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architektur FACHMAGAZIN People 2023

Bereits zum sechsten Mal erscheint diese Sonderausgabe von architektur Fachmagazin, bei der wir vorrangig die Architekten selbst zu Wort kommen lassen. Als wir im Jahr 2017 mit der Arbeit an der ersten Ausgabe unseres Interview-Sonderheftes „People“ begannen, hatten wir von Anfang an eine klare Vision. Unser Ziel war es, eine Plattform zu schaffen, die Architekturschaffenden einen Raum bietet, um mit der Baubranche und darüber hinaus in einen Dialog zu treten. Wir wollten aktuelle Herausforderungen ansprechen, geeignete Lösungsansätze aufzeigen und so zu einem konstruktiven Diskurs über Architektur beitragen. Für Selbstdarstellungen oder Oberflächlichkeiten sollte hingegen kein Platz geboten werden. Seitdem haben viele renommierte Architekturbüros und aufstrebende Newcomer diese Gelegenheit genutzt und uns darüber hinaus viele interessante Einblicke in ihre ganz individuellen Arbeitsweisen gewährt. Und auch dieses Mal kommt wieder eine besondere Auswahl an inspirierenden Gesprächsparter:innen mit ganz unterschiedlichen Kernkompetenzen zu Wort.

Bereits zum sechsten Mal erscheint diese Sonderausgabe von architektur Fachmagazin, bei der wir vorrangig die Architekten selbst zu Wort kommen lassen. Als wir im Jahr 2017 mit der Arbeit an der ersten Ausgabe unseres Interview-Sonderheftes „People“ begannen, hatten wir von Anfang an eine klare Vision. Unser Ziel war es, eine Plattform zu schaffen, die Architekturschaffenden einen Raum bietet, um mit der Baubranche und darüber hinaus in einen Dialog zu treten. Wir wollten aktuelle Herausforderungen ansprechen, geeignete Lösungsansätze aufzeigen und so zu einem konstruktiven Diskurs über Architektur beitragen. Für Selbstdarstellungen oder Oberflächlichkeiten sollte hingegen kein Platz geboten werden. Seitdem haben viele renommierte Architekturbüros und aufstrebende Newcomer diese Gelegenheit genutzt und uns darüber hinaus viele interessante Einblicke in ihre ganz individuellen Arbeitsweisen gewährt.

Und auch dieses Mal kommt wieder eine besondere Auswahl an inspirierenden Gesprächsparter:innen mit ganz unterschiedlichen Kernkompetenzen zu Wort.

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<strong>FACHMAGAZIN</strong><br />

WISSEN, BILDUNG, INFORMATION FÜR DIE BAUWIRTSCHAFT<br />

Erscheinungsort Vösendorf, Verlagspostamt 2331 Vösendorf. P.b.b. 02Z033056; ISSN: 1606-4550<br />

PEOPLE<br />

#6


se:matrix<br />

Modulares Regalsystem mit Mehrwert<br />

Zonierung von Wechselarbeitsplätzen<br />

Zonierung von Einzelarbeitsplätzen<br />

Bibliothek<br />

Videolounge<br />

Sedus Österreich GmbH | Herklotzgasse 26 H1 | 1150 Wien | sedus.com | www.homeoffice-shop.at


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

3<br />

Intro<br />

Nummer Sechs<br />

Als wir im Jahr 2017 mit der Arbeit an der ersten Ausgabe unseres Interview-Sonderheftes<br />

„<strong>People</strong>“ begannen, hatten wir von Anfang an eine klare Vision. Unser<br />

Ziel war es, eine Plattform zu schaffen, die Architekturschaffenden einen Raum<br />

bietet, um mit der Baubranche und darüber hinaus in einen Dialog zu treten. Wir<br />

wollten aktuelle Herausforderungen ansprechen, geeignete Lösungsansätze<br />

aufzeigen und so zu einem konstruktiven Diskurs über Architektur beitragen. Für<br />

Selbstdarstellungen oder Oberflächlichkeiten sollte hingegen kein Platz geboten<br />

werden. Seitdem haben viele renommierte Architekturbüros und aufstrebende<br />

Newcomer diese Gelegenheit genutzt und uns darüber hinaus viele interessante<br />

Einblicke in ihre ganz individuellen Arbeitsweisen gewährt.<br />

Die rapid fortschreitende Digitalisierung,<br />

wachsende Ressourcenknappheit, die Pandemie<br />

und die Klima- sowie Energiekrise<br />

sind nur einige der Schlagwörter, die in den<br />

Sinn kommen, wenn man sich die schnell<br />

verändernden Rahmenbedingungen der<br />

letzten sechs Jahre vor Augen hält. So spiegelte<br />

jede der bisherigen Ausgaben den ihr<br />

zugrundeliegenden Zeitgeist wider und ist,<br />

auch mit etwas zeitlichem Abstand, eine<br />

sehr spannende Lektüre. Interessierten<br />

Leser:innen möchte ich daher noch auf unser<br />

Archiv auf www.architectur-online.com<br />

hinweisen. Hier finden Sie nicht nur alle bisherigen<br />

Ausgaben als E-Paper, sondern in<br />

der Rubrik „Architekten im Gespräch“ auch<br />

sämtliche in den letzten Jahren geführten<br />

Interviews aus dem Hauptheft.<br />

Und natürlich kommt auch dieses Mal wieder<br />

eine besondere Auswahl an inspirierenden<br />

Gesprächsparter:innen mit ganz unterschiedlichen<br />

Kernkompetenzen zu Wort.<br />

Den Anfang macht Professor Dietmar Eberle.<br />

Er spricht über die Notwendigkeit der<br />

Umorientierung des Architekturverständnisses<br />

weg von der reinen Nutzung hin zum<br />

Mehrwert für die Öffentlichkeit. Auch die<br />

Frage, wie Gebäude durch soziale und kulturelle<br />

Akzeptanz in Würde altern treibt den<br />

Architekten um.<br />

Catharina Maul und Melanie Högl von<br />

maul-architekten entwickeln unter anderem<br />

Projekte im ländlichen Raum, die sich<br />

behutsam in ihre Umgebung einfügen und<br />

eine Symbiose aus Alt und Neu schaffen. Im<br />

Interview sprechen die beiden über die Signifikanz<br />

des jeweiligen Kontexts, auch, aber<br />

nicht nur in Bezug auf Architektur am Land.<br />

Wie können in kurzer Zeit qualitativer<br />

Wohnraum geschaffen und die Möglichkeiten<br />

des Holzbaus weiterentwickelt werden?<br />

Für Josef Saller von heri&salli gilt es, dahingehend<br />

die Potenziale von Modul- und Systembauweisen<br />

auszuloten. Mit dem „Forum<br />

am Seebogen“ als nutzungsoffenem Stadthaus<br />

hat das Büro dahingehend einen zeitgemäßen<br />

Prototypen entwickelt.<br />

Alexander Meissl von MEISSL Architects<br />

hat es sich zur Aufgabe gemacht, Projekte<br />

und Gebäude zu entwerfen, in denen Menschen<br />

nicht nur wohnen, sondern sich auch<br />

erholen und ihre Freizeit genießen können.<br />

Im Fokus stehen zukunftsweisende Konzepte<br />

und Maßnahmen für einen nachhaltigeren<br />

Tourismus.<br />

Jürgen Haller legt großen Wert auf die Verbindung<br />

von Architektur und Handwerk. Er<br />

teilt Einblicke in seine ehrliche und schnörkellose<br />

Architektur, die von der Authentizität<br />

heimischer Ressourcen und einem<br />

hohen Anspruch an Gestaltung und Nachhaltigkeit<br />

geprägt ist.<br />

Angesichts des fortschreitenden Klimawandels<br />

erörtern Christian Bergmann und<br />

Bernd Muley vom renommierten Architekturbüro<br />

Hadi Teherani Architects die wachsende<br />

Bedeutung von Nachhaltigkeit im<br />

Bauwesen und wie sich diese in aktuellen<br />

Projekten widerspiegelt.<br />

Die international ausgezeichnete Designerin<br />

und Architektin Nina Mair entwickelt Produkte,<br />

die Emotionen schaffen. Im Interview<br />

erklärt sie, worauf es ihr dabei ankommt.<br />

Christoph Zechner vom bereits 1988 mit seinem<br />

Bruder Martin Zechner gegründeten Architekturbüro<br />

Zechner / Zechner teilt mit uns<br />

seine Gedanken zum Themenbereich Stadt,<br />

Infrastruktur, Mobilität und Verdichtung.<br />

Andreas Henter und Markus Rabengruber<br />

machen mit ihrem Büro Tp3 Architekten<br />

seit 2005 gemeinsame Sache. Die beiden<br />

sprechen über die größten Potenziale und<br />

Herausforderungen von Bestandsobjekten<br />

und die Angst vor Revitalisierungen in der<br />

Gesellschaft.<br />

Henning Rieseler, Design Director bei Studio<br />

F. A. Porsche, gibt Einblicke in die Designphilosophie<br />

und den kreativen Prozess des<br />

Studios. Die Grundprinzipien von „Design<br />

must be honest“ und die Symbiose von Form<br />

und Funktion stehen dabei im Mittelpunkt.<br />

Als Pioniere im Bereich Circular Design &<br />

Architecture sind die materialnomaden auf<br />

kreislauffähige Prozesse spezialisiert und<br />

tragen so zu einer nachhaltigeren gebauten<br />

Zukunft bei. Peter Kneidinger erläutert die<br />

Bedeutung zirkulärer Ansätze und gibt anhand<br />

von Projekten Einblicke in ihre Arbeit.<br />

Warum Landschafts<strong>architektur</strong> nicht nur<br />

im urbanen Raum wichtig ist, erläutert die<br />

Landschaftsarchitektin Carla Lo. Außerdem<br />

thematisiert sie die Grundlagen einer<br />

gelungenen Freiraumplanung und verrät, in<br />

welchen Bereichen in Österreich Aufholbedarf<br />

besteht.<br />

Zum Abschluss dieser Ausgabe spricht Architekt<br />

Peter Reiter aus Innsbruck über die<br />

Suche nach einer selbstbewussten Architektursprache<br />

für Tirol, wie diese definiert<br />

werden kann und ob sie überhaupt erforderlich<br />

ist.<br />

Ich wünsche viel Vergnügen mit dieser besonderen<br />

Ausgabe!<br />

Andreas Laser<br />

MEDIENINHABER UND HERAUSGEBER Laser Verlag GmbH; Ortsstraße 212/2/5, 2331 Vösendorf, Österreich<br />

CHEFREDAKTION Andreas Laser(andreas.laser@laserverlag.at) REDAKTION Linda Pezzei, Edina Obermoser LEKTORAT Heidrun Schwinger<br />

GESCHÄFTSLEITUNG Silvia Laser (silvia.laser@laserverlag.at) MEDIASERVICE Nicolas Paga (nicolas.paga@laserverlag.at) Tel.: +43-1-869 5829-14, Manuel Katsikopoulos (manuel.k@laserverlag.at)<br />

GRAFISCHE GESTALTUNG Andreas Laser DRUCK Bauer Medien & Handels GmbH


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

4<br />

Inhalt<br />

PEOPLE<br />

Glaubwürdig bleiben<br />

Interview mit Professor Dietmar Eberle<br />

von Baumschlager Eberle Architekten<br />

Der Kontext als maßgebender<br />

Planungsparameter<br />

Interview mit Catharina Maul und Melanie Högl<br />

von maul-architekten<br />

Mehr positive Utopien<br />

Interview mit Josef Saller von heri&salli<br />

Erfolgsrezept:<br />

Hotels, die begeistern<br />

Interview mit Alexander Meissl von MEISSL Architects<br />

Architektur, Landschaft und Leute<br />

Interview mit Jürgen Haller<br />

Nachhaltigkeit hat höchste Priorität 24<br />

Interview mit Dr. Christian Bergmann & Bernd Muley<br />

von Hadi Teherani Architects sowie Ralf Seufert von WICONA<br />

Vom Hochbau bis zum Türgriff<br />

Interview mit Nina Mair<br />

von NINA MAIR Architecture + Design<br />

Zurück zum Einfachen<br />

Interview mit Christoph Zechner<br />

von Zechner / Zechner<br />

Neues Leben in alten Häusern<br />

Interview mit Andreas Henter und Markus Rabengruber<br />

von Tp3 Architekten<br />

Die Kunst zeitlosen Designs<br />

Interview mit Henning Rieseler<br />

Design Director Studio F. A. Porsche<br />

Der Anfang eines (zirkulären)<br />

Transformationsprozesses<br />

Interview mit Peter Kneidinger von materialnomaden<br />

Quantität und Qualität von Freiräumen<br />

Interview mit Carla Lo<br />

von Carla Lo Landschafts<strong>architektur</strong><br />

Räume für Menschen<br />

Interview mit Architekt Peter Reiter<br />

6<br />

10<br />

14<br />

16<br />

20<br />

28<br />

34<br />

38<br />

44<br />

48<br />

52<br />

56


ILBAGNOALESSI<br />

DESIGN STEFANO GIOVANNONI<br />

LAUFEN.CO.AT


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

6<br />

Baumschlager Eberle Architekten<br />

Glaubwürdig bleiben<br />

Interview mit Professor Dietmar Eberle von Baumschlager Eberle Architekten<br />

Interview: Linda Pezzei<br />

„Letztendlich hat die Architektur nur<br />

drei Möglichkeiten, sich auszudrücken:<br />

die Geometrie, die Materialität und das<br />

Licht. Damit muss sie ihre Geschichten<br />

erzählen”, so Professor Dietmar<br />

Eberle, Gründer von Baumschlager<br />

Eberle Architekten. Im Interview<br />

spricht Professor Dietmar Eberle über<br />

die Notwendigkeit der Umorientierung<br />

des Architekturverständnisses<br />

weg von der reinen Nutzung hin zum<br />

Mehrwert für die Öffentlichkeit. Auch<br />

die Frage, wie Gebäude in Würde<br />

altern können – nämlich durch soziale<br />

und kulturelle Akzeptanz – treibt den<br />

Architekten um. Ihm geht es um die<br />

Erkenntnis, dass die Wertschätzung,<br />

Identität, „Schönheit“ oder Beliebtheit<br />

eines Bauwerks heute im Grunde<br />

wichtiger sind für ein ökologisches<br />

und verantwortliches Bauen als der<br />

reine CO 2 -Fußabdruck. So sollte sich<br />

jeder fragen: Was verändert sich dadurch,<br />

dass ich hier baue? Denn nur so<br />

lässt sich letztlich auch der Wert einer<br />

Immobilie steigern – indem sie über<br />

die Generationen wandelbar ist und im<br />

öffentlichen Raum fest verankert.<br />

© Baumschlager Eberle Architekten


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

7<br />

Baumschlager Eberle Architekten<br />

© Albrecht Immanuel Schnabel<br />

Alpe Furx: Das Ensemble aus kleinteiligen Holzbauten fügt sich zurückhaltend in<br />

die Naturlandschaft und inszeniert gekonnt den Anblick der Szenerie.<br />

Herr Professor Eberle, waren Architekt:innen<br />

Ihrer Meinung nach früher<br />

freier im Denken, Planen und Bauen?<br />

Im Denken sind wir sicher alle noch<br />

immer gleich frei, im Planen und Bauen<br />

heute aber deutlich eingeschränkter.<br />

Immer mehr Planungs- und Baubeteiligte<br />

treten auf den Plan. Ich<br />

sehe dabei zwei wesentliche Träger,<br />

die die Rolle des Architekten verändert<br />

haben: zum einen die ständig<br />

wachsende Bürokratie, der wir stetig<br />

hechelnd hinterherhinken, weil Neues<br />

angehäuft, Altes aber nicht abgeschafft<br />

wird. Zum anderen ist da die<br />

Differenzierung der Projektentwickler,<br />

die aufgrund von ökonomischen<br />

Hintergründen gewisse Dinge vorschreiben,<br />

dass man sich als Architekt<br />

manchmal fragen muss: Ist man<br />

das noch selbst oder ist das nur der<br />

Abdruck des Entwicklers? Aber auch<br />

da gibt es – wie überall – gute und<br />

schlechte Beispiele. Ich denke, dass<br />

momentan eine große Unsicherheit<br />

herrscht – gefühlt alle fünf Jahre<br />

poppen neue Themen auf, die sich<br />

sehr wichtig nehmen, es im Grunde<br />

aber gar nicht sind.<br />

Wie lässt sich Architektur Ihrer Meinung<br />

nach im Kontext zunehmender<br />

Zwänge glaubwürdig gestalten?<br />

Gewissermaßen spiegelt sich das<br />

schon in der Antwort auf die erste<br />

Frage wider – das Ergebnis lässt sich<br />

in der Realität beobachten. Denn zu<br />

all den externen Zwängen gehört<br />

auch, was sich in der Architekturszene<br />

selbst abspielt. Während früher<br />

die Funktion und der Nutzen zu<br />

Form, Ausdruck und Glaubwürdigkeit<br />

unserer gebauten Umwelt geführt<br />

haben, änderten die Möglichkeiten<br />

der Produktion – man denke<br />

nur an das Bauhaus – das gesamte<br />

Architekturdenken. Die Haltung, sich<br />

auf die Funktion und das Programm<br />

zu reduzieren, stammt aus dem 20.<br />

Jahrhundert und hat nichts mit dem<br />

Denken des 21. Jahrhunderts zu tun.<br />

Dabei wurden die Gebäude in ihrer<br />

Funktion nur für eine Generation<br />

gebaut, wobei nachfolgende Generationen<br />

anders leben, Räume anders<br />

denken und nutzen wollen. Das ist<br />

legitim, aber echte Nachhaltigkeit<br />

und eine tiefergehende Identität<br />

sollten meiner Ansicht nach 100 Jahre<br />

oder mehr überdauern. Damit ist<br />

die Architektur des 20. Jahrhunderts<br />

zum Großteil rein methodisch zum<br />

Scheitern verurteilt. Die große Frage<br />

des 21. Jahrhunderts ist doch, was<br />

ein Gebäude zur Öffentlichkeit beitragen<br />

kann. Diese Frage wird aber<br />

heute im öffentlichen Planungsprozess<br />

noch nicht einmal gestellt. Das<br />

führt dazu, dass die Architektur von<br />

heute – analog zu den Bauten aus<br />

den 60er- und 70er-Jahren – eine<br />

geringe soziale Akzeptanz erfährt.<br />

Sich also allein auf die Funktionalität<br />

und Quantität von Architektur zu<br />

beschränken, wird nicht die Lösung<br />

sein, um die Herausforderungen der<br />

Zukunft zu bewältigen. Oder anders<br />

gesagt: Die Frage des quantitativen<br />

Wachstums in unserer gesellschaftlichen<br />

Entwicklung stößt bereits jetzt<br />

auf vielen Ebenen an ihre Grenzen<br />

– überall erkennen wir: so kann es<br />

nicht weitergehen. Dekorative Vorschriften<br />

verunstalten nur, wir müssen<br />

aber im Grundsatz unser Denken<br />

von funktionsbezogener Architektur<br />

zu einer gebauten Umwelt ändern,<br />

die den öffentlichen Raum definiert.<br />

Während unsere Altstädte öffentlicher<br />

Aufenthaltsraum sind, sind es<br />

die neuen Stadtteile meist nicht –<br />

das empfinde ich als große Tragik.<br />

Was ist Ihrer Auffassung nach<br />

„authentische Architektur“?<br />

Authentische Architektur ist für mich<br />

gegeben, wenn es eine große Übereinstimmung<br />

der vermittelten Werte<br />

und der Person, die sie entwickelt hat,<br />

gibt. Eine solche Architektur ist also<br />

sehr individuell und lässt sich schwer<br />

vergesellschaften, weil sie sich auf<br />

Einzelpersonen bezieht. Ursprüngliche,<br />

einfache, reduzierte und materialgetreue<br />

Architektur ist in meinen<br />

Augen noch nicht authentisch, aber<br />

eine Haltung, die mir nahe liegt. So zu<br />

denken, heißt aber auch, die Flucht<br />

in die Vergangenheit anzutreten. Wir<br />

können die alten Zeiten dahingegen<br />

analysieren und das Wissen von damals<br />

in das Hier und Jetzt übersetzen.<br />

Ich selbst habe mich eingehend<br />

mit dem Thema Energie beschäftigt<br />

und bin dabei zu dem Schluss gekommen,<br />

dass alle vor dem Ersten<br />

Weltkrieg gebauten Gebäude ökologisch<br />

viel sinnvoller gedacht sind, als<br />

es nach dem Zweiten Weltkrieg der<br />

Fall war. Warum also ist das Wissen<br />

verloren gegangen, wie man dem Ort<br />

entsprechend baut?<br />

u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

8<br />

Baumschlager Eberle Architekten<br />

© Albrecht Immanuel Schnabel<br />

Die wichtigsten Anforderungen an die Planung und<br />

Gestaltung des neuen Komplexes der Alpe Furx, der<br />

aus einer Gruppe von Chalets und einem Hauptgebäude<br />

besteht, waren die sorgfältige Behandlung des Geländes<br />

und die Beziehung zwischen den Strukturen, die formale<br />

Schönheit und der hohe Freizeitwert.<br />

Ein Projektbeispiel, das Ihre Philosophie<br />

des methodischen und poetischen<br />

Bauens widerspiegelt?<br />

Ich denke, es gibt zwei Arten der Architektur:<br />

die „Sonntags<strong>architektur</strong>“,<br />

also Kirchen, Fußballstadien, Museen<br />

und so weiter und die „Werktags<strong>architektur</strong>“<br />

wie Büros, Wohnhäuser,<br />

Schulen und mehr. Einfacher für<br />

mich wäre es, an dieser Stelle die<br />

Sonntags<strong>architektur</strong> zu benennen<br />

– man nehme die Oper in Oslo oder<br />

die Elbphilharmonie – das aber sind<br />

Monumente, die einen großen Freiheitsgrad<br />

in sich tragen, bei dem<br />

sich architektonische Wertvorstellungen<br />

effektiver durchsetzen lassen.<br />

Schwieriger ist da die Alltags<strong>architektur</strong>,<br />

die weniger bekannt und weniger<br />

dokumentiert ist. Es gibt aber<br />

einige Beispiele, die hinter dem poetischen<br />

und methodischen Anspruch<br />

eine gewisse Geschichte, Haltung<br />

und Wertvorstellung widerspiegeln.<br />

Mit der Alpe Furx zeigen Sie, wie unaufgeregt<br />

sich ein Chaletdorf in die<br />

bestehende Naturlandschaft einfügen<br />

kann – was macht die Qualität<br />

des Projekts aus?<br />

Die Qualität besteht in der Selbstverständlichkeit<br />

der hiesigen Tradition<br />

von Stadeln, also Heulagern, die topografisch<br />

gesehen ja sehr spezifisch<br />

verortet sind. Man hat mir erzählt,<br />

dass die Gäste sich in der Alpe Furx<br />

sehr wohlfühlen. In großen Räumen<br />

fühlt man sich hingegen oft verloren,<br />

also haben wir ein Raumkontinuum<br />

mit unterschiedlichen Nischen und<br />

Blickrichtungen mit Bezug zur Landschaft<br />

geschaffen. Ähnliche Konzepte<br />

haben wir bereits früher umgesetzt,<br />

denn auch im Einkauf sehen wir<br />

oft das Problem weitläufiger Räume.<br />

Diese kann man in dezentrale aber<br />

verknüpfte Einheiten aufsplitten – so<br />

wie im Fall der Alpe Furx vereinfacht<br />

gesagt in viele kleine Heustadel unter<br />

einem großen Dach.<br />

Wie kann so etwas auch mit Gewerbe-<br />

und Industriebauten auf der grünen<br />

Wiese gelingen?<br />

Auf dieselbe Weise. Wir leben in<br />

reichen Kulturlandschaften, es gibt<br />

Unmengen an Typologien aus der<br />

Vergangenheit, die wir zwar nicht<br />

kopieren, aber weiterentwickeln können.<br />

Das entspricht auch meinem<br />

Anspruch: Architektur ist für mich<br />

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<br />

in einem. Dabei geht es um die<br />

Frage nach der Aufgabe und nach<br />

dem Standort: Auch der Umgang mit<br />

dem öffentlichen Raum ist wichtig.<br />

Es gibt für mich keine private Architektur,<br />

speziell im Alpenland aber<br />

unterschiedliche und starke Identitäten,<br />

die es lohnen, sie weiterzuentwickeln.<br />

In den vergangenen Jahren<br />

wurden diese oft kontrastiert, was<br />

meist peinlich anmutet, denn die<br />

alten Zusammenhänge sind doch<br />

wunderbar und wir sollten sie lieber<br />

fortschreiben. Die Vergangenheit<br />

können wir Architekten als Quelle<br />

des Wissens nutzen, die man auf<br />

die Zukunft anwenden kann. Es ist<br />

alles eine Frage der Dimension und<br />

wie man mit Bauwerken mitten in der<br />

Landschaft umgeht. Dafür muss man<br />

bereit sein, sich mit der Geschichte<br />

des Ortes zu beschäftigen.<br />

Ein Projekt, das Sie unlängst<br />

beeindruckt hat und warum?<br />

Da kommen mir einige Wiederentdeckungen<br />

in den Sinn, die mir zwar<br />

aus der Literatur bekannt waren, die<br />

ich aber erst jetzt gesehen habe.<br />

Bestes Beispiel Madrid: Da gibt es<br />

viele interessante, neue Bauten, die<br />

sich in die stadteigene Härte und<br />

Tradition fügen – das beeindruckt,<br />

weil die Architekten damit das machen,<br />

was ich richtig finde: sich aus<br />

einer gewissen Identität heraus treu<br />

bleiben. Rafael Moneo hat beispielsweise<br />

einige Zubauten geschaffen,<br />

die so in den Bestand integriert sind,<br />

dass sie kaum auffallen. •<br />

© Albrecht Immanuel Schnabel<br />

Holz innen und außen von Lärchenschindeln bis zur Weißtanne<br />

und Möbeln aus schwarz gebeizter Esche und Ahorn.<br />

www.baumschlager-eberle.com


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<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

