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crazy4dogs mit all4pets inside – Frühlingsausgabe 2019

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KATZEN<br />

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63<br />

Beim Lecken stellt die Katze die sich im vorderen Zungenbereich<br />

befindlichen härteren Kollagen-Stacheln auf,<br />

während sich gleichzeitig die Zunge in alle vier Richtungen<br />

ausdehnt. Verfilzungen im Pelz, Schmutzpartikel,<br />

lose Haare, Ungeziefer oder Schuppen schleckt sie <strong>mit</strong><br />

ihrer Zunge so flugs aus dem Fell heraus. Dabei geht es<br />

ziemlich feucht zu. Wie ein Waschlappen löst die Superbürste<br />

<strong>mit</strong>hilfe der Ministacheln und des Speichels die<br />

Teilchen aus dem Fell. Hierfür ummanteln die Papillen<br />

einzelne Haare oder Schmutzpartikel <strong>mit</strong> der von ihnen<br />

gespeicherten Flüssigkeit. Selbst hartnäckigen Schmutz<br />

kann die Mietze so aus dem Pelz entfernen und verknotete<br />

Fellpartien lösen. Durch den Speichel flutscht es<br />

auch später besser. Denn im Ruhezustand liegen die Ministacheln<br />

wie überlappende Dachziegel flach in Richtung<br />

Rachen. Dies vereinfacht das Säubern der Zunge.<br />

„Mit einem einzigen Wisch können Katzen die auf der<br />

Zunge befindlichen Haare wegwischen“, so Noel. Die herausgeputzten<br />

Teilchen schluckt die Samtpfote einfach<br />

herunter <strong>–</strong> der Grund, warum Katzen hin und wieder<br />

Haarknäuel ausspucken.<br />

All dies erfolgt laut Noel in genau vier Phasen: Zuerst<br />

dehnt die Katze ihre Zunge der Länge und daraufhin der<br />

Breite nach aus. Während dieser Erweiterung rotieren<br />

die Papillen, bis sie aufrecht auf der Zunge positioniert<br />

sind. Danach verhärtet sich die Zunge und gleitet einmal<br />

durch das Fell, um sich am Ende wie eine U-förmige Locke<br />

zurückzuziehen. Der Forscherin nach dauert diese<br />

Vier-Phasen-Sequenz rund eine Sekunde. Während dieser<br />

Abfolge bewegt die Katze ihre Zunge zwischen 43<br />

und 83 Millimeter, wobei sie eine Geschwindigkeit von<br />

211 bis 229 Millimeter pro Sekunde vorlegt. Die Papillen<br />

reichen sogar bis unter das Fell an die Haut der Katze <strong>–</strong><br />

bis auf eine Ausnahme: „Perserkatzen können sich nicht<br />

selbst pflegen, denn ihre Papillen sind nicht lang genug,<br />

um durch den langhaarigen Pelz bis zur Haut durchzudringen“,<br />

meint Noel.<br />

› BEIM SCHLECKEN WIRD DIE KATZENZUNGE<br />

IN 4 PHASEN ZUR SUPERBÜRSTE.<br />

› MIT DEN WINZIGEN STACHELN AUF IHRER<br />

ZUNGE KOMMT DIE KATZE BEIM PUTZEN<br />

BIS TIEF UNTERS FELL.<br />

Ihre Zungenpapillen nützen Katzen übrigens noch für<br />

eine weitere wichtige Aufgabe: zur Kühlung. Ist es der<br />

Katze zu warm, geben die Papillen die gespeicherte Menge<br />

Speichel ins Maul ab und verwandeln die Zunge so in<br />

eine Wärmeaustauschfläche. Mithilfe der entstehenden<br />

Verdunstungskühle regulieren Katzen daraufhin ihre<br />

Körpertemperatur.<br />

FEINSCHMECKER FÜR FRISCHE<br />

Neben den stacheligen Fadenpapillen haben Katzen<br />

noch andere zahlreiche Erhebungen auf der Zunge: die<br />

Geschmacksknospen. Während beim Menschen die Geschmacksknospen<br />

überall auf der Zunge zu finden sind,<br />

haben Katzen diese nur am Rand, an der Spitze und hinten<br />

an der Zungenwurzel. Differenzierte Feinheit beim<br />

Schmecken bieten diese der Katze allerdings nicht <strong>–</strong> für<br />

einen reinen Fleischfresser vielleicht auch nicht nötig.<br />

Salziges können Katzen geschmacklich nicht besonders<br />

gut wahrnehmen. Nur in relativ hohen Konzentrationen<br />

können sie Natrium und Potassiumchlorid herausschmecken.<br />

Zudem fehlt ihnen, wie mancher Großkatze,<br />

aufgrund einer Genveränderung das nötige Protein zum<br />

Erkennen von Süßem.<br />

Dafür können Katzen etwas ganz Außergewöhnliches<br />

besonders gut feststellen: Frische. Die Fähigkeit, Frische<br />

© Noel, et al.; Chiemsee2016 / pixabay.com<br />

› SEHR GESCHICKT WIRD DAS LECKERLI<br />

MIT DER ZUNGE AUFGENOMMEN<br />

zu erkennen, hat allerdings nichts <strong>mit</strong> der Zunge zu tun.<br />

