er<br />
sich ihnen in unergründlicher Liebe – einer<br />
Liebe, die <strong>de</strong>n Tod nicht scheut, son<strong>de</strong>rn<br />
im Gegenteil vernichtet. Jesu Kreuzestod<br />
ist paradoxerweise <strong>de</strong>r Erweis einer<br />
gewaltig-überlegenen Ohnmacht,<br />
<strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>r Liebe, die alle politische<br />
Macht, je<strong>de</strong>s irdische Kalkül zerstört. In<br />
<strong>de</strong>r gläubigen Begegnung mit diesem<br />
Jesus, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Tod nicht festhalten konnten,<br />
in seiner auf Vertrauen grün<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />
Nachfolge und in <strong>de</strong>r spürbaren Nähe<br />
und Gemeinschaft mit ihm ereignet sich<br />
die verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> und verbindliche Begegnung<br />
mit Gott selbst. Davon erzählen<br />
die Evangelien und die Briefe <strong>de</strong>s<br />
NT in all ihren einzelnen Szenen und<br />
Abschnitten.<br />
Die personalen Glaubens- und Lebenswege<br />
im AT und im NT sind I<strong>de</strong>ntifikationsangebote,<br />
<strong>de</strong>n eigenen Glaubensweg<br />
in ihnen zu erkennen und sich<br />
in allen Höhen und Tiefen geborgen zu<br />
wissen in <strong>de</strong>m Gott, <strong>de</strong>r seine Liebe<br />
niem<strong>als</strong> entzieht, und sei dieser Glaube<br />
aufs äußerste und schmerzlichste geprüft:<br />
Die Bibel verschweigt nicht die<br />
gesamte Bandbreite an tiefen Lei<strong>de</strong>rfahrungen,<br />
an aussichtsloser Verfahrenheit<br />
und Zerbrechlichkeit bzw.<br />
Zerbrochenheit <strong>de</strong>s Lebens (vgl. zugespitzt<br />
das Buch Hiob; die Passion und<br />
<strong>de</strong>r Tod Jesu). Sie verschweigt nicht<br />
das Ringen <strong>de</strong>r Menschen um Gott, die<br />
abgrundtiefe Klage von Menschen, <strong>de</strong>ren<br />
Gottverlassenheit gera<strong>de</strong>zu körperlich<br />
erfahrbar ist (vgl. Ps 22 und seine<br />
Aufnahme in <strong>de</strong>r Passion Jesu). Der<br />
Psalter aus 150 Psalmen ist ein uner-<br />
INFORMATIONEN 32 2/2003<br />
schöpfliches Gebetbuch,<br />
eine verdichtete Antwort<br />
<strong>de</strong>s Glaubens Israels auf<br />
Gottes werben<strong>de</strong>n Ruf,<br />
eine Sammlung von Gebeten,<br />
die alle nur <strong>de</strong>nkbaren<br />
Lebenssituationen<br />
<strong>de</strong>s Menschen aufgreifen<br />
und vor Gott tragen, um<br />
sie so durchsichtig zu<br />
machen für die unstillbare<br />
Hoffnung auf Gottes<br />
Hilfe. Es sind gera<strong>de</strong> die<br />
zunächst so anstößigen<br />
Fluchpsalmen, in <strong>de</strong>nen<br />
<strong>de</strong>r Beten<strong>de</strong> seine ehrlich<br />
eingestan<strong>de</strong>nen Rachebedürfnisse<br />
und -wünsche<br />
im Gebet vor Gott<br />
ausspricht, sie Gott anheim<br />
stellt und auf diese<br />
Weise eben nicht selbst<br />
in die Hand nimmt. 5<br />
Wer <strong>de</strong>r Mensch ist,<br />
worin seine Grenzen und<br />
Fehler einerseits wie seine Wür<strong>de</strong> und<br />
Annahme durch Gott bestehten, das<br />
buchstabieren die Psalmen in einer<br />
Weise, die poetisch, existenziell und<br />
spirituell in <strong>de</strong>r Weltliteratur keine Parallele<br />
hat. 6 Bei Rainer Maria Rilke fin<strong>de</strong>t<br />
sich folgen<strong>de</strong>s Selbstzeugnis:<br />
„Ich habe die Nacht einsam<br />
hingebracht …<br />
und habe schließlich … die<br />
Psalmen gelesen,<br />
eines <strong>de</strong>r wenigen Bücher, in<br />
<strong>de</strong>m man sich restlos unterbringt,<br />
mag man noch so zerstreut<br />
und ungeordnet und angefochten<br />
sein.“ 7<br />
Die Dramatik <strong>de</strong>r jüdisch-christlichen<br />
Gottesbeziehung lässt sich an einer<br />
biblischen Schlüsselerzählung veranschaulichen:<br />
In <strong>de</strong>m Ringen Jakobs<br />
mit einem Unbekannten im Morgengrauen<br />
am Jabbok (Gen 32,23-33)<br />
schenkt uns die Bibel ein verdichtetes<br />
Grundbild <strong>de</strong>s biblischen Glaubens,<br />
das fern ist von allem Kitsch und aller<br />
billigen Vertröstung. 8 Rembrandt hat<br />
Rembrandt • Jakobs Kampf mit <strong>de</strong>m Engel • um 1660 © Foto: akg-images<br />
diese Urszene eindrucksvoll veranschaulicht.<br />
Im Ringkampf mit <strong>de</strong>m<br />
Frem<strong>de</strong>n erhält Jakob einen neuen Namen:<br />
„Du sollst nicht mehr Jakob heißen,<br />
son<strong>de</strong>rn Israel [d.i. Gottesstreiter].<br />
Denn du hast mit Gott und mit Menschen<br />
gestritten und hast obsiegt“<br />
(32,28). Auch wenn diese Erklärung<br />
<strong>de</strong>s Namens Israel etymologisch keine<br />
Ursprünglichkeit beanspruchen kann 9 ,<br />
so bleibt <strong>de</strong>nnoch festzuhalten: In Jakob,<br />
<strong>de</strong>r <strong>als</strong> Stammvater für das Gottesvolk<br />
steht, ist das ganze Gottesvolk an<br />
seinen ureigenen Platz verwiesen: mit<br />
Gott zu ringen um seine Zuwendung,<br />
um seinen Segen, <strong>de</strong>n er für immer und<br />
für alle Menschen bereit hält.<br />
4. Die Reich-Gottes-Verkündigung<br />
und Sendung Jesu<br />
Die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Bezugsgröße <strong>de</strong>s<br />
neutestamentlichen Gottesbil<strong>de</strong>s ist das<br />
Alte Testament, aus <strong>de</strong>ssen Sicht die<br />
Verkündigung und Sendung Jesu, sein<br />
Tod und seine Auferstehung ge<strong>de</strong>utet<br />
wer<strong>de</strong>n. Die Gottesbotschaft <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>n<br />
Jesus von Nazaret steht grundlegend in