Berliner Zeitung 17.12.2018
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10 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 294 · M ontag, 17. Dezember 2018<br />
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Stadtgeschichte<br />
Den Hohenzollern zur Legitimation<br />
Die Denkmalskirche, Teil des <strong>Berliner</strong> Doms, wurde 1975 durch Sprengung getilgt. Sie bleibt vergessen, weil eine große monarchistische Last auf ihr liegt<br />
VonMaritta Tkalec<br />
Ein Bauwerk, mitten in Berlin,<br />
auf der Museumsinsel,<br />
das aus dem Gedächtnis<br />
verschwunden ist. Mit der<br />
physischen Vernichtung durch<br />
Sprengstoff im Jahr 1975 gelang es<br />
auch, die Denkmalskirche aus dem<br />
öffentlichen Bewusstsein zu tilgen.<br />
Selbst geschichtsaffine Leute reagieren<br />
ahnungslos auf die Frage, obsie<br />
wohl von der Denkmalskirche wüssten.<br />
Wo sie einst stand, sieht der Spaziergänger,<br />
der vom Haupteingang<br />
des <strong>Berliner</strong> Doms auf die Kolonnaden<br />
vorder Alten Nationalgalerie zugeht:<br />
einen Abstellplatz für Autos<br />
und Mülleimer und eine behelfsmäßig<br />
errichtete Treppe.Eine merkwürdige<br />
Anmutung umgeben vonnationalen<br />
Kulturheiligtümernund –sehr<br />
nah am Weltkulturerbe –die letzte<br />
Baulücke auf der Museumsinsel.<br />
DieDenkmalskirche an der Nordseite<br />
des <strong>Berliner</strong> Doms macht etwa<br />
zwei Fünftel von dessen ursprünglicher<br />
Grundfläche aus. Sie entstand<br />
als Teil des Doms, ist ohne ihn nicht<br />
zu denken. Aber ihre Funktion hob<br />
sie doch heraus. Für Gottesdienste<br />
war sie nie gedacht, sondern für die<br />
Heiligung der Dynastie.<br />
Mit der Thronbesteigung Friedrich<br />
Wilhelms IV. begannen 1840<br />
Überlegungen, anstelle des noch<br />
schlichten, vonKarl Friedrich Schinkel<br />
1816 bis 1821 neu gestalteten Alten<br />
Doms einen größeren zu errichten<br />
–als Hauptkirche des Protestantismus<br />
in gewaltigen Ausmaßen, mit<br />
nicht gekannter Pracht und als exklusiveRuhestätte<br />
für die oberste Instanz<br />
des Preußentums, die Hohenzollerndynastie.<br />
Das <strong>Berliner</strong> Bürgertum<br />
hatte sich in Schinkels Bau<br />
erkennen können. Nun drängte es<br />
neuerlich auf Anerkennung seiner<br />
Leistungen, etwa in Gestalt einer Ehrenhalle<br />
für alle um das Vaterland<br />
verdienten Persönlichkeiten. Doch<br />
daraus wurde nichts. Die Repräsentationsvorstellungen<br />
der Monarchie<br />
hatten Vorrang.<br />
Wie viel Bürgertum soll sein?<br />
Der erste Plan eines basilikaähnlichen<br />
Doms versank mit der Revolution<br />
von 1848. Dem preußischen<br />
Landtag war das Budgetrecht zugefallen,<br />
und dieser verweigerte die Zuschüsse.<br />
Doch die Idee eines großen<br />
Doms lebte sowohl auf Seiten des<br />
Bürgertums als auch des Herrscherhauses.<br />
Zahlreiche Interessierte<br />
brachtenVorschlag umVorschlag auf,<br />
aber die konträren Ansichten darüber,welche<br />
überkirchliche Funktion<br />
das Bauwerkausüben sollte,blockierten<br />
das praktischeVorgehen.<br />
Erst 1893 fiel Schinkels Dom. Am<br />
17. Juni 1894 lag der Grundstein für<br />
den neuen. Die Jahre davor hatte<br />
Streit geherrscht zwischen dem wilhelminischen<br />
Kaiserhaus und dem<br />
liberalen Bürgertum, das nach der<br />
Reichsgründung 1871 und dank des<br />
industriellen Aufschwungs selbstbewusst<br />
auftrat.<br />
Die entscheidende Initiative, den<br />
Domneubau in Angriff zu nehmen,<br />
<strong>Berliner</strong> Dom 1905, im Jahr seiner Einweihung.ImVordergrund das Halbrund der Denkmalskirche BERLINER DOM (2)<br />
ging während der RegierungszeitWilhelms<br />
I. vonKronprinz Friedrich aus.<br />
Lange bevor dieser zum Kaiser Friedrich<br />
III. wurde, trieb er den Plan<br />
voran. In den persönlichen Schriftstücken<br />
des Kronprinzen fand sich<br />
