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FILM<br />
60 jahre fi lmfestival locarno<br />
Von Sarah Stähli Bild: zVg.<br />
■ Das Filmfestival Locarno feiert dieses Jahr<br />
vom 1. bis 11. August sein sechzigstes Jubiläum.<br />
170 Filme wurden für den runden Geburtstag ausgewählt.<br />
Frédéric Maire, der das Festival dieses<br />
Jahr zum zweiten Mal leitet, kündet es als «Festival<br />
der Entdeckungen» und «Festival festive» an. Die<br />
Filmauswahl refl ektiere den Zustand unserer Welt.<br />
Eine Welt, die sich im Krieg, in der sozialen und<br />
politischen Krise befi ndet. Filme aus über dreissig<br />
Ländern sind in der offi ziellen Auswahl vertreten,<br />
darunter um die zwanzig Debütfi lme und über<br />
zwanzig Filme von Regisseurinnen. Ein Schwerpunkt<br />
liege dieses Jahr auf dem amerikanischen<br />
und dem asiatischen Kino.<br />
Die Piazza Grande mischt wie gewohnt Hollywood-Blockbuster<br />
(«The Bourne Ultimatum»,<br />
«Hairspray») und kleinere Produktionen («Nichts<br />
als Gespenster», «The Drummer»).<br />
«1 Journée» von Jacob Berger und «Vogliamo<br />
anche le rose» der italienisch-schweizerischen Regisseurin<br />
Alina Marazzi sind die beiden Beiträge aus<br />
der Schweiz. Eröffnet wird das Piazza-Programm<br />
am 1. August mit dem japanischen Anime «Vexille».<br />
Der internationale Wettbewerb versammelt 19<br />
Filme, die um den Goldenen Leoparden buhlen.<br />
Maire lobt die geografi sche Bandbreite der Filme,<br />
vertretene Länder sind unter anderen Argentinien<br />
(«Las vidas posibles»), Südkorea («Boys of tomorrow»),<br />
Algerien («La maison jaune») und Kanada<br />
(«Contre toute espérance»). Der Schauspieler<br />
Anthony Hopkins wird als Regisser in Locarno erw<strong>art</strong>et:<br />
Zusammen mit seinem Hauptdarsteller<br />
Christian Slater präsentiert er seinen Film «Slipstream».<br />
Aus der Schweiz ist Fulvio Bernasconi<br />
mit «Fuori dalle corde» dabei. Zur offi ziellen Jury<br />
des internationalen Wettbewerbs 2007 gehört unter<br />
anderen die französische Schauspielerin Irène<br />
Jacob, der deutsche Regisseur Romuald Karmakar,<br />
und der chinesische Regisseur Jia Zhang-Ke.<br />
Schweizer Filme mit internationalem Potenzial<br />
In der Apellation Suisse hat die Organisation<br />
Swiss Films zehn Schweizer Kinofi lme ausgewählt,<br />
die sich durch «internationales Potenzial auszeichnen»<br />
und seit dem letzten Locarno Festival<br />
die Schweizer Kinolandschaft mitgeprägt haben.<br />
Gezeigt werden fünf Dokumentar- und fünf Spielfi<br />
lme, unter ihnen «Comme des voleurs» von Lionel<br />
Baier und «Someone beside you» von Edgar<br />
Hagen. Am 7. August fi ndet ausserdem zum zweiten<br />
Mal der «Journée du Cinéma Suisse» mit Filmvorführungen,<br />
Veranstaltungen, einer Masterclass<br />
für Schauspieler und einer DVD-Lancierung statt.<br />
Die Atelier-Ausstellung «Animated Switzerland»,<br />
an der u. a. Sets der Grossproduktion «Max & Co»<br />
ausgestellt sind, beschäftigt sich mit der Schweizer<br />
Trickfi lmszene.<br />
«Als Geburtstagsgeschenk» schenkt das Festival<br />
dem Publikum die reizvolle Retrospektive «Retour<br />
à Locarno». Diese widmet sich Regisseuren, die in<br />
Locarno «geboren», hier entdeckt wurden und ihren<br />
Durchbruch erlebt haben. Die Filmemacher<br />
werden in Locarno anwesend sein und ihre Filme<br />
präsentieren. Unter ihnen sind illustre Namen wie<br />
