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MEINUNG<br />

TYPISCH MÄDCHEN.<br />

Kommentar von Aleksandra Tulej<br />

Ich wollte als Kind ein Junge sein. Jungs hatten es einfach<br />

besser: Es war egal, wenn sie aufgeschlagene Knie vom<br />

Bäumeklettern hatten. Mir wurde immer wieder eingebläut,<br />

dass es sich für ein Mädchen nicht gehört, überall Pflaster<br />

kleben zu haben – passt nicht zum weißen Erstkommunionskleid.<br />

Jungs hat niemand gesagt, sie dürfen nicht<br />

breitbeinig in der U-Bahn sitzen, da man ihnen dann<br />

zwischen die Beine sehen kann. Keiner hat sie gewarnt,<br />

dass sie sich nicht in der Öffentlichkeit die Lippen abschlecken<br />

sollen, da das zu lasziv aussehen kann. Als wir älter<br />

wurden, hat sie niemand gewarnt, sie sollten Abends ja<br />

aufpassen, wenn sie alleine nachhause gehen. Und heute,<br />

als Erwachsene, fragt sie niemand, wann sie denn Kinder<br />

haben wollen oder warum sie ihr Liebesleben so pragmatisch<br />

angehen.<br />

Augenverdrehen. „Das ist doch alles so ein Mimimi-<br />

Feminismus“ und „wir haben ja andere Sorgen weil in<br />

Saudi-Arabien dies oder jenes.“ Haben wir eh. „Frauen<br />

können doch eh machen was sie wollen, was kümmert<br />

euch, was andere von euch denken?“ Mich kümmert es<br />

herzlich wenig. Mittlerweile. Junge Mädchen kümmert es<br />

viel mehr – Und da geht es nicht um aufgekratzte Knie,<br />

sondern um die Konstrukte, in die wir Frauen von klein<br />

auf hineingepfercht wurden und werden. Es ist dieses<br />

ewige Aufpassen, Zurückhalten, „sich Benehmen“. Dieses<br />

Schuldgefühl, wenn dich jemand Fremder auf der Straße<br />

grindig anmacht – du hättest ja eine längere Hose anziehen<br />

können. Hätte das wirklich was geändert? Hätte ich<br />

anders reagieren sollen, als einfach wegzuschauen? Aber<br />

wie? Das sind Gedanken, die ich als Jugendliche tagtäglich<br />

hatte. Und ehrlich gesagt immer noch habe. Es ist natürlich<br />

nicht deine Schuld, aber warum fühlst du dich dann<br />

so? Weil es dir unbewusst eingeredet wurde. Seit immer<br />

schon. Und bitte kommt mir jetzt nicht damit, dass das<br />

nicht die echten Probleme sind und dass tagtäglich Frauen<br />

vergewaltigt werden und das die richtigen Sorgen sind.<br />

Ich würde mir nie anmaßen, so etwas zu vergleichen oder<br />

gleichzustellen, aber ich denke, dass wir hier alle klug<br />

genug sind, das herauszulesen. Mir geht es darum, dass du<br />

als Frau so oft an deinem Selbstwertgefühl zweifelst. Weil<br />

dir beigebracht wurde, dass zwar du selbst dafür verantwortlich<br />

bist, aber dieses dennoch irgendwie von anderen<br />

abhängt. Ich ertappe mich selbst heute noch dabei, wie ich<br />

manchmal in diese Muster falle und ich hasse es.<br />

Aber das wollte man uns so lange verklickern: Wirst du also<br />

abfällig angemacht, soll dein Selbstwert runtergehen. Und<br />

wie baust du es wieder auf? Uns Frauen wird beigebracht,<br />

sei es durch Disneyfilme oder sei es durch Werbung und<br />

Magazine, dass man sich von Männern „umgarnen“ lassen<br />

muss, sie um sich kämpfen lassen muss. Und wenn dir das<br />

nicht gelingt, bist du weniger wert. Und genau darauf hatte<br />

ich nie Bock. Das erschien mir immer so schwach. Und<br />

kontraproduktiv: Frauen wollen Gleichberechtigung aber<br />

gleichzeitig wie irgendwelche unnahbaren Wesen behandelt<br />

werden? Das ergibt doch keinen Sinn. Bitte brechen wir<br />

endlich diese Konstrukte auf. Und gehen wir weiter in eine<br />

Richtung, in der es sich gut anfühlt, eine Frau zu sein.<br />

Heute bin ich verdammt froh, dass ich eine Frau bin. Ich bin<br />

froh, dass ich mir über die oben genannten Dinge Gedanken<br />

machen darf. Das alles habe ich Frauen zu verdanken,<br />

die dafür gekämpft haben, ohne jemals das Wort Feminismus<br />

gehört zu haben. Die alles riskiert haben, damit wir es<br />

später besser haben. Man denke an Suffragetten, an Aktivistinnen<br />

in stark patriarchalen Gesellschaften. Oder auch<br />

einfach an Frauen, die ihren Töchtern ein starkes Selbstwertgefühl<br />

vermittelt haben – was diese Töchter dann weitergeben.<br />

Denn genau darum geht es – Gehen wir weiter<br />

diesen Weg, der uns schon geebnet wurde. So lange, bis<br />

wir keine Angst mehr haben, für uns selbst aufzustehen. So<br />

lange, bis wir aufhören, die Schuld bei uns zu suchen, wenn<br />

uns jemand grausig anmacht. So lange, bis wir nicht mehr<br />

über depperte Pflaster auf den Knien diskutieren werden.<br />

Marko Mestrović<br />

54 / MIT / MIT SCHARF / /

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