10<br />

maul-architekten<br />

Der Kontext als<br />

maßgebender<br />

Planungsparameter<br />

Interview mit Catharina Maul und Melanie Högl von maul-architekten<br />

Interview: Edina Obermoser<br />

© Edith Maul-Röder<br />

Catharina Maul (links) wurde 2022 als Emerging Female Architect of the Year ausgezeichnet. Die junge Architektin kommt aus einer Architektenfamilie<br />

und gründete 2017 mit maul-architekten ihr eigenes Büro, bei dem auch ihr Vater Franz Maul (selbst seit über 30 Jahren im Geschäft)<br />

als Gesellschafter mitwirkt. 2020 kam neben dem Büro in Wien nicht nur eine Zweigstelle in Attersee dazu, sondern auch eine weitere Teilhaberin:<br />

Melanie Högl. Gemeinsam mit ihrem Team entwickeln die beiden Frauen unter anderem Projekte im ländlichen Raum, die sich behutsam in<br />

ihre Umgebung einfügen und eine Symbiose aus Alt und Neu schaffen. Im Interview sprechen die Oberösterreicherin und die Münchnerin unter<br />

anderem über Architektur am Land (und in der Stadt) sowie die Signifikanz des jeweiligen Kontexts.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

11<br />

maul-architekten<br />

Wie würden Sie die Arbeitsweise und<br />

Philosophie Ihres Büros beschreiben?<br />

Catharina Maul CM: Grundsätzlich<br />

versuchen wir, bei all unseren Projekten<br />

den Fokus auf den Kontext zu legen,<br />

sei es aus städtebaulicher oder<br />

aus gesellschaftlicher Sicht. Egal ob<br />

am Land oder in der Stadt, die bautechnische<br />

und baugestalterische<br />

Umgebung ist für uns maßgebend.<br />

Weiters achten wir von Beginn an<br />

immer auf eine gute Gesprächsbasis<br />

– sowohl bürointern als auch mit<br />

Fachplaner:innen und Bauherr:innen.<br />

Sie haben ein Büro in Wien und eines<br />

in der Gemeinde Attersee. Wo liegen<br />

für Sie die Grenzen zwischen Stadt<br />

und Land?<br />

CM: Eine klare Grenze zu ziehen<br />

und zu definieren, wo eine urbane<br />

Gegend beginnt, ist oft gar nicht so<br />

einfach. Es gibt viele so genannte<br />

Zwischenstadtlandschaften, die man<br />

weder klar als Stadt noch als Land<br />

bezeichnen kann. Die Bundesstraße 1<br />

in Oberösterreich zwischen Linz und<br />

Wels ist für mich ein gutes Beispiel<br />

für einen solchen Raum. Diesem<br />

undefinierbaren, nicht heterogenen<br />

Raum sowie der damit verbundenen<br />

Nutzung habe ich mich neben<br />

einem nachhaltigen Energiekonzept<br />

im verdichteten Flachbau auch<br />

in meiner Diplomarbeit gewidmet.<br />

Melanie Högl MH: Genau diese<br />

Übergänge und Zwischenräume ergeben<br />

häufig spannende Situationen.<br />

Zum einen leben und profitieren<br />

Stadt und Land voneinander, zum<br />

anderen lässt sich nirgends genau<br />

festmachen, wo das eine aufhört und<br />

das andere anfängt.<br />

Worin unterscheidet sich in Ihren Augen<br />

die Planung im urbanen und im<br />

ländlichen Raum?<br />

MH: Wir haben zwar zwei Büros, das<br />

heißt aber nicht, dass sich eines auf<br />

das Thema Land und das andere auf<br />

die Stadt beschränkt. Generell sehe<br />

ich beim Planen im urbanen und<br />

ländlichen Raum keine konkreten<br />

Unterschiede. Vielmehr kommt es<br />

auf die Bauaufgabe und deren spezifischen<br />

Ort bzw. dessen individuelle<br />

Gegebenheiten an.<br />

CM: Der größte Unterschied ist meiner<br />

Meinung nach schlichtweg die<br />

Bei den HTL Tourismusschulen Retz ergänzte man ein Bestandsgebäude aus den 70er-Jahren um einen<br />

neuen Trakt und schuf so ein zeitgemäßes Bildungsensemble, das sich behutsam ins Ortsbild einfügt.<br />

Dichte der Umgebung. Die Stadt ist<br />

per Definition enger bebaut als das<br />

Land und das wirkt sich insofern natürlich<br />

auf die Planung aus, als man<br />

mit anderen Themen wie Infrastruktur,<br />

Abständen etc. konfrontiert wird.<br />

Zusammenfassend ist festzuhalten,<br />

dass bei beiden der jeweilige Ort<br />

maßgebend ist.<br />

Kann Ihrer Meinung nach jede/r im<br />

ländlichen Kontext bauen bzw. planen<br />

oder braucht es dafür ein bestimmtes<br />

Verständnis?<br />

CM: Ich denke bei jedem Projekt ist<br />

eines essenziell: ein Grundverständnis<br />

für den Kontext. Sonnenlauf und<br />

Topografie und dementsprechend<br />

Ausrichtung und Position gilt es in<br />

der Planung überall gleichermaßen<br />

zu beachten – am Land berücksichtige<br />

ich dann eben einen Hang, in der<br />

Stadt dagegen ein Nachbargebäude.<br />

Als Architekt:in sollte ich das Feingefühl<br />

mitbringen, um mich in Orte<br />

hineinversetzen zu können und die<br />

Wünsche der Bauherr:innen in ein<br />

gebautes Ganzes zu verpacken.<br />

Welche besonderen Qualitäten bieten<br />

rurale Gegenden, wo gibt es (ungenutztes)<br />

Potenzial?<br />

CM: Eine Qualität, die der ländliche<br />

Kontext bietet, ist seine Weitläufigkeit.<br />

Ausblick und Einblick spielen<br />

oft eine größere Rolle als in der<br />

Stadt. Während man am Land häufig<br />

Panoramen mit Bergen oder Seen<br />

mit großflächigen Verglasungen<br />

bewusst in Szene setzen kann, sind<br />

in einer urbanen Umgebung völlig<br />

andere Maßnahmen nötig. In der<br />

Stadt bietet vielleicht ein Oberlicht<br />

die Möglichkeit, mit dem Außenraum<br />

zu kommunizieren. Ungenutztes Potenzial<br />

sehe ich bei brachliegendem<br />

Bauland, welches stärker in den Diskurs<br />

gebracht werden sollte.<br />

MH: Die Themen Leerstand und<br />

Abwanderung spielen in ländlichen<br />

Gebieten ebenfalls eine wichtige<br />

Rolle. Deshalb steckt meiner Meinung<br />

nach gerade in leerstehenden<br />

Bestandsgebäuden jede Menge Potenzial.<br />

Hier gilt es, den Fokus auf<br />

die Revitalisierung gut angebundener<br />

Gegenden zu legen: funktionierende<br />

Ortszentren nachverdichten,<br />

Leerstand gezielt entgegenwirken<br />

und der Bevölkerung das Land so als<br />

attraktive Lebensumgebung wieder<br />

näherbringen.<br />

Gibt es besondere Herausforderungen,<br />

denen man beim Bauen am Land<br />

begegnet?<br />

CM: Ein schwieriger Punkt ist der Individualverkehr.<br />

In vielen Projekten<br />

gehört die Anzahl der Parkplätze und<br />

die Zufahrt zu den wichtigsten Themen.<br />

Da gibt es sicherlich viel Aufholbedarf<br />

und es liegt auch an uns als<br />

Architekt:innen, aufzuzeigen, dass es<br />

anders gehen muss und kann.<br />

MH: Das Auto hat am Land leider<br />

nach wie vor einen hohen Stellenwert<br />

und jeder will am besten eine<br />

Garage mit Platz für zwei PKWs. Das<br />

ist unter anderem dem geschuldet,<br />

dass der öffentliche Nahverkehr oder<br />

Radwege fehlen und man nicht auf<br />

Alternativen ausweichen kann. u<br />

© Schreyer David


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

© Schreyer David<br />

Wie begegnet man diesem Problem<br />

am besten, wie lässt es sich lösen?<br />

MH: Wir versuchen in erster Linie,<br />

stets eine gute Diskussionsbasis zu<br />

schaffen und den Dialog mit Auftraggeber:innen<br />

zu suchen – was<br />

aber nicht bedeutet, dass das immer<br />

funktioniert. Erschwerend<br />

kommt hinzu, dass die behördlichen<br />

Vorgaben oft in eine andere<br />

Richtung gehen. Zwei Stellplätze<br />

pro Wohnung generieren zu müssen,<br />

kann nicht die Zukunft sein.<br />

CM: Häufig ist die Bereitschaft gar<br />

nicht das Problem. Vielmehr lassen<br />

die Baugesetze ein Umdenken überhaupt<br />

nicht zu. Hier läge es unseres<br />

Erachtens an der Politik, die Vorgaben<br />

hinsichtlich der Mindestanzahl<br />

von Parkplätzen anzupassen und –<br />

wo nötig – auch das Angebot im öffentlichen<br />

Verkehr auszubauen.<br />

12<br />

Mit dem Gemeindezentrum Zwentendorf entwickelten maul-architekten eine<br />

neue, multifunktionale Ortsmitte, die Groß und Klein zusammenbringt.<br />

Wie unterstützt man den ländlichen<br />

Raum als zukunftsfähige Lebensumgebung?<br />

CM: Per se trägt jeder Mensch den<br />

Wunsch in sich, in einer grünen Umgebung<br />

zu leben. Oft sind es erst bestimmte<br />

Lebenssituationen wie Studium<br />

oder Arbeit, die einen Umzug in<br />

die Stadt mit ihrem breiten Angebot<br />

notwendig machen. Wichtig ist – sowohl<br />

im ländlichen als auch im urbanen<br />

Kontext – (öffentliche) Räume<br />

zu schaffen, welche die Bedürfnisse<br />

unterschiedlicher Nutzergruppen<br />

erfüllen. In dieser Hinsicht können<br />

Stadt und Land auch voneinander<br />

lernen. Beide haben ihre jeweiligen<br />

Qualitäten und brauchen sich somit<br />

auch in Zukunft gegenseitig.<br />

MH: Beispielsweise durch gezielte<br />

Vermittlung von Baukultur und Architektur<br />

könnte man bereits bei der<br />

Jugend ansetzen und frühzeitig ein<br />

Bewusstsein für den jeweiligen Stellenwert<br />

von Stadt und Land schaffen.<br />

Am Mondsee realisierte man mit dem<br />

Bootshaus B eine Revitalisierung. In<br />

Lärchenholz gekleidet, erhält das Projekt<br />

eine skulpturale Optik.<br />

maul-architekten<br />

Gibt es in der Architektur am Land Entwicklungen<br />

hin zu mehr Flächeneffizienz<br />

oder träumen die meisten immer<br />

noch vom Einfamilienhaus mit Garten?<br />

MH: Prinzipiell ist der Traum vom Eigenheim<br />

mit Garten noch tief in den<br />

Köpfen verankert.<br />

CM: Viel interessanter finde ich die<br />

Frage, woher dieser Wunsch kommt.<br />

Früher lebte man in einem Generationenhaus,<br />

oder in dichteren Dorfstrukturen<br />

und nutzte so nicht nur<br />

Flächen und Energie effizienter,<br />

sondern auch die Versorgung der<br />

Kinder ließ sich einfacher organisieren.<br />

Die Typologie des Einfamilienhauses<br />

– eine Entwicklung der 70erbzw.<br />

80er-Jahre des vergangenen<br />

Jahrhunderts – bringt in Zeiten der<br />

Teuerung und Klimaveränderung<br />

maßgebende Nachteile in Bezug auf<br />

Kosteneffizienz, Flächenverbrauch,<br />

Energie und Ressourcen.<br />

Können alternative Wohnkonzepte<br />

auch am Land funktionieren?<br />

CM: Ich denke, Alternativen zum<br />

Einfamilienhaus funktionieren, wenn<br />

das Gegenüber dazu bereit ist. Hier<br />

sollte man sich selbst ehrlich fragen,<br />

ob ein Eigenheim mit Garten die einzige<br />

für einen passende Wohnform<br />

ist. Bauträger:innen und wir als Planer:innen<br />

sind gefordert die Vorzüge,<br />

beispielsweise von verdichtetem<br />

Flachbau, aufzuzeigen.<br />

MH: Man sollte sich fragen, welchen<br />

Mehrwert einem ein Einfamilienhaus<br />

tatsächlich bietet. Nehme ich den höheren<br />

Energiebedarf in Kauf, um mehr<br />

Luxus und Platz zur Verfügung zu haben<br />

in Zeiten der Klimaveränderung?<br />

Gibt es ein Projekt, bei dem Sie besonders<br />

viel gelernt haben?<br />

CM: Das schöne ist, dass jedes Projekt<br />

eine individuelle Fragestellung<br />

aufwirft. Sei es aus räumlicher oder<br />

technischer Sicht – jedes Gebäude<br />

ist vom ersten Strich an bis zur<br />

Schlüsselübergabe ein Prozess, bei<br />

dem es stets darum geht, Lösungen<br />

zu finden. Unser vielleicht größtes<br />

Learning der letzten Jahre ist: Nichts<br />

ist unmöglich. Solange es gelingt,<br />

den Dialog mit allen Projektbeteiligten<br />

zu halten, findet man immer<br />

einen Weg. So lernt man bei jedem<br />

Projekt aufs Neue dazu – selbst mein<br />

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Jahren als Architekt arbeitet. •<br />

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<strong>architektur</strong> <strong>FACHMAGAZIN</strong><br />

14<br />

heri&salli<br />

Mehr positive<br />

Utopien<br />

Interview mit heri&salli<br />

Interview: Linda Pezzei<br />

„Gemeinschaften zu bilden, ist eine der maßgeblichen<br />

Errungenschaften von Architektur“, sagen Heribert<br />

Wolfmayr und Josef Saller aka heri&salli. Das Wiener<br />

Architekturbüro befasst sich in diesem Kontext bereits seit<br />

längerem mit den Herausforderungen und Chancen, die<br />

der Modulbau – smart gedacht – für den Wohnungsbau von<br />

morgen mit sich bringen kann. Im Interview spricht Gründungspartner<br />

und Geschäftsführer Josef Saller über aktuelle<br />

Tendenzen und seinen Wunsch nach neuen Utopien.<br />

Wie können in kurzer Zeit qualitativer<br />

Wohnraum geschaffen und die Möglichkeiten<br />

des Holzbaus weiterentwickelt<br />

werden? Mit dem „Forum am Seebogen“<br />

als nutzungsoffenem Stadthaus<br />

in der Seestadt Aspern in Wien haben<br />

heri&salli einen zeitgemäßen Prototypen<br />

entwickelt, der einen speziellen<br />

Fokus auf die zukünftigen Potenziale<br />

von Modul- und Systembauweisen legt.<br />

Unterschiedliche Wohnungstypologien<br />

werden dabei über Variationen und<br />

Kombinationen vorgefertigter Grundmodule<br />

erzeugt, wobei Add-ons, Zuschaltbarkeiten<br />

und Terrassen das Repertoire<br />

für eine Vielfalt an Möglichkeiten bilden.<br />

Von wegen starr und monoton – gehört<br />

der Modulbauweise die Zukunft?<br />

Sie befassen sich zurzeit intensiv mit<br />

dem Thema des experimentellen Wohnungsbaus<br />

in Modulbauweise – was<br />

reizt Sie daran besonders?<br />

Was den Modulbau angeht, liegt der Reiz<br />

für uns darin begründet, dass zukünftig<br />

die serielle Bauweise eine ernsthafte Alternative<br />

zu den üblichen Herangehensweisen<br />

darstellen wird. Wir versuchen,<br />

die Potenziale von Modul- und Systembauweisen<br />

auszuloten, um dadurch neue<br />

Erkenntnisse für die möglichen Einsatzgebiete<br />

des Modulbaus zu erlangen.<br />

© Hans Schubert


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

15<br />

heri&salli<br />

Entgegen der landläufigen Meinung<br />

muss Modulbau nicht monoton sein<br />

– wo sehen Sie hier die größten<br />

Chancen?<br />

Enormes Potenzial sehen wir in der<br />

Variabilität in der Serie. Über die Variationen<br />

und Kombinationen vorgefertigter<br />

Grundmodule werden sich<br />

einerseits unterschiedliche Raumtypologien<br />

erzeugen lassen. Andererseits<br />

wird die modulare Bauweise<br />

endlich weiter individualisierbar werden,<br />

indem sich die Elemente ohne<br />

Veränderung des Systems standardisiert<br />

umrüsten und konfigurieren<br />

lassen werden. Bei diesen Umbauten<br />

lassen sich zudem die Ressourcen<br />

bestehender Module miteinander<br />

vergleichen und je nach Einsatzgebiet<br />

unterschiedlich anwenden beziehungsweise<br />

weiternutzen.<br />

Das „Forum am Seebogen“ in der Seestadt Aspern setzt einen speziellen Fokus auf die zukünftigen<br />

Potentiale von Modul- und Systembauweisen.<br />

© Paul Ott<br />

Wie lässt sich Modulbau konkret variabel<br />

gestalten und was sind dabei<br />

die Herausforderungen?<br />

Das Verbinden und Trennen einzelner<br />

Bauteile wird künftig der wesentliche<br />

Inhalt dieser systemischen<br />

Arbeitsweise sein. Das Denken in<br />

Abschnitten wird durch das Denken<br />

in austauschbaren und anpassbaren<br />

Teilen ersetzt. Dadurch verändert<br />

sich die lineare Verwendung des Modulbaus<br />

in ein Ein- und Ersetzen der<br />

einzelnen Teilbereiche beim Modul.<br />

Was können Architekt:innen, aber<br />

auch Bauträger und die Politik bezüglich<br />

lebenswertem, attraktivem<br />

und großmaßstäblichem Wohnungsbau<br />

noch besser machen?<br />

Die Politik hat die Möglichkeit, sowohl<br />

baulich als auch funktional gewisse<br />

Parameter vorzugeben, welche in<br />

weiterer Folge einzuhalten sind. Das<br />

können beispielsweise Anhaltspunkte<br />

für gemeinschaftliche Standards,<br />

die Durchmischung von Funktionen,<br />

gewisse Qualitäten für Freiräume<br />

oder die generelle Attraktivierung<br />

der Erdgeschosszonen inklusive Regulierung<br />

der diesbezüglichen Mietpreise<br />

sein, um entsprechend Entwicklungspotenziale<br />

zu erzeugen. In<br />

weiterer Folge heißt es dabei aber<br />

auch, die Qualität zu sichern. Im Prinzip<br />

geht es um einen gesamtheitlichen<br />

Ansatz, der das Entstehen von<br />

Gemeinschaften fördern soll.<br />

Die Music Box am Arsenalsteg in der Nähe des Wiener Hauptbahnhofs ist auf die Bedürfnisse und<br />

Ansprüche von kreativ Tätigen – im speziellen Musikschaffenden – abgestimmt.<br />

Hinsichtlich der Bauträger sehen wir<br />

aufgrund aktueller Entwicklungen<br />

von Mischnutzungskonzepten die<br />

Möglichkeit und die Notwendigkeit,<br />

sich vermehrt mit der Betreuung<br />

eben dieser Mischnutzungen auseinanderzusetzen.<br />

Es ist wichtig, diese<br />

„Aufgaben“ auch konzeptionell verstärkt<br />

in das Portfolio zu integrieren.<br />

An uns Architekt:innen plädieren wir,<br />

wieder verstärkt zukunftsfähige Programme<br />

für unser gesellschaftliches<br />

Zusammenleben zu formulieren. Wir<br />

sind der Meinung, dass wir für unsere<br />

Aufgaben – insbesondere auch für<br />

Krisen – wieder mehr Utopien, positive<br />

Utopien benötigen.<br />

Wohin wird hier die zukünftige Entwicklung<br />

Ihrer Meinung nach gehen?<br />

Wenn wir in Zukunft über neue Konzepte<br />

im Modulbau nachdenken wollen,<br />

müssen wir lernen, systemisch<br />

zu denken. Daher: Die Elemente sind<br />

Teil eines großen Ganzen und stehen<br />

in einer wechselseitigen Beziehung.<br />

Ein Wunsch für unsere<br />

(gebaute) Zukunft?<br />

Dass der Modulbau einen wesentlichen<br />

Beitrag zur zukünftigen Baukultur<br />

leisten wird.<br />

•<br />

heriundsalli.com<br />

© Paul Ott


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

16<br />

MEISSL Architects<br />

Erfolgsrezept:<br />

Hotels, die begeistern<br />

Interview mit Alexander Meissl von MEISSL Architects<br />

Interview: Edina Obermoser<br />

Alexander Meissl ist einer von vier Partnern von MEISSL Architects. Das Büro mit<br />

Sitz in Seefeld in Tirol und Zweigstellen in Wien und Berlin hat es sich zur Aufgabe<br />

gemacht, Projekte und Gebäude zu entwerfen, in denen Menschen nicht nur<br />

wohnen, sondern sich auch erholen und ihre Freizeit genießen können. Mit dem<br />

Schwerpunkt Hospitality wollen der Architekt und sein Team bei Hotelgästen für<br />

einen Wow- und einen Hmmm-Effekt sorgen und zugleich Träume wahr werden<br />

lassen, die sich zu Hause nicht erfüllen lassen. Im Interview gibt der Tiroler<br />

Einblicke in die Besonderheiten der Hotelplanung und spricht über Herausforderungen<br />

sowie aktuelle Entwicklungen. Außerdem geht es um zukunftsweisende<br />

Konzepte und Maßnahmen für einen nachhaltige(re)n Tourismus.<br />

© Birgit Pichler


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

17<br />

MEISSL Architects<br />

© ZillerSeasons, Dirk Tacke<br />

Als Massivholzbau überzeugt das MALIS Gartenhotel in Zell am Ziller mit<br />

einer flexiblen Gestaltung, kurzer Bauzeit und ökologischen Vorteilen – das<br />

brachte ihm auch eine Anerkennung beim Tiroler Holzbaupreis <strong>2023</strong> ein.<br />

