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Dübener Wochenspiegel - Ausgabe 04 - Jahrgang 2019

Dübener Wochenspiegel - Ausgabe 04 - Jahrgang 2019 Sonderthema "fit, schön & gesund"

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18<br />

AUS DER REGION 6. März <strong>2019</strong><br />

<strong>Dübener</strong><br />

WOCHENSPIEGEL<br />

Heimatgeschichte<br />

1945: Söllichauer Oberförster wird zum Helden<br />

(Söllichau/Wsp). Ein Mann lehnt es<br />

ab, zum Gehilfen einer unvorstellbaren<br />

Mordtat zu werden, zu einem Verbrechen<br />

in den Wäldern von Söllichau. Der<br />

Mann, ein Söllichauer Forstmann, wird<br />

am 16. April 1945 zu einem SS-Kommandanten<br />

befohlen. Der stellt an den<br />

Oberförster Ernst Woite ein unglaubliches<br />

Ansinnen: Er soll im Söllichauer<br />

Forst eine geeignete Stelle ausfindig<br />

machen, wo Hunderte von Menschen<br />

erschossen werden sollen.<br />

Wie kam es dazu? In den Apriltagen<br />

1945 hatte die SS Tausende von Häftlingen<br />

aus dem Konzentrationslager<br />

(KZ) Buchenwald und seinen Nebenlagern<br />

in Zwieberge und Staßfurt auf<br />

der Flucht vor den herannahenden<br />

Truppen der Alliierten auf die Straßen<br />

gen Osten getrieben. Wie viele<br />

dort schon erschossen und erschlagen<br />

wurden oder entkräftet verhungerten,<br />

ist nicht messbar. Sicher ist, dass eine<br />

der Marschkolonnen von Krina über<br />

Eine Million Deckel für den guten Zweck<br />

2.000 Impfungen gegen Polio sind „gesammelt“<br />

(Bad Düben/Wsp). Im Jahr 2015<br />

wurde im Rahmen der Einsatzmaßnahmen<br />

rund um den G7-Gipfel in<br />

Elmau durch die Bundespolizeidirektion<br />

Bereitschaftspolizei eine Aktion<br />

ins Leben gerufen, die bis heute<br />

große Unterstützung findet. Im Detail<br />

geht es<br />

um das Sammeln<br />

von<br />

Deckeln, die<br />

nach dem<br />

Gebrauch einer<br />

Plastikflasche<br />

oft einfach<br />

im Müll<br />

landeten. Den<br />

Grundstein<br />

legte 2013 der<br />

Rotary Club of<br />

Sintra. Dieser<br />

hatte über die<br />

Sammlung und<br />

Verwertung der<br />

Flaschendeckel,<br />

die aus hochwertigen Kunststoffen<br />

bestehen, Rollstühle für bedürftige<br />

Menschen in Portugal finanziert. Von<br />

dieser Grundidee begeistert gründete<br />

sich im Jahr 2014 der gemeinnützige<br />

Verein „Deckel drauf e.V.“ und entwickelte<br />

ein Konzept zur Nachahmung<br />

in Deutschland. Die Erlöse aus<br />

dem Deckelverkauf kommen seither<br />

dem Rotary-Projekt „End Polio Now“<br />

zugute. Das Projekt verfolgt das Ziel,<br />

dass weltweit kein Kind mehr an Kinderlähmung<br />

erkranken soll. Mit 500<br />

Deckeln wird eine Schluckimpfung<br />

gegen Polio finanziert. Ende September<br />

2018 waren 301.158 Deckel<br />

Eisenhammer kommend, am 16. April<br />

1945 das kleine Heidedorf Söllichau<br />

erreichten und in der Gegend übernachteten.<br />

Es ging aufs Kriegsende zu<br />

und die SS-Bewacher wollten sich der<br />

Häftlinge entledigen, um ihre eigene<br />

Haut zu retten. So sollten Hunderte<br />

der unglücklichen Menschen im Söllichauer<br />

Forstgebiet erschossen und<br />

verscharrt werden. Und der Oberförster<br />

Ernst Woite sollte den Platz<br />

dafür aussuchen. Doch dieser Mann<br />

tat es nicht. Es ließe sich keine geeignete<br />

Stelle dafür finden, beharrte<br />

er gegenüber dem SS-Offizier, und<br />

aus heutiger Sicht bedurfte es sicher<br />

vieler überzeugender Ausreden, um<br />

das Verbrechen zu verhindern.<br />

Wer war der Mann Ernst Woite aus<br />

Söllichau? Es ist den Nachforschungen<br />

des ehemaligen Forstamtsleiters<br />

und Einwohners von Söllichau Dr.<br />

Bernd Bendix zu danken, dass Lebensumstände<br />

des Försters nun bekannt<br />

Matthias Haase und Frank Prehn sowie die kleine Hanna sammeln fleißig<br />

Plastedeckel.<br />

Fotos: M. Marx/privat<br />

seit dem Start der Aktion<br />

gesammelt.<br />

In der Bundespolizeiabteilung<br />

Bad Düben gibt<br />

es zwei Akteure, die sich<br />

dieser Sammelaktion in<br />

besonderem Maße verschrieben<br />

haben. Bei Mathias Haase laufen in<br />

hiesiger Dienststelle sprichwörtlich<br />

die Sammler-Fäden zusammen. In<br />

seinem Büro häufen sich regelmäßig<br />

die Deckel aus dem privaten, aber<br />

auch dienstlichen Bereich. Durch<br />

Frank Prehn werden diese dann<br />

nach Leipzig in seine private Garage<br />

befördert. Hier befindet sich die<br />

eigentliche „Zentrale“. Frank Prehn<br />

