art - Ensuite
art - Ensuite
art - Ensuite
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Der grosse Coup<br />
■ Sie wuseln wieder rum, die schrullig<br />
liebenswerten Charaktere, die im<br />
Eröffnungs-Video des Kulturraums der<br />
«Vali<strong>art</strong>» im vergangenen Sommer die<br />
Wände unsicher gemacht haben.<br />
Beherzt hat damals die gebrechliche<br />
Oma mit einem gezielten Schlag den<br />
Bankräuber zur Strecke gebracht. Der<br />
neuste Streich aus dem Hause «Pixelfarm»,<br />
Tom Hänni, Simon Küffer und<br />
Reno Bertolotti, zeigt nicht etwa die<br />
Fortsetzung der Geschichte, sondern<br />
das Prequel vor dem grossen Raub, die<br />
Vorgeschichte, die den Hintergrund<br />
der Protagonisten beleuchtet.<br />
In stringenter Schwarzweissästhetik<br />
umspielen animierte Video-Einstellungen<br />
die fünf rauchenden und trin-<br />
Barocke Magie<br />
■ Unumstösslich in der Vergangenheit<br />
entschwunden und doch auf seltsame<br />
Art präsent wirken die Gesichter<br />
in Chantal Michels neuster Werkserie,<br />
die in der barocken Abteikirche in<br />
Bellelay zu sehen ist. Es sind Kopien<br />
nach grossen Meistern des Künstlers<br />
Hermann Gerber, die Michel in ihren<br />
Fotografien nachstellt, womit sie einen<br />
zusätzlichen Schritt vom eigentlichen<br />
Original weg, hin zu einer eigenen<br />
Umsetzung geht. Als Hommagen an<br />
berühmte Vorbilder wie Paul Klee<br />
oder Ferdinand Hodler stellen Michels<br />
Bilder Fragen nach dem einzig<strong>art</strong>igen,<br />
originalen Werk und seines Stellenwerts<br />
in der Geschichte der Kunst.<br />
Es ist erstaunlich, die Wandelbarkeit<br />
Psychedelische Erlösungsphantasien<br />
■ Seit Mai dieses Jahres hat die Galerie<br />
«Milieu» an der Münstergasse 6 ihr<br />
Ausstellungsprogramm aufgenommen.<br />
Die stets offene Tür möchte auch flanierende<br />
Passanten einladen, einen<br />
Blick in den Kunstraum zu werfen.<br />
«Wir wollen primär junge Kunstinteressierte,<br />
aber auch Menschen ansprechen,<br />
die vielleicht noch nie im Leben<br />
eine Galerie betreten haben», sagt<br />
Rémy Pia, einer der vier Galeristen,<br />
und vermutet, dass gerade Bern für<br />
eine junge Galerie mit dem Fokus auf<br />
internationale Newcomer ein ideales,<br />
noch unbespieltes Pflaster bietet. Neben<br />
Rémy Pia stehen Arci Friede, Dave<br />
Marshal und Nicola Enrico Stäubli als<br />
Betreiber hinter der Galerie, die als<br />
<strong>art</strong>ensuite August 08 | 07<br />
kenden Pokerfaces, die sich in der Mitte<br />
des Raumes als skulpturale Runde<br />
versammelt haben. Auf drei Wänden<br />
wird jeweils gleichzeitig die Herkunft<br />
und Vergangenheit, die Rolle im geplanten<br />
Raub sowie die Zukunft, Erw<strong>art</strong>ungen<br />
und Wünsche eines jeden<br />
Protagonisten dargelegt, den der Betrachter<br />
über ein Schaltpult per Knopfdruck<br />
ins Zentrum des Interesses rücken<br />
kann. Da sitzt beispielsweise der<br />
breitschultrige, gutmütige Gorilla – ein<br />
belesener Schöngeist – während sich<br />
die Gangsterlady beseelt vom Helfersyndrom<br />
und aus Liebe zum starken<br />
Helden als Politesse in den Raub mit<br />
reinziehen lässt.<br />
Die Idee, den sozialen Hintergrund<br />
Chantal Michels von Foto zu Foto mitzuverfolgen,<br />
wissend, dass sich hinter<br />
der Kostümierung und der Gesichtsbemalung<br />
immer die Künstlerin selbst<br />
verbirgt. Wenn die hyperrealistische,<br />
fotografische Abbildung auf die malerisch<br />
applizierte Farbe auf dem Gesicht<br />
der Künstlerin trifft, entsteht ein<br />
irritierender Effekt, der die Spannung<br />
der Bilder zwischen Anwesenheit und<br />
Abwesenheit der «Unwiderruflichen»<br />
ausmacht.<br />
Chantal Michel hat gemeinsam mit<br />
dem Kuratorinnen-Team Caroline Nicod<br />
