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Wildpark-West Herbst 2018

Heimatzeitschrift von Bürgern für Bürger in Wildpark-West und Umgebung gemacht.

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Vor 92 Jahren entstand der Werftbetrieb auf dem Gallin, dem heutigen<br />

<strong>Wildpark</strong>-<strong>West</strong>. Die Bootswerft Görrissen besteht länger als die Siedlung selber.<br />

Bootswerft mit Tradition<br />

VON FREDA GÖRRISSEN<br />

Mit gerade einmal 21 Jahren<br />

gründete mein Urgroßvater<br />

Wilhelm im heutigen<br />

Ortsteil <strong>Wildpark</strong>-<strong>West</strong><br />

seinen Werftbetrieb mit dem dazugehörigen<br />

Bootsplatz „Wochenend“.<br />

Die älteren <strong>Wildpark</strong>er werden sich<br />

noch an ihn erinnern: In seinen letzten<br />

Lebensjahren, sitzend und Geschichten<br />

erzählend mit Zigarre in<br />

der Hand auf der Bank vorm Werftbüro,<br />

berichtete er unglaubliches aus<br />

der Zeit der goldenen Zwanziger und<br />

der schweren Zeit nach dem Krieg.<br />

Manchmal war er wohl etwas grantig<br />

– so erzählt man – doch im Herzen war<br />

er gut.<br />

Wilhelm, Sohn eines echten<br />

Kap-Hoorniers, wurde am 27. November<br />

1905 in Berlin-Wannsee geboren.<br />

Seine Bootsbaulehre absolvierte er<br />

in Potsdam und der Meistertitel ließ<br />

nicht lange auf sich warten. Der Anfang<br />

seines kleinen Betriebs war jedoch<br />

schwer und sehr entbehrungsreich<br />

für den Werftgründer. 1928<br />

wurde eine große Bootshalle gebaut,<br />

die seitlich Kammern zum Übernachten<br />

für Kunden aufwies. Während der<br />

Anfangszeit wurden in dem kleinen<br />

Werftbetrieb 15er und 20er Rennjollen<br />

gebaut, mit denen sich Wilhelm<br />

erfolgreich an Regatten beteiligte.<br />

Kriegsgefangenschaft und<br />

fehlgeschlagene Grenzübertritte<br />

Als der „Führer und Reichskanzler“<br />

jedoch mehr geehrt wurde als<br />

der deutsche Segelmeister, war für<br />

Wilhelm Schluss mit dem aktiven<br />

Segelsport. Später erfolgte seine Einberufung<br />

zur Marine. Von der französischen<br />

Atlantikküste wurde Wilhelm<br />

zur Stabskompanie der Marine OKM<br />

in Berlin Treptow versetzt. Somit war<br />

er mehr oder weniger Außenschläfer,<br />

konnte also die Nächte auf seiner<br />

Werft verbringen. Zum Ende des<br />

Es folgten<br />

viele Jahre, in<br />

denen das nackte<br />

Überleben im<br />

Vordergrund<br />

stand<br />

Krieges folgten die Stationen Heiligendamm<br />

und Kappeln, ehe Wilhelm<br />

nach kurzer Kriegsgefangenschaft<br />

und mehreren fehlgeschlagenen<br />

Grenzübertritten an der Zonengrenze<br />

nach <strong>Wildpark</strong>-<strong>West</strong> an die Havel<br />

zurückkehrte. Dort wartete nicht nur<br />

seine Frau Gertrud, die die Werft<br />

ohne größere Schäden über den<br />

Krieg gebracht hatte, sondern auch<br />

seine Söhne Wilhelm jr., geb. 1929,<br />

und Jens, geb. 1944.<br />

Alle vorhandenen<br />

Boote an die Sowjetunion<br />

Es folgten viele Jahre, in denen<br />

das nackte Überleben im Vordergrund<br />

stand. Während dieser Zeit<br />

mussten Reparationsleistungen abgewickelt<br />

und fast alle vorhandenen<br />

Sportboote an die Sowjetunion abgeliefert<br />

werden. Dies wurde durch<br />

strenge Kontrollen überprüft. Auf der<br />

Werft arbeitete man zu dieser Zeit<br />

mit vier Mitarbeitern, um den Befehlen<br />

der Russen so schnell wie möglich<br />

nachzukommen. Aus dem Raum<br />

Werder/Havel wurden insgesamt<br />

zwei Güterzüge mit Schiffen beladen<br />

und abtransportiert. Größere Einheiten<br />

wurden nach Brandenburg/Havel<br />

gebracht und in Binnenschiffe verladen.<br />

Nach der erfolgten Ausführung<br />

der russischen Befehle gab es auf<br />

den Werften im Großraum Werder/<br />

Havel fast keine Boote mehr.<br />

Auswanderung nach Amerika<br />

Zu dieser Zeit wurde von der Familie<br />

an einer Auswanderung nach<br />

Amerika gefeilt. Zusammen mit dem<br />

Konstrukteur und leidenschaftlichen<br />

Segler Kurt Grunewald, war alles vorbereitet<br />

worden und drei amerikanische<br />

Wassersportzentren fielen in<br />

die engere Auswahl.<br />

Da für jeden Einwanderer eine<br />

Kaution hinterlegt werden musste,<br />

war die Summe für die ganze Familie<br />

von den Bekannten in Amerika jedoch<br />

nicht aufzubringen.<br />

Mitglied des Meisterprüfungsausschusses<br />

Nach der fehlgeschlagenen Auswanderung<br />

wurden wieder alle erdenklichen<br />

Arbeiten ausgeführt und<br />

trotz aller Schwierigkeiten begannen<br />

zwei Lehrlinge auf der Werft<br />

ihre Bootsbaulehre. Einer von ihnen<br />

wurde über alte Verbindungen zu<br />

Henry Rasmussen in die Werft Abeking<br />

und Rasmussen nach Lemwerder<br />

verlegt. Es war der älteste Sohn<br />

Wilhelms, Wilhelm Görrissen jr. Er<br />

hat dort, wie man zu sagen pflegt,<br />

die goldene Klinke bekommen und<br />

bis zu seiner Rente bei A&R gearbeitet.<br />

Vater Wilhelm Görrissen wurde<br />

Obermeister im Bezirk Potsdam, dem<br />

heutigen Land Brandenburg. Es waren<br />

im Großraum circa 40 Betriebe<br />

zusammenzuhalten. Außerdem war<br />

Wilhelm Mitglied des Meisterprüfungsausschusses,<br />

und so gingen<br />

zu dieser Zeit viele Prüflinge durch<br />

seine Hände. Diese Arbeiten wurden<br />

neben den allgemeinen Belastungen<br />

des Zwei-Mann-Betriebes ausgeführt<br />

und waren unter den politischen Gegebenheiten<br />

mehr als wichtig.<br />

Foto: Jana Fellenberg<br />

92 REPORTAGE WILDPARK WEST HERBST <strong>2018</strong>

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