und Mathias Haase haben über die<br />

Jahre durch Mund-zu-Mund-Propaganda<br />

unter anderem Mitarbeiter in<br />

Kindergärten, Schulen, Gaststätten<br />

und verschiedenen Firmen für dieses<br />

wurden. Der zu Kriegsende 61-jährige<br />

Oberförster, Sohn eines königlichen<br />

Forstmeisters, war 1936 von Freyburg<br />

in sein Amt nach Söllichau gekommen<br />

und bis 1945 hier als Forstmann im<br />

Dienst. 1970 ist er 86-jährig gestorben.<br />

Ein Dienstschreiben des damaligen<br />

Söllichauer Bürgermeisters Hermann<br />

Uebe vom 15. Januar 1947 ist Beleg<br />

für den persönlichen Mut und vielleicht<br />

auch das diplomatische Geschick des<br />

Försters. Sein eigenes Leben hatte er<br />

mit der Verweigerung damit aufs Spiel<br />

gesetzt, doch seine Courage und sein<br />

menschliches Handeln in dunkelster<br />

Zeit rettete Hunderten von Menschen<br />

das Leben.<br />

In der Chronik von Söllichau ist diese<br />

Geschichte nicht zu finden. Deshalb ist<br />

es umso bedeutsamer, dass der Name<br />

dieses Mannes nun in ein Buch, genannt<br />

„Ehrenbuch der Zivilcourage.<br />

Hilfe während der Todesmärsche“<br />

eingetragen wurde. Der Name Ernst<br />

Thema sensibilisieren und gewinnen<br />

können. „Über die Zeit gab es<br />

auch vie- le tolle Geschichten“,<br />

erzählt Prehn. „Meine Tochter<br />

hatte einmal als Hausaufgabe<br />

ein Projekt<br />

zu erarbeiten.<br />

W i r<br />

bauten kurzerhand<br />

einen Kasten<br />

aus Sperrholz<br />

und Plexiglas und sie<br />

stellte das Deckelprojekt<br />

ihrer Klasse vor. Das<br />

Ergebnis war eine Note 1.“<br />

Mittlerweile stellt Frank Prehn<br />

über das soziale Netzwerk Facebook<br />

Informationen von der Anlieferung<br />

bis hin zur Statistik „Wer wieviel?“,<br />

„Wo stehe ich?“, zur Verfügung. Wer<br />

will, kann die Deckel auch direkt<br />

auf dem Grundstück anliefern. Ein<br />

Banner mit Werbung weist den Weg<br />

Woite steht nun neben der jener<br />

Familie aus Langenreichenbach, die<br />

Häftlinge vor der SS versteckte, den<br />

Frauen aus den Heidedörfern, die den<br />

halb verhungerten Männern heimlich<br />

ein paar Kartoffeln und Wasser zusteckten.<br />

Ein solches Ehrenbuch hatte<br />

vor nicht langer Zeit eine engagierte<br />

Gruppe von Menschen aus der Nähe<br />

der ehemaligen KZ Buchenwald und<br />

Zwieberge, die Interessengemeinschaft<br />

Todesmärsche, angelegt. Sie<br />

waren im letzten Jahr nach Söllichau<br />

gekommen, um gemeinsam mit Bad<br />

Schmiedebergs Bürgermeister Martin<br />

Röthel sowie mit Mitgliedern der Ortsgruppe<br />

Söllichau des Heidevereins, die<br />

übrigens die Stele im Wald zwischen<br />

Söllichau und Durchwehna zum Gedenken<br />

an die auf dieser Landstraße<br />

ermordeten Häftlinge pflegen, eine<br />

postume Würdigung des aufrechten<br />

Forstmannes Ernst Woite vorzunehmen.<br />

Christa Michailowa<br />

und eine riesige Mülltonne steht<br />

immer bereit. Erst kürzlich wurden<br />

vor seinem Grundstück mehrere<br />

blaue Säcke und Eimer abgestellt.<br />

Absender unbekannt, aber immerhin<br />

88,86 Kilogramm. Prehn sammelt<br />

die wertvolle Fracht in sogenannten<br />

Big Packs, zu je 200 Kilogramm, auf<br />

seinen Anhänger. Sind zwei gefüllt,<br />

erfolgt die weitere Zwischenlagerung<br />

in einem nahegelegenen Baufachhandel.<br />

Stehen sechs Stück bereit,<br />

organisiert der Verein „Deckel drauf<br />

e.V.“ den Abtransport und Verkauf.<br />

Im Januar <strong>2019</strong> wurde die Marke –<br />

eine Million Deckel – überschritten,<br />

das macht rund 2.000 Kilogramm und<br />

somit 2.000 Impfungen gegen Polio.<br />

Ein Ergebnis, das alle Beteilig ten mit<br />

Stolz erfüllen darf. Mathias Haase<br />

brachte auch noch einen weiteren<br />

Nebeneffekt zur Sprache: „Die gemeinsame<br />

Sammlung verbindet Verwandte,<br />

Freunde und Bekannte, sie<br />

intensiviert bestehende und schafft<br />

neue Kontakte.“<br />

Übrigens wird das Projekt durch<br />

die Bill & Melinda Gates Stiftung<br />

in der Art unterstützt, dass jeder<br />

gesammelte Betrag zugunsten<br />

„End Polio Now“ verdreifacht<br />

wird. Damit werden<br />

aus 2.000 insgesamt<br />

6.000 Impfungen für<br />

Kinder aus den aktuell<br />

durch diese Krankheit<br />

noch betroffenen Ländern<br />

Afghanistan, Pakistan und Nigeria.<br />

Weitere Informationen unter: www.<br />

facebook.com/deckelgegenpolio<br />

Michael Marx

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