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KATZEN<br />
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Beim Lecken stellt die Katze die sich im vorderen Zungenbereich<br />
befindlichen härteren Kollagen-Stacheln auf,<br />
während sich gleichzeitig die Zunge in alle vier Richtungen<br />
ausdehnt. Verfilzungen im Pelz, Schmutzpartikel,<br />
lose Haare, Ungeziefer oder Schuppen schleckt sie <strong>mit</strong><br />
ihrer Zunge so flugs aus dem Fell heraus. Dabei geht es<br />
ziemlich feucht zu. Wie ein Waschlappen löst die Superbürste<br />
<strong>mit</strong>hilfe der Ministacheln und des Speichels die<br />
Teilchen aus dem Fell. Hierfür ummanteln die Papillen<br />
einzelne Haare oder Schmutzpartikel <strong>mit</strong> der von ihnen<br />
gespeicherten Flüssigkeit. Selbst hartnäckigen Schmutz<br />
kann die Mietze so aus dem Pelz entfernen und verknotete<br />
Fellpartien lösen. Durch den Speichel flutscht es<br />
auch später besser. Denn im Ruhezustand liegen die Ministacheln<br />
wie überlappende Dachziegel flach in Richtung<br />
Rachen. Dies vereinfacht das Säubern der Zunge.<br />
„Mit einem einzigen Wisch können Katzen die auf der<br />
Zunge befindlichen Haare wegwischen“, so Noel. Die herausgeputzten<br />
Teilchen schluckt die Samtpfote einfach<br />
herunter <strong>–</strong> der Grund, warum Katzen hin und wieder<br />
Haarknäuel ausspucken.<br />
All dies erfolgt laut Noel in genau vier Phasen: Zuerst<br />
dehnt die Katze ihre Zunge der Länge und daraufhin der<br />
Breite nach aus. Während dieser Erweiterung rotieren<br />
die Papillen, bis sie aufrecht auf der Zunge positioniert<br />
sind. Danach verhärtet sich die Zunge und gleitet einmal<br />
durch das Fell, um sich am Ende wie eine U-förmige Locke<br />
zurückzuziehen. Der Forscherin nach dauert diese<br />
Vier-Phasen-Sequenz rund eine Sekunde. Während dieser<br />
Abfolge bewegt die Katze ihre Zunge zwischen 43<br />
und 83 Millimeter, wobei sie eine Geschwindigkeit von<br />
211 bis 229 Millimeter pro Sekunde vorlegt. Die Papillen<br />
reichen sogar bis unter das Fell an die Haut der Katze <strong>–</strong><br />
bis auf eine Ausnahme: „Perserkatzen können sich nicht<br />
selbst pflegen, denn ihre Papillen sind nicht lang genug,<br />
um durch den langhaarigen Pelz bis zur Haut durchzudringen“,<br />
meint Noel.<br />
› BEIM SCHLECKEN WIRD DIE KATZENZUNGE<br />
IN 4 PHASEN ZUR SUPERBÜRSTE.<br />
› MIT DEN WINZIGEN STACHELN AUF IHRER<br />
ZUNGE KOMMT DIE KATZE BEIM PUTZEN<br />
BIS TIEF UNTERS FELL.<br />
Ihre Zungenpapillen nützen Katzen übrigens noch für<br />
eine weitere wichtige Aufgabe: zur Kühlung. Ist es der<br />
Katze zu warm, geben die Papillen die gespeicherte Menge<br />
Speichel ins Maul ab und verwandeln die Zunge so in<br />
eine Wärmeaustauschfläche. Mithilfe der entstehenden<br />
Verdunstungskühle regulieren Katzen daraufhin ihre<br />
Körpertemperatur.<br />
FEINSCHMECKER FÜR FRISCHE<br />
Neben den stacheligen Fadenpapillen haben Katzen<br />
noch andere zahlreiche Erhebungen auf der Zunge: die<br />
Geschmacksknospen. Während beim Menschen die Geschmacksknospen<br />
überall auf der Zunge zu finden sind,<br />
haben Katzen diese nur am Rand, an der Spitze und hinten<br />
an der Zungenwurzel. Differenzierte Feinheit beim<br />
Schmecken bieten diese der Katze allerdings nicht <strong>–</strong> für<br />
einen reinen Fleischfresser vielleicht auch nicht nötig.<br />
Salziges können Katzen geschmacklich nicht besonders<br />
gut wahrnehmen. Nur in relativ hohen Konzentrationen<br />
können sie Natrium und Potassiumchlorid herausschmecken.<br />
Zudem fehlt ihnen, wie mancher Großkatze,<br />
aufgrund einer Genveränderung das nötige Protein zum<br />
Erkennen von Süßem.<br />
Dafür können Katzen etwas ganz Außergewöhnliches<br />
besonders gut feststellen: Frische. Die Fähigkeit, Frische<br />
© Noel, et al.; Chiemsee2016 / pixabay.com<br />
› SEHR GESCHICKT WIRD DAS LECKERLI<br />
MIT DER ZUNGE AUFGENOMMEN<br />
zu erkennen, hat allerdings nichts <strong>mit</strong> der Zunge zu tun.<br />
Die Frische der erlegten Beute stellen Katzen anhand<br />
