EPP 10.2017
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
dig wiederholende Bewegungsabläufe überlastet und ermüden,<br />
weil sie nicht durch entsprechende Hilfen unterstützt werden. In der<br />
Summe führt das zu Produktionsausfällen. Solche Entwicklungen<br />
sind nicht unbekannt. Für jene Wertschöpfungsprozesse, die auf<br />
menschliche Arbeitskraft angewiesen sind, ist das natürlich fatal.<br />
Welche Gegenmaßnahmen können Unternehmen<br />
hier konkret ergreifen?<br />
Der Unternehmer sollte seinen Produktionsprozess genau analysieren,<br />
sowohl unter Lean-Gesichtspunkten als auch unter ergonomischen<br />
Gesichtspunkten. Denn eine Produktion kann zwar schlank<br />
sein, aber nicht unbedingt ergonomisch, wenn Mitarbeiter sich bei<br />
Ihrer Arbeit durch Bewegungsabläufe, die nicht ihrer Physiologie<br />
entsprechen, regelrecht kaputt arbeiten. Ein Grundsatz von Lean Ergonomics<br />
ist: work smarter, not harder. Es geht also darum zu prüfen,<br />
wie etwa der Produktionsprozess organisiert und aufgebaut ist,<br />
wie die erforderlichen Materialien oder Halbfertigerzeugnisse diesem<br />
Produktionsprozess zugeführt werden und welche Hilfsmittel<br />
den Mitarbeiter in diesem Prozess unterstützen. D. h. gleichzeitig<br />
finden sowohl der schlanke Prozess als auch die Arbeit auf einer ergonomischen<br />
Grundlage statt, wonach der Mitarbeiter den Arbeitsplatz<br />
im Idealfall an seine Bedürfnisse ergonomisch zu hundert Prozent<br />
anpassen kann. Wir haben auf der Basis von diesem Denkansatz<br />
zahlreiche Unternehmen aus der Elektroindustrie, der Logistik<br />
und der Verpackungsindustrie beraten und Lean Ergonomics-Projekte<br />
auf verschiedenste Arten in unterschiedlichen Arbeitsumgebungen<br />
erfolgreich umgesetzt.<br />
Können Sie da konkreter werden?<br />
In einem Projekt haben wir beispielsweise die Materialversorgung<br />
untersucht. Es kam heraus, dass das Material vom Monteur selbst<br />
mit einem Handwagen abgeholt werden muss. Die Produktion<br />
steht während dieses Arbeitsschrittes also still. Der Mitarbeiter lädt<br />
stattdessen das Arbeitsmaterial auf den Wagen und zieht diesen zurück<br />
zu seinem Arbeitsplatz. Wir haben diesen Prozess so reorganisiert,<br />
dass der Monteur jetzt mit dem Material bedarfsgerecht beliefert<br />
wird und keine weiten Wege mehr zurücklegen muss. Anstatt<br />
Mann-zu-Ware funktioniert der Ablauf jetzt nach dem Ware-zum-<br />
Mann-Prinzip. Das haben wir durch die analytische Trennung der Arbeitsschritte<br />
Materialversorgung und Materialverarbeitung erreicht.<br />
Wie sieht das dann in der praktischen Umsetzung<br />
aus?<br />
Wir haben die Arbeitsumgebung nach ergonomischen und schlanken<br />
Kriterien neu gestaltet. Ergonomisch konfigurierte Arbeitsstationen<br />
wurden in diesem Beispiel in einer I-Linie angeordnet. Sie<br />
verfügen z. B. über ein optimiertes, spiegel- und schattenfreies Beleuchtungskonzept<br />
und lassen sich elektrisch in der Höhe verstellen<br />
oder neigen, um nur zwei Möglichkeiten zu nennen. Dadurch lassen<br />
sie sich an verschiedenste physiologische Anforderungen anpassen.<br />
Das gewährleistet ein angenehmes Arbeiten. Der Monteur verarbeitet<br />
das Material an dieser Arbeitsstation nach dem First-in-first-out-<br />
Prinzip (Fifo) an den Werkstücken, welche eines nach dem anderen<br />
über eine Rollbahn an der Arbeitsstation ankommen. Um einen<br />
schlanken und reibungslosen Arbeitsprozess zu gewährleisten, gehen<br />
leere und gekennzeichnete Materialboxen ebenfalls über eine<br />
Rollbahn direkt an das Materiallager, wo sie automatisch eine Materialbestellung<br />
auslösen, die der dortige Mitarbeiter bearbeitet, die<br />
befüllten Boxen in einen Fifo-Wagen lädt und diesen zurück zur Arbeitsstation<br />
führt. Auf diese Art und Weise vermeiden wir einen Produktionsausfall<br />
infolge der Materialbeschaffung durch den Mitarbeiter<br />
selbst und sorgen für einen schlanken Materialfluss. Durch die<br />
analytische Trennung der Prozesse, also die eigentliche Prozessoptimierung,<br />
setzen wir aber auch eine spürbare Entlastung der Mitarbeiter<br />
um, die durch den ergonomisch ausgestatteten Arbeitsplatz<br />
noch verstärkt wird. Das führt zu einer erhöhten Mitarbeiterzufriedenheit,<br />
zu deutlich reduzierten Fehlzeiten und zu einem kontinuierlichen<br />
Output.<br />
„Auch wenn Ergonomie per se gut gemeint ist, kann dieser<br />
Schuss nach hinten losgehen, wenn der Mitarbeiter außen<br />
vor bleibt.“<br />
Können Sie das mit Zahlen belegen?<br />
Rein auf die Produktion bezogen, ließen sich die Produktionskosten<br />
im beschriebenen Fall um 17 % reduzieren, wenn Lean Ergonomics<br />
richtig geplant werden. Nicht eingerechnet sind da die Einsparungen<br />
auf Grund des optimierten Lagermanagements, welche sozusagen<br />
als Komplementäreffekt durch Lean Ergonomics in dem eben beschrieben<br />
Beispiel eintreten. Volkswirtschaftlich gesehen ist der<br />
Schaden durch Produktionsausfall in Folge von Fehlzeiten beträchtlich.<br />
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)<br />
spricht für das Jahr 2014 bundesweit von 90 Milliarden Euro, die an<br />
Bruttowertschöpfung verloren gehen, weil Beschäftigte u. a. an<br />
muskuloskelettalen und anderen Schäden erkranken und arbeitsunfähig<br />
sind. Die Ursache lässt sich im Großen und Ganzen auf nichtergonomische<br />
Arbeitsumgebungen zurückführen. Diese Zahlen verdeutlichen<br />
das Potential von Lean Ergonomics.<br />
Herr Fröleke, vielen Dank für das Gespräch.<br />
www.treston.de<br />
Foto: Treston<br />
<strong>EPP</strong> Oktober 2017 11