Wildpark-West Herbst 2018
Heimatzeitschrift von Bürgern für Bürger in Wildpark-West und Umgebung gemacht.
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Im Schlepptau: Familienspaß auf dem Eis der Havel.<br />
Foto: Lars Augustin<br />
Das Eissegelabenteuer<br />
Hausbau über Nacht<br />
Es war das Jahr 1952 und wir hatten<br />
in dieser Zeit strengen Frost. Bei<br />
einem dieser Winterbesuche stand<br />
vor seiner Werft auf dem Eis ein<br />
nagelneu von ihm gebauter Segelschlitten.<br />
Was für eine Sensation!<br />
Und zwar hatte er einen schmalen<br />
Rumpf gebaut, mit einem Querträger<br />
vorn und einer Steuerkufe hinten<br />
versehen, um daraus ein rasend<br />
schnelles, mehr als 100 Stundenkilometer<br />
fahrendes Eissegelboot zu<br />
erhalten. Die Segel waren von einer<br />
O-Jolle. Natürlich waren wir im Nu<br />
au dem Boot und pefferten wie<br />
die Verrückten über das Eis zwischen<br />
<strong>Wildpark</strong>-<strong>West</strong> und Geltow.<br />
Wilhelm und ich segelten am<br />
späten Abend nach Werder rüber, und<br />
es gab an der engsten Stelle zwischen<br />
Werder und <strong>Wildpark</strong>-<strong>West</strong> in<br />
flotter Fahrt au einmal ein gewaltiges<br />
Krachen. Die Läuferkufe des<br />
Schlittens hob sich sich etwa zwei<br />
Meter höher, die andere Seite war<br />
eingebrochen und hing im Wasser.<br />
Wilhelm aber blieb ruhig, krabbelte<br />
auf die höchste Stelle und zündete<br />
sich in aller Ruhe eine Pfeife an.<br />
Da hörten wir auch schon die Stimmen<br />
der Werderaner und Geltower<br />
Fischer, die zu einer Hilfsaktion über<br />
das Eis gestartet waren und uns bei<br />
ihrer Annäherung wahnsinnig ob<br />
unseres Leichtsinns beschimpften.<br />
Sie hatten aber die Rechnung ohne<br />
Wilhelm gemacht, der schimpfte<br />
zurück, weil der Grund für diesen Unfall<br />
nicht bei ihm lag. Das Leck einer<br />
Gasleitung nach <strong>Wildpark</strong>-<strong>West</strong> hatte<br />
das Zufrieren an dieser Stelle verhin-<br />
dert. Der Eissegler wurde zur nahen<br />
Anlegestelle nach Werder gezogen<br />
und es versammelten sich so viele<br />
Schaulustige auf dem Eis, dass<br />
dies unter der Last nachgab<br />
und die Neugier mit Kälte be-<br />
strafte. Wir kamen natürlich<br />
trockenen Fußes an Land...<br />
Ob mit einem Eissegler, einem restaurierten<br />
D-Rad oder einem Hausboot<br />
– Wilhelm verstand es, die Leute<br />
zu überraschen. Noch einmal erwies<br />
er sich in den 70er Jahren als Realisator<br />
von scheinbar Unmöglichem.<br />
Über Nacht stand auf dem Werftgelände<br />
ein wunderschöner Fachwerkbau<br />
mit sauber ausgemauertem<br />
Gefach auf einem hoch aufgeschütteten<br />
Sockelgeschoss inklusive<br />
Garage. Das alles in einer Zeit, wo<br />
man schon froh war, irgendwo ein<br />
Stück echtes Holz zu bekommen<br />
und oft schon mit Pressspanplatten<br />
zufrieden war. Des Rätsels Lösung:<br />
Wilhelm, der weit vorausschauend<br />
plante, besaß natürlich eine Baugenehmigung,<br />
von denen im ganzen<br />
Bezirk Potsdam allerdings nur drei<br />
ausgestellt wurden. Das Holz stammte<br />
von Resten, die beim damaligen<br />
Bau der isenbahnbrücke abfielen ...<br />
Die obenstehenden Anekdoten<br />
entstammen dem Nachruf auf<br />
Wilhelm Görrissen, der 2003<br />
im 98. Lebensjahr verstarb.<br />
Ganz der Familientradition verfallen:<br />
Eissegeln ist eine Leidenschaft, die<br />
auch Sven Görrissen lebt. Foto: Jim Kent<br />
WILDPARK WEST HERBST <strong>2018</strong> REPORTAGE 95