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„Eine Geburt im<br />
Krankenhaus<br />
findet kaum mehr<br />
interventionsfrei<br />
statt.“<br />
nicht jede Stunde ein Zentimeter weiter<br />
geht (der Muttermund muss sich laut<br />
Theorie von 1 auf 10 cm öffnen, damit<br />
das Kind hinaus kann), dann würde eben<br />
„interveniert“ – sprich eingeschritten. Es<br />
gibt vielfältige Mittel wie den Wehentropf<br />
oder auch das konkrete Einleiten einer<br />
Geburt, wenn die Frau zu lange über<br />
dem Geburtstermin liegt. Und natürlich<br />
gibt es das CTG – den Herz- und<br />
Wehenschreiber. Daran kann ich mich<br />
erinnern, alle paar Stunden wurde ich<br />
unbequem an das Gerät gehängt, um die<br />
Herztöne des Kindes zu messen. Diese<br />
„CTG-Routine“ im Spital sieht Raunig als<br />
kontraproduktiv. „Es gibt nun einmal all<br />
diese schönen Geräte und Mittel, daher<br />
werden sie auch verwendet!“, kritisiert<br />
sie die Motivation der Spitäler. Selbst<br />
die Weltgesundheitsorganisation (WHO)<br />
bemängelt den Trend zu immer mehr<br />
medizinischen Interventionen während<br />
der Geburt, insbesondere gegen den<br />
immer häufigeren Einsatz von Wehenmitteln<br />
zur Beschleunigung der Geburt.<br />
„Es ist auch eine Folge der mangelnden<br />
1:1 Betreuung“, erklärt mir die Hebamme.<br />
Wenn eine Hebamme nicht bei einer<br />
Gebärenden im Raum bleiben kann, ist<br />
die stetige Kontrolle des Gesundheitszustand<br />
des Kindes mittels CTG ein<br />
wichtiger Ersatz.<br />
Dass es am Ende bei all den Eingriffen<br />
dann zu einem Kaiserschnitt<br />
kommt, verwundert weder sie noch die<br />
Hebamme. Und die steigenden Kaiserschnittraten<br />
sprechen für sich: 29,6 %<br />
waren es im Jahr 2017 – das ist fast jede<br />
dritte Frau. Auch in meinem Freundeskreis<br />
haben vier von sechs Frauen<br />
seit 2017 eine ungeplante Narbe. Und<br />
davor schützt auch keine Privatklinik,<br />
denn nicht selten weisen Privatärzte<br />
eine Kaiserschnittrate von 80% vor, so<br />
Raunig. Auch die Hebamme bestätigt:<br />
Die Spitäler verdienen mehr Geld an<br />
Kaiserschnittgeburten. Raunig geht so<br />
weit, die hohe „Sectio Rate“ als moderne<br />
Frauenbeschneidung zu bezeichnen. Die<br />
Psychologin ist Expertin in diesem Gebiet<br />
und drehte 2014 einen Dokumentarfilm<br />
zum Thema „Meine Narbe“, der u.a. für<br />
den Fernsehpreis nominiert war und im<br />
ORF ausgestrahlt wurde.<br />
Obwohl ich letztlich froh bin, durch<br />
einen Kaiserschnitt „erlöst“ worden zu<br />
sein, waren die Umstände danach umso<br />
schlimmer. Da ich nicht in einem Einzelzimmer<br />
in einer Privatklinik lag, sondern<br />
zunächst in einem Dreibett-, dann in<br />
einem Doppelzimmer, musste mein Mann<br />
zwischen <strong>19</strong> Uhr und 7 Uhr morgens<br />
gehen. Ich war mit einer Bauchoperation,<br />
wie die Ärzte mir stets einbläuten, unter<br />
Schmerzmittel und mit meinem so neuen<br />
Säugling über Nacht allein. Mein Sohn<br />
war gesund, kräftig, hungrig und schrie.<br />
Ich konnte ohne Hilfe nicht aufstehen,<br />