ein Vermerk, der auf die heikle politische<br />
Konstellation eingeht: „Die offizielle<br />
Ankündigung dieses Unternehmens<br />
soll lauten Umbau des gegenwärtigen<br />
Domes, umdie Besorgnis<br />
derer zu beschwichtigen, die meinten,<br />
es solle ein evangelischer Sankt<br />
Peters-Dom nach Beispiel des römischen<br />
in Berlin unternommen werden.“<br />
Tatsächlich war der Protestantismus<br />
ja nicht zentral, sondern in<br />
Landeskirchen organisiert.<br />
Zudem wünschte der Kronprinz:<br />
„Endlich sollen Denkmäler für die<br />
Grundriss des <strong>Berliner</strong> Doms: dünner gezeichnet links die Denkmalskirche<br />
vorausgegangenen Geschlechter der<br />
Königlichen Familie,wie für die nach<br />
uns kommenden, ferner auch den<br />
um dasVaterland verdienten Generälen<br />
und Staatsmännernwie hervorragenden<br />
Bürgern, Dichtern, Schriftstellern<br />
und Künstlern imDom Aufstellung<br />
finden.“ Neben Predigt- und<br />
Gruftkirche tritt eine dritte Funktion<br />
hervor: die als Nationalfestkirche,die<br />
viele Tausend Besucher aufzunehmen<br />
hätte. Sie sollte der Monarchie<br />
den Raum zum öffentlichkeitswirksamen<br />
Zeremoniell geben.<br />
In der Architektenschaft wälzte<br />
man derweil Gedanken über den<br />
Nationalstil, so 1886: „Der romanische<br />
Stil ist der Stil unserer besten<br />
Kaiserzeit, der spezifisch nationale<br />
Stil, und zwar weit mehr als der gotische.<br />
Wenn man demnach an den<br />
romanischen Stil anknüpft, so<br />
knüpft man an die besten Traditionen<br />
unserer Kaiserzeit an.“<br />
Friedrich III. gelangte nach vielen<br />
Kronprinzenjahren im Jahr 1888<br />
nach dem Tode seines Vaters Wilhelm<br />
I. für nur 99 Tage zur Kaiserwürde.Ein<br />
Kehlkopfkarzinom bereitete<br />
dem starken Raucher ein frühes<br />
Lebensende. Die Zeit reichte nicht<br />
für seinen Plan, die Macht des Monarchen<br />
und des Reichskanzlers<br />
stärker an die Verfassung zu binden.<br />
DerTod der„liberalen Hoffnung“ änderte<br />
auch das Bauprojekt: Hatte der<br />
Verstorbene „eine Grablege und Erinnerungshalle<br />
für alle, die sich um<br />
die Einigung und den Ruhm des<br />
Reichs verdient gemacht hatten“,<br />
vor Augen, setzte sein Nachfolger<br />
Wilhelm II. die exklusiv monarchische<br />
Variante durch.<br />
Gottesgnadentum statt Bürger<br />
Erst verwarferdie Idee der Festkirche,<br />
dann stellte er sich an die Spitze der<br />
Bauleitung, bestimmte selbst die<br />
Wahl der Steine oder der Motive für<br />
Malerei und Mosaiken. Statt drei Kuppeln<br />
sollte es nur eine geben; der mit<br />
120 Metern Höhe geplante Schlossturm<br />
amDom entfiel. Der Gedanke,<br />
den Dom und ein Nationaldenkmal<br />
(Reiterstandbild Wilhelms I.) zu verbinden,<br />
wurde fallengelassen und damit<br />
der direkte Bezug zwischen Deutschem<br />
Reich und bürgerlicher Nation.<br />
Alles lief auf die Verbindung<br />
Thron und Altar, auf das Gottesgnadentum<br />
des Monarchen hinaus.Von<br />
einer Ehrenhalle für verdiente Bürger<br />
war nicht mehr die Rede.<br />
Dasneue Programm zeigte sich in<br />
besonderer Deutlichkeit in der Denkmalskirche.<br />
Anstelle einer großzügigen<br />
Grabeskirche entstand nun ein<br />
beigeordneter, eingeschossiger Anbau<br />
mit einer flachen Kuppel und<br />
Oberlicht, der wie eine übergroße Apsis<br />
auf der Nordseite aus dem Bau<br />
hervorragte. Um den zentralen Innenraum<br />
herum waren fünf prachtvoll<br />
ausgestattete Kapellen angeordnet,<br />
vonaußen durch je zwei Säulenpaare<br />
zuerkennen, in den Nischen<br />
die Prunksarkophage des Großen<br />
Kurfürsten und der Kurfürstin, von<br />
König Friedrich I. und seiner Gemahlin,<br />
das Grabmonument für Kurfürst<br />
Johann Cicero sowie das Marmorgrabmal<br />
von Kaiser Friedrich III. Als<br />
einziger nicht der Dynastie Zugehöriger<br />
war Reichskanzler Otto von Bismarck<br />
