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magazin<br />

STADTLÄUFER<br />

Von Andy Limacher<br />

■ nr. 33 // badespass. Regelmässige Leser dieser<br />

Kolumne wissen mittlerweile, dass ich im<br />

Weissenbühl wohne. Geografi sch nahe liegend<br />

für den Badespass wären für mich also vor allem<br />

Eichholz und Marzili, und allenfalls Weyermannshaus<br />

und Ka-We-De. Aber in keinem dieser Bäder<br />

lasse ich mich sehen.<br />

Am liebsten kämpfe ich mich an denjenigen<br />

Sonntagen, an denen der Asphalt brodelt,<br />

nämlich quer durch die Stadt: Zuerst die Monbijoustrasse<br />

hinauf, dann quer über die Grossbaustelle<br />

und anschliessend den Killerhügel des<br />

Nordrings hoch. Wenn mir dann der Schweiss in<br />

Strömen aus den Poren dringt, weiss ich, dass ich<br />

mir den Besuch im Wylerbad verdient habe.<br />

An dieser Stelle hätte ich jetzt gerne einen<br />

Stadtläufer-typischen Abschnitt mit Fakten platziert.<br />

Zum Beispiel: Beim Wyler wurde schon<br />

Ende des 18. Jahrhunderts gebadet. Oder: Das<br />

Wylerbad ist das einzige Bad in Bern, bei dem<br />

das Wasser nicht chemisch aufbereitet wird. Diese<br />

beiden Fakten treffen aber leider auf das Marzili<br />

beziehungsweise das Lorrainebad zu. Im Gegensatz<br />

dazu ist das Wylerbad völlig faktenfrei,<br />

was bedeutet, dass Sie mit meiner persönlichen<br />

Wahrnehmung vorlieb nehmen müssen.<br />

Nun, selbst bei grossem Andrang fi ndet sich<br />

im Schwimmbecken immer ein Plätzchen. Auch<br />

einen Schattenplatz muss ich jeweils nicht lange<br />

suchen. Die grosse Sportwiese ist defi nitiv<br />

ein Plus, und die Pommes sind immer frisch und<br />

knackig. Darüber hinaus schätze ich die Lage:<br />

Schweizer Qualitäts-Bio-Glacé bekomme ich<br />

im Luna Llena gleich um die Ecke, und auf dem<br />

Nachhauseweg stehen mir für ein kühles Blondes<br />

optional Kairo, Brass und Du Nord offen.<br />

Nicht dass sie mich jetzt für einen halten, der<br />

nie in die Aare steigt. Aber wenn schon, dann<br />

ohne die Fleischbeschauung im Marzili. Sie fi nden<br />

mich auf der kleinen Wiese unterhalb der<br />

Lorraine – unweit des Wylerbads.<br />

www.ensuite.ch<br />

Wissen was im nächsten Monat läuft.<br />

Ein Abo macht Sinn.<br />

28<br />

SOMMERVERSUCH I<br />

■ Kluge Köpfe schützen sich – vor der Sonne. Am<br />

Besten, man cremt sich das Gesicht und die Haare<br />

ein, und frau trägt einen Tschador, belehrt mich<br />

ein Freund. Ich gucke mich im Restaurant um und<br />

frage mich, von welcher Gefahr er wohl spricht.<br />

Weit und breit nur käsebleiche Wintergesichter.<br />

Dasselbe Bild bietet sich auf Berns Strassen: Die<br />

reinste Milchschwemme, und das ohne Subventionen.<br />

Dabei ist schon Ende Juli. Auch um mich<br />

steht’s nicht besser: Aus dem Spiegel linst mir ein<br />

weisses Antlitz entgegen. Im Gegensatz zu den<br />

japanischen Touristinnen vor dem Zyglogge, die<br />

ihr Sonnenschirmchen fl ugs in einen Regenschirm<br />

umfunktioniert haben, freue ich mich darüber<br />

aber gar nicht. Was soll nur aus all den Kleidern in<br />

kräftigen Farben werden, die mir «InStyle» wärmstens<br />

zur «knackig braunen Haut» empfohlen hat,<br />

und die nun im Schrank den Motten harren?<br />

Insgeheim keimen in meinem Kopf frevlerische<br />

Fragen: Wo ist die Klimaerwärmung, wenn man sie<br />

braucht? Haben sich die Grünen zu früh gefreut?<br />

Ich entschliesse, dieser Misère nicht mehr länger<br />

tatenlos zuzusehen. Wie in allen schwierigen Lebenslagen<br />

stöbere ich in einem original indianischen<br />

Wiki. Unter dem Stichwort «Wetter» fi nde ich<br />

aber nur Hinweise zu Thomas «der aus grossen<br />

roten Knöpfen weissagt» Bucheli und Anleitungen<br />

zu Regen-, nicht aber zu Sonnentänzen. Mir bleibt<br />

also nichts anderes übrig, als auf eine Errungenschaft<br />

der modernen Zivilisation zurückzugreifen:<br />

Die Sonnenbank! Stracks marschiere ich zur<br />

nächstgelegenen Bank-Filiale und starre in die<br />

Röhre, was meinem Teint jedoch nicht die erhoffte<br />

Farbe verleiht. Enttäuscht gehe ich weiter,<br />

