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ERZFREUNDE – Das Sachsen-Sonderheft zum Welterbe Erzgebirge

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22<br />

TIEFENRAUSCH<br />

<strong>Das</strong> Bild vom Schöngeist unter Tage<br />

nämlich hatte die Fantasie entfacht, und<br />

angetrieben vom Tiefenrausch Goethes<br />

ließen sich jetzt jüngere Dichter <strong>–</strong> etwa<br />

E.T.A. Hoffmann oder Novalis <strong>–</strong> in<br />

die mystischen Abgründe der Berge hineinziehen:<br />

Hunderte Meter unter der<br />

Rasenkante drangen sie in eine Welt vor,<br />

die an Zauber und Magie kaum zu<br />

überbieten war. Überall ein Funkeln<br />

und Glitzern. Da standen Romanhelden<br />

mit einem Mal vor Abbruchkanten,<br />

sahen in tiefste Abgründe hinein oder<br />

stiegen hinab bis in die letzten Berginnereien.<br />

Denn: „Nach innen geht der<br />

geheimnisvolle Weg“ <strong>–</strong> so wollte es <strong>zum</strong>indest<br />

die Parole der durch Bergbau<br />

und Montanindustrie beeinflussten<br />

jungen Romantiker.<br />

Dreh- und Angelpunkt der kulturellen<br />

Tiefenbohrung: die Bergakademie Freiberg,<br />

eine damals noch junge Hochschule<br />

im <strong>Erzgebirge</strong>. 1765 unter dem Namen<br />

Kurfürstlich-Sächsische Bergakademie<br />

von Prinz Xaver von <strong>Sachsen</strong> und dem<br />

preußischen Staatswirt Friedrich Anton<br />

von Heynitz gegründet, bestand ihr<br />

vornehmstes Ziel in der Förderung der<br />

angeschlagenen sächsischen Wirtschaft:<br />

Nach der Niederlage des Kurfürstentums<br />

im Siebenjährigen Krieg nämlich mussten<br />

Wege gefunden werden, um aus Erzen<br />

Geld und Gold zu machen. In Freiberg<br />

sollten für diese Herausforderung<br />

emsige Jung-Bergleute im Alter zwischen<br />

16 und 26 ausge bildet werden.<br />

Eine Erfolgsgeschichte; heute ist die<br />

Technische Universität Bergakademie<br />

Freiberg die älteste montan wissenschaftliche<br />

Hochschule der Welt, und<br />

auch schon Ende des 18. Jahrhunderts,<br />

gerade einmal 20 Jahre nach ihrer<br />

Gründung, lobte man die neue Ausbildungsstätte<br />

in den höchsten Tönen.<br />

So schrieb der sächsische Chronist und<br />

Lokaldichter Heinrich Keller über den<br />

neuen Wissenschaftsstandort südwestlich<br />

von Dresden: „Die Churfürstlich<br />

Sächsische schriftsäßige Hauptbergstadt<br />

Freyberg ist als die dritte vorzügliche<br />

Für Novalis war der<br />

Gang ins Dunkel der<br />

Berge Sinnbild für<br />

die Verinnerlichung<br />

des Menschen<br />

Stadt des Churfürstenthums <strong>Sachsen</strong><br />

und als die erste in Rücksicht auf<br />

die hier blühenden Bergwissenschaften<br />

in ganz Deutschland zu betrachten.“<br />

Ausgerechnet hier also, wo junge<br />

Menschen in Mineralogie, Mechanik,<br />

Physik oder reiner Mathematik aus gebildet<br />

wurden, blühten mit einem Mal<br />

Poesie und blaue Blumen auf. Hauptverantwortlich<br />

für den träumerischen<br />

shift war ein damals 25-jäh riger Student,<br />

der im Dezember 1797<br />

zur Ausbildung in die<br />

alte sächsische Bergstadt<br />

gekommen war:<br />

der aus einer norddeutschen<br />

Adelsfamilie<br />

stammende Friedrich<br />

von Hardenberg, der<br />

Nachwelt besser bekannt<br />

unter seinem später<br />

zu gelegten Pseudonym<br />

Novalis. Nicht,<br />

dass dieser junge Mann<br />

kein Interesse an dem<br />

kalten Fachwissen des<br />

vorzüglichen Freiberger<br />

Lehrkörpers gehabt<br />

hätte; doch der ausgebildete<br />

Jurist betrieb<br />

sein neues Studium<br />

Ein Freiberger<br />

Bergakademist in<br />

seiner Uniform im<br />

Jahr 1791<br />

nicht ausschließlich für montanwissenschaftliche<br />

Zwecke. Der Gang in die<br />

Tiefe wurde für Novalis <strong>zum</strong> Sinnbild<br />

für die Verinnerlichung des Menschen<br />

an sich. Denn, so das bis heute sicherlich<br />

berühmteste Credo von Novalis: die<br />

Welt wartete darauf, romantisiert zu<br />

werden. In Anlehnung an die deutsche<br />

Mystik, an Johannes Tauler oder Jakob<br />

Böhme, glaubte der Jungromantiker<br />

wild entschlossen daran, dass die Mineralien<br />

und Erze, die dunklen Stollen<br />

und funkelnden Steine nur Schatten<br />

einer ewigen, inneren Wahrheit seien;<br />

das Freiberger Bergwerk mit dem fast<br />

sprichwört lichen Namen „Himmelfahrt<br />

Fundgrube“ ein Spiegelbild<br />

eines unendlichen Bergwerks der Seele:<br />

„Die Tiefen unseres Geistes kennen wir<br />

nicht […]. In uns oder nirgends ist die<br />

Ewigkeit.“<br />

Fotos: © TU Bergakademie Freiberg (vorherige Doppelseite). © TU Bergakademie Freiberg Universitätsbibliothek<br />

<strong>ERZFREUNDE</strong>

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