Die Frische der erlegten Beute stellen Katzen anhand<br />

von Nukleotidmonophosphaten fest, die sich <strong>mit</strong> der Zeit<br />

im Fleisch anhäufen. Wie der Evolutionsbiologe Andrew<br />

C. Kitchener von der Abteilung für Naturwissenschaften<br />

am Nationalmuseum in Schottland im Buch „Biology<br />

and Conservation of Wild Felids“ schreibt, hemmen die<br />

Nukleotidmonophosphate die auf Aminosäure reagierenden<br />

Gesichtsnerven der Katze. Sollte die Beute nicht<br />

frisch sein, ziehen Katzen quasi den Kopf ein.<br />

MEISTER DER HYDRODYNAMIK<br />

Doch dies ist noch nicht alles, was die Katze an Wunderleistungen<br />

vollbringt. Bei der so banal anmutenden<br />

Tätigkeit des Trinkens werden die Samtpfoten zu Meistern<br />

der Hydrodynamik. Sie schlabbern nicht einfach.<br />

Sie formen ihre Zunge auch nicht, wie lange angenommen,<br />

zu einer Schöpfkelle. Katzen beißen ihr Wasser<br />

ab! Wie sich Katzen beim Trinken die Flüssigkeitsdynamik<br />

zunutze machen, fanden Forscher vom Bostoner<br />

Massachusetts Institute of Technology (MIT) heraus.<br />

Das Team um Physiker Pedro Reis filmte hierfür mehrere<br />

Stubentiger in Zeitlupe beim Trinken und stellte fest,<br />

dass Katzen während des Trinkens die Zunge gar nicht<br />

weit ins Wasser eintauchen. Im Gegenteil: Mit minimalen<br />

Bewegungen der Zungenspitze bauen Katzen die<br />

nach oben schnellende Flüssigkeit zu einer Säule auf.<br />

Ganze viermal pro Sekunde legen sie dafür die Zungenspitze<br />

auf die Wasseroberfläche und ziehen sie rasch<br />

wieder zurück. Danach beißen sie im perfekten Moment<br />

ab, und die maximal mögliche Flüssigkeitsmenge<br />

fließt ins Maul <strong>–</strong> wobei die stacheligen Fadenpapillen<br />

auf der Zunge der Katze zu Hilfe kommen: Sie saugen<br />

die Wassertropfen wie Strohhalme auf und sorgen so<strong>mit</strong><br />

dafür, dass die Flüssigkeit nicht sofort wieder aus<br />

dem Maul herausfließen kann.<br />

Wann der richtige Moment zum Abbeißen gekommen<br />

ist, scheinen Katzen ebenso instinktiv zu wissen, wie den<br />

Zeitpunkt, an dem sie ihr Maul schließen müssen. Nur<br />

kurz später würde die Säule nämlich in sich zusammenfallen.<br />

Anhand der Aufnahmen er<strong>mit</strong>telten die Forscher<br />

ferner die sogenannte Froude-Zahl, <strong>mit</strong> der hydrodynamische<br />

Strömungsbedingungen beschrieben werden:<br />

Sie liegt bei knapp 1. Die Größe der Katze spielt hierbei<br />

ebenso wenig eine Rolle wie die Art. Haus-, Wild- oder<br />

Großkatze, alle Feliden regeln laut den Wissenschaftlern<br />

ihren Zungenschlag entsprechend ihrer Körpergröße<br />

genau so, dass dieser Wert erreicht wird und so<strong>mit</strong> die<br />

größtmögliche Flüssigkeitsmenge ins Maul fließen kann.<br />

In Anbetracht dieser physiologischen und physikalischen<br />

Glanzleistungen zeigt sich schnell: Die Katzenzunge<br />

ist <strong>mit</strong> wahrhaft außergewöhnlichen Fähigkeiten<br />

bestückt. Die Genialität der Katzenzunge inspirierte<br />

Noel und ihren Ko-Forscher Hu übrigens zur Entwicklung<br />

einer neuen Bürste. TIGR ist von der Zunge inspiriert<br />

(Tongue-Inspired Grooming) und gerade mal zwei<br />

Finger groß und breit. Mit einem 3D-Drucker und einem<br />

Polymer auf Silikonbasis erschuf das Forscherteam die<br />

kleine Bürste <strong>mit</strong> ihren flexiblen, gebogenen Borsten,<br />

die natürlich den Katzenpapillen ähneln. Lose Haare<br />

von Mensch und Tier entfernt die Bürste problemlos<br />

bereits <strong>mit</strong> weitaus geringerer Druckintensität als herkömmliche<br />

Modelle. Durch einfaches Darüberstreichen<br />

kann die Bürste später gereinigt werden. Im Test konnte<br />

TIGR mehr Knoten entfernen als ihre Konkurrentinnen.<br />

Noch ist TIGR jedoch nicht reif für die Massenproduktion.<br />

Ein perfektes Beispiel für ein brillantes Design, dem<br />

die Natur Pate stand, ist sie aber bereits allemal.<br />

. WEBTIPP<br />

» Interessante Videos von Noel<br />

gibt es im Internet unter<br />

www.noel.gatech.edu/rough-cat-tongues<br />

«

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