und Valentine Reymond ein Gesamtkunstwerk<br />
geschaffen. Wenn sich<br />
die Fotografien gleichen Formats freskengleich<br />
und wie Grabplatten in die<br />
gemeinschaftliches Projekt geleitet<br />
wird. Zum Konzept gehört beispielsweise,<br />
dass bisher in jeder Ausstellung<br />
mindestens ein Werk bereits unter 100<br />
Franken zu erwerben war, so dass der<br />
Besitz von Kunst keiner kaufkräftigen<br />
Elite vorbehalten sein muss.<br />
Zurzeit zieren überaus bunte Gemälde<br />
des Amerikaners Kelsey Brookes<br />
die weissen Wände, wobei er das<br />
Gemäuer – inspiriert durch die Gewölbemalerei<br />
von Niklaus Manuel im<br />
Berner Münster – als gestalterisches<br />
Element ins Hängekonzept mit einbezogen<br />
hat. Der Künstler trägt die<br />
ornamentalen Strukturen, die er mit<br />
feinster Pinselarbeit auf die Leinwände<br />
appliziert, über deren Ränder hinaus<br />
und die individuellen Beweggründe<br />
zu erörtern, aus denen schliesslich<br />
kriminelle Handlungen erwachsen<br />
können, ist vielversprechend. Sie greift<br />
aber einerseits in der allzu klischeehaften<br />
Beschreibung der Einzelpersonen<br />
etwas zu kurz, als eine wirkliche,<br />
sozialkritische Aussage gemacht<br />
werden könnte und wirkt andererseits<br />
zu melancholisch ernsthaft, damit man<br />
sie als überspitzte Parodie entlarven<br />
könnte. Sie stellen eher romantisierte<br />
Vorstellungen dar, wie man sich als<br />
Durchschnittsnormalo in einen spektakulären<br />
Bankraub phantasieren kann,<br />
über den dann in der Zeitung zu lesen<br />
wäre: «Grosser Coup geglückt». (sm)<br />
unterste Zone der Kirchenwand einfügen,<br />
dann werden in der Hängung<br />
die Bedingungen des besonderen<br />
Ausstellungsraums nicht nur berücksichtigt,<br />
sondern harmonisch in das<br />
Gesamtkonzept der Kirche eingebunden.<br />
Es ist der Dialog mit dem Ort, der<br />
den besonderen Reiz der Ausstellung<br />
ausmacht. Das durchdachte Hängekonzept,<br />
das auf die kirchliche Liturgie<br />
abgestimmt ist, sakraler Gesang,<br />
der den Besucher schon an der Pforte<br />
empfängt und ihn durch den Besuch<br />
begleitet sowie die Werke selbst verleihen<br />
dem bedeutungsvollen Kirchenraum<br />
noch zusätzlich eine stimmige<br />
Atmosphäre zu einem Kunstgenuss<br />
der aussergewöhnlichen Art. (sm)<br />
und verwandelt den gesamten Raum<br />
in ein psychedelisches Liniengewirr.<br />
Seine vielarmigen, indischen Gottheiten<br />
wissen den Betrachter in allen<br />
erdenklichen Farbkombinationen zu<br />
betören, doch zugleich irritiert hier<br />
eine verrenkte Hip-Hop-Attitüde, dort<br />
ein Pin-up-Girl in eindeutiger Pose<br />
oder gar das kuschelige Gesicht einer<br />
Disney-Figur. So kreuzen sich die<br />
anbetungswürdigen Götzen der westlichen<br />
Konsumwelt mit den sagenumwobenen<br />
Heilsbringern des Orients<br />
zu ungewöhnlichen, grotesk witzigen<br />
und zugleich merkwürdig abstossenden<br />
Collagen – universelle Bilder<br />
der Erlösung in Sex, Konsum und globalisierten<br />
Identitäten. (sm)<br />
Der grosse Coup<br />
Vali<strong>art</strong> Kulturraum,<br />
Theaterplatz 7, Bern.<br />
Geöffnet täglich 9:00-<br />
18:30 h, Donnerstag<br />
bis 21:00 h, Samstag<br />
9:00-16:00 h. Bis 25.<br />
August.<br />
Chantal Michel,<br />
Die Unwiederruflichen<br />
Abtei von Bellelay,<br />
bei Tavannes,<br />
Delémont. Bus auf<br />
Reservierung ab<br />
Tavannes: 0800<br />
55 3000. Geöffnet<br />
täglich 10:00-12:00<br />
h, 14:00:18:00 h. Bis<br />
16. September.<br />
Kelsey Brookes<br />
Milieu, Galerie /<br />
Artspace, Münstergasse<br />
6, Bern. Geöffnet<br />
Donnerstag<br />
13:30-19:00 h, Freitag<br />
13:30-19:00 h,<br />
Samstag 12:00-17:00<br />
h. Bis 25. August.<br />
39<br />
<strong>art</strong>ensuite