Einer der Schwerpunkte von MEISSL<br />

Architects ist der Bereich Hospitality.<br />

Was fasziniert Sie dabei am meisten?<br />

Die Faszination ist einfach erklärt –<br />

es macht unglaublichen Spaß, Orte<br />

zu erschaffen, an und in denen sich<br />

Gäste wohlfühlen, je nach Wunsch<br />

verwöhnen lassen (können) und mit<br />

sehr vielen Eindrücken und Erinnerungen<br />

wieder nach Hause fahren.<br />

Wir erzählen doch am liebsten<br />

stundenlang von unseren Urlaubserlebnissen<br />

und nicht von unserem<br />

Arbeitsalltag. Auch das ist ein Indiz<br />

für den Stellenwert der Auszeit vom<br />

Alltag. Für uns machen Hotels einfach<br />

mehr Spaß als Büros.<br />

Der Hospitality-Fokus des Büros besteht<br />

bereits seit der Gründung 1958<br />

– was sind die größten Veränderungen?<br />

Was gilt nach wie vor?<br />

Da muss ich etwas weiter ausholen.<br />

In den 60er-Jahren gab es in Tirol<br />

als Tourismusregion Aufholbedarf<br />

beim Hotelangebot. Während man<br />

anfangs noch ein Faible für zeitgemäße<br />

Architektur hatte, entwickelten<br />

sich die Hospitality-Projekte<br />

durch den Einfluss der Urlaubsgäste<br />

– bis in die 70er und 80er hinein<br />

– zunehmend in eine romantische<br />

Richtung, die in einer völlig willkürlichen<br />

Gestaltung resultierte. Ab den<br />

90ern entstanden erstmals wieder<br />

Hotels mit Fokus auf Wertigkeit und<br />

Materialität. Gepaart mit neuen Bedürfnissen<br />

und Lebensgewohnheiten<br />

der Urlaubenden differenzierte<br />

sich das Design dann immer mehr.<br />

Heute gibt es nicht mehr nur klassische<br />

4- oder 5-Sterne-Hotels unterschiedlicher<br />

Preisklassen, sondern<br />

spezialisierte Spa-, Low Budget-,<br />

Adult Only- oder Single-Angebote.<br />

Was sich also verändert hat, ist die<br />

Vielfalt der Angebotspalette, die<br />

Schnelligkeit, in der sich Reisegewohnheiten<br />

ändern, und der Freizeitmarkt,<br />

der darauf rasch zu reagieren<br />

hat. Es geht auch nicht mehr um das<br />

Bedürfnis Urlaub. Die Gäste wissen<br />

heute im Detail, wie sie sich einen Urlaub<br />

vorstellen. Je treffsicherer das<br />

Angebot, desto eher wird gebucht.<br />

Welchen großen Herausforderungen<br />

begegnet man bei der Hospitality-<br />

Planung?<br />

Einerseits brauchen Hotels eine<br />

gute Performance, um gut gefüllt die<br />

wirtschaftlich erforderlichen Preise<br />

durchsetzen zu können. Anstatt Interior-Trends<br />

zu folgen, wollen wir<br />

nachhaltige Projekte realisieren, die<br />

auf die Bedürfnisse der Gäste abgestimmt<br />

sind und dadurch einen<br />

längeren Lebenszyklus haben. Andererseits<br />

gibt es viele Gegenwartsprobleme,<br />

die es stets zu berücksichtigen<br />

gilt: z.B. der Umgang mit höheren<br />

Baukosten, Personalknappheit und<br />

gestiegene Energiekosten. Ökologische<br />

Baustoffe treiben zwar zunächst<br />

die Kosten in die Höhe, machen sich<br />

aber über eine längere Nutzungsdauer<br />

bezahlt. Auf Personalknappheit reagiert<br />

man unter anderem mit kürzeren<br />

Wegen und einem pflegeleichten,<br />

langlebigen Interieur.<br />

Auf Ihrer Website sprechen Sie von zukunftsweisenden<br />

Konzepten. Wie sehen<br />

diese im Bereich Hospitality aus?<br />

Intelligent geplant, nachhaltig gebaut<br />

und zeitlos gestaltet, fasst es<br />

gut zusammen. Dabei kommt es<br />

nicht darauf an, ob Neu- oder Umbau,<br />

und um welches Hotelprodukt<br />

es sich handelt, spielt ebenfalls keine<br />

Rolle. Auch die Größe eines Hotels<br />

schließt diese Grundsätze nicht aus.<br />

Was bei all dem ewig gilt, ist meines<br />

Erachtens der Grundsatz: Qualität<br />

siegt über Quantität.<br />

u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

18<br />

MEISSL Architects<br />

MEISSL Architects finden: Auch (wenig effiziente) Infinity Pools<br />

dürfen in Hotels sein – solange man die Gesamtenergiebilanz im<br />

Blick hat und Einsparungspotenziale identifiziert.<br />

Sind die Voraussetzungen dafür gegeben?<br />

Gibt es Aufholbedarf oder<br />

ungenutztes Potenzial?<br />

Ich denke für gute Konzepte ist vieles<br />

vorhanden. Jedoch sind jeder Ort<br />

und jede Aufgabe anders, weshalb<br />

es dazu kein allgemeingültiges Regelwerk<br />

gibt. Generell steckt in der<br />

Umnutzung viel Potenzial. Heute<br />

lässt sich – mit Ausnahme mancher<br />

Bestandsobjekte aus den 60er-,<br />

70er- und 80er-Jahren, bei denen<br />

es sich aufgrund von Technik und<br />

Baustoffauswahl eher um gebauten<br />

Sondermüll handelt – aus nahezu<br />

jeder „alten Bude“ ein Hotel machen<br />

und so der ökologische Fußabdruck<br />

eines Projektes verbessern. Leider ist<br />

die Regulative insbesondere bei Umbauten<br />

mittlerweile erdrückend und<br />

macht diese oft zur Herkulesaufgabe.<br />

Die zu berücksichtigenden Baugesetze<br />

und Normen (z.B. hinsichtlich<br />

des Brandschutzes) stehen in keinem<br />

Verhältnis zum Risiko und bedürften<br />

einer sinnvollen Entrümpelung, um<br />

die Grundlage für mehr Sanierungsprojekte<br />

zu schaffen. Das Thema Material<br />

wird in der Zukunft unser größtes<br />

Problem werden, da wir zu schnell<br />

zu viele Ressourcen verbrauchen.<br />

Wie sollten Architekt:innen vorgehen,<br />

um ein gutes Konzept zu entwickeln,<br />

das auch in vielen Jahren noch<br />

funktioniert?<br />

Die Anstrengungen sollten darauf abzielen,<br />

zeitlos Menschliches, Natürliches<br />

und Nachhaltiges zu planen, das<br />

für sich selbst spricht und überzeugt.<br />

Mir ist klar, dass dies leichter gesagt<br />

als getan ist, aber dieser Anspruch ist<br />

wichtig in unserer Branche. Generell<br />

bin ich z.B. ein Verfechter davon, keine<br />

geschlossenen Hotels zu planen,<br />

in denen es keinerlei Interaktion zwischen<br />

Gast und Einheimischen gibt.<br />

Indem ich das ökosoziale Umfeld berücksichtige,<br />

miteinbeziehe und eine<br />

Verbindung mit dem Ort herstelle,<br />

schaffe ich lebendige Projekte – was<br />

sich wiederum positiv auf die Umsätze<br />

auswirkt.<br />

Passen die Themen Tourismus und<br />

Nachhaltigkeit zusammen?<br />

Ich denke sie werden – vor allem in<br />

Zukunft – zusammenpassen müssen.<br />

Dabei reicht es nicht, lediglich<br />

über Nachhaltigkeit zu reden, sei<br />

es beim Tourismus oder in anderen<br />

Bereichen. Nachhaltigkeit allein ist<br />

auch kein Buchungskriterium per se.<br />

Es wird nicht mehr lange dauern, da<br />

gehört ein respektvoller Umgang mit<br />

unserer Umwelt als Grundvoraussetzung<br />

zur Wahl des Ortes und der<br />

Unterkunft dazu. Deshalb würde ich<br />

beispielsweise kein Geld in Umweltzertifikate<br />

investieren, denn das ist<br />

reine Geldmacherei und in wenigen<br />

Jahren sind diese Zertifikate wenig<br />

wert. Stattdessen kann man mit<br />

dem Geld direkt in die gebaute Umwelt,<br />

in Energieeinsparungen oder in<br />

die Steigerung der Behaglichkeit investieren.<br />

Davon profitiert man auch<br />

in 20, 30 Jahren noch.<br />

© Stephanie Lohmann<br />

Der Komfort im das MAX<br />

Boutiquehotel in Seefeld<br />

soll „wie zu Hause, aber<br />

besser“ sein. Hier kombinierte<br />

man hochwertige<br />

Materialen mit sanften<br />

Farbakzenten und sorgte<br />

so für ein modernes Ambiente.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

19<br />

MEISSL Architects<br />

© Kirchgasser Photography<br />

Unter dem Motto Asian Fusion meets Schwarzwald gestalteten MEISSL Architects das KURO.MORI Restaurant.<br />

Rund um die offene Küche warten neben kulinarischen Highlights auch haptische Erlebnisse wie unbehandeltes Holz.<br />

Gibt es gute, nachhaltige Ansätze?<br />

Was muss sich verändern?<br />

Aus meiner Sicht gibt es zwar gute,<br />

aber viel zu wenige Ansätze. Bei der<br />

Nachhaltigkeit geht es zuallererst<br />

um eine räumliche Strukturierung,<br />

bei der nicht nur ein Hotel selbst,<br />

sondern auch dessen bauliche Umgebung<br />

und schließlich die Natur<br />

eigene Schwerpunkte erfordern. In<br />

Bezug auf den Ort spielt z.B. die Mobilität<br />

eine wichtige Rolle: Wie sieht<br />

die An- bzw. Abreise der Gäste aus?<br />

Wie funktioniert der Transport während<br />

des Aufenthalts? In dieser Hinsicht<br />

werden Gegenden mit guter,<br />

öffentlicher Anbindung künftig an<br />

Attraktivität gewinnen. Auch sonst<br />

gibt es in der Hospitality-Architektur<br />

viele klimarelevante Aspekte wie Abfallmanagement<br />

oder Flächenversiegelung<br />

(durch großflächige Parkplätze<br />

etc.), die Optimierungspotenzial<br />

bieten. Ich sehe hier auch uns Architekt:innen<br />

in der Verantwortung,<br />

nachhaltige, ressourcenschonende<br />

Konzepte – trotz Kostendruck – ins<br />

Gespräch zu bringen und so mit gutem<br />

Beispiel voranzugehen.<br />

Welche spannenden Entwicklungen<br />

gibt es im Bereich Hospitality?<br />

Es gibt nicht die eine Entwicklung,<br />

aber am Ende steht immer eines: die<br />

Begeisterung. Wer begeistern kann,<br />

hat viel richtig gemacht. Gegenwärtige<br />

Herausforderungen wie höhere<br />

Energie- und Baukosten sowie weniger<br />

Personal führen in manchen<br />

Bereichen zu interessanten, typologischen<br />

Veränderungen. Während<br />

man früher Speisesaal und Hotelhalle<br />

plante, versucht man heute unter<br />

dem Begriff „Shared Spaces“ Flächen<br />

möglichst effizient zu nutzen.<br />

Spannende Neuerungen gibt es auch<br />

in Hinblick auf smarte Technologien.<br />

Diese sollten aber nie die Dienstleistungsbereitschaft<br />

ersetzen, sondern<br />

nur den Umgang mit dem Gast unterstützen,<br />

um z.B. lange Wartezeiten<br />

zu vermeiden. Vollautomatisierte Gebäudekonzepte<br />

funktionieren hingegen<br />

nur bedingt. Wenn ein Gast in ein<br />

Hotel in der Natur fährt, möchte er<br />

selbst entscheiden, wann er die Balkontüre<br />

öffnet oder die Sonne hereinlässt.<br />

Wenig effiziente Outdoor-Pools<br />

gehören für viele ebenso zum Urlaubserlebnis.<br />

Deshalb gilt es beim Thema<br />

Energie, auf Komfort und Nutzer:innenfreundlichkeit<br />

zu achten, gleichzeitig<br />

aber Einsparungspotenziale zu<br />

identifizieren und z.B. auf hauseigene<br />

Systeme zur Energierückgewinnung<br />

zu setzen. Auch abseits der Haustechnik<br />

kann man baulich intelligente<br />

Lösungen wählen und so die Gesamtbilanz<br />

optimieren.<br />

Wenn Sie selbst verreisen, nach welchen<br />

Kriterien suchen Sie Ihre Bleiben<br />

aus?<br />

Als erstes entscheide ich, in welche<br />

Region ich will und welchen Urlaub<br />

ich plane – ans Meer oder einen See,<br />

ins Gebirge oder in eine Stadt. Wenn<br />

es dann um die Auswahl des Hotels<br />

geht, werde natürlich auch ich als<br />

designaffiner Mensch von Bildern<br />

angelockt. Für mich sind mehrere<br />

Faktoren ausschlaggebend: Ich mag<br />

altehrwürdige Häuser mit Charakter,<br />

ein 08/15-Design spricht mich nicht<br />

an. Neben der Umgebung sowie<br />

Freibereichen, Rückzugs- und Unterhaltungsmöglichkeiten<br />

ist mir vor<br />

allem die Größe wichtig. Dabei ziehe<br />

ich kleine, persönliche Hotels ganz<br />

klar vor und bin auch bereit, dafür<br />

mehr zu bezahlen. Der Preis spielt<br />

hingegen erst kurz vor der Buchung<br />

eine Rolle.<br />

•<br />

www.meissl.at


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

20<br />

Jürgen Haller<br />

Architektur,<br />

Landschaft und Leute<br />

Interview mit Jürgen Haller<br />

Interview: Linda Pezzei<br />

„ Wir setzen auf die starke Verbindung von Architektur und<br />

Handwerk“, sagt Jürgen Haller und fügt hinzu, „Diese prägt<br />

nicht nur den Bregenzerwald, sondern die Vorarlberger<br />

Baukultur insgesamt.“ Was so entsteht, ist eine ehrliche,<br />

schnörkellose Architektur, deren starker Ausdruck von der<br />

Authentizität der heimischen Ressourcen und dem hohen<br />

Anspruch an die Gestaltung sowie Nachhaltigkeit lebt.<br />

© Malte Jäger


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

21<br />

Jürgen Haller<br />

© Lichtbildner Albrecht Imanuel Schnabel<br />

Die Häuser Bergfrieden befinden sich abseits jeglichen Trubels in der beeindruckenden Bergkulisse des<br />

Laternser Tals in Vorarlberg und bieten einen Ort zum Entspannen und Tagen.<br />

Auf den ersten Blick mag die Architektur<br />

von Jürgen Haller einfach wirken.<br />

Das ist große Kunst, denn erst<br />

auf den zweiten Blick erschließen<br />

sich dem Betrachter die sinnliche<br />

Komposition von Raum und Licht,<br />

die kleinen Details und die Liebe zum<br />

Material und zum Handwerk, die in<br />

ihrer Gesamtheit den Reiz dieser<br />

schlichten Formensprache ausmachen.<br />

Der Bregenzerwälder strebt in<br />

seinen Projekten anstatt nach Selbstverwirklichung<br />

danach, die optimale<br />

Lösung für einen bestimmten Ort und<br />

seine spezifischen Nutzer zu finden.<br />

Im Interview betont Haller auch den<br />

Zusammenhalt als Besonderheit der<br />

Region und macht deutlich, wie davon<br />

alle Beteiligten vom Handwerker<br />

über den Gestalter bis zur Bauherrschaft<br />

profitieren können.<br />

Welche Rolle wird das (traditionelle)<br />

Handwerk in Ihren Augen in der Architektur<br />

von morgen spielen?<br />

Die Vorarlberger Holzbau<strong>architektur</strong><br />

basiert auf der starken Verbindung<br />

zwischen Architektur und Handwerk.<br />

Da gute Architektur auch<br />

dementsprechend umgesetzt und<br />

verwirklicht werden muss, spielt das<br />

Handwerk eine sehr wichtige Rolle.<br />

Für die zukünftigen Entwicklungen<br />

von nachhaltigen, energieeffizienten<br />

und ökologischen Bauformen sind<br />

wir mit unseren Handwerkern vor<br />

allem im Holzbaubereich sicher sehr<br />

gut aufgestellt und für kommende<br />

Bauaufgaben gerüstet.<br />

Warum ist der Bregenzerwald hier<br />

schon lange Vorreiter und wie kann<br />

es gelingen, das bauliche Niveau<br />

auch weiter so hochzuhalten?<br />

Die Vorarlberger und vor allem die<br />

Bregenzerwälder werden als eigensinniges,<br />

traditionsbewusstes und<br />

rühriges Volk beschrieben. Diese Eigenschaften<br />

und vor allem die Überzeugung<br />

von langlebigem und hochqualitativem<br />

Handwerk halten das<br />

Niveau nach wie vor sehr hoch. Ein<br />

weiterer Vorteil ist die Vernetzung<br />

untereinander. Im Bregenzerwald<br />

unterstützt man sich gegenseitig, arbeitet<br />

oftmals langjährig zusammen<br />

und kennt die Fachkompetenz des<br />

Gegenübers. Davon profitiert auch<br />

unsere Bauherrschaft. Initiativen wie<br />

die Werkraumschule, die es Jugendlichen<br />

ermöglicht, handwerkliches<br />

Lernen und den Handelsschulabschluss<br />

zu kombinieren, sollen dem<br />

drohenden Fachkräftemangel entgegenwirken<br />

und das Handwerk in der<br />

Region am Leben halten.<br />

(Wie) Kann Architektur Landschaft<br />

und Leute positiv prägen?<br />

Wenn das Gebäude mit gezielten<br />

Öffnungen auf Bewegungsabläufe,<br />

Raumsequenzen und Blickbezüge<br />

auf die umliegende Bergwelt, Natur<br />

und Landschaft reagiert, dann kann<br />

Architektur Landschaft und Leute<br />

positiv prägen. Außerdem sollten<br />

sämtliche Baumaterialien unbehandelt<br />

eingebaut werden, um mit ihrer<br />

materialeigenen Direktheit auf die<br />

Benutzer wirken zu können. Die sinnliche<br />

Qualität von regionalen Baumaterialien<br />

muss in meinen Augen<br />

durch messbare Kriterien wie eine<br />

schadstofffreie Raumluft und eine<br />

ausgezeichnete Ökobilanz ergänzt<br />

und verbessert werden.<br />

u<br />

Die Maserung des Holzes lenkt die Blickrichtung,<br />

das Spiel des natürlich einfallenden Tageslichtes<br />

setzt den in nur einem Material inszenierten<br />

„Nicht-Raum“ gekonnt und dramatisch in Szene.<br />

© Lichtbildner Albrecht Imanuel Schnabel


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

22<br />

Jürgen Haller<br />

© Lichtbildner Albrecht Imanuel Schnabel<br />

Symmetrie ist alles: Am Ortsende von Mellau wurde, direkt am Hangfuß, ein altes,<br />

baufälliges Haus abgebrochen und durch einen modernen Neubau mit Walmdach<br />

und naturbelassener Fichtenfassade ersetzt. Auch hier ist wieder auffällig, wie die<br />

schlichten Formen und Oberflächen von Hallers Bauwerken in ihrer Komposition und<br />

Lichtstimmung zum Leben erwachen.<br />

© Lichtbildner Albrecht Imanuel Schnabel<br />

Lässt sich der Bregenzerwald-<br />

Stil auch exportieren?<br />

Selbstverständlich – wir realisieren<br />

Holzbau<strong>architektur</strong> auch im Ausland<br />

– Beispiele sind das Haus R.<br />

oder das Projekt Betreutes Wohnen<br />

in Kellmünz.<br />

(Wie) Hat sich die Architektenwelt<br />

im Laufe Ihrer Tätigkeit gewandelt?<br />

Natürlich versuchen wir alle, immer<br />

perfektere Arbeit zu leisten und optimierte<br />

Gebäude zu bauen. Neue<br />

Techniken und Möglichkeiten helfen<br />

uns bei der Umsetzung unserer Ideen.<br />

Sie gehen mit Projekten wie der Cabin<br />

gerne auch unkonventionelle<br />

Wege – was macht den Reiz aus?<br />

Unkomplizierte, technisch einfache<br />

und vor allem klare Bauformen sind<br />

immer eine gewisse Herausforderung.<br />

Eine kostengünstige und doch<br />

qualitative Lösung zu finden – das<br />

macht den Reiz aus.<br />

Ein Wunsch für die Zukunft in Bezug<br />

auf unsere gebaute Umwelt?<br />

Zurück zum Einfachen, sich auf das<br />

Minimale reduzieren – auf das, was<br />

man wirklich zum Leben braucht.<br />

Mir liegt aber auch das generationenübergreifende<br />

Bauen am Herzen,<br />

dass wir unseren traditionellen Bestand<br />

sinnvoll nutzen und mit innovativen<br />

Ansätzen ergänzen können. •<br />

www.juergenhaller.at<br />

Wie bei einem traditionellen Bregenzerwälderhaus<br />

ist auch hier das Gebäude<br />

in ein Vorderhaus mit Wohnteil und<br />

ein Hinterhaus mit Wirtschaftstrakt<br />

gegliedert. Im Hinterhaus wurden statt<br />

Stall und Heulager eine Arztpraxis und<br />

ein Therapieraum untergebracht.<br />

© Lichtbildner Albrecht Imanuel Schnabel


OPTIMATT<br />

ANTI-FINGERPRINT OBERFLÄCHE<br />

Weiterführende Informationen zu den 14 Anti-Fingerprint-Produkten finden Sie auf<br />

