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KULTUR<br />
BERLINER KURIER, Freitag, 5. Juli 2019<br />
Wolf Biermann<br />
Zurück im kalten<br />
Der Liedermacher Wolf<br />
Biermann wurde 1976von der<br />
DDR-Führung ausgebürgert.<br />
Herzen des Bösen<br />
Der Liedermacher singt beim<br />
Tagder offenen Tür in der<br />
Stasiopfer-Gedenkstätte<br />
Von<br />
STEFANIE HILDEBRANDT<br />
Berlin – In seiner „Stasi-<br />
Ballade“ aus dem Jahr 1970<br />
singt Deutschlands streitbarster<br />
Liedermacher<br />
Wolf Biermann: „Menschlich<br />
fühl ich mich verbunden,<br />
mit den armen Stasi-<br />
Hunden. Die bei Schnee<br />
und Regengüssen mühsam<br />
auf mich achten müssen.“<br />
Seine bitteren Erfahrungen<br />
mit dem DDR-Machtapparat<br />
hat Biermann virtuos in<br />
Lyrik und Balladen gegossen.<br />
Am Sonntag besucht er<br />
nun einen Ort, an dem Tausenden<br />
Menschen Unrecht<br />
geschah.<br />
Beim Tag der offenen Tür in<br />
der Stasiopfer-Gedenkstätte<br />
Hohenschönhausen singt<br />
Biermann ab 14 Uhr und diskutiert<br />
nach dem Open-Air-<br />
Konzert mit der befreundeten<br />
Marianne Birthler (71).<br />
Bis heute ist der 82-Jährige<br />
ein Querdenker, der von Altersmilde<br />
wenig hält. Seine<br />
Lieder seien für die Menschen<br />
in der DDR ein Stück<br />
„Seelenbrot“ gewesen, das<br />
verhinderte, dass sie innerlich<br />
verhungerten, sagte er<br />
einmal. Dass die DDR zusammen<br />
gebrochen sei, wundere<br />
ihn heute noch. Er sei fest davon<br />
überzeugt gewesen, dass<br />
sie länger hielte als er selber.<br />
„Ich bin froh, dass ich mich<br />
geirrt habe“, so Biermann.<br />
Umso mehr, als dass er heute<br />
als Zeitzeuge an die kalte<br />
Vergangenheit des Plattenbau-Komplexes<br />
an der Gensler<br />
Straße erinnern kann.<br />
Die Verantwortlichen in der<br />
Stasiopfer-Gedenkstätte haben<br />
Wolf Biermann nicht lange<br />
bitten müssen. Er, der nur<br />
noch die Auftritte absolviert,<br />
die er wirklich machen möchte,<br />
sagte schnell zu, gemeinsam<br />
mit Marianne Birthler<br />
auf der Bühne zu diskutieren.<br />
Beim Tag der offenen Tür im<br />
Die ehemalige Haftanstalt der Stasi in Hohenschönhausen<br />
früheren Untersuchungsgefängnis<br />
der DDR-Staatssicherheit,<br />
der am Sonntag von<br />
10 bis 17 Uhr stattfindet, ist<br />
der Biermann-Auftritt das<br />
Highlight, zu dem sich die<br />
Veranstalter Hunderte Gäste<br />
wünschen.<br />
Biermann sei einer der radikalsten<br />
Kritiker der SED-Diktatur<br />
gewesen, heißt es in der<br />
Ankündigung. Schon seit<br />
1965 mit Auftritts- und Publikationsverbot<br />
belegt, wurde<br />
der Sänger 1976 während eines<br />
Gastspiels in Köln ausgebürgert.<br />
Für viele der Anfang<br />
vom Ende des sozialistischen<br />
Experiments.<br />
Marianne Birthler und Biermann<br />
kennen sich aus Oppositionszeiten.<br />
Als die frühere<br />
Bundesbeauftragte 2014 ihre<br />
Autobiografie vorstellte, kam<br />
auch der ergraute Barde und<br />
griff zur Gitarre. „Was für ein<br />
Glück hatten wir, dass wir ohne<br />
Krieg aus der DDR rausgekommen<br />
sind“, sagt er damals.<br />
Einer der Fans von Biermann<br />
ist der Mann von Kanzlerin<br />
Angela Merkel. Joachim<br />
Sauer hatte 2016 in einer Laudatio<br />
zum 80. Geburtstag des<br />
deutsch-deutschen Liedermachers<br />
dessen Lebensweg<br />
vom überzeugten Kommunistenkind<br />
zum aufmüpfigen<br />
DDR-Widerständler gewürdigt<br />
und daran erinnert, dass<br />
der Protest gegen die Ausbürgerung<br />
den Anfang vom Ende<br />
der DDR einläutete.<br />
In Hohenschönhausen wird<br />
an politische Willkür und Unrecht<br />
erinnert. Besucher werden<br />
von früheren Häftlingen<br />
durch erhaltene Zellen und<br />
Verhörräume geführt.<br />
In dem Gefängnis waren in<br />
den Jahren zwischen 1951<br />
und 1989 mehr als 11 000<br />
Menschen eingesperrt, darunter<br />
Oppositionelle wie<br />
Bärbel Bohley oder Jürgen<br />
Fuchs. Das Konzert wird mit<br />
der Stiftung <strong>Berliner</strong> Mauer<br />
und der Stiftung zur Aufarbeitung<br />
der SED-Diktatur<br />
präsentiert.<br />
Fotos: Imago Images/S. Boness, R. Müller