art - Ensuite
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SZENE<br />
der beat-man-way<br />
Von Benedikt S<strong>art</strong>orius Bild: Daniel Desborough<br />
■ Reverend Beat-Man, Gründer und Vorsteher des<br />
weit über die Landesgrenzen hinausausstrahlenden<br />
Labels Voodoo Rhythm, ist ein Adept der Trash-<br />
Kultur und destilliert seinen scharfen Brand aus B-<br />
Movies, Wrestling, Science-Fiction, Rock’n’Roll und<br />
dem Wanderpredigertum. Er zelebriert den Dilettantismus,<br />
bezeichnet sich mit voller Überzeugung<br />
als «Nichtkönner» und entlarvt sich als Tief- oder<br />
eben doch als Hochstapler, der mit gross<strong>art</strong>igen<br />
Veröffentlichungen den rohen, primitiven Blues seit<br />
Jahren predigt – sei dies in seiner früheren Rolle als<br />
Lightning Beat Man, sei dies als Gitarrist und Sänger<br />
der irren The Monsters oder im Verbund mit der<br />
Industrial-Truppe Herpes Ö Deluxe. So überrascht<br />
es kaum, dass auch die neue Platte nur eines ist:<br />
umwerfend – und vielfältiger als je zuvor. «Surreal<br />
Folk Blues Gospel Trash Vol. 1» heisst diese, trägt<br />
der Einfachheit halber einzelne Komponenten des<br />
Beat-Man-Gegenuniversums gleich im Titel und<br />
führt musikalisch weiter als der brillante, weit rohere<br />
Vorgänger «Get On Your Knees».<br />
Verlassener Cowboy Das Album beginnt mit<br />
einem rollenden Delta-Blues: «The Clown Of The<br />
Town» bringt den klagenden Beat-Man im Trio mit<br />
Robert Butler an der Mundharmonika sowie den Ex-<br />
Dead-Brother Delaney Davidson am Schlagzeug. Es<br />
folgt die erprobte Ein-Mann-Band-Inkarnation. Der<br />
Reverend stürzt sich in das arg verzerrte «I Belong<br />
To You» und dampft das Gebräu zum Schluss in<br />
eine reduzierte akustische Gitarre ein. Die Western-<br />
Balladen «I’m Happy» und «Coco Grace» präsentieren<br />
Beat-Man als verlassenen Cowboy im tränenreichen<br />
Niemandsland, ehe wiederum mit Band<br />
der rockende «Jesus Christ Twist» angestimmt<br />
wird. Bedrohlich grollend beschwört der besessene<br />
Prediger die Zuhörerschaft durch Lärmwände hindurch<br />
– der Teufelsritt dieser Platte.<br />
Eine Türe öffnet sich knarzend, säuselndes Pfeifen<br />
w<strong>art</strong>et im hawaiianisch angehauchten Paradies<br />
von «Our Girls», nur die Stimme kräht unnachahm-<br />
lich weiter in rudimentärem Englisch mit Akzent. Ein<br />
neues Leben soll begonnen, eine Familie gegründet<br />
werden. Die Frau seines Lebens fi ndet sich schnell<br />
im beschwingten Surf-Gitarren-Saloon von «Another<br />
Day Another Live», der abrupte Abbruch des<br />
Optimismus folgt auf dem Fuss, ein lebenserfahrener<br />
und gebrochener Reverend hat in «No Hope»<br />
jegliche Hoffnung auf traute Zweisamkeit verloren.<br />
Legendenbildung «I Wanna Know» ist ein schön<br />
hinkender Rock’n’Roll-Kracher, neuerlich elegische<br />
Stimmungen werden daraufhin angestimmt im von<br />
einem Cello getragenen «One Fine Day»: Die unvergessene<br />
Verfl ossene wird besungen, irgendwann<br />
wird sie zurückkommen, hoffentlich. Bei «Meine<br />
kleine Russin» könnte der skurrile Finne M.A. Numminen<br />
Pate gestanden haben. Wie hier Beat-Man<br />
– sekundiert von einer traurigen Mandoline – Sätze<br />
wie «Lass uns Liebe machen am Strand und in dem<br />
See» lüstern langzieht, ist ein komischer Höhepunkt<br />
der Platte, der nur noch von seiner Lebensgeschichte<br />
zum Schluss übertrumpft wird.<br />
Der 40-jährige bricht im siebenminütigen Jazz-<br />
Shuffl e «The Beat-Man Way» selbstironisch seine<br />
eigene Legende, warnt vor Drogenmissbrauch,<br />