www.kaindl.com


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

24<br />

Hadi Teherani Architects<br />

Nachhaltigkeit hat<br />

höchste Priorität<br />

Interview mit Dr. Christian Bergmann & Bernd Muley von<br />

Hadi Teherani Architects sowie Ralf Seufert von WICONA<br />

Der fortschreitende Klimawandel<br />

macht den Einsatz ressourcenschonender<br />

Materialien und die konsequente<br />

Reduktion des CO 2 -Fußabdrucks in<br />

der Baubranche notwendiger denn je.<br />

Im Gespräch erläutern Dr. Christian<br />

Bergmann (mitte) und Bernd Muley<br />

(rechts) vom renommierten Architekturbüro<br />

Hadi Teherani Architects<br />

sowie Ralf Seufert (links) vom Aluminiumsystemhaus<br />

WICONA, warum<br />

Nachhaltigkeit längst zu einem zentralen<br />

Kriterium des zukunftsgerechten<br />

Bauens geworden ist und wie sich<br />

diese an aktuellen Projekten zeigt.<br />

Zu Beginn eine Frage an die Architekten:<br />

Welche Bedeutung haben bei<br />

Ihren Projekten nachhaltige Konzepte<br />

wie zum Beispiel Recycling oder<br />

auch neue Materialien?<br />

Bernd Muley: Wir sind immer sehr interessiert<br />

daran, nachhaltige Produkte<br />

und Systeme bei unseren Projekten<br />

einzusetzen und informieren uns hier<br />

immer aktuell über die Entwicklungen.<br />

Ein Fokus dabei ist die Fassade<br />

– hier tut sich mit recyceltem Aluminium<br />

derzeit sehr viel. Aber auch der<br />

Bereich Beton-Technologie wird gerade<br />

mit Blick auf die Zukunft immer<br />

wichtiger. Beton bzw. Zement ist einer<br />

der größten CO 2 -Verursacher und da<br />

ist gerade viel Bewegung im Markt.<br />

Wir versuchen, neu entwickelte Technologien<br />

dann auch direkt immer in<br />

unsere Projekte zu integrieren – das<br />

ist unser Anspruch.<br />

© Mediashots


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

25<br />

Hadi Teherani Architects<br />

© Hadi Teherani Architects, Panoptikon<br />

Innovationsbogen Augsburg<br />

Dr. Christian Bergmann: Für uns<br />

bei Hadi Teherani ist Nachhaltigkeit<br />

seit vielen Jahren das zentrale Thema.<br />

Übrigens schon ganz früh haben<br />

wir bei Projekten wie dem Berliner<br />

Bogen in Hamburg zum Beispiel<br />

thermische Bauteilaktivierungen<br />

genutzt. Oder anders gesagt: Nachhaltigkeit<br />

ist für unsere Projekte<br />

genauso selbstverständlich, wie es<br />

die harmonische städtebauliche Integration<br />

des Baukörpers, die atmosphärische<br />

Ausstrahlung unserer Architektur<br />

oder auch der Wohn- und<br />

Nutzerkomfort sind. All das geht bei<br />

uns Hand in Hand. Dies spielt natürlich<br />

alles zusammen mit dem für uns<br />

als Architekten zentralen Thema Zukunft.<br />

Wir überlegen uns oder versuchen,<br />

Lösungen anzubieten, wie wir<br />

in Zukunft leben – und diesem Leben<br />

einen Raum zu geben. Und der muss<br />

natürlich nachhaltig sein. Dabei<br />

spielt vor allem das Thema Recycling<br />

eine ganz wesentliche Rolle, weil wir<br />

eigentlich ja nie genau wissen, wie<br />

die Zukunft wirklich aussehen wird.<br />

Wenn wir aber unsere ersten Skizzen<br />

und 3D-Studien entwerfen, planen<br />

wir meist für etwas, was voraussichtlich<br />

erst in einigen Jahren das Licht<br />

der Welt erblicken wird. Insofern haben<br />

sich auch die Technologien bis<br />

dahin wieder verändert. Vor diesem<br />

Hintergrund sind Themen wie Recycling,<br />

Kreislaufwirtschaft oder auch<br />

Stoffkreisläufe ganz wesentlich, um<br />

genau diese Zukunft immer wieder<br />

neu entwerfen zu können.<br />

Welchen Stellenwert haben nachhaltige<br />

Bauweisen bei Investoren und<br />

Bauherren? Wie ist die Entwicklung<br />

in den letzten Jahren?<br />

Bernd Muley: Die Investoren und<br />

Bauherren, mit denen ich persönlich<br />

zu tun habe, legen großen Wert auf<br />

Nachhaltigkeit und dabei vor allem<br />

auch auf Gebäudezertifizierungen.<br />

Also es gibt hier eine sehr, sehr positive<br />

Entwicklung. Sofern es keine<br />

Nachteile in puncto Terminmanagement<br />

oder Qualität gibt, ist die<br />

Bauherrschaft auch bereit, über das<br />

Thema Kosten nachzudenken und –<br />

wenn erforderlich – auch etwas mehr<br />

Budget bereitzustellen, wenn ein Gebäude<br />

dadurch zukunftsweisend und<br />

nachhaltig erstellt werden kann.<br />

Dr. Christian Bergmann: Ich kann<br />

das nur bestätigen. Das hat einerseits<br />

natürlich mit dem gesamtgesellschaftlichen<br />

Umdenken vor<br />

dem Hintergrund des Klimawandels<br />

zu tun. Anderseits hat aber auch<br />

das Thema Gebäudezertifizierung<br />

viel geholfen. Ich könnte mich jetzt<br />

an kein Gebäude erinnern, das wir<br />

nicht mindestens mit „DGNB Gold“<br />

zertifiziert hätten. Hier sehen wir in<br />

den letzten Jahren eine gesteigerte<br />

Innovationskraft und auch Anforderungen<br />

der Bauherren. Nachhaltige<br />

Bauweisen, die CO 2 einsparen, werden<br />

immer wichtiger.<br />

Wie beurteilen Sie das Thema<br />

Nachhaltigkeit aus Herstellersicht,<br />

Herr Seufert?<br />

Ralf Seufert: In den letzten Jahren<br />

hat sich enorm viel getan am Markt<br />

– sowohl was das Thema Nachhaltigkeit<br />

grundsätzlich angeht als<br />

auch die Bereitschaft, nachhaltig<br />

zu denken und auch in diese zu investieren.<br />

Und das betrifft alle Partner<br />

am Markt – ob Bauherrn und<br />

Investoren, Architekten oder auch<br />

Metall- und Fassadenbauer. Wir bei<br />

WICONA sehen Nachhaltigkeit ganzheitlich<br />

und als zentrales Element<br />

unserer Strategie. Neben den Aktivitäten<br />

im Bereich Produktentwicklung<br />

und -herstellung betrachten wir<br />

hier auch alle weiteren Unternehmensprozesse<br />

und beziehen unser<br />

gesellschaftliches Engagement mit<br />

ein. Hinsichtlich unserer Produkte<br />

bedeutet Nachhaltigkeit für uns: Wir<br />

wollen Aluminiumsysteme bieten,<br />

die auch nach Gebrauch am Ende<br />

des Lebenszyklus in einer einfachen<br />

Art und Weise in ihre Materialien<br />

getrennt und wieder in den Wertstoffkreislauf<br />

eingebracht werden<br />

können. Dazu gehört, dass auch das<br />

Glas, die Dichtungen und alle anderen<br />

Materialien in den entsprechenden<br />

Werkstoffkreislauf zurückgeführt<br />

werden und somit im Kreislauf<br />

bleiben. Dieses Konzept ist neu und<br />

zukunftsweisend für die Industrie –<br />

zudem bietet es direkten Zugriff auf<br />

die immer knapperen Wertstoff-Ressourcen.<br />

Dies wollen wir gemeinsam<br />

in Markt-Allianzen umsetzen. Mit<br />

Partnern, die unsere Werte teilen. Mit<br />

Hydro CIRCAL 100R haben wir jetzt<br />

eine nachhaltige Aluminiumlegierung<br />

entwickelt, die aus 100% Endof-Life<br />

Aluminium besteht. Also Altschrott,<br />

der zum Beispiel bereits in<br />

einer Fassade verbaut war, demontiert<br />

und vollständig recycelt wurde.<br />

Das ist echte Kreislaufwirtschaft. u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

26<br />

Hadi Teherani Architects<br />

Welche Rolle spielt Kreislaufwirtschaft<br />

aus planerischer Sicht?<br />

Dr. Christian Bergmann: Ich glaube,<br />

eine wirklich geschlossene Kreislaufwirtschaft<br />

über alle Bereiche hinweg<br />

ist ein ganz wesentlicher Punkt. Dadurch<br />

sparen wir die natürlichen Ressourcen.<br />

Und da ist es wichtig, dass<br />

man auf dem gleichen Qualitätsniveau<br />

recycelt, dass also kein Downcycling<br />

entsteht, sondern dass das, was<br />

einmal geschaffen wurde, als Wert<br />

auch fortlebt. Auch über die Lebensdauer<br />

eines Gebäudes hinaus.<br />

Wenn man über die Kreislaufwirtschaft<br />

nachdenkt, spielt auch die Digitalisierung<br />

eine wichtige Rolle oder?<br />

Dr. Christian Bergmann: Ja sicher.<br />

Die Digitalisierung wird entscheidend<br />

dazu beitragen, eine beinahe<br />

geschlossene Kette vom ersten Entwurf<br />

bis zu Rückbau und Recycling<br />

zu ermöglichen. Das Stichwort ist<br />

hier Building Information Modeling<br />

(BIM). Und in diesem Zusammenhang<br />

ist auch die RFID-Technologie<br />

zu nennen – mit dieser lassen sich<br />

die Produkte dann kennzeichnen.<br />

Und wenn das alles digital in einem<br />

3D-Gebäudemodell inklusive Produkteigenschaften,<br />

Hersteller usw.<br />

hinterlegt ist und im Idealfall über<br />

die Baustelle und während der Nutzungszeit<br />

über das Facility Management<br />

gepflegt wird, weiß man immer<br />

ganz genau, wo welche Produkte und<br />

Materialien verbaut sind und wo man<br />

diese Wertstoffe bekommen kann.<br />

Ralf Seufert: Genau hier setzen wir<br />

auch an. Wir werden unsere Aluminiumsysteme<br />

zukünftig mit einem<br />

QR-Code ausstatten. Damit lässt<br />

sich dann nach einem Scan mit dem<br />

Smartphone jedes Produktdetail jederzeit<br />

abrufen. Welches System ist<br />

das genau? Welche Beschläge sind<br />

darin verbaut? Die Artikelnummern<br />

sind hinterlegt und dazu gibt es auch<br />

die Information zur verbauten Menge<br />

Aluminium und zum CO 2 -Fußabdruck.<br />

So schaffen wir im Hinblick<br />

auf die Kreislaufwirtschaft maximale<br />

Transparenz – auch was die Materialien<br />

angeht.<br />

Stichwort „gebaute Nachhaltigkeit“.<br />

Mit dem Innovationsbogen Augsburg<br />

realisiert Hadi Teherani gerade ein<br />

zukunftsweisendes Projekt, bei dem<br />

auch Wicona beteiligt ist. Nicht das<br />

erste Pionierprojekt, das in Zusammenarbeit<br />

entsteht.<br />

Bernd Muley: Das ist richtig. Das<br />

Bürogebäude Mercator One in<br />

Duisburg haben wir 2020 als erstes<br />

in Deutschland überhaupt mit einer<br />

Fassade von Wicona aus dem Endof-Life<br />

Aluminium Hydro CIRCAL<br />

75R geplant und realisiert. Und jetzt<br />

arbeiten wir auch beim Projekt in<br />

Augsburg wieder zusammen – ein<br />

echtes Pionierprojekt.<br />

Dr. Christian Bergmann: Ja, der Innovationsbogen<br />

in Augsburg trägt den<br />

Anspruch eigentlich schon im Namen.<br />

Das Gebäude ist der Auftakt für einen<br />

Innovationspark in Augsburg, also<br />

direkt an der Schnittstelle von Universität,<br />

Forschung und Entwicklung<br />

sowie Technologieunternehmen –<br />

hier kommt die „Innovation“ ins Spiel.<br />

Wenn man dort ankommt, erhebt<br />

sich der Innovationsbogen mit einer<br />

Innovationsbogen Augsburg<br />

Gesamtfläche von 14.800 m 2 aus der<br />

Landschaft heraus, aus einer blühenden<br />

Wiese, die dort tatsächlich<br />

anzutreffen ist. Wir nehmen diese<br />

Landschaft sozusagen auf und führen<br />

sie einmal über das Dach. Und so ist<br />

dieser relativ einfache Gedanke entstanden,<br />

ein circa 145 Meter langes<br />

Gebäude mit sechs Geschossen am<br />

höchsten Punkt von Ost nach West<br />

als Halbkreis zu entwickeln. Der Innovationsbogen<br />

zeichnet sich durch maximale<br />

Flexibilität in den Grundrissen,<br />

ein sehr gutes Verhältnis von Fassadenfläche<br />

zur Grundrissfläche und ein<br />

innovatives Haustechnikkonzept aus.<br />

Leitidee der Planung ist die Nachhaltigkeit.<br />

Diese zeigt sich zum Beispiel<br />

durch die Nutzung von Fernwärme<br />

und Kühlenergie des Grundwassers,<br />

Photovoltaik zur Energiegewinnung<br />

oder auch durch das begrünte Dach.<br />

Dieses dient der Kühlung im Sommer,<br />

als Wasserspeicher und begünstigt<br />

zudem die Artenvielfalt in der Stadt.<br />

70 E-Ladestationen in der Tiefgarage<br />

und 220 Fahrradstellplätze sorgen<br />

für flexible und zukunftsgerechte<br />

Mobilität.<br />

Und der Nachhaltigkeitsgedanke<br />

spiegelt sich nicht zuletzt auch in der<br />

Fassadenlösung wider?<br />

Ralf Seufert: Das ist richtig. Bei der<br />

dort eingesetzten Fassadenlösung<br />

kommt erstmals die Aluminiumlegierung<br />

Hydro CIRCAL 100R aus 100 %<br />

recyceltem End-of-Life-Aluminium<br />

zum Einsatz. Der CO 2 -Fußabdruck<br />

liegt bei weniger als 0,5 kg CO 2 /kg<br />

Aluminium – der europäische Durchschnitt<br />

liegt bei 6,7 kg CO 2 /kg Aluminium.<br />

Ein echtes Pionierprojekt, das<br />

wir hier gemeinsam umsetzen.<br />

Dr. Christian Bergmann: Wir haben<br />

uns hier gemeinsam mit den Projektbeteiligten<br />

für eine Elementfassade<br />

entschieden, die vor dem Hintergrund<br />

von Bauzeiten, Abläufen und<br />

Fertigungsqualität viele Vorteile hat.<br />

Diese wurde zum Großteil im Werk<br />

vorgefertigt und so kann der Bauablauf<br />

sehr gut getaktet werden. Und<br />

was noch ein sehr wichtiger Aspekt<br />

für uns ist: Vor die Fassade werden<br />

aus Gestaltungsgründen dreidimensionale<br />

Lisenen angeordnet, die<br />

nachts beleuchtet werden können.<br />

So bietet der Innovationsbogen einen<br />

weiteren Eyecatcher. •<br />

© Hadi Teherani Architects, Panoptikon


FÜR EINE NACHHALTIG<br />

GEBAUTE ZUKUNFT.<br />

© Wien Museum / Fotograf Kollektiv Fischka<br />

Das neue Wien Museum ist nicht nur architektonisch,<br />

sondern auch mit Blick auf Nachhaltigkeit ein Best Practice.<br />

Revitalisierung ist ein zentrales Zukunftsmodell der<br />

Bauwirtschaft. So gelingt es uns, künftig besser mit<br />

weniger zu bauen. Beton kann dabei alle seine Vorzüge<br />

unter Beweis stellen: Die beeindruckende Flexibilität für<br />

die Flächenerweiterung, sowie die hohe Energie-Effizienz<br />

für ein nahezu energieautarkes Gebäude.<br />

holcim.at


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

28<br />

NINA MAIR Architecture + Design<br />

Nina Mair möchte mit ihrer Arbeit Menschen berühren – und das spürt man. Ihr<br />

Büro NINA MAIR Architecture + Design mit Sitz in Innsbruck widmet sich den<br />

Bereichen Produktdesign, Innen<strong>architektur</strong> und Architektur. Das vierköpfige, rein<br />

weibliche Team entwickelt detaillierte Projekte unterschiedlicher Maßstäbe, die<br />

durch ihr zeitloses und funktionales Design auffallen und zugleich Geschichten<br />

erzählen. Im Interview erklärt die international ausgezeichnete Designerin und<br />

Architektin, was gutes Design ihres Erachtens ausmacht. Außerdem spricht sie<br />

über ihre individuelle Herangehensweise an Entwürfe, die Rolle der Materialauswahl<br />

sowie Trends und Entwicklungen in der Branche.<br />

© in the headroom


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

29<br />

NINA MAIR Architecture + Design<br />

Vom Hochbau<br />

bis zum Türgriff<br />

Interview mit Nina Mair von NINA MAIR Architecture + Design<br />

Interview: Edina Obermoser<br />

Was finden Sie im Design, das Ihnen<br />

in der Architektur fehlte? Wie entstand<br />

der Fokus Ihres Büros?<br />

Im Zuge meines Architekturstudiums<br />

in Innsbruck ging ich für ein Erasmus-Jahr<br />

nach Florenz. Dort hatte<br />

ich die Chance, tiefer in die zeitgenössische<br />

Architektur einzutauchen<br />

und vom Fotokurs über die Bildhauerei<br />

bis hin zum Design-Workshop<br />

vielfältige Lehrveranstaltungen zu<br />

besuchen. Die Italiener:innen blicken<br />

beim Thema Design auf eine lange<br />

Geschichte zurück und ihre Begeisterung<br />

dafür spürt man bis heute.<br />

Das hat mich fasziniert und inspiriert<br />

– und dazu beigetragen, dass<br />

ich meine Liebe fürs Produktdesign<br />

entdeckt habe. Was mich außerdem<br />

anspricht, ist der Maßstab. Während<br />

man in der Architektur teils sehr abstrakt<br />

denken muss, baut man im<br />

Design 1:1-Prototypen. Ich arbeite<br />

gerne handwerklich in unserem eigenen<br />

Labor und bin am glücklichsten,<br />

wenn ich anstelle der Computermaus<br />

auch einmal das Schweißgerät in der<br />

Hand halten darf.<br />

Wo liegt für Sie die Grenze zwischen<br />

Architektur und Design? Worin unterscheiden<br />

sich die Disziplinen, wie<br />

ergänzen Sie sich?<br />

In meinem Kopf existiert keine klare<br />

Grenze zwischen beiden. Für mich<br />

hängen beide Disziplinen unweigerlich<br />

zusammen. Wenn ich ein Produkt<br />

entwerfe, denke ich immer seine potenzielle<br />

Umgebung bzw. den Raum<br />

mit und leite daraus die Anwendung<br />

sowie individuelle Anforderungen ab.<br />

Bei einem Architekturentwurf berücksichtige<br />

ich umgekehrt automatisch<br />

die Einrichtung bzw. Ausstattung<br />

und überlege mir Materialien<br />

und Oberflächen. Ich sehe zwischen<br />

Architektur und Design viel mehr<br />

Parallelen als Unterschiede: Bei jedem<br />

Auftrag – egal ob Produkt oder<br />

Gebäude – geht man auf die spezifischen<br />

Wünsche von Kund:innen ein<br />

und versucht etwas Maßgeschneidertes<br />

zu entwickeln.<br />

Auf Ihrer Website schreiben Sie, Ihr<br />

Design erzählt Geschichten – welche<br />

Geschichten erzählt es?<br />

Häufig entsteht die Entwurfsidee<br />

aus einem Material heraus. Man<br />

entdeckt z.B. ein Halbfertigzeug<br />

und erforscht dessen Geschichte<br />

und Einsatzgebiete. Eines unserer<br />

ersten Produkte war (damals noch<br />

mit dem Designstudio Pudelskern)<br />

die Granny -Leuchte für den italienischen<br />

Hersteller Casamania. Dort<br />

haben wir mit Schafwolle ein Rohmaterial<br />

aus der Teppichfertigung verwendet.<br />

Schafe werden in Österreich<br />

hauptsächlich für die Fleischproduktion<br />

gezüchtet, tatsächlich hat die<br />

Haltung der Nutztiere aber nicht nur<br />

eine lange Tradition, sondern einen<br />

Mehrwert für unsere Natur, da die<br />

Schafe an den steilen Berghängen<br />

grasen und so zur Landschaftspflege<br />

im alpinen Raum beitragen. Mit<br />

der Leuchte werten wir zum einen<br />

die Schafwolle als Werkstoff auf, andererseits<br />

verleihen wir dem Produkt<br />

durch ein narratives Design einen<br />

besonderen Wert.<br />

u<br />

Der Concrete Table aus Stahlbeton ist bei einer Dicke von nur 3 cm 220 cm lang.<br />

© Markus Bstieler


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

30<br />

NINA MAIR Architecture + Design<br />

© Ana Ţurcan<br />

Im Erdgeschoss des Swissotel Kursaal Bern gestalteten Nina<br />

Mair und ihr Team das Giardino Restaurant & Bar mit lokalen<br />

Naturmaterialien, subtilen Strukturen und Einbauten sowie<br />

zahlreichen Pflanzen.<br />

Was macht für Sie ein gutes Design<br />

aus? Welche Qualitäten muss es haben?<br />

Wenn man es schafft, mit einem Design<br />

Emotionen hervorzurufen, ist<br />

schon etwas Fantastisches passiert.<br />

Das müssen nicht einmal unbedingt<br />

positive Emotionen sein, es darf Betrachter:innen<br />

auch irritieren und<br />

zur Diskussion anregen. Ein gutes<br />

Beispiel aus der Architektur sind<br />

Sakralbauten: Sie zeigen mit ihrer<br />

Atmosphäre selbst bei Nicht-Gläubigen<br />

eine gewisse Wirkung auf den<br />

Körper. Auch im kleinen Maßstab<br />

kann man mit guter Gestaltung positiv<br />

auf den Menschen einwirken. Das<br />

ist auch der Grund, warum ich diesen<br />

Beruf ausübe: Ich möchte – im Idealfall<br />

natürlich positiv – berühren und<br />

Impulse geben.<br />

Im Design gibt es oft auch (kurzweilige)<br />

Trends. Wie entwickelt man<br />

zeitgemäße Produkte, die zugleich<br />

nachhaltig sind?<br />

Mein Ansatz ist es, möglichst zeitlos<br />

zu entwerfen und keinerlei Trends<br />

zu folgen – obwohl einen manche<br />

Entwicklungen trotzdem unbewusst<br />

beeinflussen. Ich finde es zwar ganz<br />

nett, dass es Trendgurus wie Li<br />

Edelkoort gibt, die Trendbooks mit<br />

angesagten Farbnuancen und anderen,<br />

aktuellen Tendenzen veröffentlichen,<br />

halte davon aber eher wenig.<br />

Generell konzentriere ich mich stets<br />

auf eine reduzierte, schlichte Formensprache,<br />

ohne Ornamente oder<br />

Muster. Genau genommen versuche<br />

ich beim Entwerfen, so viel wie möglich<br />

wegzulassen. Meist arbeite ich<br />

mit höchstens zwei Materialien und<br />

wähle robuste und natürliche Werkstoffe,<br />

die mit der Zeit eine schöne<br />

Patina erhalten. Dieser zeitlose Ansatz<br />

verleiht Designs nicht nur ihren<br />

individuellen Charakter, sondern<br />

auch ihre Langlebigkeit.<br />

Welche Rolle spielen Materialien in<br />

Ihrer Arbeit und wovon hängt deren<br />

Auswahl ab?<br />

Eine angenehme Haptik und Oberfläche<br />

von Werkstoffen sind mir sehr<br />

wichtig. Ich liebe es, mit Naturmaterialien<br />

zu arbeiten. In unseren Architekturentwürfen<br />

kommen viel Stein<br />

und Holz oder Textilien wie Wolle<br />

und Leinen vor. So holen wir die<br />

Natur in den Raum und sorgen für<br />

Wohlbefinden sowie eine gesunde<br />

Umgebung. Richtig eingesetzt, sind<br />

sie zudem langlebig und recycelbar.<br />

Auch die Farbwelten und Nuancen<br />

von Naturwerkstoffen tun dem Menschen<br />

gut.<br />

u<br />

Die preisgekrönte Shell Bathtub wurde mittels CNC-Fräse<br />

aus einem Block Walnussholz hergestellt.<br />

Mashrabeya aus Buchenfurnier und pulverbeschichtetem Stahl<br />

© in the headroom<br />

© Peter Philipp


Cleverpark 900 Eiche Mandorla in einer lebhaften Sortierung


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

32<br />

NINA MAIR Architecture + Design<br />

© Markus Bstieler © in the headroom<br />

Die Granny-Leuchte besteht mit ihrer gestrickten Struktur zu 100 % aus lokaler Schafwolle.<br />

