Berliner Kurier 03.01.2019
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REPORT<br />
Bodyshaming<br />
Hass,der unter<br />
die Haut geht<br />
Ricarda Lang ist 24 und Grünen-Politikerin. Fast jede ihrer Äußerungen im Internet<br />
wird zum Gegenstand bösartiger Kommentare. Die arbeiten sich vor allem an ihrem<br />
Äußeren ab. Irgendwann war es genug. Ricarda Lang begann, sich öffentlich zu wehren<br />
Von<br />
CHRISTINE DANKBAR<br />
Man muss auf der Facebook-Seite<br />
von Ricarda<br />
Lang sehr weit zurückscrollen,<br />
um einen<br />
ihrer vielleicht wichtigsten Einträge<br />
zu lesen. Sie macht darin ein sehr<br />
persönliches Bekenntnis. Und es ist<br />
ihr nicht leichtgefallen.<br />
Ricarda Lang ist Vorsitzende<br />
der Grünen<br />
Jugend, sie ist viel unterwegs,<br />
geht ganz offensichtlich<br />
so schnell<br />
keiner Diskussion aus<br />
dem Weg und äußert<br />
sich zu vielen Themen,<br />
vor allem Flüchtlingspolitik<br />
und Feminismus.<br />
Bevor sie an die<br />
Spitze der Grünen Jugend<br />
gewählt wurde,<br />
hat sich die Jura-Studentin<br />
vor allem mit Hochschulpolitik<br />
befasst. Nun aber, an ihrem 24.<br />
Geburtstag, äußert sie sich zu einem<br />
Thema, das ihr vor außen aufgedrängt<br />
wurde. Es geht um ihr<br />
Aussehen. Denn Ricarda Lang ist<br />
dick.<br />
„Pummelchen, zu dick, unattraktiv,<br />
abstoßend, fette Sau als Frau,<br />
die sich politisch äußert, gerade als<br />
dicke Frau, gehören solche Beleidigungen<br />
fast schon zum Alltag.“ Das<br />
schreibt Ricarda Lang im Januar<br />
2018. Der Eintrag ist der Beginn einer<br />
Kampagne, die sie in eigenerSache<br />
startet. Sie ist zu diesem Zeitpunkt<br />
erst wenige Wochen an der<br />
Spitze der grünen Jugendorganisation.<br />
Sie steht zum ersten Mal so exponiert<br />
in der Öffentlichkeit –und<br />
ist schockiert, welche Nebenwirkungen<br />
das hat. „Zwei Tage nach<br />
meiner Wahl saß ich für mein erstes<br />
Interview im Fernsehen“, erzählt<br />
sie. Auf der Webseite des Senders<br />
liest sie danach die Reaktionen der<br />
Zuschauer. Die beziehen sich<br />
hauptsächlich auf ihr Äußeres. Sie<br />
sind durch die Bank negativ, viele<br />
hämisch und manche geradezu<br />
hasserfüllt.<br />
Ricarda Lang wird immer besonders<br />
lebhaft, wenn es um politische<br />
Themen geht. Dannredet sie schneller<br />
und schneller. Und muss übersich<br />
selbst lachen, wenn sie es merkt.„Das<br />
war schon in der Schule so“,sagt sie.<br />
Sie sei eine gute Schülerin gewesen,<br />
abersie habesichauch häufigmit ihren<br />
Lehrernangelegt, erzählt sie.Sie<br />
habe viele Freundegehabt, mit denen<br />
sie häufig unterwegs gewesen sei.<br />
Was sie nichtdavon abhält, ihr Abitur<br />
mit einem Notendurchschnitt von 1,1<br />
zu bestehen. In der Clique in ihrer<br />
Heimatstadt in Nürtingen ist ihr<br />
Übergewicht kein Thema, schließlichkennen<br />
sie alle schonimmer so.<br />
Doch nun erklären ihr wildfremde<br />
Menschen, dass Übergewicht gesundheitsschädlich<br />
ist und sie abnehmen<br />
soll. Und dann gibt es noch<br />
die richtig Fiesen, die sie unverhohlen<br />
als fett und hässlich beschimpfen.<br />
„Es ist egal, zu welchem Thema<br />
ich mich äußere, ich bekomme immer<br />
wieder Kommentare zu meiner<br />
Figur“, sagt sie.<br />
In den ersten Wochen ihres ersten<br />
Jahres als Sprecherin der Grünen<br />
Jugend lernt sie die gesamte Bandbreite<br />
des anonymen Hasses im Internet<br />
kennen. Er trifft sie mehr, als<br />
sie erwartet hat. Und mehr, als sie<br />
vor sich selbst zugeben möchte.<br />
„Ich habe mir immer gesagt, du bist<br />
doch so eine starke Frau, da lässt du<br />
dich doch von diesen Internet-Trollen<br />
nicht aus der Fassung bringen“,<br />
erzählt sie. Aber so einfach ist es<br />
nicht. Der Hass<br />
nagt an ihr.<br />
Bodyshaming<br />
lautet das Phänomen,<br />
bei dem<br />
Menschen aufgrund<br />
ihrer körperlichen<br />
Erscheinung<br />
beleidigt<br />
werden.<br />
Es ist eigentlich<br />
ein irreführender<br />
Begriff,<br />
denn er setzt<br />
sich zusammen aus den englischen<br />
Wörtern für Körper (body) und<br />
Scham (shaming). Als müssten jene,<br />
die beschimpft werden, sich für ihren<br />
Körper schämen.<br />
Es ist nicht nur ein Internet-<br />
Phänomen, aber hier, im<br />
Schutz der Anonymität, ist es<br />
besonders leicht, Bösartigkeiten<br />
loszuwerden. Vor allem,<br />
wenn es um Migration<br />
geht, kennen die Kritiker<br />
kein Halten. „Die Kommentare<br />
sind zutiefst<br />
sexistisch. Mir wird<br />
dann gerne vorgeworfen,<br />
dass ich<br />
Flüchtlinge nur ins<br />
Land lassen will,<br />
weil mich sonst ja<br />
keiner vögeln<br />
wollte“, erzählt<br />
sie. Ihre erste<br />
Gegenwehr in solchen Fällen: Sie<br />
macht ein Bildschirmfoto und erstattet<br />
online Anzeige gegen unbekannt.<br />
90 bis 100 Anzeigen seien so<br />
bisher zustande gekommen, schätzt<br />
sie. „Ich schaffe es aber nicht, alles<br />
anzuzeigen, sonst käme ich ja zu gar<br />
nichts anderem mehr“, sagt sie und<br />
zuckt die Schultern. Ob jemals ermittelt<br />
wurde, weiß sie nicht.<br />
Die Attacken bringen eine Saite in<br />
ihr zum Klingen, die sie so nicht<br />
kannte. Sie ist verzagt. In ihrem bisherigen<br />
Leben hat sie alles eher tatkräftig<br />
angepackt. Diesen Eindruck<br />
gewinnt man, wenn Ricarda Lang<br />
von ihrem Leben erzählt. Sie tut das<br />
beim Abendessen in der Tadshikischen<br />
Teestube in der Oranienburger<br />
Straße, einem ihrer Lieblingsplätze<br />
in Berlin. Das Restaurant<br />
liegt in einem Innenhof<br />
in der<br />
Oranien-<br />
bur-<br />
Ricarda Lang ist<br />
Vorsitzende der Grünen<br />
Jugend. Sie geht keiner<br />
Diskussion aus dem Weg.