EPP 10.2017
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
NEWS + HIGHLIGHTS<br />
INTERVIEW<br />
„Intelligenter arbeiten”<br />
Lean Ergonomics-Experte Ulrich Fröleke erklärt, was sich hinter<br />
dem Begriff Lean Ergonomics verbirgt und wie sich Produktions -<br />
prozesse damit auf intelligente und wirtschaftliche Art und Weise<br />
reorganisieren lassen.<br />
Herr Fröleke, Sie gelten in der Branche als ein<br />
ausgesprochener Experte für Lean Production und<br />
Ergonomie und befassen sich bei Treston Deutschland<br />
mit dem Thema. Warum sind diese beiden<br />
Begriffe, die ja u. a. über das Toyota Production<br />
System weltweit bereits in den 1980er Jahren<br />
bekannt wurden, heute immer noch topaktuell?<br />
Herstellungsprozesse haben sich während der letzten zwei Jahrzehnte<br />
massiv verändert und beschleunigt. D. h. der Druck auf Produktion,<br />
Mitarbeiter und Unternehmen wächst. „Just-in-time“ oder<br />
etwa „On-demand“ sind populäre Konzepte, die in vielen Branchen<br />
auf ganz unterschiedliche Art und Weise umgesetzt wurden. Die Begriffe<br />
sind gewissermaßen eine Fortsetzung des Lean-Gedankens.<br />
Sie implizieren theoretisch das Vorhandensein von schlanken Produktionsprozessen,<br />
aber sie implizieren nicht das Vorhandensein<br />
von ergonomischen Arbeitswelten. In vielen Fällen führt diese Beschleunigung<br />
zu einer Überlastung der menschlichen Arbeitskraft.<br />
Die Frage lautet also, wie kann ich das vermeiden?<br />
„In vielen Fällen führt<br />
diese Beschleunigung zu<br />
einer Überlastung der<br />
menschlichen Arbeitskraft.<br />
Die Frage lautet also, wie<br />
kann ich das vermeiden?“<br />
Lassen Sie mich raten … durch Lean Ergonomics?<br />
Richtig. Die Aufgabe ist, intelligenter zur arbeiten, Arbeit zu reorganisieren.<br />
Menschen müssen entlastet werden, damit sie ihre Arbeit<br />
so lange und so konstant wie möglich ausüben können. Dabei bedingen<br />
diese beiden Konzepte einander. Das hat schon das Toyota<br />
Production System gezeigt. Bis heute ist diese Verbindung zwischen<br />
Lean-Prinzipien und Ergonomie und den Möglichkeiten, die<br />
sich daraus ergeben, vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen,<br />
die halbautomatisierte Herstellungsprozesse fahren – in<br />
denen also Menschen arbeiten – nicht klar, obwohl sie vielleicht<br />
schon über schlanke Produktionsstrukturen verfügen und sogar ergonomisch<br />
Arbeitswelten entworfen haben, von denen das eine allerdings<br />
nicht zum anderen passt.<br />
Foto: Treston<br />
„Die Aufgabe ist, intelligenter zu arbeiten, Arbeit zu<br />
reorganisieren.“<br />
Es kommt also auf die Sichtweise an, wie Lean<br />
Production und Ergonomie sich einerseits konzeptionell<br />
ergänzen und wie das dann praktisch in<br />
der Produktion umgesetzt wird?<br />
Ja. Denn nur wer konzeptionell von dieser Verbindung überzeugt ist,<br />
wer bereit dazu ist, wird erkennen, dass eine Integration von Lean<br />
und Ergonomie zu Lean Ergononmics enorme Potentiale für Unternehmen<br />
bietet, die sich positiv auf die Produktivität, die Wettbewerbsfähigkeit<br />
und die Mitarbeiter auswirken.<br />
Wenn Sie von Überzeugung sprechen, meinen Sie<br />
den Unternehmer?<br />
Ja. Es liegt an ihm, zu erkennen und zu entscheiden. Und zwar aus<br />
einem ganz einfachen Grund: Komparative Wettbewerbsvorteile gelten<br />
nicht ein Leben lang, sie sind ständig vom Wandel bedroht. Wer<br />
einzig und allein ans Ergebnis denkt, der wird langfristig scheitern,<br />
es sei denn, er ist bereit, auf diesen Wandel aktiv zu reagieren ihn<br />
zu gestalten. Zum Beispiel durch Prozessorganisation und Prozessoptimierung<br />
mit Lean Ergonomics. Wir vertreten allerdings die Auffassung,<br />
dass die Geschäftsführung Lean Ergonomics nicht ohne<br />
den Mitarbeiter umsetzten sollte, denn er ist es schließlich, der unter<br />
diesen Bedingungen arbeiten muss. Auch wenn Ergonomie per<br />
se gut gemeint ist, kann dieser Schuss nach hinten losgehen, wenn<br />
der Mitarbeiter außen vor bleibt.<br />
Was ist jetzt neu an dieser nicht mehr so neuen<br />
Sichtweise?<br />
Mal ganz praktisch gesprochen: Es geht um die Organisation von<br />
Produktionsprozessen. Lean Ergonomics liegt der Ansatz zu Grunde,<br />
dass sich Ergonomie und Lean perfekt ergänzen. Aus gutem<br />
Grund: Weil Ergonomie den Menschen in seiner Arbeitswelt entlastet,<br />
kann dieser besser, entspannter und kontinuierlicher arbeiten.<br />
Erstrecht unter den Bedingungen einer schlanken Produktion, die<br />
natürlich darauf abzielt, Herstellungsprozesse zu optimieren und zu<br />
beschleunigen, Gewinne zu maximieren, Kosten zu minimieren,<br />
und die Produktivität konstant zu steigern. Dieses Ziel erreichen Unternehmen<br />
aber nur, wenn eine effiziente Allokation aller erforderlichen<br />
Ressourcen stattfindet und Verschwendung vermieden wird.<br />
Dazu zählen u. a. auch Fehlzeiten der Mitarbeiter, die überwiegend<br />
auf Grund von muskuloskelettalen Erkrankungen auftreten, wie verschiedene<br />
Jahresberichte von Arbeitsschutzorganisationen zeigen.<br />
Ein Grund: Produktionsprozesse sind zwar schlank, aber nicht ergonomisch<br />
organisiert. Mitarbeiter sind durch einseitige und sich stän-<br />
Foto: Treston<br />
10 <strong>EPP</strong> Oktober 2017