Tube Light kombiniert dank Merinowoll-Gewebe<br />

angenehme Beleuchtung und Akustik.<br />

Neben Klassikern wie Holz und Stein<br />

findet man auf Ihrer Website z.B.<br />

auch ein Lampendesign mit Merinowolle<br />

– was hat es damit auf sich?<br />

Tube Light ist eine schlichte, zylindrische<br />

Akustikleuchte, die zugleich<br />

als hochwertiger Schallabsorber fungiert.<br />

Sie entstand in Zusammenarbeit<br />

mit dem Akustikhersteller YDOL<br />

und der Lichtplanungsfirma Bartenbach.<br />

Besonders spannend ist, dass<br />

hier zwei Komponenten aufeinandertreffen,<br />

welche sich maßgeblich auf<br />

die Atmosphäre eines Raumes auswirken.<br />

Sowohl Licht als auch Akustik<br />

fallen Nutzer:innen aber eigentlich<br />

nur dann auf, wenn sie nicht gut gelöst<br />

sind. Beim Material der Leuchte<br />

fiel die Wahl auf recyceltes Aluminium<br />

und den nachwachsenden Rohstoff<br />

Merinowolle. Das feine Gewebe –<br />

das eigentlich aus der Textilindustrie<br />

stammt – kann nicht nur Schall absorbieren,<br />

sondern auch Feuchtigkeit<br />

aufnehmen und trägt so zur Raumkonditionierung<br />

bei. Außerdem lässt<br />

sich die Tube Light in ihre Einzelteile<br />

zerlegen und komplett recyceln.<br />

Wie gehen Sie als Team an den Entwurfsprozess<br />

heran? Welchen Einfluss<br />

haben auch andere Disziplinen?<br />

Hinter NINA MAIR Architecture + Design<br />

steckt ein Team von vier tollen<br />

Frauen. Bei uns beginnt jeder Prozess<br />

mit dem Zeichenstift und einem<br />

Blatt Papier. Produktdesigns testen<br />

wir gerne anhand von 1:1-Prototypen<br />

und Mock-ups auf ihre Funktionalität<br />

und Ergonomie. In der Architektur<br />

gehen wir sehr analytisch vor, um die<br />

Wünsche und Anforderungen von<br />

Bauherr:innen bestmöglich verstehen<br />

und umsetzen zu können. Auch hier<br />

entwickeln wir Hochbaudetails mithilfe<br />

von Handskizzen, bevor es an die<br />

Digitalisierung geht. Materialmuster<br />

spielen dabei ebenfalls eine große<br />

Rolle. Wir arbeiten nicht nur untereinander<br />

eng zusammen, sondern auch<br />

interdisziplinär und holen je nach<br />

Projekt entsprechende Expert:innen<br />

mit an Bord, um selbst von anderen<br />

zu lernen. Beispielsweise bei der HOSI<br />

(Homosexuelle Initiative) in Linz waren<br />

Soziolog:innen, Psycholog:innen<br />

und Sozialarbeiter:innen beteiligt.<br />

Welche spannenden Entwicklungen<br />

sehen Sie in der Design-Branche?<br />

Künstliche Intelligenz wird natürlich<br />

auch in der Architektur und im Design<br />

viel diskutiert. Meines Erachtens<br />

kann man sich KI-basierte Prozesse<br />

durchaus z.B. für administrative Dinge<br />

wie Buchhaltung zunutze machen,<br />

aus gestalterischer Sicht aber eher<br />

nicht. Entwerfen möchte ich weiterhin<br />

selbst. Ansonsten ist Nachhaltigkeit<br />

in aller Munde und wird als Label<br />

fast schon inflationär verwendet.<br />

Es gibt aber durchaus viele junge<br />

Designer:innen, die sich mit spannenden<br />

Themen beschäftigen – im<br />

Bereich neue Materialien finde ich<br />

z.B. Pilzmyzel als nachwachsenden,<br />

biologisch abbaubaren Rohstoff sehr<br />

interessant. Bei allen Experimenten<br />

bleibt dann aber die Frage nach der<br />

industriellen Umsetzbarkeit.<br />

Von Gatsby bis hin zu Miss Marble<br />

und Spencer – woher nehmen Sie die<br />

Inspiration für Ihre Produktdesigns?<br />

Die Inspiration für die Entwürfe<br />

kommt tatsächlich oft aus dem Material,<br />

Produktnamen ergeben sich<br />

meist erst im Nachhinein. Reisen<br />

stellen auch eine große Inspirationsquelle<br />

dar. Oft sind es bestimmte<br />

Farbwelten anderer Kulturen, welche<br />

die Atmosphäre eines Ortes widerspiegeln.<br />

Ein Beispiel dafür ist unser<br />

Mashrabeya-Schränkchen, bei dem<br />

wir für eine Firma in Ägypten ein<br />

zeitloses Möbelstück mit einer lokalen<br />

Referenz kombinierten. Dafür<br />

haben wir Maschrabiyya – traditionelle,<br />

dekorative Holzgitter aus der<br />

islamischen Architektur – in Form<br />

von Metall-Schiebeelementen mit<br />

Lochmuster interpretiert. Ein zarter<br />

Apricot-Ton soll an ägyptische Gewürzmärkte<br />

erinnern. Wichtig ist bei<br />

solchen Projekten, keine 1:1-Zitate zu<br />

verwenden, um nicht in die folkloristische<br />

Richtung abzudriften.<br />

Welches Projekt oder Wunschdesign<br />

würden Sie gerne in der Zukunft umsetzen?<br />

Mein Traum ist es, ein Projekt vom<br />

Hochbau bis hin zum Türgriff entwerfen<br />

zu dürfen. Unsere Innen<strong>architektur</strong><br />

geht meist sehr ins Detail, aus<br />

Budget- oder Zeitgründen greift man<br />

dann aber oft auf Serienprodukte<br />

zurück. Einige unserer Möbelstücke,<br />

die wir speziell für Aufträge entworfen<br />

haben, gingen dann in Serie. Das<br />

ist natürlich auch toll. Ein formales<br />

Konzept zu entwickeln, das von Anfang<br />

bis Ende unsere Handschrift<br />

trägt und bei dem wir sogar die Türgriffe<br />

eigens designen und anfertigen<br />

können, wäre aber eine absolute<br />

Traumvorstellung.<br />

•<br />

www.ninamair.at


Thinking about<br />

tomorrow BUSCH-ART<br />

tomorrow BUSCH-ART<br />

LINEAR ®<br />

Zeitloses Design mit nachhaltigen<br />

Materialien:<br />

In zahlreichen Variationen bietet<br />

Busch-art linear ® von Busch-Jaeger das<br />

perfekte Gleichgewicht aus Design und<br />

Natur – in einer einzigartigen Optik.<br />

Die neue Schalterserie folgt der<br />

Philosophie des Cradle to Cradle (C2C)<br />

und zeichnet sich durch klare Linien,<br />

minimalistische Gestaltung und einen<br />

starken Fokus auf Nachhaltigkeit bei<br />

Material und Produktion aus.<br />

busch-jaeger.at


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

34<br />

Zechner / Zechner<br />

© Zechner / Zechner<br />

Zurück zum<br />

Einfachen<br />

Interview mit Christoph Zechner von Zechner / Zechner<br />

Interview: Linda Pezzei<br />

Bereits 1988 gründeten die Brüder Martin und Christoph<br />

Zechner gleich nach ihrem Studium an der TU Graz und dem<br />

Diplom bei Günther Domenig das Architekturbüro Zechner<br />

/ Zechner in Wien und fühlen sich seitdem in der gesamten<br />

Bandbreite vom Einfamilienhaus bis zum Büro-Hochhaus<br />

und vom Hotel bis zum Bahnhof zuhause. Dabei lassen die<br />

Architekten gerne auch einmal die österreichischen Grenzen<br />

hinter sich, um im Ausland tätig zu werden.<br />

Frühen größeren Aufträgen wie dem<br />

Gewinn des ersten Europan Wettbewerbs<br />

und des Wettbewerbs für<br />

die Bahnhofsverbesserung der ÖBB<br />

folgten im Laufe der Jahre zahlreiche<br />

Auszeichnungen vom Europäischen<br />

Stahlbaupreis über den Brunel<br />

Award für außerordentliche Planungen<br />

im Bahnbau und die Auszeich-<br />

nung für vorbildliche Bauten in Niederösterreich<br />

bis hin zum „AR-Award<br />

for emerging architecture“, dem<br />

„Mobilitätspreis Österreich“ oder<br />

dem „World Infrastructure Award“. Im<br />

Interview spricht Christoph Zechner<br />

über die Stadt, Infrastruktur, Mobilität<br />

und Verdichtung.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

35<br />

Zechner / Zechner<br />

Wie müssen wir die Stadt von morgen<br />

als Lebensraum Ihrer Meinung nach<br />

schon heute denken?<br />

Ich glaube, es ist wesentlich zu unterscheiden,<br />

ob wir von langsam<br />

wachsenden Städten sprechen, wie<br />

wir sie in Europa haben, oder von<br />

explosionsartig wachsenden Städten<br />

wie sie in vielen Schwellenländern<br />

existieren. In unseren Breiten geht es<br />

in erster Linie um eine weitere Steigerung<br />

der Lebensqualität unter der<br />

Prämisse der Nachhaltigkeit. In rasch<br />

wachsenden Megastädten muss zuerst<br />

für eine funktionierende Infrastruktur<br />

gesorgt werden, um diese<br />

nicht kollabieren zu lassen.<br />

Denn viele Probleme unserer heutigen<br />

Städte entstanden letztlich<br />

durch die räumliche Trennung von<br />

Wohn- und Gewerbegebieten. Die<br />

Mobilität, die damit mit sich kam,<br />

wurde und wird zum großen Teil<br />

durch den motorisierten Individualverkehr<br />

abgedeckt und resultiert<br />

in verstopften Straßen und großem<br />

Flächenbedarf für den ruhenden<br />

Verkehr. Eine zu geringe Dichte – vor<br />

allem in den Speckgürteln der Städte<br />

– stellt in meinen Augen ein weiteres<br />

Problem dar. Der heterogene Sprawl<br />

aus Fachmärkten und Einkaufszentren<br />

samt riesigen Parkplätzen frisst<br />

Fläche und erzeugt Orte ohne Aufenthaltsqualität.<br />

Die Gebäude einer Stadt sollten dementgegen<br />

möglichst flexibel nutzbar<br />

sein und einen Mix aus Wohn-, Arbeits-,<br />

Einkaufs- und Freizeitflächen<br />

ermöglichen. Die Sockelzone muss<br />

durch ausreichende Geschosshöhe<br />

attraktiv und belebt sein. Bauflächen<br />

sind durch höhere Dichten<br />

und größere Gebäudehöhen besser<br />

auszunutzen. Ein guter Nutzungsmix<br />

ermöglicht zudem eine Stadt der<br />

kurzen Wege, welche vornehmlich zu<br />

Fuß zurückgelegt werden können.<br />

Unterstützt werden kann dies durch<br />

eine attraktive Gestaltung des Freiraumes,<br />

durch Begrünung und eine<br />

attraktive Stadtmöblierung. Längere<br />

Wege sollten hingegen vorrangig mit<br />

öffentlichen Verkehrsmitteln oder<br />

dem Rad zurückgelegt werden. Auch<br />

hier geht es darum, die entsprechende<br />

Infrastruktur anzubieten. Dabei<br />

ist vor allem die Multimodalität zu<br />

unterstützen, um den Wechsel zwischen<br />

verschiedenen Verkehrsmitteln<br />

möglichst einfach und angenehm<br />

zu organisieren.<br />

Auch die Energieversorgung in den<br />

Städten muss verstärkt dezentral<br />

aus erneuerbaren Quellen wie Photovoltaik<br />

und Geothermie erfolgen<br />

und die zentrale Energieversorgung<br />

ergänzen. Prinzipiell ist das „Konzept<br />

Stadt“ in entsprechender Dichte an<br />

sich aber ein sehr nachhaltiges, weil<br />

vieles mit geringem Flächenbedarf<br />

möglich ist und miteinander verknüpft<br />

werden kann.<br />

Welche Rolle spielen dabei eine smart<br />

geplante Infrastruktur und Mobilität?<br />

Wo können wir uns in Österreich da<br />

noch etwas abschauen?<br />

Die Mobilitätsinfrastruktur in Österreichs<br />

Städten ist durchaus gut ausgebaut.<br />

Nachholbedarf gibt es beim<br />

Ausbau der Fahrradinfrastruktur,<br />

wo man sich an Städten wie Kopenhagen<br />

oder Amsterdam ein Beispiel<br />

betreffend Stellenwert, Dimension<br />

und des Ausbaus der Radwege und<br />

Radabstellanlagen nehmen kann.<br />

Optimierungsmöglichkeiten bestehen<br />

auch bei der intermodalen Verknüpfung<br />

der Verkehrsmittel. Die<br />

betrifft sowohl die räumliche Ausgestaltung<br />

und Optimierung von Mobilitätshubs<br />

wie auch die Einbindung<br />

von Sharing-Diensten. Beim Bau der<br />

Nahverkehrsdrehscheibe am Grazer<br />

Hauptbahnhof haben wir die unterschiedlichen<br />

Verkehrsmittel wie<br />

Bahn, Straßenbahn, Busse, Fahrräder,<br />

Taxis und Individualverkehr räumlich<br />

möglichst nahe verknüpft und durch<br />

übersichtliche und attraktive Fußwegrelationen<br />

miteinander verbunden.<br />

Die barrierefreie Nutzung war<br />

dabei selbstverständliche Grundlage.<br />

Eine weitere Optimierung ist durch<br />

die Nutzung digitaler Dienste auf<br />

der Basis von Echtzeitinformationen<br />

möglich. Diverse Apps für Smartphones<br />

ermöglichen vereinfachtes<br />

Routing und Ticketing und erleichtern<br />

so die Nutzung der öffentlichen<br />

Verkehrsmittel. In Zukunft werden<br />

On-demand-Systeme, wie beispielsweise<br />

die im Rahmen des EU-Projektes<br />

FABULOS getesteten autonomen<br />

Minibusse in Helsinki in die Mobilitätsketten<br />

eingegliedert werden. u<br />

Graz Hauptbahnhof 2020: Im Rahmen<br />

des Infrastrukturprojektes erfolgte die<br />

Umstrukturierung und Neukonfiguration<br />

des Grazer Hauptbahnhofes. Im Zuge der<br />

Gleis- und Bahnsteigumbauten wurden ein<br />

neuer Personentunnel errichtet und die<br />

Bahnsteigüberdachungen erneuert.<br />

© PIERER


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

36<br />

Zechner / Zechner<br />

© PIERER<br />

ÖBB Konzernzentrale: Die dynamisch geschwungene Großform<br />

des 88 Meter hohen Turms sowie glatte, gerundete<br />

Oberflächen sollen Assoziationen an moderne Hochgeschwindigkeitszüge<br />

wecken.<br />

© PIERER<br />

Marina Tower: Der Wohnturm fungiert als Landmark an der<br />

Donau und verbindet durch die Überplattung des Handelskais<br />

die Waterfront mit der Stadt.<br />

Welche Rolle kann und wird die Verdichtung<br />

bestehender Strukturen im<br />

urbanen wie ländlichen Raum spielen?<br />

Das Architekturzentrum in Wien<br />

zeigte unlängst in der Ausstellung<br />

„Boden für Alle“ die Probleme des<br />

sorglosen Umgangs mit der wertvollen<br />

Ressource Boden auf. Die Auslagerung<br />

von Geschäftsflächen aus<br />

urbanen Zentren in das billigere Umland<br />

frisst den wertvollen Boden und<br />

lässt Ortskerne sterben. Dem muss<br />

durch konsequente Umsetzung der<br />

gesetzlichen Raumordnungsbestimmungen<br />

entgegengewirkt werden.<br />

Ein Mittel ist die angesprochene Verdichtung<br />

bzw. Umnutzung innerhalb<br />

des Bestandes. Auch im Sinne der<br />

Nachhaltigkeit ist ein Umbau oder<br />

eine Erweiterung eines Bestandes<br />

einem Neubau auf der grünen Wiese<br />

vorzuziehen. Dabei ist jedoch<br />

Bedacht auf historisch gewachsene<br />

Strukturen und eine Maßstäblichkeit<br />

zum Bestand zu achten. Mit Verdichtungen<br />

sollte auch immer ein<br />

gemeinschaftlicher Nutzen einhergehen.<br />

Dies kann durch Integration<br />

von öffentlichen Funktionen oder<br />

Verbesserung des angrenzenden<br />

Freiraumes geschehen. Im städtischen<br />

Raum haben sich dafür die<br />

städtebaulichen Verträge zwischen<br />

Entwickler und Kommune als probates<br />

Mittel bewährt.<br />

Ein wesentliches Instrument zur<br />

Verdichtung im städtischen Bereich<br />

stellt meiner Meinung nach das<br />

Hochhaus dar. Dessen negatives<br />

Image in der öffentlichen Meinung,<br />

welches man in Zeitungsforen nachlesen<br />

kann, ist ungerechtfertigt und<br />

rührt wahrscheinlich von Bausünden<br />

der jüngeren Vergangenheit her. Die<br />

gestalterische Verantwortung bei<br />

der Planung eines Hochhauses ist<br />

jedoch schon allein aufgrund seiner<br />

Größe und starken Präsenz im<br />

Stadtgefüge eine höhere als bei Bauten<br />

durchschnittlicher Größe. Daher<br />

muss die Auswahl der Projekte über<br />

Qualitätswettbewerbe erfolgen und<br />

in Folge von Fachbeiräten begleitet<br />

werden. Ein Beispiel dafür ist unser<br />

neues Projekt für die Aspern Seestadt.<br />

Wir konnten den Wettbewerb<br />

für ein Wohnhochhaus mit Mischnutzung<br />

im Sockelbereich gemeinsam<br />

mit Vlay Streeruwitz gewinnen. Der<br />

Aspern Beirat definiert und überwacht<br />

dabei die Qualitätskriterien.<br />

Wichtig ist der begleitende Nutzen<br />

für die Allgemeinheit. Beim Marina<br />

Tower in Wien geschah dies beispielsweise<br />

durch die Überplattung<br />

einer stark befahrenen angrenzenden<br />

Straße. Dieses öffentliche Deck,<br />

welches durch das zentrale Atrium<br />

des Towers führt, verbindet nun für<br />

Fußgänger das Donauufer mit dem<br />

angrenzenden Bezirk und entschärft<br />

die ehemalige Barriere.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

37<br />

Zechner / Zechner<br />

Ein Projekt Ihrer Wahl, das all diese<br />

Aspekte vereint oder zumindest wegweisend<br />

für einen davon steht?<br />

Das sich im Bau befindliche Projekt<br />

Quadrill auf dem Gelände der Tabakfabrik<br />

Linz beinhaltet einige für<br />

uns wesentliche Aspekte. Der bereits<br />

fertiggestellte Umbau des denkmalgeschützten<br />

von Peter Behrens geplanten<br />

Kraftwerkes der Tabakfabrik<br />

zu einem Veranstaltungszentrum mit<br />

Gastronomie und Brauerei zeigt, wie<br />

man historisch wertvolle Bausubstanz,<br />

deren ursprüngliche Funktion<br />

verloren ging, mit neuem Leben füllen<br />

kann.<br />

Gleich daneben entsteht anstelle eines<br />

nicht mehr genutzten Gebäudes<br />

ein Ensemble aus einem Büro- und<br />

Hotelhochhaus, Wohn- und Bürohäusern<br />

mit Einkaufs-, Dienstleistungsund<br />

Veranstaltungsfunktionen in der<br />

Sockelzone. Durch eine hohe Bebauungsdichte<br />

wird diese innerstädtische<br />

Zone gut genutzt. Alle Bauteile<br />

des Ensembles sind jeweils mit mehreren<br />

Funktionen gefüllt. Das bedeutet,<br />

dass hier Arbeiten, Wohnen, Tourismus,<br />

Freizeit und Gastronomie auf<br />

kleinem Raum nebeneinander und<br />

übereinander stattfinden können.<br />

Die höhere Dichte wird mit Grünflächen<br />

in mehreren Ebenen und hochwertiger<br />

Freiraumgestaltung und<br />

der Schaffung autofreier Plätze und<br />

Treffpunkte begleitet.<br />

© Zechner / Zechner<br />

Quadrill Tabakfabrik Linz: Das Projekt soll den Gebäudekomplex der von<br />

Peter Behrens entworfenen Tabakfabrik komplettieren.<br />

Natürlich ist die gesamte Konzeption<br />

von Anfang an auf höchste Nachhaltigkeit<br />

ausgelegt. Die Primärenergie<br />

für Heizen und Kühlen beziehen wir<br />

aus dem Grundwasser, Fernwärme<br />

und -kälte werden nur zur Ausfallsicherheit<br />

und Spitzenlastabdeckung<br />

vorgesehen. Die Beschränkung auf<br />

bauphysikalische und energetische<br />

Optimierungen greift unserer Meinung<br />

nach aber zu kurz. Es geht darum,<br />

wie wir in Zukunft arbeiten und<br />

wohnen wollen. Wir benötigen Gebäude,<br />

die der Gesellschaft und der<br />

Umwelt etwas zurückgeben. Unser<br />

architektonischer Anspruch endet<br />

daher nicht beim bloßen Erfüllen<br />

ökologischer Checklisten. Unsere<br />

Häuser müssen Emotionen wecken<br />

und Identität bieten. Wir bezeichnen<br />

das als emotionale Nachhaltigkeit.<br />

Coole Gebäude werden länger genutzt<br />

werden als espritlose Häuser.<br />

Wie kann Architektur Ihrer Meinung<br />

nach zu einem Umdenken hinsichtlich<br />

der Nutzung von nachhaltiger Mobilität<br />

beitragen?<br />

Ein wesentlicher Faktor für eine<br />

verbesserte Akzeptanz von öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln ist die gute<br />

