Hinz&Kunzt 307 September 2018
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Happy Birthday, Veddel!<br />
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
schichte. Die Bevölkerungszahl hatte<br />
die Millionengrenze durchbrochen und<br />
die kleinen Siedlungshäuser mussten<br />
weichen. Es entstand eine Großsiedlung:<br />
Ein geschlossenes Wohnquartier<br />
unter der Leitung von Oberbaudirektor<br />
Fritz Schumacher mit den in Hamburg<br />
typischen roten Klinkerbauten, die<br />
noch heute – trotz der Bombardierung<br />
im Zweiten Weltkrieg – das Bild der<br />
Veddel prägen.<br />
Hafenarbeiter<br />
besuchten die<br />
Gaststätte „Anker“<br />
(oben) in der<br />
Tunnelstraße<br />
schon frühmorgens.<br />
Bild unten:<br />
Dienstags und<br />
freitags war<br />
Wochenmarkt.<br />
In den 1920ern<br />
wurde die<br />
Veddel zu<br />
Klein St. Pauli.<br />
FOTOS: ARCHIV THAL<br />
Die Veddel mauserte sich und wurde –<br />
kaum vorstellbar – zum Ausgehviertel.<br />
In den 1920er- und 1930er-Jahren muss<br />
die Veddel genau das gewesen sein, bestätigt<br />
Experte Dieter Thal gegenüber<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Der Lokalhistoriker sammelt<br />
seit vielen Jahren historische Fotos<br />
und Postkarten der Veddel und beschäftigt<br />
sich ausführlich mit der Geschichte<br />
der Elbinsel. Seine Recherchen zeigen,<br />
dass es damals teilweise bis zu acht<br />
Kneipen in einer Straße gab. Das<br />
Nachtleben in „Klein St. Pauli“ – wie<br />
die Hamburger den Stadtteil nannten –<br />
muss richtig pulsiert haben, sagt Thal.<br />
Rund 7000 Menschen lebten damals<br />
auf der Veddel. Zum Vergleich:<br />
Heute leben noch rund 4700 Hamburger<br />
in dem kleinen Stadtteil, der gerade<br />
mal einen Supermarkt und ansonsten<br />
nur wenige Cafés, Kneipen und kleine<br />
Bäckereien beherbergt. Vor knapp 100<br />
Jahren hingegen luden zahlreiche Geschäfte<br />
zum Flanieren ein. Es gab Banken,<br />
Apotheken und eine Postfiliale.<br />
Diese glanzvollen Zeitn kennt Dieter<br />
Thal selbst nur aus Erzählungen.<br />
Der 68-Jährige wuchs in den 1950er-<br />
Jahren in den ehemaligen Auswandererhallen<br />
im südlichen Teil der Veddel auf.<br />
Hapag-Generaldirektor Albert Ballin<br />
ließ sie Anfang des 20. Jahrhunderts als<br />
Massenunterkünfte für Tausende Auswanderer<br />
errichten, die aus ganz Europa<br />
jede Woche in der Stadt ankamen.<br />
Nach der Machtübernahme durch die<br />
Nationalsozialisten dienten sie als<br />
Herberge für die Waffen-SS. Später, in<br />
Folge der Befreiung Hamburgs, wurden<br />
sie dann als Notunterkunft für ausgebombte<br />
Familien, wie die von Dieter<br />
Thal, genutzt.<br />
Den Aufschwung der Veddel seit<br />
den 1920er-Jahren bremste der Zweite<br />
Weltkrieg brutal aus. Der Nordteil war<br />
zerstört. Hinzu kam die schlechte Luft<br />
durch die immer größer werdenden Industrieanlagen<br />
auf der benachbarten<br />
Peute. Wer konnte, zog weg. So auch<br />
die Familie von Dieter Thal.<br />
Geblieben sind überwiegend Menschen<br />
mit geringem Einkommen, vor<br />
allem Migranten, deren Anteil inzwischen<br />
– zählt man die Bewohner der<br />
Flüchtlingsunterkünfte nicht hinzu –<br />
nirgendwo in Hamburg höher ist. Lange<br />
Zeit vernachlässigt, geriet die Veddel<br />
erst wieder Mitte der 2000er in den<br />
Blick der Stadtplaner.<br />
Industrie wanderte ab und im Zuge<br />
der 2007 gestarteten Internationalen<br />
Bauausstellung setzte der Senat ein<br />
Subventionsprogramm für vergünstigte<br />
Mieten für Studenten auf.<br />
Mit Erfolg: Heutzutage ist fast jeder<br />
zehnte Bewohner der Veddel ein<br />
Student. JOF<br />
•<br />
Dieter Thal: Hamburg-Veddel (2012),<br />
Sutton Verlag, 19,95 Euro, 128 Seiten<br />
(ca. 200 Abbildungen)<br />
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