kaum gehen, geschweige denn mein<br />
Baby tragen, wiegen, wickeln. Natürlich<br />
halfen die Hebammen, wenn ich sie rief,<br />
aber dass sie Stress hatten war mehr<br />
als spürbar. Die Muttermilch ließ auf sich<br />
warten, typisch für die Kaiserschnittgeburt.<br />
Ich entließ mich einen Tag früher<br />
aus dem Spital, weil mein Sohn und ich<br />
zuhause nicht nur mehr Betreuung haben<br />
würden, sondern vor allem Ruhe. Und<br />
prompt schoss die Milch ein.<br />
Ruhe, Zeit und die individuelle<br />
Betreuung, das braucht es für Geburten<br />
– vorher wie nachher. „Wie soll eine Frau<br />
sich sonst öffnen können?“, kritisiert die<br />
Hebamme. Ich hatte es nicht gekonnt.<br />
Ich erlebte während meiner Geburt vier<br />
Personalschichten. Zwar allesamt freundlich<br />
– da hatte ich Glück, denn ich kenne<br />
andere Berichte – aber nichtsdestotrotz<br />
bedeutete dies, dass mich vier Schichten<br />
an der bis dato intimsten Stelle untersuchten.<br />
Diese stetige Muttermunduntersuchung<br />
ist für die Frauen nicht nur oft<br />
unangenehm, sie ist so häufig auch nicht<br />
erforderlich, so die Expertinnen. Als bei<br />
mir kurz vor Schluss die Auszubildende<br />
dann auch noch fühlen wollte, was denn<br />
da nicht weiterging, hatte ich wahrlich<br />
das demütigende Gefühl des Tags der<br />
offenen Tür.<br />
Würden Männer die Kinder kriegen,<br />
liefe es hundertprozentig anders. Die<br />
Psychologin und die Hebamme stimmen<br />
mir sofort zu – ohne Zögern. „Wenn Männer<br />
das System gestalten und Hebammen<br />
nicht mitreden dürfen, dann ist das<br />
zu Gunsten des Geldes und zu Lasten<br />
der Frauen und Kinder“, so die Hebamme.<br />
Es fehle an Güte und Mitgefühl. Für<br />
mich fehlte es vor allem an Respekt vor<br />
dem, was wir Frauen hier leisten. Wir<br />
bringen Leben auf die Welt! Das Wichtigste<br />
für unsere Gesellschaft, und geben<br />
dabei viel von uns hin. Denn kaum ein<br />
Mutterkörper ist danach derselbe.<br />
Beide Frauen bestärken mich in dem<br />
Vorhaben, diesen Artikel zu schreiben.<br />
Ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin.<br />
Es gibt immer<br />
mehr Berichte von<br />
Gewalt während der<br />
Geburt, von Verletzungen<br />
– verbaler<br />
wie physischer.<br />
Es gibt immer mehr Berichte von Gewalt<br />
während der Geburt, von Verletzungen –<br />
verbaler wie physischer Art. Es gibt zwar<br />
keine Statistiken, aber laut Schätzungen<br />
von Christina Mundlos, der deutschen<br />
Soziologin und Autorin des Buchs<br />
„Gewalt unter der Geburt“, betrifft es<br />
mindestens 40–50% der Geburten. „Das<br />
Risiko für die einzelne Frau bei einer<br />
ihrer Geburten Gewalt zu erleben ist<br />
jedoch noch höher. Wenn etwa 50% der<br />
Geburten betroffen sind, dann liegt das<br />
Risiko für die einzelne Frau bei 80% bei<br />
einer ihrer Geburten Gewalt zu erleben,“<br />
so Mundlos. Das Sprechen darüber ist<br />
gut. Denn wenn wir Frauen uns nicht<br />
wehren, wie soll sich etwas ändern? Das<br />
Intime ist politisch. ●<br />
/ FAMILY SPECIAL / 25