Gestaltung von Haltestellen und<br />

Mobilitäts-Hubs wie Bahnhöfen. Bereits<br />

Anfang der 90er-Jahre haben<br />

wir ein erstes Design Manual für<br />

die Österreichischen Bundesbahnen<br />

entwickelt, in dem prototypische<br />

Entwürfe für die wesentlichen<br />

Module und Ausstattungselemente<br />

beschrieben wurden. Kriterien wie<br />

leichte Orientierbarkeit und logische<br />

Wegeführung, enge Verknüpfung<br />

der Mobilitätskette, barrierefreie Gestaltung<br />

sowie Schaffung einer hellen<br />

und kundenfreundlichen Atmosphäre<br />

wurden definiert und anhand<br />

einiger Bahnhofsumbauten wie dem<br />

Graz Hauptbahnhof umgesetzt. In<br />

weiteren Ausbaustufen konnten wir<br />

später den Vorplatz gestalten und<br />

die Bahnsteige mit einer Gleishalle<br />

überdachen. Peter Koglers Kunstwerke<br />

wurden in die Halle und die<br />

Bahnsteig unterführung integriert.<br />

Aber auch kleinere Haltestellen wie<br />

die S-Bahn-Station Wien Aspern<br />

Nord, bei der die Verknüpfung mit<br />

der U-Bahnhaltestelle und künftigen<br />

P&R-Anlagen wesentliche Themen<br />

waren, bedürfen einer gewissenhaften<br />

Gestaltung. Die nachhaltigste<br />

Art der Mobilität, das Zufußgehen,<br />

muss durch qualitätsvolle Freiraumgestaltung<br />

und kurze attraktive<br />

Wegverbindungen gefördert werden.<br />

Das Radwegenetz und die Abstellanlagen<br />

für Räder samt Ladeinfrastruktur<br />

für E-Bikes sind auszubauen.<br />

Wenn Sie die Wahl hätten: Neubau<br />

oder Verdichtung und warum?<br />

Das kann nicht pauschal beantwortet<br />

werden. Manchmal kann ein<br />

Neubau durch die geeignete Wahl<br />

der Baustoffe und Haustechnik eine<br />

nachhaltigere Lösung über den Lebenszyklus<br />

und in Richtung Kreislaufwirtschaft<br />

betrachtet bedeuten<br />

als ein Um- und Zubau. Das Thema<br />

Umbau wird in Zukunft gegenüber<br />

dem Neubau aber auf jeden Fall<br />

wichtiger werden.<br />

Ein Projekt, das Sie unlängst nachhaltig<br />

begeistert hat und warum?<br />

Der Quay Quarter Tower von 3XN.<br />

Die Architekten verwendeten den<br />

Kern eines bestehenden Hochhauses<br />

aus den 70er-Jahren und erweiterten<br />

diesen zu einem neuen<br />

Hochhaus. Die Entscheidung für den<br />

Umbau statt eines Abrisses sparte<br />

über 7.000 Tonnen CO 2 ein. •<br />

www.zechner.com


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

38<br />

Tp3 Architekten<br />

Andreas Henter und Markus Rabengruber machen mit ihrem<br />

Büro Tp3 Architekten mit Sitz in der Linzer Altstadt seit 2005<br />

gemeinsame Sache. Neben Wohn- und Städtebau hat sich das<br />

Duo mit seinem Team auf die Themen Bauen im Bestand und<br />

nachhaltige Konzepte spezialisiert. Im Interview verraten die<br />

beiden Gründer ihre Herangehensweise an Sanierungsprojekte.<br />

Sie sprechen über die größten Potenziale und Herausforderungen<br />

von Bestandsobjekten, ein fehlendes Bewusstsein<br />

und die Angst vor Revitalisierungen in der Gesellschaft.<br />

Den Abschluss bildet ein Herzensprojekt von Henter und<br />

Rabengruber, das bald in der oberösterreichischen Hauptstadt<br />

umgesetzt werden könnte.<br />

© Wolfgang Gumpelmeier<br />

Neues Leben<br />

in alten Häusern<br />

Interview mit Andreas Henter und Markus Rabengruber von Tp3 Architekten<br />

Interview: Edina Obermoser


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

39<br />

Tp3 Architekten<br />

Altes wird heutzutage – auch im Bau<br />

– oft durch Neues ersetzt. Was denken<br />

Sie ist der Hauptgrund dafür?<br />

Andreas Henter AH: Die ungeschönte<br />

Antwort? Oft ist es die<br />

Profitgier. Gleich dahinter kommt<br />

wahrscheinlich die Bequemlichkeit.<br />

Häufig möchten Besitzer:innen möglichst<br />

schnell, viel aus einer bestehenden<br />

Liegenschaft herausholen –<br />

ohne sich mit einer Bestandsstruktur<br />

auseinanderzusetzen.<br />

Markus Rabengruber MR: Ich denke,<br />

das hat verschiedene Gründe,<br />

die zum Teil auch politischer Natur<br />

sind – von Kosten und Förderungen<br />

bis hin zu Stellplatzverordnungen.<br />

Ein Neubau lässt eine genauere Kalkulation<br />

zu und bietet damit mehr<br />

Planungssicherheit. Gleichzeitig erhalten<br />

neue Projekte mehr Zuschüsse<br />

als Sanierungen und Bauträger<br />

wollen häufig möglichst viele Tiefgaragenplätze<br />

– die es im Bestand<br />

nicht gibt. All diese Parameter führen<br />

dazu, dass die Sanierungsquote bei<br />

nur 1 % liegt.<br />

Sie beschreiben die „Spuren der<br />

Zeit“ als Ihre architektonische Strategie<br />

– was kann man sich darunter<br />

vorstellen?<br />

AH: Bei unseren Projekten, hat man<br />

oft den Eindruck, etwas passt nicht<br />

ganz – es läuft nicht immer alles<br />

genau zusammen oder ist perfekt<br />

nivelliert. Architektur bedeutet für<br />

uns nicht unbedingt auch Geradlinigkeit.<br />

Lässt man sich auf ein bestehendes<br />

Gebäude ein, stößt man auf<br />

viele Qualitäten, die wichtiger sind<br />

als rechte Winkel. Deshalb streben<br />

wir bei unseren Bauten nicht nach<br />

Perfektion, sondern versuchen, den<br />

Fokus auf andere Themen zu legen.<br />

Daraus hat sich über die Jahre<br />

hinweg unsere eigene Handschrift<br />

entwickelt – die wir gerne als „Einfachheit<br />

als Prinzip“ bezeichnen.<br />

MR: Für mich macht diese Herangehensweise<br />

ein Gebäude auch<br />

nahbarer. Mir ist eine unebene Weinviertler<br />

Kellergassen-Fassade sympathischer<br />

als eine aalglatte, rein an<br />

technischen Parametern orientierte.<br />

Architektur muss menschlich sein<br />

und genau das erreicht man über<br />

Unzulänglichkeiten, die den Bestand<br />

oft ausmachen. Christopher Alexander<br />

schreibt in seinen Büchern: „Das<br />

Weiterbauen bewahrt einen vor größeren<br />

Fehlern“. Anstatt immer wieder<br />

bei null anzufangen, gibt es bei<br />

Sanierungen bereits eine Grundlage.<br />

Man kann Fehler im Bestand erkennen<br />

und beheben oder Qualitäten<br />

schärfen und stärken, indem man<br />

diese unter verschiedenen Zeitschichten<br />

wieder freischält.<br />

Waren Ihnen Sanierungen schon immer<br />

wichtig oder gab es einen Auslöser<br />

für den Fokus Ihres Büros?<br />

MR: Den Fokus gab es von Anfang<br />

an. Wir haben zwar vor Gründung<br />

des Büros getrennt Projekte entwickelt,<br />

uns aber schon damals beide<br />

mit Nachhaltigkeit beschäftigt. Das<br />

Thema Sanierung kam dann sukzessive<br />

immer mehr dazu. Unser<br />

© Mark Sengstbratl<br />

erstes Büro befand sich in der Linzer<br />

Altstadt. Beim Umzug in die neuen<br />

Räumlichkeiten fiel die Wahl – unseren<br />

Werten entsprechend – bewusst<br />

auf einen Altbau. Alte Gebäude<br />

strahlen eine besondere Atmosphäre<br />

aus, in und mit der wir (und unsere<br />

Mitarbeiter:innen) gerne arbeiten.<br />

AH: Mit der Zeit wuchs das Büro und<br />

mit ihm unsere Reputation bei potenziellen<br />

Auftraggeber:innen. Damit<br />

wurde es auch leichter, eigene Inhalte<br />

zu transportieren bzw. umzusetzen.<br />

Heute befinden wir uns in der glücklichen<br />

Position, Projekte auch abzulehnen,<br />

die nicht unseren Werten und<br />

architektonischen Vorstellungen entsprechen.<br />

Wir haben eine Verantwortung<br />

und übernehmen diese auch. u<br />

Mit 28 Einheiten demonstriert das Baumwerk<br />

in Freistadt, dass sich leistbarer Wohnraum und<br />

ressourcenschonendes Bauen vereinen lassen.<br />

© Mark Sengstbratl


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

40<br />

Tp3 Architekten<br />

© Mark Sengstbratl<br />

Beim Pfarrhof<br />

Reichenau ging es<br />

darum, den Bestand<br />

zu sanieren und ihn<br />

sowohl behutsam<br />

als auch nachhaltig<br />

fortzuschreiben.<br />

Was sind Probleme beim Bauen im<br />

Bestand? Welche Voraussetzungen<br />

fehlen Ihnen?<br />

MR: Förderungen sind ein großes<br />

Instrumentarium. Man müsste die<br />

Strukturen völlig auf den Kopf stellen<br />

und alles auf die Sanierungskarte<br />

setzen. Das heißt (vor allem auch<br />

beim geförderten Wohnbau): weg<br />

vom Neubau! Zudem fehlt tatsächlich<br />

immer noch das Bewusstsein.<br />

Es spricht zwar jeder über Nachhaltigkeit,<br />

aber viele haben – auch<br />

aufgrund fehlender Beratung und<br />

Know-how – Angst vor Gebäudesanierungen.<br />

Hier bräuchte es Maßnahmen<br />

von Gemeinden und Förderstellen,<br />

um das Thema künftig auch<br />

Laien näherzubringen.<br />

AH: Ein großes Problem beim Bauen<br />

im Bestand sind die – teils unverhältnismäßigen<br />

und nicht erfüllbaren –<br />

Normen und Richtlinien. Darin besteht<br />

für uns die größte Herausforderung,<br />

bei der wir sprichwörtlich wie Don<br />

Quijote gegen Windmühlen kämpfen.<br />

Die Gesetzgebung berücksichtigt<br />

meist nur die technische Performance<br />

eines Gebäudes, ohne den Wert<br />

des Bestandes miteinzubeziehen. Beispielsweise<br />

das Thema Brandschutz<br />

reißt oft ein großes Loch ins Budget.<br />

Da liegt es an den Behörden, Ausnahmeregelungen<br />

und Erleichterungen<br />

für Sanierungen zu schaffen. Es wäre<br />

fahrlässig, die Potentiale des Bestandes,<br />

aufgrund scheinbarer mangelnder<br />

(technischer) Anpassung zu vernachlässigen.<br />

Worin steckt das größte Potenzial<br />

bei Gebäudesanierungen?<br />

AH: Das Schöne an vorhandenen<br />

Strukturen ist, dass es bereits Nachbarschaften<br />

und Wegestrukturen<br />

gibt. Beim Abbruch im städtischen<br />

Bereich werden Bestandsgebäude oft<br />

durch nahezu identische Neubauten<br />

ersetzt – das macht wenig Sinn. Die<br />

IBA Thüringen hat hier einen interessanten<br />

Ansatz. Sie sagt: „Stell dir<br />

vor, was wäre, wenn alles gebaut ist.“<br />

Und was wäre denn, wenn wir nichts<br />

mehr Neues bauen, sondern nur noch<br />

umstrukturieren? Uns ist natürlich<br />

© Tp3 Architekten & Nikolaus Schullerer-Seimayr<br />

bewusst, dass es diesbezüglich keine<br />

einfachen Antworten geben wird.<br />

MR: Ein Vorteil bei der Gebäudesanierung<br />

sind bestehende Qualitäten wie<br />

z.B. höhere Erdgeschosszonen. Diese<br />

Großzügigkeit findet man bei Neubauten<br />

oft nicht mehr, da versucht<br />

wird, die zulässige Höhe mit dem Maximum<br />

an Geschossen zu füllen. Für<br />

uns macht der Bestand den Charakter<br />

einer Stadt aus: Alte Gebäude stellen<br />

immer auch Erinnerungsräume dar,<br />

die man erhält oder auslöscht. Daher<br />

braucht es jetzt ein Umdenken – einen<br />

Umbau im Kopf!<br />

u<br />

Tp3 Architekten koordinierten den schrittweisen Revitalisierungsprozess, um<br />

dem verfallenen Bestand der Burgruine Reichenau neues Leben einzuhauchen.


est of best


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

42<br />

Tp3 Architekten<br />

Eine Insel für Linz ist das Herzensprojekt von Andreas Henter und Markus Rabengruber.<br />

Mit ihm soll mitten in der oberösterreichischen Hauptstadt ein hochwertiger Freiraum entstehen.<br />

Wie gehen Sie Sanierungsprojekte<br />

an, worauf liegt der Hauptfokus?<br />

AH: Wir definieren mit allen Bauherren<br />

zuerst ein Anforderungsprofil,<br />

bevor es im nächsten Schritt darum<br />

geht, den Zustand des Gebäudes zu<br />

untersuchen, dessen Qualitäten zu<br />

erkennen und zu überlegen, wie man<br />

die Funktionen darin unterbringt. In<br />

diesem Prozess merkt man schnell,<br />

ob es das Gegenüber ernst meint,<br />

oder ob es sich bei einer Sanierung<br />

eher um Greenwashing handelt.<br />

Denn: Sanieren um jeden Preis macht<br />

unseres Erachtens keinen Sinn.<br />

MR: Steht fest, dass saniert wird,<br />

geht es an die professionelle Vermessung<br />

und Bauteilöffnung, um<br />

Aufbauten und etwaige Schäden zu<br />

evaluieren. Diese Analyse der Gebäudestruktur<br />

bildet die Grundlage<br />

für alle weiteren Planungsschritte.<br />

Gerade in Linz weiß man dabei nie,<br />

was auf einen zukommt: Hier findet<br />

man viele Altbauten ohne jegliches<br />

Planmaterial mit Bombenschäden<br />

aus dem Zweiten Weltkrieg.<br />

Gibt es ein Sanierungsprojekt, bei dem<br />

Sie besonders viel lernen konnten?<br />

MR: Bei denkmalgeschützten, fast<br />

500 Jahre alten Gebäuden gibt es immer<br />

Überraschungen. Ein besonders<br />

herausforderndes Projekt konnten<br />

wir in der Linzer Hofgasse umsetzen.<br />

Dort ging es um die Sanierung eines<br />

Altstadthauses mit einem schweren<br />

Bombenschaden. Im Inneren stießen<br />

wir auf acht verschiedene Deckenaufbauten<br />

– von Beton- und Dippelbaumdecken<br />

bis hin zu Ziegel-Einhängedecken<br />

und Gewölben – und mussten<br />

teils auf der Baustelle kurzfristig auf<br />

neue Entdeckungen reagieren. Bei<br />

Bauten wie diesen lernt man viel und<br />

bekommt eine dicke Haut.<br />

AH: Uns Architekt:innen wird oft<br />

eingebläut, ein Projekt müsse von<br />

Anfang bis Ende komplett durchgezeichnet<br />

sein, um Fragen zu vermeiden.<br />

Doch genau diese Fragen<br />

tauchen bei Altbauten unweigerlich<br />

auf. Wir kommunizieren von vornherein<br />

klar mit Bauherr:innen und geben<br />

offen zu, dass bei Sanierungen stets<br />

mit Überraschungen zu rechnen ist,<br />

die wir dann vor Ort lösen werden.<br />

Ein gewisses Maß an Gelassenheit<br />

und Ruhe – welche die Erfahrung mit<br />

sich bringt – ist dafür in unseren Augen<br />

essenziell.<br />

Wenn nicht Sanierungen, welche<br />

Neubauten sind in Ihren Augen am<br />

nachhaltigsten?<br />

MR: Wo es geht, ist für uns Holzbau<br />

am nachhaltigsten, wo es nicht<br />

geht, sollte auf eine ressourcenschonende<br />

Materialwahl und sortenreine<br />

Bauweisen geachtet werden.<br />

An Beton führt bei manchen<br />

Bauteilen kein Weg vorbei, mit einer<br />

effizienten Planung kann man<br />

den CO 2 -Abdruck aber trotzdem<br />

so gering wie möglich halten und<br />

langlebig bauen – und genau darauf<br />

gilt es künftig, den Fokus zu legen.<br />

AH: Auch auf die soziale Nachhaltigkeit<br />

sollte man nicht vergessen.<br />

Wir müssen unserer Verantwortung<br />

auch im klassischen Mietwohnbau<br />

gerecht werden und ökologisch bauen.<br />

Ein solches Projekt konnten wir<br />

gerade in Freistadt realisieren: einen<br />

Holz-Wohnbau mit Photovoltaik-Anlage<br />

und viel Grün, der eine bestehende<br />

Baulücke in der Stadt schließt.<br />

Welches Projekt würden Sie künftig<br />

gerne (in Linz) umsetzen?<br />

AH: Unser Projekt „Eine Insel für<br />

Linz“. Bei diesem handelt es sich<br />

um die Neugestaltung und Renaturierung<br />

einer 30.000 m 2 großen,<br />

asphaltierten Fläche in Urfahr direkt<br />

an der Donau, die zu einem<br />

grünen Erholungsareal für die Linzer:innen<br />

werden soll. Tatsächlich<br />

sieht es so aus, als würde die Stadt<br />

jetzt einen ersten Abschnitt in die<br />

Tat umsetzen und damit ein nachhaltiges<br />

Zeichen setzen wollen.<br />

MR: Die Stadt Linz liegt uns sehr am<br />

Herzen, deshalb wollen wir etwas<br />

verändern und mischen uns auch<br />

(in Form von kleinen „Guerilla“-Projekten)<br />

ein, um hoffentlich mehr<br />

Bewusstsein zu schaffen. Unser Insel-Projekt<br />

ist uns ein besonders<br />

großes Anliegen, bei dem wir hoffen,<br />

dass es jetzt endlich losgeht. •<br />

www.tp3.at


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

43<br />

Tp3 Architekten<br />

WIR GEBEN FASERN<br />

EIN ZWEITES LEBEN<br />

Bei der Faserherstellung<br />

werden verschiedenste<br />

Farben produziert.<br />

ELEMENTS OEKO WEAVE: RE-USE<br />

IST MEHR ALS NUR RECYCLING<br />

Richtiges Abfallmanagement ist einer der Grundpfeiler<br />

für eine nachhaltige Zukunft. Laut EU-Abfallrichtlinie<br />

stehen die Abfallvermeidung sowie<br />

die Wieder- und Weiterverwendung an oberster<br />

Stelle in der fünfstufigen Abfallhierarchie.<br />

Die in unserem Cross Fiber Process verwendeten<br />

Re-Use Garne werden aus Fasern hergestellt, die<br />

bislang im Produktionsprozess weggeworfen wurden.<br />

Damit setzen wir an der zweithöchsten Stelle<br />

der Pyramide an und nutzen wertvolle Ressourcen,<br />

die sonst verloren gehen würden.<br />

Beim Übergang zwischen<br />

zwei Farben entstehen<br />

gemischte Fasern. Diese<br />

werden normalerweise<br />

entsorgt.<br />

Im Cross Fiber Process<br />

werden diese Fasern<br />

weiterverwendet – wertvolle<br />

Ressourcen bleiben<br />

erhalten.<br />

• 100 % spinndüsengefärbtes Markenacryl<br />

• davon 30% Re-Use Fasern<br />

• PFAS-freie Ausrüstung, die Stabiliät und<br />

Wasserabweisung gewährleistet<br />

• OEKO-TEX © STANDARD 100<br />

• OEKO-TEX © STeP<br />

• OEKO-TEX © Made in Green<br />

So entsteht unser<br />

RE-USE Garn, das wir nun<br />

in gewohnt hoher Qualität<br />

verweben können.<br />

<br />

<br />

Zusammen mit unserer<br />

PFAS-freien Ausrüstung<br />

TEXgard OEKO CLEAN<br />

entsteht ELEMENTS OEKO<br />

WEAVE.<br />

Part of the<br />

www.world-of-sattler.com


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

44<br />

Studio F. A. Porsche<br />

Die Kunst<br />

zeitlosen Designs<br />

Interview mit Henning Rieseler, Design Director Studio F. A. Porsche<br />

Interview: Andreas Laser<br />

Die Designphilosophie von Studio F. A. Porsche ist tief verwurzelt<br />

in den Grundsätzen ihres Gründers Prof. Ferdinand Alexander<br />

Porsche. Bereits 1963 begann die Erfolgsgeschichte mit<br />

dem Entwurf des ikonischen Sportwagens „Porsche 911“. 1972<br />

folgte die Gründung des eigenen Studios für Produkt design<br />

in Stuttgart, dessen Sitz er zwei Jahre später nach Zell am<br />

See in Österreich verlegte. Weitere Niederlassungen in Berlin,<br />

Ludwigsburg, Los Angeles und Shanghai folgten. Im Interview<br />

gewährt Henning Rieseler, Design Director bei Studio F. A.<br />

Porsche, Einblicke in die Designphilosophie und den kreativen<br />

Prozess des Studios. Die Grundprinzipien von „Design must be<br />

honest“ und die Symbiose von Form und Funktion stehen dabei<br />

im Mittelpunkt.<br />

© Studio F. A. Porsche


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

45<br />

Studio F. A. Porsche<br />

Welche Grundsätze und Prinzipien<br />

leiten die Designphilosophie von<br />

Studio F. A. Porsche?<br />

Unsere Grundsätze sind noch bis<br />

heute stark geprägt von unserem<br />

Gründer Prof. Ferdinand Alexander<br />

Porsche, der nach seiner ersten Erfolgsgeschichte,<br />

dem Design des legendären<br />

Porsche 911, 1972 dann sein<br />

eigenes Designstudio gründete. Die<br />

vier einfachen Worte von ihm „Design<br />

must be honest“ bringen noch heute<br />

unser Denken auf den Punkt. Sie<br />

bedeuten, dass Design für uns nicht<br />

Ästhetik oder oberflächliche Verschönerung<br />

ist, sondern die möglichst perfekte<br />

Symbiose von Form und Funktion.<br />

Diese entsteht erst dann, wenn<br />

man die Funktionalität eines Produkts<br />

vollkommen erfasst hat. Die Faszination<br />

für das aus diesem Grundsatz<br />

entstehende puristische und zeitlose<br />

Design treibt uns bis heute an.<br />

Können Sie uns Einblicke in den kreativen<br />

Prozess des Studios geben? Wie<br />

entstehen neue Ideen und Designs?<br />

Für den Erfolg eines Projektes ist<br />

es ungemein wichtig, mit dem Warum<br />

zu starten und als Designer ein<br />

Verständnis dafür zu entwickeln,<br />

welche Problemlösung oder welche<br />

Zielsetzung das Produkt erfüllen<br />

soll. So steht am Anfang eines jeden<br />

kreativen Prozesses ein enger Austausch<br />

mit unserem Kunden, um die<br />

Erwartungen an das Design und die<br />

individuelle Aufgabenstellung zu formulieren.<br />

Geht es bei dem Projekt<br />

beispielsweise um ein alleinstehendes<br />

Produkt oder soll damit auch die Designsprache<br />

der folgenden Produkte<br />

geprägt werden? Welche Bedeutung<br />

kommt dem Produkt damit innerhalb<br />

des Portfolios des Kunden zu?<br />

Nach diesem initialen, engen Austausch<br />

mit dem Kunden folgt eine<br />

für den kreativen Prozess unverzichtbare<br />

Phase, in der wir uns als<br />

Designstudio isolieren und die Aufgabenstellung<br />

aus unserer Sichtweise<br />

heraus interpretieren. So wird<br />

ein kreativer Designprozess angestoßen,<br />

in dem alles Bekannte hinterfragt<br />

wird und erst einmal losgelöst<br />

von gelernten Einschränkungen<br />

ehrliche Innovationen entstehen<br />

können. Während jeder Designer in<br />

dieser Phase seinen eigenen kreativen<br />

Prozess verfolgen kann, ist die<br />

Arbeitsweise des Studios möglichst<br />

Badezimmerserie AXESS für KEUCO<br />

© Keuco<br />

iterativ. Ideen und gestalterische Ansätze<br />

werden innerhalb des Teams<br />

in vielen Runden aus verschiedenen<br />

Blickwinkeln diskutiert, infrage gestellt<br />

und so konkretisiert.<br />

So entstehen erste visuelle Konzepte,<br />

die niemals gleichwertig sind,<br />

sondern möglichst unterschiedliche<br />

Aussagen für den Kunden repräsentieren<br />

sollen. Bei der Vorstellung und<br />

Diskussion dieser Konzepte mit dem<br />

Kunden wird so final die Grundrichtung<br />

des Projektes bestimmt und<br />

formuliert. Während bei der initialen<br />

Aufgabenstellung Aussagen oftmals<br />

noch auslegbar sind, helfen die visuellen<br />

Konzepte zu verstehen, was<br />

eine bestimmte Richtung für das Unternehmen<br />

bedeutet. So kann eine<br />

fundiertere Entscheidung für eine<br />

Grundrichtung gefällt werden.<br />

In der nächsten Bearbeitungsstufe<br />

folgt in enger Absprache und Austausch<br />

mit dem Kunden die detaillierte<br />

Ausarbeitung des Konzeptes.<br />

In regelmäßigen Terminen wird das<br />

Design mit Einbezug von Fachabteilungen<br />

wie Engineering, Verkauf<br />

und Marketing finalisiert. So können<br />

aktuelle Erkenntnisstände aus z.B.<br />

der Produktion direkt ins Design aufgenommen<br />

werden. Nach der Finalisierung<br />

des Designs steht das Studio<br />

dem Kunden selbstverständlich auch<br />

bei der Umsetzung beratend zu Seite,<br />

um Lösungen für mögliche aufkommende<br />

Herausforderungen bei der<br />

Herstellung gemeinsam zu finden.<br />

Dabei gibt es für uns als Designstudio<br />

keinen einheitlichen Ablauf eines<br />

Projektes, vielmehr passen wir uns<br />

als Designdienstleister den Bedürfnissen<br />

unserer Kunden an. Die Länge<br />

und Intensität der jeweiligen Phasen<br />

werden dabei maßgeblich von der<br />

Komplexität des Produktes, der Zielsetzung<br />

sowie der Arbeitsweise des<br />

Kunden definiert.<br />

Welche Schritte unternimmt Ihr Studio,<br />

um sicherzustellen, dass Ihre<br />

Konzepte nicht nur ästhetisch ansprechend,<br />

sondern auch funktional<br />

und benutzerfreundlich sind?<br />

Schon aus der Philosophie des Studios<br />

heraus ergibt sich eine Arbeitsweise,<br />

die einen starken Fokus auf die<br />

Funktion und Bedienung eines Produktes<br />

setzt. Die Funktion eines Objektes<br />

bestimmt unseren Grundsätzen<br />

nach nicht nur dessen Form, sondern<br />

sollte durch das Design verdeutlicht<br />

und verbessert werden. So entsteht<br />

bei uns die Gestaltung in erster Linie<br />

über die Funktion eines Produktes.<br />

Die barrierefreie Badezimmerserie<br />

AXESS, die für KEUCO entstanden<br />

ist, ist dafür ein gutes Beispiel. Klarer<br />

Startpunkt der Zusammenarbeit war<br />

die Aufgabenstellung, eine Badezimmerserie<br />

zu gestalten, die den maximalen<br />

Komfort barrierefreier Funktionalität<br />

mit einem minimalistischen<br />

Erscheinungsbild kombiniert. So wurde<br />

speziell für diese Serie ein neuer<br />

Mechanismus entwickelt, der es<br />

ermöglicht, Griffe im Bad möglichst<br />

flach und elegant einzuklappen. u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

