WALLIS Magazin - November 2018
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Wenn es abends früh eindunkelt und<br />
der erste Schnee fällt, beginnt Manuel<br />
Blötzer mit dem Schnitzen einer neuen<br />
Maske. «Dann kommt die Vorfreude.»<br />
Die lose Gruppierung, bei<br />
der auch Manuel Blötzer<br />
mitmacht, in ihrem Heimatdorf<br />
Wiler im Lötschental.<br />
«Schön ist eine Tschäggätta,<br />
wenn sie leid aussieht»<br />
Text: Monique Ryser<br />
PORTFOLIO<br />
Spricht der Lötschentaler Manuel<br />
Blötzer, 24, das Wort Tschäggättä<br />
aus, dann wird es zum Zischlaut,<br />
die Vokale werden verschluckt. Und auf<br />
die Frage, was denn ein gelungenes Kostüm<br />
ausmache, gibt er trocken zu Protokoll:<br />
«E gruisigi Aaleggättu muäss äs syn.<br />
Schön ist eine Tschäggätta, wenn sie leid<br />
aussieht.» Um gleich die korrekten Begriffe<br />
zu klären: Die Tschäggätta ist die<br />
einzelne, verkleidete Gestalt, die Tschäggättä<br />
ist die Mehrzahl davon und auch<br />
der Name des Brauchs, das Verb lautet<br />
tschäggättu.<br />
Der jahrhundertealte Brauch, dessen Ursprünge<br />
nicht sicher belegt sind, geht<br />
aber durchaus mit der Zeit. Abbildungen<br />
von Teufel, Tod und Hexen waren früher<br />
die Vorbilder für die geschnitzten Larven.<br />
Heute dient auch das Internet als<br />
Inspiration, und so tauchen Gesichtszüge<br />
aus Science-Fiction-Filmen in den<br />
«neumodischen» Masken auf. Manuel<br />
Blötzer lässt sich vom Stück Holz leiten,<br />
wenn er eine neue Maske schnitzt.<br />
Mehrheitlich seien es bei ihm eher traditionelle<br />
Sujets. Neben den gfürchigen<br />
gibt es aber auch liebliche Gesichter.<br />
Diese symbolisieren die Ahnen.<br />
Die Kleidung besteht aus einem Tierfell<br />
– beispielsweise Schaf, Ziege oder<br />
Hirsch. Darunter kommen lange Hosen,<br />
meist aus Sacktuch, ein Tschoopen und<br />
Handschuhe. «Das Jackett und die Handschuhe,<br />
die Triämhändschen, werden<br />
verkehrt herum getragen», erklärt Blötzer.<br />
Der Grund: Früher hatte man nur<br />
wenige Kleider, und damit der unter dem<br />
Kostüm versteckte Lötschentaler nicht<br />
erkannt wurde, drehte man diese einfach<br />
um. Noch heute tragen viele Tschäggättä<br />
den Tschoopen ihres Grossvaters,<br />
dessen Futteral aus Matratzenstoff unter<br />
dem Fell sichtbar wird. Zum Kostüm<br />
gehört auch eine Treichel, mit der so viel<br />
Krach wie möglich gemacht wird. «Diese<br />
trägt man oft über dem Fell. Hat aber<br />
einer ein besonders schönes Fell, wird<br />
sie darunter umgehängt», so Blötzer.<br />
Dies gilt als «neumodisch».<br />
Überhaupt, das Anziehen: Zwischen<br />
25 und 30 Kilogramm werden da um eine<br />
Person herumgeschnallt. Will man den<br />
breiten Riemen um die Taille zurren, geht<br />
das meist nur zu zweit, wobei der Kostümierte<br />
am Boden liegt. Vorschriften zur<br />
Bekleidung gibt es nicht. «Alles ist erlaubt.<br />
Ziel ist es, sich völlig unkenntlich<br />
zu machen», sagt Manuel Blötzer.<br />
Die Tschäggättä im Lötschental treiben<br />
immer zwischen dem katholischen Feiertag<br />
Maria Lichtmess und dem Aschermittwoch<br />
ihr Unwesen. Am Feierabend<br />
treffen sich die Tschäggättu-Begeisterten<br />
– Männer, Frauen und auch Kinder –<br />
in ihren jeweiligen Kellern, bevor sie losziehen.<br />
Die Gruppe von Manuel Blötzer<br />
etwa in der ehemaligen Scheune des Gemeindestiers<br />
in Wiler. «Es gibt keine Vereine<br />
und keine Organisationen, pro Dorf<br />
sind es einfach Kollegen, die Masken und<br />
Kostüme zusammengetragen haben und<br />
gemeinsam verwenden.» Nur zwei Mal<br />
pro Fasnachtszeit gibt es offizielle Termine:<br />
im 2019 am 28. Feb ruar beim Umzug<br />
von Blatten nach Ferden und am 2. März<br />
beim Fasnachtsumzug in Wiler. Aber:<br />
«Für uns ist das Tschäggatu eine Leidenschaft<br />
und beschäftigt uns das ganze<br />
Jahr», bekräftigt Blötzer.<br />
www.loetschental.ch<br />
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