ERZFREUNDE – Das Sachsen-Sonderheft zum Welterbe Erzgebirge
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TIEFENRAUSCH<br />
<strong>Das</strong> Bild vom Schöngeist unter Tage<br />
nämlich hatte die Fantasie entfacht, und<br />
angetrieben vom Tiefenrausch Goethes<br />
ließen sich jetzt jüngere Dichter <strong>–</strong> etwa<br />
E.T.A. Hoffmann oder Novalis <strong>–</strong> in<br />
die mystischen Abgründe der Berge hineinziehen:<br />
Hunderte Meter unter der<br />
Rasenkante drangen sie in eine Welt vor,<br />
die an Zauber und Magie kaum zu<br />
überbieten war. Überall ein Funkeln<br />
und Glitzern. Da standen Romanhelden<br />
mit einem Mal vor Abbruchkanten,<br />
sahen in tiefste Abgründe hinein oder<br />
stiegen hinab bis in die letzten Berginnereien.<br />
Denn: „Nach innen geht der<br />
geheimnisvolle Weg“ <strong>–</strong> so wollte es <strong>zum</strong>indest<br />
die Parole der durch Bergbau<br />
und Montanindustrie beeinflussten<br />
jungen Romantiker.<br />
Dreh- und Angelpunkt der kulturellen<br />
Tiefenbohrung: die Bergakademie Freiberg,<br />
eine damals noch junge Hochschule<br />
im <strong>Erzgebirge</strong>. 1765 unter dem Namen<br />
Kurfürstlich-Sächsische Bergakademie<br />
von Prinz Xaver von <strong>Sachsen</strong> und dem<br />
preußischen Staatswirt Friedrich Anton<br />
von Heynitz gegründet, bestand ihr<br />
vornehmstes Ziel in der Förderung der<br />
angeschlagenen sächsischen Wirtschaft:<br />
Nach der Niederlage des Kurfürstentums<br />
im Siebenjährigen Krieg nämlich mussten<br />
Wege gefunden werden, um aus Erzen<br />
Geld und Gold zu machen. In Freiberg<br />
sollten für diese Herausforderung<br />
emsige Jung-Bergleute im Alter zwischen<br />
16 und 26 ausge bildet werden.<br />
Eine Erfolgsgeschichte; heute ist die<br />
Technische Universität Bergakademie<br />
Freiberg die älteste montan wissenschaftliche<br />
Hochschule der Welt, und<br />
auch schon Ende des 18. Jahrhunderts,<br />
gerade einmal 20 Jahre nach ihrer<br />
Gründung, lobte man die neue Ausbildungsstätte<br />
in den höchsten Tönen.<br />
So schrieb der sächsische Chronist und<br />
Lokaldichter Heinrich Keller über den<br />
neuen Wissenschaftsstandort südwestlich<br />
von Dresden: „Die Churfürstlich<br />
Sächsische schriftsäßige Hauptbergstadt<br />
Freyberg ist als die dritte vorzügliche<br />
Für Novalis war der<br />
Gang ins Dunkel der<br />
Berge Sinnbild für<br />
die Verinnerlichung<br />
des Menschen<br />
Stadt des Churfürstenthums <strong>Sachsen</strong><br />
und als die erste in Rücksicht auf<br />
die hier blühenden Bergwissenschaften<br />
in ganz Deutschland zu betrachten.“<br />
Ausgerechnet hier also, wo junge<br />
Menschen in Mineralogie, Mechanik,<br />
Physik oder reiner Mathematik aus gebildet<br />
wurden, blühten mit einem Mal<br />
Poesie und blaue Blumen auf. Hauptverantwortlich<br />
für den träumerischen<br />
shift war ein damals 25-jäh riger Student,<br />
der im Dezember 1797<br />
zur Ausbildung in die<br />
alte sächsische Bergstadt<br />
gekommen war:<br />
der aus einer norddeutschen<br />
Adelsfamilie<br />
stammende Friedrich<br />
von Hardenberg, der<br />
Nachwelt besser bekannt<br />
unter seinem später<br />
zu gelegten Pseudonym<br />
Novalis. Nicht,<br />
dass dieser junge Mann<br />
kein Interesse an dem<br />
kalten Fachwissen des<br />
vorzüglichen Freiberger<br />
Lehrkörpers gehabt<br />
hätte; doch der ausgebildete<br />
Jurist betrieb<br />
sein neues Studium<br />
Ein Freiberger<br />
Bergakademist in<br />
seiner Uniform im<br />
Jahr 1791<br />
nicht ausschließlich für montanwissenschaftliche<br />
Zwecke. Der Gang in die<br />
Tiefe wurde für Novalis <strong>zum</strong> Sinnbild<br />
für die Verinnerlichung des Menschen<br />
an sich. Denn, so das bis heute sicherlich<br />
berühmteste Credo von Novalis: die<br />
Welt wartete darauf, romantisiert zu<br />
werden. In Anlehnung an die deutsche<br />
Mystik, an Johannes Tauler oder Jakob<br />
Böhme, glaubte der Jungromantiker<br />
wild entschlossen daran, dass die Mineralien<br />
und Erze, die dunklen Stollen<br />
und funkelnden Steine nur Schatten<br />
einer ewigen, inneren Wahrheit seien;<br />
das Freiberger Bergwerk mit dem fast<br />
sprichwört lichen Namen „Himmelfahrt<br />
Fundgrube“ ein Spiegelbild<br />
eines unendlichen Bergwerks der Seele:<br />
„Die Tiefen unseres Geistes kennen wir<br />
nicht […]. In uns oder nirgends ist die<br />
Ewigkeit.“<br />
Fotos: © TU Bergakademie Freiberg (vorherige Doppelseite). © TU Bergakademie Freiberg Universitätsbibliothek<br />
<strong>ERZFREUNDE</strong>