46<br />

Studio F. A. Porsche<br />

Das Portfolio von F. A. Porsche ist<br />

erstaunlich vielfältig und reicht von<br />

diversen Alltagsgegenständen, über<br />

Badkollektionen, einen Dachziegel,<br />

Straßenbahnen bis hin zu ganzen<br />

Hochhäusern. Wie schafft es das<br />

Studio F. A. Porsche, sich an so unterschiedliche<br />

Aufgabenstellungen<br />

anzupassen?<br />

Tatsächlich spiegelt diese Vielfältigkeit<br />

klar die Kernkompetenz unseres<br />

Studios wider. Wir verstehen uns seit<br />

der Gründung weniger als Experten<br />

einer bestimmten Branche oder Industrie,<br />

viel mehr als universell aufgestelltes<br />

Designstudio, das sich so die<br />

Fähigkeit bewahrt, Produkte aus der<br />

Sicht des Kunden zu betrachten. Daraus<br />

ergibt sich für uns der Anspruch,<br />

bei jedem Projekt Bekanntes infrage<br />

zu stellen und so innovative Lösungen<br />

zu entwickeln, die aus Sicht des<br />

Kunden dem Produkt Mehrwert und<br />

Relevanz verleihen. Wichtiger und zusammenführender<br />

Fokus unserer Projekte<br />

liegt dabei auf dem Anspruch,<br />

Premium -Produkte zu gestalten.<br />

Sind die Grundprinzipien von gutem<br />

Design in all diesen Bereichen dieselben?<br />

Ja, da sich unsere Grundprinzipien<br />

aus einer Haltung ableiten, wenden<br />

wir den Anspruch von Purismus,<br />

Qualität und Relevanz auf alle unsere<br />

Projekte an und interpretieren sie<br />

für jede Branche und jedes Produkt<br />

individuell.<br />

Können Sie einige Ihrer bevorzugten<br />

Tools, Technologien oder Methoden<br />

im Produkt-Design-Prozess teilen<br />

und erklären, wie diese dazu beitragen,<br />

bessere Ergebnisse zu erzielen?<br />

Aus unserer Historie und Philosophie<br />

leitet sich ein gewisser Anspruch ab,<br />

zeitlose Produkte zu gestalten, die<br />

losgelöst von aktuellen Trends und<br />

mit dem höchsten Anspruch an Qualität<br />

über Dekaden hinweg Relevanz<br />

behalten. Dieser Anspruch spiegelt<br />

sich auch in unserer Arbeitsweise als<br />

Designstudio wider. Über unsere Studios<br />

in Zell am See, Berlin, Shanghai<br />

und L.A. hinweg ist es uns wichtig,<br />

unseren Designern den größtmöglichen<br />

Spielraum im eigenen kreativen<br />

Prozess zu ermöglichen und wir<br />

unterstützen dabei die eigene Wahl<br />

an benötigten Tools und Methoden.<br />

Die wichtigste Grundlage für die Zusammenarbeit<br />

bildet dabei ein klarer<br />

Fokus auf intensive Kommunikation.<br />

Offenheit und Austausch auf Augenhöhe<br />

sind die Grundpfeiler unseres<br />

Schaffensprozesses – sowohl in der<br />

internen Kommunikation als auch<br />

beim Austausch mit dem Kunden.<br />

Wie balancieren Sie die Bedürfnisse<br />

der Kunden mit Ihrer eigenen kreativen<br />

Vision, um innovative und gleichzeitig<br />

marktfähige Designs zu erstellen?<br />

Auch hier steht ein intensiver und<br />

offener Austausch auf Augenhöhe<br />

im Mittelpunkt. Dieser Austausch<br />

zwischen Designstudio und Kunde<br />

ist die Grundvoraussetzung für umsetzbare,<br />

aber vor allem für marktfähige<br />

Innovation. Als Designagentur<br />

betreuen wir seit Jahrzehnten auch<br />

unsere eigene Marke Porsche Design<br />

sowie die gesamte Porsche Lifestyle<br />

Produktkollektion und haben so ein<br />

ungewöhnlich tiefes Verständnis dafür,<br />

dass Gestaltungsansätze nicht<br />

nur dem kreativen Prozess standhalten,<br />

sondern, vor allem auch im<br />

Kontext der Marke und des Marktes<br />

funktionieren müssen. Dieses<br />

Verständnis erlaubt es uns als Designagentur,<br />

unsere Kunden auch<br />

strategisch unterstützen zu können<br />

und Produkte zu entwickeln, die sich<br />

erfolgreich etablieren.<br />

Nichtsdestotrotz sehen wir, dass<br />

Kunden gerade auch wegen unserer<br />

klaren Haltung eine Zusammenarbeit<br />

anstreben und sich von uns kreative<br />

Lösungen wünschen, die Innovation<br />

ins Unternehmen bringen. Im engen<br />

Badezimmerserie Qatego für Duravit<br />

Austausch mit Kunden ist der gesamte<br />

Designprozess daher ein Zusammenspiel<br />

von Innovation, Kommunikation,<br />

Überzeugungsarbeit,<br />

aber auch gegenseitigem Lernen. Ein<br />

gutes Beispiel für eine solche Zusammenarbeit<br />

ist dabei die Badezimmerserie<br />

Qatego, die für Duravit entwickelt<br />

und dieses Jahr auf den Markt<br />

gekommen ist. Zielsetzung hier war<br />

es, eine möglichst umfassende Serie<br />

zu gestalten, die durch ihre Vielfalt<br />

jedoch nicht an Qualität und Relevanz<br />

verliert. Durch die Kombination<br />

minimalistischer Formgebung und<br />

hochwertiger Naturmaterialien ist<br />

so eine maximal individualisierbare<br />

Premium serie entstanden.<br />

Wie arbeitet Ihr Studio mit anderen<br />

Fachleuten und Disziplinen, wie beispielsweise<br />

Architekten oder Marketingexperten,<br />

zusammen, um Produkte<br />

zu entwickeln?<br />

Aus unserem Anspruch, als branchenübergreifendes<br />

Designstudio tätig<br />

zu sein, ergibt sich schon die klare<br />

Notwendigkeit des Austausches. Wir<br />

pflegen über alle Projekte hinweg einen<br />

Netzwerkgedanken und arbeiten<br />

je nach Kunde sowie Komplexität und<br />

Umfang eines Projektes mit Fachleuten<br />

wie Architekten und Ingenieuren<br />

zusammen. Ein großer Vorteil<br />

ist dabei, dass wir auf die Kapazitäten<br />

unseres Konzerns zurückgreifen<br />

können. Je nach Projekt haben wir<br />

so die Möglichkeit, Experten aus der<br />

Automobil-, aber auch IT- und Wirtschaftsbranche<br />

mit einzubinden.<br />

© Duravit


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

47<br />

Studio F. A. Porsche<br />

Wie gehen Sie mit Herausforderungen<br />

und unerwarteten Problemen in<br />

Designprojekten um?<br />

Ein großer Vorteil im Umgang mit<br />

Problemen ist sicher die Vielfältigkeit<br />

unserer Projekte, Kunden und<br />

damit auch Branchen, in denen wir<br />

tätig sind, die gar nicht zulassen,<br />

dass wir als Designstudio in starren<br />

und vordefinierten Prozessen arbeiten.<br />

Bei jedem Projekt passen wir<br />

uns individuell auf unseren Kunden,<br />

dessen Arbeitsweise, aber auch dessen<br />

Erwartungen an, was uns in der<br />

Konsequenz einen maximal hohen<br />

Spielraum verschafft, auf Herausforderungen<br />

flexibel zu reagieren und<br />

diese im Austausch mit dem Kunden<br />

zu bewältigen.<br />

Gerade auch dieser enge und direkte<br />

Austausch, so hat sich über die Jahre<br />

gezeigt, beugt zudem oft Problemen<br />

vor. Anders als in vielen Agenturen<br />

kommunizieren unsere verantwortlichen<br />

und beteiligten Designer direkt<br />

mit dem Kunden, was Missverständnissen<br />

und langen Kommunikationswegen<br />

vorbeugt und Probleme oft<br />

frühzeitig aufdeckt.<br />

Welche Ratschläge würden Sie jungen<br />

Designern geben, die in die<br />

Branche einsteigen möchten?<br />

Wiederkehrend nehmen wir seit einigen<br />

Jahren schon das Problem<br />

wahr, dass junge Designer:innen in<br />

ihrer Arbeit unglaublich von äußeren<br />

Reizen beeinflusst sind. Leider findet<br />

dieses Thema auch in der Ausbildung<br />

oft nicht die nötige Aufmerksamkeit,<br />

und führt vermehrt dazu, dass eine<br />

eigene Meinungsbildung bei jungen<br />

Designer:innen nicht mehr stattfindet.<br />

So recherchieren viele Designer:innen<br />

zu Beginn eines Projektes<br />

beispielsweise oft tagelang im Internet,<br />

mit dem Ergebnis, dass oftmals<br />

nur reproduzierte, aber keine innovativen<br />

Ansätze entstehen.<br />

Dabei ist es ungemein wichtig für<br />

den kreativen Schaffensprozess,<br />

sich immer wieder radikal von äußeren<br />

Einflüssen – die dabei natürlich<br />

hauptsächlich über das Internet<br />

kommen – zu trennen und so seine<br />

eigene Persönlichkeit zu finden.<br />

Denn diese spiegelt sich immer auch<br />

in den eigenen Entwürfen wider und<br />

macht sie erst einzigartig.<br />

Koramik V11 Dachziegel für Wienerberger<br />

Gibt es ein besonderes Produkt, das<br />

Sie unbedingt gestalten wollen, aber<br />

noch keine Gelegenheit dazu hatten?<br />

Tatsächlich habe ich über die Jahre<br />

gelernt, dass es gar nicht so sehr um<br />

das eine Produkt geht, als vielmehr<br />

um die Freude über neue gestalterische<br />

Herausforderungen. Diese<br />

Herausforderung ist meist dann am<br />

stärksten, wenn man als Designer die<br />

Möglichkeit bekommt, das Potenzial<br />

in einem Produkt zu finden, bei dem<br />

man es am wenigsten erwartet hätte.<br />

Denn wer hätte wohl erwartet, dass<br />

eines unserer spannendsten Projekte<br />

der letzten Jahre, die Gestaltung<br />

eines Dachziegels war?<br />

Für das österreichische Traditionsunternehmen<br />

Wienerberger durften wir<br />

uns mit der Funktion und Gestaltung<br />

eines Dachziegels beschäftigen. Mit<br />

dem V11 ist ein hochwertiges, minimalistisches<br />

Produkt entstanden,<br />

dessen Gestaltung einzigartig und<br />

dabei direkt aus der Funktion des<br />

Ziegels abgeleitet wurde. •<br />

© Wienerberger


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

48<br />

materialnomaden<br />

Der Anfang<br />

eines (zirkulären)<br />

Transformationsprozesses<br />

Interview mit Peter Kneidinger von materialnomaden<br />

Interview: Edina Obermoser<br />

© Benedikt Novak<br />

materialnomaden vereinen das Know-how der Firmen Bauteiler (Expert:innen für Re-use-Projekt- und Produktentwicklung) und HarvestMAP<br />

(eine Plattform für die Vermittlung von Re-use-Bauteilen) unter einem gemeinsamen Namen. Als Pionier im Bereich Circular Design & Architecture<br />

ist das kleine Unternehmen auf kreislauffähige Prozesse spezialisiert und möchte so zu einer nachhaltigeren, gebauten Zukunft beitragen.<br />

Unter dem Motto „reduce > re:use > re:cycle“ widmet sich das interdisziplinäre Team dem Consulting und der Fachplanung mit wiederverwendeten<br />

Materialien und Bauteilen. Peter Kneidinger spricht im Interview über die Arbeit der materialnomaden. Er erläutert die Wichtigkeit zirkulärer<br />

Ansätze, thematisiert besondere Herausforderungen und gibt anhand von Projekten Einblick in Abläufe und Aufgaben.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

49<br />

materialnomaden<br />

Wer sind Materialnomaden und<br />

was machen sie?<br />

Wir katalogisieren und analysieren<br />

bestehende Bauteile für eine Wiederverwendung<br />

im Kontext von Architektur<br />

und Bauproduktentwicklung.<br />

Zudem bauen wir kooperative<br />

Prozesse auf, welche eine zukunftsfähige<br />

Architektur und Baubranche<br />

ermöglichen sollen. Obwohl das Thema<br />

in aller Munde ist, sind wir der<br />

Meinung, dass aktuell nichts zirkulär<br />

ist. Und genau darauf bauen wir auf<br />

und versuchen, dies zu ändern. Wir<br />

stehen also am Anfang eines Transformationsprozesses.<br />

Wie sehen ganzheitliche, kreislauffähige<br />

Prozesse aus und warum sind<br />

diese gerade beim Bauen so wichtig?<br />

Es wäre anmaßend zu sagen, dass<br />

wir wissen, wie zu 100 % kreislauffähige<br />

Prozesse aussehen. Es gibt<br />

nicht nur eine Wahrheit. Unsere Erkenntnisse<br />

sind nur einer von vielen<br />

Ansätzen. Wir befinden uns in einer<br />

Transformation und bis hin zur wirtschaftlichen,<br />

ökologischen und sozialen<br />

Zirkularität ist es noch ein weiter<br />

Weg. Mithilfe einer zirkulären Bauwirtschaft<br />

könnte man 40 bis 50 %<br />

der globalen CO 2 -Ausstöße vermeiden.<br />

Dafür gilt es in erster Linie, Nutzer:innen<br />

und Eigentümer:innen zu<br />

sensibilisieren und ein Bewusstsein<br />

zu schaffen. Insbesondere die Wertschätzung<br />

für den Bestand bzw. die<br />

gebaute Umgebung und deren Infrastruktur<br />

lässt sehr zu wünschen übrig<br />

– von der sozialen Ebene bis hin<br />

zu den einzelnen Bauteilen.<br />

demontierbare Bauteile zurückgreifen.<br />

Zudem gilt es, inklusiv zu arbeiten,<br />

immaterielle Qualitäten zu<br />

berücksichtigen und vielseitig nutzbare<br />

Räume zu schaffen – auch das<br />

bedeutet für uns Zirkularität.<br />

Welche großen Herausforderungen<br />

begegnen einem beim zirkulären Bauen?<br />

Wie könnte man es vereinfachen?<br />

In meinen Augen gehören die bestehenden<br />

Strukturen in der Bauwirtschaft<br />

mit ihren eingefahrenen,<br />

starren Prozessen zu den größten<br />

Her ausforderungen. Dabei stellt z.B.<br />

das Thema Kosten ein spannendes<br />

Regulativ dar. Viele Kund:innen gehen<br />

davon aus, dass Bauen mit Re-use-Materialien<br />

billiger ist, obwohl für deren<br />

Einsatz genau so viel Arbeit nötig ist.<br />

Dieses fehlende Verständnis schränkt<br />

uns oft ein und ist eine der Haupthürden.<br />

Zukunftsfähiges Planen und Bauen<br />

erfordert eine gewisse Grundhaltung<br />

und einen Paradigmenwechsel<br />

– weg von einer linearen, ressourcenintensiven<br />

hin zu einer Kreislaufwirtschaft.<br />

EU-Taxonomie-Verordnungen<br />

sowie Unterstützungen seitens der<br />

öffentlichen Hand bieten ebenfalls ein<br />

nützliches Instrument, um zirkuläre<br />

Ansätze attraktiver zu machen und<br />

die Neugierde zu wecken.<br />

Welche Leistungen bieten materialnomaden<br />

an? Wer kommt auf Sie zu und<br />

wie sieht eine Zusammenarbeit aus?<br />

Wir haben unterschiedliche Interessent:innen.<br />

Das sind zum einen<br />

Eigentümer:innen, die Material loswerden<br />

wollen, sowie Entwickler:innen<br />

bzw. Architekt:innen, die uns in<br />

Projekte einbinden möchten, und<br />

zum anderen große Konzerne mit trägen<br />

Betriebsstrukturen, die sich für<br />

kreislauffähige Ansätze interessieren<br />

(wie z.B. die ÖBB oder die BIG). Jede<br />

dieser drei Gruppen benötigt ein individuelles<br />

Konzept. Die Basis dafür<br />

bildet meist eine sogenannte friday-<br />

:challenge. Bei dieser handelt es sich<br />

um einen Beratungsworkshop, in dem<br />

wir zunächst anhand von Ideen und<br />

ersten Unterlagen die weitere Vorgehensweise<br />

definieren. Darauf aufbauend<br />

erfolgt bei Bestandsobjekten in<br />

den meisten Fällen eine Analyse sowie<br />

die Erstellung eines Bauteilkatalogs.<br />

Anhang dieser Dokumentation<br />

geht es im nächsten Schritt an das<br />

„Herauspicken der Rosinen“. Dabei<br />

ermitteln wir jene Elemente, die weiterverwendet<br />

werden sollen. Dann<br />

steht eine exemplarische Demontage<br />

auf dem Programm. Sie dient als<br />

Grundlage für die Beauftragung eines<br />

Abbruchunternehmens für den<br />

Rückbau. Außerdem verwenden wir<br />

die gezielt demontierten Bauteile für<br />

1:1-Protoypen und als Muster für den<br />

Designprozess bzw. den neuen Entwurf.<br />

Werden hingegen für ein Projekt<br />

Materialien benötigt, liefern wir Kataloge<br />

mit geeigneten Bauteilen. u<br />

CUBE ist eine Pop-up-Installation, die je nach Materialquelle in Wien wandert, großteils aus<br />

rückgebauten Baustoffen besteht und Raum für Vermittlung sowie Veranstaltungen bietet.<br />

Welche Parameter sollte man beim<br />

zirkulären Bauen berücksichtigen?<br />

Um den Wert einer bestehenden<br />

Struktur zu erkennen, muss man<br />

zunächst deren Potenziale anhand<br />

verschiedenster Bewertungssysteme<br />

ermitteln und herausfinden, was<br />

sich zur Weiterverwendung eignet.<br />

Ein solches Potenzial kann auch der<br />

Mehrwert sein, den z.B. ein Gebäude<br />

für die Umgebung bietet. Darauf aufbauend<br />

lässt sich dann ein Design<br />

für die Wieder- bzw. Weiterverwendung<br />

entwickeln. Kommen zusätzlich<br />

primäre Rohstoffe zum Einsatz, sollte<br />

man in einem zirkulären Prozess<br />

auf natürliche Materialien wie Stroh,<br />

Lehm und Holz oder modulare, leicht


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

50<br />

materialnomaden<br />

Welche Möglichkeiten gibt es noch,<br />

Re-use-Materialien zu erwerben?<br />

Meist kann bei Re-use-Projekten<br />

nicht alles weiterverwendet werden.<br />

Nachdem wir mit den Eigentümer:innen<br />

bzw. Architekt:innen eine Auswahl<br />

getroffen haben, organisieren<br />

wir vor einem geplanten Abbruch<br />

oft Pop-up-Märkte direkt im Objekt<br />

für Interessierte aus der Umgebung.<br />

Zusätzlich betreiben wir gemeinsam<br />

mit HarvestMAP auch den „re:store“.<br />

Das ist eine Online-Plattform bzw.<br />

ein Marktplatz für die Vermittlung<br />

von Re-use-Bauteilen. Dort gibt es<br />

je nach Verfügbarkeit z.B. Werkstoffe<br />

wie Dachziegel und Metallwaren, aber<br />

auch Türen, Leuchten oder individuelle,<br />

upgecycelte Möbelstücke bzw.<br />

Einrichtungsgegenstände. Kund:innen<br />

haben die Möglichkeit Dinge zu<br />

reservieren und sich diese dann vor<br />

Ort beim Pop-up anzusehen.<br />

Welche Aufgaben übernehmen<br />

Sie abseits von Organisation bzw.<br />

Vermittlung?<br />

Tatsächlich passiert im Hintergrund<br />

noch viel mehr. Wir bringen nicht<br />

nur Verkäufer:innen und Käufer:innen<br />

in Verbindung, sondern liefern<br />

auch die rechtlichen Rahmenbedin-<br />

gungen. In den letzten Jahren haben<br />

wir klar definierte Vermittlungsverträge<br />

erarbeitet, die keinerlei Graubereiche<br />

zulassen und die Basis für<br />

den Eigentumswechsel bilden. Diese<br />

beinhalten unter anderem Themen<br />

wie den Umgang mit Schadbzw.<br />

Störstoffen, Haftungsfragen<br />

oder die Definition der Zuständigkeiten<br />

der beteiligten Parteien.<br />

Nach dem Prototypenbau geht es<br />

um die fachplanerische Begleitung.<br />

Im Zuge dessen entwickeln wir gemeinsam<br />

Prozesse für die optimale<br />

Integration der Re-use-Bauteile.<br />

Dazu gehört unter anderem die Logistik<br />

(z.B. die Lagerung der verwendeten<br />

Materialien sowie die Organisation<br />

der Abläufe auf der Baustelle)<br />

und die Zusammenarbeit mit den<br />

umsetzenden Gewerken. Wichtig ist<br />

dabei sowohl die digitale Einbindung<br />

der Bauteile und Kataloge mittels<br />

CAD als auch die handwerkliche Arbeit<br />

vor Ort. Ohne die Kooperation<br />

von Zimmereien, Tischlereien, Baumeister:innen<br />

etc. wäre die Weiterverwendung<br />

in diesem Rahmen nicht<br />

möglich. Wir unterstützen auch in<br />

diesem Schritt und stehen mit unserem<br />

langjährigen Know-how bis zum<br />

Ende zur Seite.<br />

© Benedikt Novak<br />

© Benedikt Novak<br />

Bei der Realisierung von magdas Großküche<br />

und Bürostandort kamen neben<br />

eigens angefertigten Lampen auch leuchtende,<br />

gefaltete Wandpaneele (neele)<br />

aus einstigen Lochblechdecken aus den<br />

80er-Jahren zum Einsatz.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

51<br />

materialnomaden<br />

Das Projekt LenA umfasst zwei Gebäude, die zu 70 % aus wiederverwendeten Bauteilen gefertigt werden. Organische<br />

Werkstoffe und eine innovative Dachhaut mit Solarpaneel-Schindeln komplettieren das weitgehend energieautarke Design.<br />

Welche Aufgaben übernehmen<br />

materialnomaden noch?<br />

Wir machen Ausstellungs<strong>architektur</strong><br />

oder begleiten andere Architekt:innen<br />

im Prozess und sind außerdem<br />

in der Lehre tätig, um Awareness<br />

zu generieren. Gemeinsam mit Barbara<br />

Buser des Schweizer Büros in<br />

situ haben wir z.B. die Circular[X]<br />

change-Challenge ins Leben gerufen,<br />

die 2022 in Wien stattfand.<br />

Diese dient der europaweiten Vernetzung<br />

von Pionier:innen und Akteur:innen<br />

im Bereich der zirkulären<br />

Ansätze in Design und Architektur.<br />

Abschließend widmen wir uns im<br />

Rahmen des sogenannten Urban Mining<br />

(also der Rückgewinnung von<br />

Baumaterialien im urbanen Raum)<br />

auch der Produktaufbereitung. Mit<br />

dem ReParkett konnten wir in Kooperation<br />

mit der Firma Weitzer<br />

Parkett unser erstes eigenes Industrieprodukt<br />

entwickeln und so<br />

die Wertschöpfungskette komplett<br />

schließen. Dabei kaufen wir das Parkett<br />

Kund:innen zu üblichen Kubikmeterpreisen<br />

ab und bauen es kostenlos<br />

aus. Anschließend wird das<br />

Material im Werk in Weiz sorgfältig<br />

aufbereitet, bevor es palettiert als<br />

normgerechter Stabparkett wieder<br />

eingesetzt werden kann. Gerade arbeiten<br />

wir daran, ein ähnliches System<br />

für Leuchten zu implementieren<br />

und geeignete Hersteller:innen dafür<br />

zu finden.<br />

Gibt es Projekte, die Ihre Arbeit<br />

genauer veranschaulichen?<br />

Ein besonders schönes Projekt ist<br />

das magdas Hotel. Die Auftraggeberin<br />

(Caritas Wien) demonstriert<br />

mit ihm, wie ein verantwortungsvoller<br />

Umgang mit Bestandsstrukturen<br />

aussehen kann. Nach der<br />

Revitalisierung eines Gebäudes in<br />

der Laufbergergasse (erster Standort<br />

im Prater, der mittlerweile zur<br />

Flüchtlingsunterkunft umgewandelt<br />

wurde), waren wir auch bei der Umsetzung<br />

des neuen Hauses in der<br />

Ungargasse beteiligt. Von ehemaligen<br />

Akustik-Deckenpaneelen und<br />

Parkettböden bis hin zu mobilen<br />

Trennwänden aus den 80er-Jahren,<br />

Lampen und Beichtstühlen aus der<br />

Kirche, die als Barverkleidung eine<br />

neue Verwendung fanden, gelang<br />

es, etliche Materialien wieder in den<br />

Kreislauf einzubringen. Für magdas<br />

Großküche und Bürostandort stellte<br />

z.B. das ehemalige Bürogebäude der<br />

OMV in der Grellgasse eine wichtige<br />

Quelle dar, wo wir viele Reuse-Werkstoffe<br />

„ernten“ konnten. •<br />

www.materialnomaden.at<br />

Bei dem Projekt Grellgasse arbeiteten materialnomaden unter anderem mit Carla Lo Landschafts<strong>architektur</strong><br />

zusammen und integrierten Re-use-Materialien in die Neugestaltung des Außenraumes.<br />

© Fabian Kessler


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

52<br />

Carla Lo Landschafts<strong>architektur</strong><br />

Quantität und Qualität<br />

von Freiräumen<br />

Interview mit Carla Lo von Carla Lo Landschafts<strong>architektur</strong><br />

