architektur_619_eMag
architektur - material und oberfläche - bauwirtschaft - planer - interior - design - architekt - baubranche - architekturlovers - architect - bauen - innendesign - retail - licht - edv - bim - 2019
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<strong>architektur</strong> FACHMAGAZIN<br />
Frühere Projekte von Grade bezogen sich<br />
auf Bergformationen, Waldgebiete in Guatemala<br />
und die sich verändernde Landschaft<br />
in der Arktis. In letzter Zeit nimmt er sich<br />
vermehrt der Themen wie Stürme, Zerstörung<br />
der Umwelt, Feuerkatastrophen und<br />
Erdbeben etc. an. Aber immer stehen seine<br />
Arbeiten in einem direkten Zusammenhang<br />
mit der Natur, der Umwelt: sie verwittern,<br />
zerfallen, geben so Rückschlüsse auf Vergängliches,<br />
auch auf Prozesse. Und sie dienen<br />
als Nahrung für Insekten und Vögel und<br />
repräsentieren so den Wandel.<br />
Auf einer kleinen Lichtung in einem italienischen<br />
Wald kann man nun seine letzte<br />
Installation bewundern. Das „Reservoir“<br />
wirkt wie ein glitzernder Kronleuchter inmitten<br />
der Pinienwipfel. Das Projekt befindet<br />
sich im Arte Sella Skulpturen Park in<br />
Borgo Valsugana, Südtirol und besteht aus<br />
5.000 kleinen, tropfenförmigen Gefäßen,<br />
aufgehängt an einem durchsichtigen Netz<br />
zwischen den Bäumen. Beim Entwurf des<br />
„Reservoirs“ hat sich Grade sehr genau mit<br />
dem Ökosystem des Parks auseinandergesetzt,<br />
um eine harmonische Eingliederung<br />
in die Landschaft zu erzielen. Er studierte,<br />
wie der Regen durch die Bäume zu Boden<br />
fällt, wie die Baumkronen die einzelnen<br />
Tropfen auffangen und langsam weitergeben<br />
und wie ruhig und beschützt der Wald<br />
während eines starken Regens wirkte.<br />
Die Einzelteile der Skulptur bestehen aus<br />
hitzeverformten Plastikstücken, welche<br />
mit unter Dampf gebogenen Holzstücken<br />
aus Zeder (aus Alaska) gefasst sind. Jeder<br />
durchsichtige Plastiktropfen ist mit der Hand<br />
geformt, der Künstler hat dazu 10 verschiedene<br />
Personen beschäftigt, um eine möglichst<br />
große Differenziertheit der Einzelteile<br />
zu erreichen. Die Tropfen sind mit Nylongarn<br />
10<br />
an Fischernetzen befestigt, diese wiederum<br />
werden mit rostfreien Stahlkabeln an den<br />
Baumstämmen in Spannung gehalten.<br />
Wenn nun Regen oder Schnee fällt, sammelt<br />
sich das Wasser in den durchsichtigen<br />
Taschen des Reservoirs und bildet so<br />
die tropfenförmige Struktur aus. Langsam<br />
wird die Installation schwerer und schwerer<br />
und senkt sich herunter. Bei sonnigem<br />
und warmem Wetter hebt sie sich wieder<br />
in die Höhe, weil das gesammelte Wasser<br />
verdunstet. Sie hebt und senkt sich je nach<br />
atmosphärischem Niederschlag. Spiralfedern<br />
begrenzen den vertikalen Hub in der<br />
Bewegung so, dass das Reservoir immer<br />
in mindestens drei Meter Höhe über dem<br />
Waldboden schweben bleibt. Die trockene,<br />
ungefüllte Skulptur wiegt in ihrer Originalkonfiguration<br />
ca. 31 kg, gefüllt kann sie bis<br />
zu 360 kg schwer werden. Sie dient als Wasserreserve<br />
für die unmittelbare Umgebung:<br />
Wenn das in ihr enthaltene Wasser verdunstet,<br />
erzeugt die Feuchtigkeit eine die Vegetation<br />
des Waldes fördernde Atmosphäre.<br />
Start<br />
Es ergeben sich mehrere intellektuelle, aber<br />
auch ganz praktische Zugänge zu diesem<br />
Kunstwerk. John Grade macht damit auf<br />
den Prozess des Verlustes einer natürlichen<br />
Ressource aufmerksam. Einerseits<br />
ist damit der Naturraum Wald gemeint, andererseits<br />
aber auch das Wasser, welches<br />
in vielen Ländern bereits zur Mangelware<br />
wird. Weltweit haben etwa vier Mrd. Menschen<br />
bzw. zwei Drittel der Weltbevölkerung<br />
mindestens einen Monat im Jahr nicht<br />
ausreichend Wasser zu Verfügung, sodass<br />
sie unter schwerer Wasserknappheit leiden.<br />
Diese Installation kann mit ihrer Schönheit<br />
und Grazilität ein Bewusstsein für den Wert<br />
von (Regen)Wasser hervorrufen.<br />
Es ist aber auch ein (künstlerischer) Aufruf,<br />
sorgsamer mit der Ressource Wasser umzugehen.<br />
Es zu schätzen und achtsam zu<br />
behandeln, nicht einfach in Kanäle zu leiten,<br />
sondern es der Natur nach Möglichkeit wieder<br />
zurückzugeben.