als Sitzplastik zugelassen, gewissermaßen<br />
in Wächterfunktion. Im<br />
Osten führte ein Treppenabgang zur<br />
Hohenzollerngruft hinab.<br />
DieSarkophage stehen heute unter<br />
den beiden Emporen im Innenraum<br />
des Domes.Inder Gruft befinden<br />
sich 94 fürstliche Särge aus dem<br />
16. bis 20. Jahrhundert. Die Gruft<br />
wirdinden kommenden Jahren aufwendig<br />
saniert.<br />
Aber was ist mit der Denkmalskirche?<br />
Es gibt Vorschläge für einen<br />
Wiederaufbau, doch die Domverantwortlichen<br />
bleiben reserviert. Es<br />
geht um ein Politikum, wie alles,was<br />
den Dom je betraf. Darüber kommende<br />
Woche mehr an dieser Stelle.<br />
DAS IST<br />
DAS WAR<br />
DAS KOMMT<br />
Landeskonservator<br />
Erste <strong>Berliner</strong> Volksbadeanstalt<br />
Ummünzung<br />
In Deutschland ist der Landeskonservator ein höherer<br />
Beamter,der im Auftrag des jeweiligen Bundeslandes für<br />
den Denkmalschutz und -erhalt zuständig ist und die<br />
Landesdenkmalämter leitet. Ende September ging der<br />
langjährige <strong>Berliner</strong> Landeskonservator Prof. Dr. Jörg<br />
Haspel nach mehr als 25 Dienstjahren in Pension. Seit<br />
1992 hat er das Landesdenkmalamt Berlin geleitet. Sein<br />
Nachfolger als <strong>Berliner</strong> Landeskonservator und Direktor<br />
des Landesdenkmalamtes Berlin ist der Architekt und<br />
Denkmalpfleger Dr.Christoph Rauhut.<br />
Der Sitz des Landesdenkmalamtes, das der Senatsverwaltung für Kultur<br />
zugeordnet ist, befindet sich im Alten Stadthaus, Klosterstraße 47.<br />
Allen <strong>Berliner</strong>neine Bade- und Waschmöglichkeit in der<br />
näheren Wohnumgebung –das war ein großes Ziel. Die<br />
wenigsten Wohnungen der in der Gründerzeit wuchernden<br />
Mietskasernenviertel hatten Badewannen oder Duschen,<br />
manche nicht einmal fließendes Wasser. Schon<br />
früher hatte es einige Badehäuser mit Badebecken, zum<br />
Beispiel an der Spree, gegeben, aber die taugten nicht für<br />
die Massenhygiene. Zwischen 1880 und 1888 entstand<br />
als erste große Volksbadeanstalt das öffentliche Volksbad<br />
Oranienburger Vorstadt in der Gartenstraße mit Brauseund<br />
Wannenbädern. Bauherr war der <strong>Berliner</strong> Verein für<br />
Volksbäder. Das Geld dafür gab der jüdische <strong>Berliner</strong><br />
Kaufmann James Henry Simon. 1904 ging die Anstalt in<br />
städtischen Besitz über.Den Verein hatte 1874 der <strong>Berliner</strong><br />
Dermatologe Oskar Lassar gegründet, auch er jüdischer<br />
Herkunft. Sein Motto lautete: „Jedem Deutschen<br />
wöchentlich ein Bad!“ Vomenormen Erfolg berichtete<br />
Meyers Konversationslexikon von1888. In den beiden in<br />
jenem Jahr eröffneten <strong>Berliner</strong> Bädern(das zweite,ebenfalls<br />
vomVerein für Volksbäder in Auftrag gegeben, lag in<br />
der Wallstraße) seien im ersten Betriebsjahr 175 998 Besuche<br />
gezählt worden. Den größten Andrang gab es am<br />
Karsamstag mit 2400 Badegästen. In der Gartenstraße<br />
steht heute der 1930 errichtete Nachfolgebau, das Stadtbad<br />
Mitte.Dortehrteine Plakette den sozial- und kunstsinnigen<br />
James HenrySimon. (mtk.)<br />
Annäherungen an einen neuen Kulturort inder historischen<br />
Mitte Berlins.„Alte Münze–neu geprägt“ heißt die<br />
Ausstellung in der einstigen Münzprägeanstalt (Bau 1936<br />
bis 1942), mit der an die Geschichte der Anstalt erinnert<br />
wird, bevor die dem Land Berlin gehörenden Gebäudeteile<br />
zu einem Kultur- und Kreativstandort entwickelt<br />
werden. In den bis zu fünf Meter hohenWerkshallen wurden<br />
die Reichsmark, die DDR-Mark, die Deutsche Mark<br />
und der Euro geprägt. Zu DDR-Zeiten war im Verwaltungsgebäude<br />
das Kultur-Ministerium untergebracht.<br />
Ausstellung mit Begleitprogramm, Alte Münze, Molkenmarkt 1–2, täglich<br />
14 bis 20 Uhr,bis 3. Januar,Infos im Netz: alte-muenze-neu-gepraegt.de