überhole auf dem Bundesplatz backbord die Alinghi,<br />

die nun – was der weissen Tücher wegen erst<br />

wenige wissen - dort anstelle des Bundeshauses<br />

steht, und fi nde mich vor der Auslage einer Apotheke<br />

wieder: Im Handumdrehen ruckzuck braun<br />

werden! Mit diversen Tuben und Sprays bewaffnet<br />

mache ich mich auf den Heimweg. Angekommen<br />

teste ich die Wundermittelchen sogleich allesamt<br />

an meinen Beinen, und siehe da - es wirkt! Schon<br />

nach wenigen Minuten nimmt meine Haut den<br />

auf der Packungsbeilage versprochenen «ausgewogenen<br />

sun touch» an. Erfreut stürze ich mich in<br />

ein Röckchen und betrachte das Ergebnis im Spiegel<br />

- doch, o weh! - Für Momente wähne ich ein<br />

Zebra in meinem Zimmer. Bald aber realisiere ich,<br />

dass es meine Beine sind, die mir da in tiefbraunweisser<br />

Safaribettwäscheoptik entgegenblinken.<br />

Zum Glück regnet’s heftig ans Fenster, und<br />

Meteo-Wetterfrosch Bucheli bestätigt: Es soll noch<br />

lange weiterregnen! Das erste Mal diesen Sommer<br />

bin ich ihm für diese Nachricht dankbar. (cb)<br />

SOMMERVERSUCH II<br />

■ Der Sommer will nicht und alle Versuche,<br />

Stimmung zu erzeugen, sind im Juli verwässert.<br />

Nehmen wir ein Heim-Beispiel: Das Gurtenfestival,<br />

ein Anlass, der vorwiegend Teenies anspricht.<br />

Der missglückte Versuch eines Sommerfestivals<br />

mit guter Musik und Sonnenbrand zeichnet der<br />

betörend stinkende Morastboden und die tonnenschweren<br />

Abfallberge. Die Organisatoren reiben<br />

sich natürlich immer noch die Hände: Das Festival<br />

macht schätzungsweise 8 bis 10 Millionen Franken<br />

Umsatz auf dem Hausberg. Da sind 80‘000 Franken<br />

für die Bodensanierung nur lächerlich. Tele-<br />

Bärn hat sich zumindest um eine gute Reportage<br />

bemüht und fragte die betrunkenen Besucherkinder,<br />

an welche Bandnamen sie sich denn von<br />

den 54 Artistengruppen erinnern könnten. Mehr<br />

als sechs schaffte niemand. Die Kinder waren zu<br />

betrunken, zum anderen waren sie an diesem Festival<br />

nicht wegen der Musik. Warum dann?<br />

Sex, Drugs und Alkohol. Unser Jugend ersäuft<br />

sich selbst. Um mehr geht’s nicht mehr. «Hinten<br />

knutscht ein Pärchen hemmungslos herum. Bis er<br />

kurz abbricht, den Kopf dreht und kotzt. Dann küssen<br />

sie weiter.» Dies rapportierte Marina Bolzli am<br />

23. Juli auf espace.ch. Am Festival-Eingang wurden<br />

«Notfallpäckli» ausgehändigt mit Kondomen.<br />

Welch ein Versprechen. Das Festivalzeltlager oder<br />

eben «die grösste Jugendherberge der Welt» wurde<br />

im Vorfeld als Tummelplatz für den Beischlaf<br />

propagiert. In Artikeln wurde belustigend gewarnt,<br />

nicht zu erschrecken, wer oder was am Morgen neben<br />

sich aufzufi nden sei… Da beruhigen auch die<br />

Worte der Festivalpromotoren nicht, die öffentlich<br />

sich loben, «auf dem Gurten seien schon Kinder<br />

gezeugt worden!». Wow. In den 68ern wurde dazu<br />

wenigstens noch philosophiert...<br />

Zwischenfl ash: Das «Sunday Times Magazine»<br />

zeigte in der Ausgabe vom 22. Juli (also zeitparallel<br />

zum Gurtenfestival) vom einen Artikel über junge<br />

Mütter. Also eigentlich Kinder, die im Alter von<br />

14 oder 15 bereits geschwängert sind und Kinder<br />

gebären. Auf der Titelseite baucht die nackte 15jährige<br />

Aimee, im achten Monat schwanger. Kein<br />

Einzelfall unter Minderjährigen, sondern gemäss<br />

der «Sunday Times» eine «epidemische» Entwicklung.<br />

Das emotionale Unverständnis ist medial<br />

gross vorbereitet. Es riecht nach Skandal – und ist<br />

es eigentlich auch. Nur fragt sich, in welche Richtung<br />

der Skandal zeigt.<br />

Wo ist der moralische Zeigefi nger? Warum sagt<br />

niemand was? Ganz einfach: Wer sollte denn? Die<br />

Medien sind P<strong>art</strong>er der Organisatoren, die Sponsoren<br />

können sich nicht negativ outen und das Publikum<br />

hat vergessen, dass es dabei war... (vl)<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07

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