DER BIEBRICHER, Nr. 324, November 2018
Stadtteilmagazin für Wiesbaden-Biebrich
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Gemeinsames Gedenken am früheren Ort der Biebricher Synagoge:<br />
Ortsvorsteher Kuno Hahn (rechts) und AG-Vorsitzender Günter<br />
Noerpel (3.v.r.).<br />
Gedenken am ehemaligen Standort<br />
der Biebricher Synagoge<br />
Deutliche Worte fand Ortsvorsteher<br />
Kuno Hahn beim Gedenken<br />
am ehemaligen Standort<br />
der Biebricher Synagoge. Seit<br />
1829 bis zu ihrer Zerstörung in<br />
der Reichspogromnacht vor 80<br />
Jahren hatte sich das Gotteshaus<br />
der Biebricher jüdischen<br />
Gemeinde in der Rathausstraße<br />
37 im Hinterhof befunden.<br />
Heute ist dort ein türkischer<br />
Kulturverein angesiedelt. Davor<br />
steht die rote „Stele der Toleranz“,<br />
auf der die Information<br />
über die Synagoge in mehreren<br />
Sprachen zu lesen ist. An diese<br />
Stele heftete der Vorsitzende<br />
der Arbeitsgemeinschaft Biebricher<br />
Vereine und Verbände<br />
(AG), Günter Noerpel, einen<br />
Kranz, der vom Ortsbeirat, den<br />
Vereinen und der Ortsverwaltung<br />
gemeinsam kam, wie auf<br />
der Schleife zu lesen war. Eine<br />
kleine Gruppe von Bürgern hatte<br />
sich zu diesem Gedenken<br />
eingefunden.<br />
Die Pogromnacht vom 10. <strong>November</strong><br />
1938, so Hahn, war<br />
das Signal zur physischen Vernichtung<br />
von Bürgern im Namen<br />
des Staates, nachdem es<br />
schon länger Drangsalierungen<br />
gegeben hatte. Das bis<br />
dahin reiche jüdische Leben in<br />
Biebrich fand damit sein Ende.<br />
Heute, sagte Hahn, schimpfe<br />
mancher auf den Staat, der<br />
persönliche Anliegen nicht sofort<br />
erfülle. Dass die Menschen<br />
damals gerade vor dem Staat<br />
so große Angst haben mussten,<br />
in dessen Namen sie dem<br />
Verbrechen ausgeliefert waren,<br />
könne heute wohl kaum noch<br />
jemand nachvollziehen. Sein<br />
eigener Großvater habe noch<br />
davon erzählen können, wie<br />
bei der brennenden Synagoge<br />
nach der Polizei, also nach dem<br />
Staat, gerufen wurde. Dass dieser<br />
aber gerade der Übeltäter<br />
war, sei heute unvorstellbar.<br />
Auch an „zustimmendes Gegröle<br />
der Nachbarn“ konnten<br />
sich manche erinnern. Man<br />
hätte rechtzeitig den Anfängen<br />
wehren müssen – daraus könne<br />
man für heute lernen, sagte<br />
der Ortsvorsteher. Aus Vorurteilen<br />
könne nur allzuleicht<br />
Diskriminierung, Ausgrenzung<br />
und in der Folge Vernichtung<br />
und Auslöschung werden. Vier<br />
Pogromtage und -nächte seien<br />
nicht nur für jüdische Mitbürger<br />
der Anfang des Schreckens gewesen.<br />
Zahlreiche Stolpersteine<br />
auch in Biebrich bewiesen, dass<br />
hier ebenfalls mitgemacht wurde.<br />
Ein Großteil der Bürger sei<br />
zwar, so Hahn, nicht überzeugt<br />
von den Nazis gewesen, aber<br />
Widerstand habe sich ebenfalls<br />
kaum geregt, auch nicht institutioneller.<br />
Der Kranz solle sichtbares Zeichen<br />
dafür sein, dass man sich<br />
mit Diskriminierung und Ausgrenzung<br />
nicht abfinde. Auch<br />
Günter Noerpel stimmte zu:<br />
„Wir wollen jeden Tag die Stimme<br />
erheben für Demokratie<br />
und gegen Rassismus“.<br />
(art)<br />
<strong>DER</strong> <strong>BIEBRICHER</strong> / NOVEMBER <strong>2018</strong> 11