von Nukleotidmonophosphaten fest, die sich <strong>mit</strong> der Zeit<br />
im Fleisch anhäufen. Wie der Evolutionsbiologe Andrew<br />
C. Kitchener von der Abteilung für Naturwissenschaften<br />
am Nationalmuseum in Schottland im Buch „Biology<br />
and Conservation of Wild Felids“ schreibt, hemmen die<br />
Nukleotidmonophosphate die auf Aminosäure reagierenden<br />
Gesichtsnerven der Katze. Sollte die Beute nicht<br />
frisch sein, ziehen Katzen quasi den Kopf ein.<br />
MEISTER DER HYDRODYNAMIK<br />
Doch dies ist noch nicht alles, was die Katze an Wunderleistungen<br />
vollbringt. Bei der so banal anmutenden<br />
Tätigkeit des Trinkens werden die Samtpfoten zu Meistern<br />
der Hydrodynamik. Sie schlabbern nicht einfach.<br />
Sie formen ihre Zunge auch nicht, wie lange angenommen,<br />
zu einer Schöpfkelle. Katzen beißen ihr Wasser<br />
ab! Wie sich Katzen beim Trinken die Flüssigkeitsdynamik<br />
zunutze machen, fanden Forscher vom Bostoner<br />
Massachusetts Institute of Technology (MIT) heraus.<br />
Das Team um Physiker Pedro Reis filmte hierfür mehrere<br />
Stubentiger in Zeitlupe beim Trinken und stellte fest,<br />
dass Katzen während des Trinkens die Zunge gar nicht<br />
weit ins Wasser eintauchen. Im Gegenteil: Mit minimalen<br />
Bewegungen der Zungenspitze bauen Katzen die<br />
nach oben schnellende Flüssigkeit zu einer Säule auf.<br />
Ganze viermal pro Sekunde legen sie dafür die Zungenspitze<br />
auf die Wasseroberfläche und ziehen sie rasch<br />
wieder zurück. Danach beißen sie im perfekten Moment<br />
ab, und die maximal mögliche Flüssigkeitsmenge<br />
fließt ins Maul <strong>–</strong> wobei die stacheligen Fadenpapillen<br />
auf der Zunge der Katze zu Hilfe kommen: Sie saugen<br />
die Wassertropfen wie Strohhalme auf und sorgen so<strong>mit</strong><br />
dafür, dass die Flüssigkeit nicht sofort wieder aus<br />
dem Maul herausfließen kann.<br />
Wann der richtige Moment zum Abbeißen gekommen<br />
ist, scheinen Katzen ebenso instinktiv zu wissen, wie den<br />
Zeitpunkt, an dem sie ihr Maul schließen müssen. Nur<br />
kurz später würde die Säule nämlich in sich zusammenfallen.<br />
Anhand der Aufnahmen er<strong>mit</strong>telten die Forscher<br />
ferner die sogenannte Froude-Zahl, <strong>mit</strong> der hydrodynamische<br />
Strömungsbedingungen beschrieben werden:<br />
Sie liegt bei knapp 1. Die Größe der Katze spielt hierbei<br />
ebenso wenig eine Rolle wie die Art. Haus-, Wild- oder<br />
Großkatze, alle Feliden regeln laut den Wissenschaftlern<br />
ihren Zungenschlag entsprechend ihrer Körpergröße<br />
genau so, dass dieser Wert erreicht wird und so<strong>mit</strong> die<br />
größtmögliche Flüssigkeitsmenge ins Maul fließen kann.<br />
In Anbetracht dieser physiologischen und physikalischen<br />
Glanzleistungen zeigt sich schnell: Die Katzenzunge<br />
ist <strong>mit</strong> wahrhaft außergewöhnlichen Fähigkeiten<br />
bestückt. Die Genialität der Katzenzunge inspirierte<br />
Noel und ihren Ko-Forscher Hu übrigens zur Entwicklung<br />
einer neuen Bürste. TIGR ist von der Zunge inspiriert<br />
(Tongue-Inspired Grooming) und gerade mal zwei<br />
Finger groß und breit. Mit einem 3D-Drucker und einem<br />
Polymer auf Silikonbasis erschuf das Forscherteam die<br />
kleine Bürste <strong>mit</strong> ihren flexiblen, gebogenen Borsten,<br />
die natürlich den Katzenpapillen ähneln. Lose Haare<br />
von Mensch und Tier entfernt die Bürste problemlos<br />
bereits <strong>mit</strong> weitaus geringerer Druckintensität als herkömmliche<br />
Modelle. Durch einfaches Darüberstreichen<br />
kann die Bürste später gereinigt werden. Im Test konnte<br />
TIGR mehr Knoten entfernen als ihre Konkurrentinnen.<br />
Noch ist TIGR jedoch nicht reif für die Massenproduktion.<br />
Ein perfektes Beispiel für ein brillantes Design, dem<br />
die Natur Pate stand, ist sie aber bereits allemal.<br />
. WEBTIPP<br />
» Interessante Videos von Noel<br />
gibt es im Internet unter<br />
www.noel.gatech.edu/rough-cat-tongues<br />
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