Claude Chabrol, Alain Tanner, Mike Leigh, Catherine<br />
Breillat, Raul Ruiz und István Szabó zu fi nden.<br />
Die Filmreihe «Signore & Signore» schliesslich<br />
ehrt die grossen Diven des italienischen Kinos:<br />
Anna Magnani («Bellissima»), Sofi a Loren («La<br />
ciociara»), Asia Argento («Il fantasma dell’ opera»)<br />
oder Gina Lollobrigida («Pane, amore e fantasia»)<br />
und viele weitere. Zwanzig Filme, die zwischen 1941<br />
und heute entstanden sind, widerspiegeln zugleich<br />
ein Stück italienische Kinogeschichte. Den Locarno<br />
Excellence Award erhält diesen Jahr der Schauspieler<br />
Michel Piccoli, ein Aushängeschild des französischen<br />
Autorenkinos. Den Ehrenleoparden wird<br />
dem taiwanesische Regisseur Hou Hsiao-hsien vergeben,<br />
dessen neustes Werk «Le voyage du ballon<br />
rouge», mit Juliette Binoche in der Hauptrolle, auf<br />
der Piazza Grande zu sehen sein wird.<br />
Film Festival Locarno<br />
1. – 11. August, www.pardo.ch<br />
cinéma<br />
SPOTLIGHT KINO<br />
LA VRAIE VIE<br />
EST AILLEURS BILD: ZVG.<br />
■ Wir kommen alle mal in Berührung damit: Irgendwann<br />
begegnen wir zum richtigen Zeitpunkt<br />
einem Menschen, der sich als Schlüsselfi gur unauslöschbar<br />
in unser Leben einbrennt. Diese<br />
Begegnungen sind eigentlich Fragen unseres<br />
Unterbewusstseins. Die können auch mehrmals<br />
geschehen. Es sind Wegkreuzungen in unseren<br />
Leben, an denen wir entscheiden können oder<br />
gar müssen, wohin wir weitergehen. In diesen<br />
Bruchteilen von Momenten oder Stunden entstehen<br />
halbe Universen – in ein paar kleinen Bewegungen,<br />
Worten oder Berührungen. Die Antworten<br />
aus diesen Begegnungen können schwierig<br />
sein. Doch sie prägen uns sicher für den Rest der<br />
Zeit und wir werden sie nie vergessen können.<br />
In «La vraie vie est ailleurs» geht’s um drei<br />
Reisende, die, in Genf st<strong>art</strong>end, in unterschiedliche<br />
Richtungen unterwegs sind. Ein Mann<br />
steigt in den Zug nach Berlin, um seinen kleinen<br />
Sohn kennenzulernen. Eine junge Italienerin<br />
zieht nach Neapel um und eine Wissenschafterin<br />
reist nach Marseille an eine Konferenz. Alle drei<br />
begegnen auf ihrer Nachtreise einer Person, die<br />
ihr Leben in Frage stellt. «Findet das wahre Leben<br />
anderswo statt?» Das Zitat stammt von Arthur<br />
Rimbaud und war Ausgangspunkt für den Film.<br />
Der junge Regisseur Frédéric Choffat beschäftigt<br />
sich in seinem Film mit der Frage: Wie kommen<br />
Menschen mit ihrem Leben zurecht? Mit ihrem<br />
Alltag? Ihren Wirklichkeiten?<br />
Der Doppelbürger und 1973 geborene Choffat<br />
hat bisher vor allem Dokumentations- und Kurzfi<br />
lme gedreht. «La vraie vie es ailleurs» ist sein<br />
erster Spielfi lm. Der Film überzeugt mit einer<br />
einfachen und stillen Erzählform. Die Schauspieler,<br />
die Schauplätze, alles ist einfach gehalten.<br />
Choffat gibt uns die Möglichkeit, ganz persönliche<br />
Momente dreier Menschen mitzuerleben.<br />
Momente, die wir nicht einmal uns selber erzählen<br />
könnten. Diese gewählte Nähe verleiht eine<br />
berührende Intimität. Ein stiller Film, der uns ein<br />
paar Fragen und Erinnerungen hinterlässt, die<br />
wir so rasch nicht wieder vergessen werden. (vl)<br />
Filmst<strong>art</strong>: Siehe Seite 5 in diesem Heft.<br />
ensuite - kulturmagazin Nr. 56 | August 07 19