zeigt sich resistent gegen alle Autoritäten und garniert<br />
die rastlose Geschichte mit einem von amerikanischen<br />
Fernsehpredigern inspirierten Nahtoderlebnis.<br />
Natürlich wählt der Reverend weder Himmel<br />
noch Hölle, sondern antwortet kühl: «I don’t<br />
give a fuck, I just do it the Beat-Man-Way!»<br />
So geht die erste Folge der grossen, kontrastreichen<br />
und doch sturen Surreal-Folk-Blues-Gospel-<br />
Trash-Liederersammlung in der Bar zu Ende, die<br />
zweite Runde soll pünktlich zum Weihnachtsgeschäft<br />
erscheinen. Was für ein Fest.<br />
Surreal Folk Blues Gospel Trash Vol. 1 (Voodoo<br />
Rhythm / RecRec) erscheint am 20. August.<br />
Plattentaufe: 24. August, Dachstock, Reitschule<br />
Bern.<br />
musik<br />
KONZERT-RÜCKBLICK<br />
Montreux Jazz Festival<br />
Das diesjährige 41. Montreux Jazz Festival fand<br />
vom 6. bis 21. Juli statt.<br />
Wilco<br />
■ Trotz widrigen Umständen – der Saal war bestuhlt<br />
und in ein Zweiklassensystem aufgeteilt,<br />
die Atmosphäre glich einer Samstagabendshow-<br />
Fernsehaufzeichnung – spielte die Chicagoer Band<br />
Wilco als «Opening Act» (!) für Tori Amos das vermeintliche<br />
Konzert des Jahres. Das Sextett rund<br />
um den Songwriter Jeff Tweedy, der bereits mit<br />
seiner alten Band Uncle Tupelo stilbildend für den<br />
sogenannten Alternative Country in Erscheinung<br />
trat, spielte sich durch ein Set, das den Schwerpunkt<br />
auf die neueste Veröffentlichung «Sky Blue<br />
Sky» legte. Diese für Wilco-Verhältnisse konventionelle<br />
Liedersammlung, die zunächst gar banal<br />
anmutet und erst beim wiederholten Hördurchgang<br />
ihre Feinheiten freilegt, besticht durch erhabene<br />
Schönheit, durch Spielfreude und raffi nierte<br />
Einfachheit, hinter der sich das Komplexe verbirgt.<br />
Die Liedoberfl ächen befi nden sich bei Wilco in<br />
ständigem Wandel. Ein Song wie «Via Chicago»<br />
erschien im Konzert zunächst als Ballade, ehe der<br />
Schlagzeuger Glenn Kotche und der Gitarrist Nels<br />
Cline konspirative Blicke austauschten und in ein<br />
wildes Noise-Inferno einstimmten, um wieder zur<br />
Stille zurückzufi nden. Ein berührender Moment,<br />
der für immer bleiben wird, wie auch der repetitive<br />
Scheunenstürmer «Spiders (Kidsmoke)»,<br />
der den 75-minütigen Auftritt beschloss und den<br />
Ausnahmestatus dieser einzig<strong>art</strong>igen Band nachhaltig<br />
unterstrich. (bs)<br />
CDs: Sky Blue Sky (Nonesuch / Warner)<br />
Kicking Television – Live In Chicago<br />
Rufus Wainwright<br />
■ Spätestens die beiden grössenwahnsinnig orchestrierten<br />
und brillanten «Want»-Alben katapultierten<br />
den selbsternannten Gay Messiah an die<br />
Oberfl äche einer jüngeren Songwriter-Generation,<br />
die zu unterschiedlich ist, um sie auf einen<br />
gemeinsamen Nenner zu bringen. Der Opernliebhaber<br />
Rufus Wainwright betrat die kleine Montreux-Halle<br />
in bayrischen Lederhosen, die siebenköpfi<br />
ge Begleitband schmetterte das broadwayhafte<br />
Titelstück seiner jüngsten Platte «Release<br />
The Stars» in den Raum, das grosse Entertainment<br />
nahm seinen Lauf. Die Show – mit Selbstironie<br />
und dem Spiel mit schwulen Codes durchzogen –<br />
wechselte von stillen Judy-Garland-Interpretationen<br />
in musicalhaften Pomp über und gipfelte<br />
in einem dilettantischen Tanz, während sich der<br />
stimmlich verausgabte Wainwright in Frauenkleider<br />
kleidete und zum Schluss, genau, «Gay Messiah»<br />
anstimmte. (bs)<br />
CD: Release The Stars (Geffen/ Universal)<br />
ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 17