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DAS INTIME<br />

IST POLITISCH<br />

Ausgeliefert, überfordert, gedemütigt – Chefredakteurin<br />

Delna Antia-Tatic spricht über ihr traumatisierendes<br />

Geburtserlebnis und bricht damit ein Tabu. Ein Bericht und<br />

eine Anklage über die geringschätzenden Zustände, unter<br />

denen Frauen in unserer Gesellschaft Leben auf die Welt<br />

bringen.<br />

Von Delna Antia-Tatić, Foto: Marko Mestrović<br />

Seit 16 Monaten bin ich nun<br />

wütend. Die Wut verschwindet<br />

nicht, wie man es mir versprochen<br />

hat. Sie steigt mir<br />

zu Kopf, in Bauch und Beine, jedes Mal,<br />

wenn das Thema angeschnitten wird. Ich<br />

habe nicht vergessen, im Gegenteil, ich<br />

bin empört darüber, was ich erlebt habe.<br />

Zum ersten Mal in meinem Leben hatte<br />

ich das Gefühl „nur“ eine Frau zu sein.<br />

Dieses Empfinden kannte ich so nicht,<br />

ich bin selbstbewusst, führe ein selbstbestimmtes<br />

Leben und umgebe mich –<br />

aus Zufall oder nicht – mit feministischen<br />

Männern. Aber seit November 2017 bin<br />

ich mir sicher: Würden Männer Kinder<br />

kriegen, sähe die Situation anders aus.<br />

Und das Interessante ist: Selbst Männer<br />

stimmen mir zu.<br />

Ich hatte eine harte Entbindung, eine<br />

schwierige und langwierige. Einfach<br />

Pech gehabt? Nein, ich bin kein trauriger<br />

Einzelfall. Wo man mitleidig mit dem Kopf<br />

nickt und Schulter tätschelnd versichert,<br />

dass ich das irgendwann schon vergessen<br />

werde. Und ich mich doch überhaupt<br />

freuen sollte, weil es ja ein „Happy<br />

End“ gegeben hat. Solche Reaktionen<br />

empfinde ich als beschwichtigend und<br />

stummstellend. Nach dem Motto: Frauen<br />

kriegen nun einmal die Kinder, das ist<br />

Naturgesetz, die Schmerzen gehören<br />

nicht nur dazu, sondern sind im Prozedere<br />

wichtig und seit Hunderten von Jahren<br />

müssen wir da durch. Außerdem, viele<br />

Frauen haben auch einfache Geburten.<br />

So weit, so richtig.<br />

Würden Männer<br />

Kinder kriegen,<br />

sähe die Situation<br />

anders aus.<br />

Aber was ist mit den Umständen? Ich<br />

beklage nicht das „Los der Frau“ noch<br />

die Schmerzen. Ich beklage auch nicht<br />

einzelne Personen. Im Gegenteil, die<br />

Arbeit von Hebammen ist bewundernswert.<br />

Sie ist wahrlich lebenswichtig und<br />

wird in unserer Gesellschaft völlig unterbewertet<br />

bzw. unterbezahlt. Ich bin auch<br />

den Ärzten dankbar, ja der modernen<br />

Medizin, ich weiß nicht wie es am Ende<br />

bei mir ohne Kaiserschnitt ausgegangen<br />

wäre. Aber ich beklage die Umstände.<br />

Für jede Frau ist die erste Schwangerschaft<br />

und Geburt unbegreiflich. Besonders<br />

vor der ersten Geburt geht es uns<br />

nicht anders als Männern. Wir wissen so<br />

wenig wie unser Partner, was auf uns zu<br />

kommt, kennen nur die Theorie, hören<br />

Geschichten und sehen Bilder, aber wir<br />

sind so unerfahren wie jeder Mann. Nur<br />

mit dem Unterschied, dass wir betroffen<br />

sind. Daher müssen wir vertrauen. Auf<br />

unseren Körper zunächst, und später auf<br />

all die Experten – dem Geburtensystem<br />

an sich. Denn das Wunder des Lebens<br />

ist ja paradoxerweise das Normalste der<br />

Welt. 86.987 Geburten fanden 2017 in<br />

Österreich statt.<br />

Das Wunder in meinem Bauch ist<br />

also „normal“, so habe ich es gesehen.<br />

Als ich schwanger wurde und die<br />

Geburtsortwahl anstand, entschied ich<br />

22 / FAMILY SPECIAL /

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