Interview: Edina Obermoser<br />

Nach Wien zog es Carla Lo einst für<br />

ihr Studium. Inzwischen gibt die<br />

Landschaftsarchitektin ihr Wissen<br />

selbst – an der BOKU, der TU und der<br />

FH Wien sowie als Gastprofessorin an<br />

der Universität in Kassel – an Studierende<br />

weiter. 2009 gründete die<br />

gebürtige Heidelbergerin mit Carla Lo<br />

Landschafts<strong>architektur</strong> in der neuen<br />

Wahlheimat ihr eigenes Büro, mit dem<br />

sie sich der Objektplanung im städtischen<br />

und ländlichen Kontext widmet.<br />

Im Gespräch erläutert die Ingenieurkonsulentin<br />

für Landschaftsplanung<br />

und Landschaftspflege, warum<br />

Landschafts<strong>architektur</strong> nicht nur im<br />

urbanen Raum wichtig ist. Außerdem<br />

thematisiert sie die Grundlagen einer<br />

gelungenen Freiraumplanung und verrät,<br />

in welchen Bereichen in Österreich<br />

Aufholbedarf besteht.<br />

© Johannes Kernmayer


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

53<br />

Carla Lo Landschafts<strong>architektur</strong><br />

Gibt es genügend Bewusstsein und<br />

Wertschätzung für Landschafts<strong>architektur</strong>?<br />

Die Wertschätzung für Landschafts<strong>architektur</strong><br />

ist, denke ich, stark gestiegen.<br />

Wurde man früher oft belächelt,<br />

wenn man Parkplätze durch<br />

Grünflächen oder Bäume ersetzen<br />

wollte, merkt man heute ein Umdenken<br />

– auch wenn in manchen Bereichen<br />

nach wie vor das Bewusstsein<br />

fehlt und immer noch nicht alle Möglichkeiten<br />

ausgeschöpft werden.<br />

Viele denken beim Begriff Landschafts<strong>architektur</strong><br />

eher an Städte.<br />

Warum ist sie auch am Land wichtig?<br />

Diese Thematik finde ich persönlich<br />

sehr spannend. Tatsächlich sind die<br />

meisten Werkzeuge und Strategien in<br />

der Landschafts<strong>architektur</strong> auf den<br />

urbanen Raum ausgelegt, obwohl<br />

es sie insbesondere am Land brauchen<br />

würde. In ländlichen Gebieten<br />

gibt es zwar viele private Freibereiche<br />

und landwirtschaftliche Flächen,<br />

öffentliche Räume mit einer hohen<br />

Nutzungs- und Aufenthaltsqualität<br />

fehlen aber oft. Hier gilt es, gezielt<br />

ordnungsplanerische Maßnahmen<br />

zu ergreifen, um Landschaftsräume<br />

besser zu vernetzen und ein ansprechendes<br />

Angebot zu schaffen. In<br />

meiner Heimat gibt es mit den – vom<br />

SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp<br />

initiierten – alla hopp!-Spielplätzen<br />

z.B. generationenübergreifende Bewegungs-<br />

und Begegnungsräume.<br />

Diese sind sehr gut ausgestattet<br />

und zeigen aufgrund ihrer Beliebtheit<br />

den Bedarf solcher Flächen auf.<br />

Abgesehen davon sehe ich in Hinblick<br />

auf den Klimawandel eine Menge<br />

Potenzial in stadtnahen Forstwäldern.<br />

Diese könnte man verstärkt als<br />

urbane Ausweichflächen nutzen.<br />

Wo liegt im urbanen Raum das größte<br />

Potenzial für Freiraumplanung?<br />

Meines Erachtens liegt im städtischen<br />

Raum das größte Potenzial in<br />

der Umnutzung. Da unsere Städte zu<br />

95 % bebaut sind, geht es verstärkt<br />

darum, sich mit neuen Aufgaben<br />

– wie dem Umbau bzw. der Neugestaltung<br />

und besseren Vernetzung<br />

von bestehenden Frei- bzw. Straßenräumen<br />

und Parkanlagen – auseinanderzusetzen.<br />

Damit beschäftigt<br />

sich auch unser Büro aktuell: In<br />

© Johannes Hloch<br />

Die Schwimmenden Gärten machen den Donaukanal im Bereich der ehemaligen Kaiserbadschleuse<br />

zu einem beliebten, urbanen Freizeit- und Erholungsraum inmitten von Wien.<br />

unserem Projekt in der Schleifgasse,<br />

einem klassischen Straßenraum<br />

zwischen Franz-Jonas-Platz und<br />

Schlingermarkt, sollen Gehsteig,<br />

Fahrbahn und Grünraum neu kombiniert<br />

werden. Auch die Gumpendorfer<br />

Straße wird in einem Beteiligungsverfahren<br />

fit für die Zukunft<br />

gemacht. Hier geht es darum, die<br />

Aufenthaltsqualität zu verbessern.<br />

Ein weiteres, zentrales Thema stellt<br />

natürlich der Klimaschutz dar. Jahrelang<br />

stand im öffentlichen Raum<br />

das Auto im Vordergrund und ganze<br />

Straßenzüge wurden ohne Gehölz<br />

gebaut. Diese Versäumnisse müssen<br />

wir jetzt aufholen, indem wir großkronige<br />

Bäume in den Straßenräumen<br />

pflanzen – Fassadenbegrünung<br />

allein wird nicht ausreichen.<br />

Was sind die größten Unterschiede<br />

bzw. Herausforderungen bei der<br />

Freiraumplanung im Bestand?<br />

Im Bestand stellen vorhandene Bäume<br />

die größte Herausforderung dar.<br />

Aufgrund strikter Vorgaben z.B. bzgl.<br />

des Wurzelraum-Schutzbereichs (der<br />

sich ca. 2 m über den Kronenbereich<br />

hinauserstreckt), gilt es naturräumliche<br />

Gegebenheiten von Anfang an<br />

ernst zu nehmen. Sollen Bestandsbäume<br />

erhalten werden, müssen die<br />

Voraussetzungen dafür auch frühzeitig<br />

in der Planung geschaffen werden.<br />

Dies geht bis zur Berücksichtigung in<br />

städtebaulichen Projekten.<br />

Welche Verantwortung hat man als<br />

Landschaftsarchitekt:in im öffentlichen<br />

Raum und wie wird man dieser<br />

gerecht?<br />

Bei der Gestaltung des öffentlichen<br />

Raums liegt es in unserer Verantwortung,<br />

alle Nutzer:innen zu berücksichtigen<br />

und auch weniger<br />

repräsentierte bzw. marginalisierte<br />

Gruppen wie z.B. Obdach- und Wohnungslose<br />

wahrzunehmen. Auch auf<br />

Jugendliche wird oft vergessen. Unsere<br />

Aufgabe als Landschaftsarchitekt:innen<br />

ist es, Freiräume zu schaffen,<br />

in denen nebeneinander alles<br />

Platz findet. Öffentlicher Raum muss<br />

ein breites Angebot für alle bieten.<br />

Welche Disziplinen ergänzen die<br />

Landschafts<strong>architektur</strong> neben der<br />

Architektur noch?<br />

Landschafts<strong>architektur</strong> und Architektur<br />

können durch eine enge Zusammenarbeit<br />

viel erreichen. Neben<br />

diesen beiden Disziplinen spielt die<br />

Verkehrsplanung in vielen Projekten<br />

eine zentrale Rolle. Auch die Expertise<br />

der Wasserwirtschaft ist essenziell.<br />

Während es inzwischen Gang und<br />

Gebe ist, dass Kulturtechniker:innen<br />

in die Planung miteinbezogen und<br />

Regenwassermanagement bzw. Versickerung<br />

von Beginn an mitbedacht<br />

werden, gibt es noch Aufholbedarf<br />

bei innovativen Konzepten. Anstatt<br />

das Wasser versteckt abzuleiten,<br />

lässt es sich sichtbar und gezielt einsetzen.<br />

Bei einem unserer Projekte in<br />

der Wiener Gundackergasse haben<br />

wir uns für eine oberirdische Entwässerung<br />

mit Tiefbeeten, Sickermulden<br />

und Wasserläufen entschieden und<br />

das Regenwasser so in den Fokus gerückt.<br />

Generell bietet Regenwasser<br />

jede Menge gestalterische Möglichkeiten,<br />

die wir stärker ausschöpfen<br />

sollten. Während es in vielen skandinavischen<br />

Ländern z.B. für Wasserspiele<br />

genutzt wird, lassen die Normen<br />

dies bei uns noch nicht zu. u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

54<br />

Carla Lo Landschafts<strong>architektur</strong><br />

© Johannes Hloch<br />

Den Esterházypark, den grünen Vorplatz zum Haus des Meeres, statteten Carla Lo<br />

und ihr Team mit Wasser- und Nebeldüsen aus. Diese sorgen in den heißen Sommermonaten<br />

für angenehme Abkühlung.<br />

Entlang der Bruno-Marek-Allee im Wiener Nordbahnviertel gestaltete<br />

Carla Lo Landschafts<strong>architektur</strong> einen grünen, halböffentlichen<br />

Freiraum.<br />

© Johannes Hloch<br />

Welche Voraussetzungen müssen<br />

geschaffen werden, um mehr Grün in<br />

die Städte zu bringen?<br />

Hauptsächlich geht es um eine gute<br />

Zusammenarbeit der unterschiedlichen<br />

Disziplinen. Als Landschaftsarchitekt:innen<br />

sind wir nicht nur<br />

für die Gestaltung von Grünräumen<br />

verantwortlich, sondern auch dafür,<br />

frühzeitig die entsprechenden<br />

Rahmenbedingungen zu schaffen.<br />

Baumpflanzungen müssen von allen<br />

Projektbeteiligten von Anfang an<br />

einkalkuliert werden, ansonsten fehlt<br />

am Ende der nötige Spielraum.<br />

Welche Komponenten sind für eine<br />

erfolgreiche Freiraumplanung essenziell?<br />

Auch hier steht die Interdisziplinarität<br />

für mich im Mittelpunkt. Alle<br />

Beteiligten brauchen ein offenes<br />

Mindset und sollten sich ehrliches<br />

Feedback geben. Architekt:innen<br />

haben einen wesentlichen Einfluss<br />

auf das Bild des öffentlichen Raums,<br />

da sie mit der Nutzung und Gestaltung<br />

von Erdgeschosszonen den<br />

Grundstein für die Freiraumplanung<br />

legen. Gibt es nur tote Fassaden mit<br />

Tiefgarageneinfahrten und Müllräumen,<br />

können wir Landschaftsarchitekt:innen<br />

auch nicht zaubern.<br />

Darüber hinaus ist die Unterstützung<br />

von Auftraggeber:innen essenziell.<br />

Sie sollten eine Portion Mut mitbringen,<br />

um nicht nur den sicheren<br />

Weg zu gehen, sondern individuelle<br />

Lösungen umzusetzen. Wichtig ist<br />

außerdem eine realistische Budgetplanung.<br />

Waren Belagsflächen früher<br />

deutlich teurer als Grünflächen, lassen<br />

sich diese heute aufgrund komplexerer<br />

Rahmenbedingungen – wie<br />

z.B. einem erhöhten Substrataufbau,<br />

automatischer Bewässerung und Bepflanzung<br />

mit größerem Stammumfang<br />

bzw. Kronendurchmesser – fast<br />

eins zu eins verrechnen. Hochwertiger<br />

Freiraum hat seinen Preis.<br />

Was zeichnet einen gelungenen<br />

Freiraum aus?<br />

Bei der Diskussion um den Klimawandel<br />

geht es momentan – zurecht<br />

– sehr stark um die Quantität von<br />

Grünräumen. Abseits der Quantitätsdiskussion<br />

geht es aber vor allem um<br />

die Identitätsstiftung im öffentlichen<br />

Raum. Um gelungene Freiflächen zu<br />

schaffen, gilt es, die Nutzer:innen<br />

frühzeitig miteinzubeziehen und deren<br />

Bedürfnisse und Wünsche zu berücksichtigen.<br />

Je eher, desto besser.<br />

Im Laufe der Jahre habe ich gelernt,<br />

dass partizipative Prozesse im Freiraum<br />

sehr gut funktionieren. Bei der<br />

Wohnhausanlage in der Lorenz-Reither-Straße<br />

haben wir z.B. mit Partizipation<br />

gearbeitet. Heute fühlen sich<br />

die Bewohner:innen für die Grünflächen<br />

und deren Pflege zuständig<br />

und kümmern sich um die Pflanzen<br />

– selbst wenn die Bewässerungsanlage<br />

einmal ausfällt. Während man<br />

sonst als Landschaftsarchitekt:in<br />

häufig ein pflegeleichtes Sortiment<br />

wählt, kann man in solchen Projekten<br />

auch auf eine vielfältigere, empfindlichere<br />

Bepflanzung mit Obstbäumen<br />

oder ähnlichem setzen.<br />

In welchem Bereich besteht in der<br />

Landschafts<strong>architektur</strong> in Österreich<br />

Aufholbedarf?<br />

Generell konnten wir – unter anderem<br />

dank der guten Zusammenarbeit<br />

verschiedenster Vertreter:innen in<br />

unserer Branche – in den letzten Jahren<br />

in Österreich sehr aufholen. Es<br />

gibt aber trotzdem Bereiche, in denen<br />

noch mehr möglich wäre: Im Regenwassermanagement<br />

ließe sich durch<br />

Anpassung der Normen viel Positives<br />

erreichen. Auch bei kostenintensiven<br />

Projekten wie Spielplatzgestaltungen<br />

fehlt teils noch das notwendige<br />

Budget. Ein weiterer Punkt ist das<br />

Bewusstsein für größeres Gehölz und<br />

Baumschulware im öffentlichen Straßenraum<br />

und bei privaten Projekten.<br />

Hier vermisse ich in Ausschreibungen<br />

oft die Bereitschaft, in Qualität<br />

zu investieren. Im interdisziplinären<br />

Arbeiten steckt meines Erachtens<br />

ebenfalls viel ungenutztes Potenzial.<br />

Häufig beschränken wir uns bei Projekten<br />

auf eine singuläre Nutzung,<br />

anstatt z.B. bei Verkehrsflächen auch<br />

Bepflanzung und Versickerung mitzudenken.<br />

Hier könnte man durch<br />

eine stärkere Vernetzung der einzelnen<br />

Disziplinen viele Vorteile in der<br />

Gestaltung herausarbeiten.<br />

Was sind Ihre Ziele bzw. Visionen<br />

für die Zukunft?<br />

Den Stellenwert der Landschafts<strong>architektur</strong><br />

auch über die Grenzen<br />

von urbanen Räumen hinaus zu vermitteln,<br />

ist eines meiner individuellen<br />

Ziele. Des Weiteren sollte man<br />

in dichten Städten wie z.B. in Wien<br />

neben kleinen Parks auch genügend<br />

Platz für größere Freiräume lassen.<br />

Abschließend finde ich es wichtig,<br />

bei all den Normen und Verordnungen<br />

im öffentlichen Raum nicht auf<br />

Qualitäten wie Atmosphäre und Individualität<br />

zu vergessen.<br />

•<br />

www.hausderlandschaft.org


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

55<br />

STUDIO LOIS<br />

Retention<br />

Feinstaubbindung<br />

Energiegewinnung<br />

Luftreinhaltung<br />

UND DIE<br />

STA DT<br />

ATMET AUF.<br />

Lebensräume für Tiere<br />

Dafür braucht’s Bauder.<br />

Gründach-Systemlösungen. Ob bloße Abdichtung oder komplettes System,<br />

ob extensiv, intensiv oder Gründach-Biotop: Bauder bietet eine große<br />

Bandbreite von Lösungen mit vielfältigen architektonischen Gestaltungsmöglichkeiten<br />

– wirtschaftlich, ökologisch, nachhaltig. www.bauder.at


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

56<br />

peter reiter architektInnen<br />

Räume für<br />

Menschen<br />

Interview mit Architekt Peter Reiter<br />

Interview: Linda Pezzei<br />

Peter Reiter legt betont Wert darauf, die unter seinem Namen entstehende<br />

Architektur als Ergebnis des Gesamten von peter reiter architektInnen<br />

zu benennen. Dabei geht es Reiter weniger um symbolträchtige<br />

Selbstverwirklichung, als vielmehr darum, Räume für Menschen<br />

zu schaffen und Orte der Begegnung: „In meinen Augen sollten nicht<br />

Fassaden und Skulpturen im Vordergrund stehen, sondern der Raum<br />

und die Nutzer:innen.“ In diesem Sinne geht es Reiter stets um die Annäherung<br />

an Architektur, wie sich Räume erleben lassen und Gebäude<br />

im Einklang mit Natur und Stadt entstehen können. Wie sich eine<br />

selbstbewusste Architektursprache für Tirol finden lässt, auf welche<br />

Weise eine solche zu definieren wäre und ob es diese im konkreten<br />

Fall überhaupt braucht – darüber spricht Architekt Peter Reiter aus<br />

Innsbruck im Interview.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

57<br />

peter reiter architektInnen<br />

Zubauen, anbauen, weiterbauen – wo<br />

liegt hier gerade für Tirol das große<br />

Potenzial und (warum) sind das die<br />

Bauaufgaben von morgen?<br />

Auch, wenn dieser Ansatz nicht immer<br />

und überall möglich ist, denke<br />

ich, dass dieses Prinzip die Architektur<br />

der Zukunft (mit)definieren wird.<br />

Leider sind es gerade die Gesetze<br />

und Normen, die uns hier oft in unseren<br />

Möglichkeiten reglementieren.<br />

Eine Frage ist in meinen Augen auch,<br />

inwieweit sich das Neue nur über das<br />

Alte stülpt und welche Sub stanzen<br />

generell als erhaltenswert zu betrachten<br />

sind. In jedem Fall ist es<br />

sowohl ökologischer als auch günstiger,<br />

einen Bestand weiterzubauen.<br />

Dies erfordert aber auch eine gewisse<br />

Flexibilität in der Nutzung und<br />

gute Ideen – die Bauherrschaft muss<br />

sich ein solches Projekt also gewissermaßen<br />

erst einmal (zu)trauen. Für<br />

Tirol im Speziellen gilt das ohnehin<br />

nur in Teilbereichen, denn im Gegensatz<br />

zu Südtirol oder Vorarlberg sitzt<br />

das kollektive Baubewusstsein hier<br />

nicht so tief und auch die vorhandene<br />

Bausubstanz ist weniger gut.<br />

Wandel statt Bestand – wie kann<br />

Adaption und Anbau die Ortsbilder<br />

(Tirols) nachhaltig prägen?<br />

Meiner Ansicht nach sollten die<br />

Funktionen eines Gebäudes auch in<br />

seiner Architektursprache ablesbar<br />

sein. Unsere Städte wandeln sich<br />

stetig – wenn eine solche Evolution<br />

auch mit dem Wandel der Funktionalität<br />

einhergeht, kann Adaption<br />

funktionieren. In diesem Zusammenhang<br />

entscheidend wird auch<br />

der Umgang mit unseren Verkehrsnetzen<br />

sein, denn Straßen, die früher<br />

verbunden haben, wirken heute<br />

oft trennend. Dabei werden unsere<br />

Ortsbilder sicher meist stark durch<br />

das geprägt, was dort passiert: Oft<br />

sind es private Betreiber, die mit<br />

gastronomischen oder anderen Angeboten<br />

Orte bespielen und beleben.<br />

Ein gutes Beispiel hierfür sind<br />

die neu gestalteten Viaduktbögen<br />

in Innsbruck, die ohne das entsprechende<br />

Engagement der Anrainer<br />

vermutlich eine tote Oase wären.<br />

Das Stadthaus inmitten des Innsbrucker Stadtviertels Pradl fügt sich in die umliegende dörfliche<br />

Struktur ein, wobei das Absetzen des Bauvolumens vom Nachbargebäude einen spannenden Zwischenraum<br />

und einen Einschnitt als städtebauliches Statement erzeugt.<br />

Gefangen zwischen Alpenkitsch und<br />

klarer Kante – wie kann Tirol Ihrer<br />

Meinung nach eine zeitgemäße Architektursprache<br />

entwickeln?<br />

Ich denke, Tirol hat bereits viel Positives<br />

zu bieten und ist da generell auf<br />

einem guten Weg. Herausragende<br />

Beispiele sind MPreis, die Bergbahnen,<br />

aber auch innovativ gestaltete<br />

Almhütten. Während sich Industrie,<br />

Gewerbe und auch private Bauherren<br />

in die richtige Richtung bewegen,<br />

bleibt der Tourismus oft eine Herausforderung<br />

in Tirol. Das unmaßstäblich<br />

aufgeblasene Tirolerhaus begegnet<br />

uns aller Orten, weil die Branche<br />

noch immer denkt, dass der Gast das<br />

erwartet. Da muss sich das Bewusstsein<br />

noch wandeln, auch wenn „Alpenkitsch“<br />

und Modern Style in ihrer<br />

Gemütlichkeit sicher eine Daseinsberechtigung<br />

haben und haben werden.<br />

Die Gefahr des Kontrastierenden besteht<br />

ja wiederum auch darin, über<br />

das Ziel hinauszuschießen und sich<br />

im Gedanken selbst ad absurdum zu<br />

führen. Vielleicht braucht es also vielmehr<br />

eine weiche Kante.<br />

Warum darf man das Stadthaus im<br />

Innsbrucker Stadtviertel Pradl dahingehend<br />

als Rolemodel verstehen?<br />

Beim Projekt „Pradl Home“ ging es<br />

um eine Häuserzeile an einer Straßenkreuzung<br />

in Innsbruck, welche<br />

die Verdichtung erlaubte. Also haben<br />

wir uns dazu entschlossen, in<br />

die Höhe zu bauen – was meiner<br />

Meinung nach bis zu einem gewissen<br />

Grad viel öfter in Tirol möglich sein<br />

sollte – und mittels unterschiedlicher<br />

Baustudien das optimale Volumen<br />

entwickelt. Im Ergebnis sorgen<br />

ein asymmetrisch verschobener<br />

First, die Fortführung der Traufhöhe<br />

der Nachbarbebauung sowie<br />

eine bewusst gesetzte Fuge für ein<br />

städtebauliches Statement. Die zeitgemäße<br />

Interpretation der Fassade<br />

in Sichtbeton aus Fertigteilen sowie<br />

das Zitat bekannter Formensprachen<br />

sorgen für eine frische, aber authentische<br />

Optik. Den Sockel haben wir<br />

bewusst auf der Straße positioniert<br />

und das Gebäude damit nicht – wie<br />

heute durch verglaste Sockelzonen<br />

oft üblich – vom Boden abgeschnitten,<br />

sondern geerdet.<br />

u<br />

© Lukas Schaller


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

58<br />

peter reiter architektInnen<br />

SPORTLERS LODGE SÖLDEN<br />

Eine schwarze Fassade aus Holz und eine schwarze, schwebende Decke in der Lounge-Zone – solche Entwurfsansätze<br />

sind in der Hotellerie in Tirol oft nur möglich, wenn die Bauherrschaft innovativ und mutig<br />

zu denken bereit ist.<br />

Sie planen auch wegweisende Wohnanlagen<br />

– wo setzen Sie da den Fokus,<br />

was macht die Qualität der Objekte<br />

aus?<br />

Besonders wichtig in diesem Zusammenhang<br />

ist uns die Einbindung der<br />

Bauwerke in die Natur oder das umgebende<br />

Ortsbild. Dabei versuchen<br />

wir nicht nur, die Kubatur aufzulösen,<br />

sondern vor allem auch, die Räume<br />

zwischen dem Gebauten für die Gemeinschaft<br />

nutzbar zu machen. Die<br />

Verbindung zwischen Außen- und<br />

Innenraum für den Einzelnen sowie<br />

sinnvolle Proportionen sind weitere<br />

für uns relevante Faktoren, um die<br />

Wohnqualität zu steigern. In Zukunft<br />

werden flexible Raumstrukturen und<br />

multifunktionale Bereiche weiter<br />

an Bedeutung gewinnen. Neben einer<br />

raumordnerischen Veränderung<br />

der Nutzflächendichte – Stichwort:<br />

Raumhöhen – sollte in diesem Zusammenhang<br />

auch das allgemeine<br />

Verständnis von Baukultur auf lange<br />

Sicht gefördert werden.<br />

Werden Neubauten mit den steigenden<br />

Bodenpreisen und dem<br />

Schwinden an Bauplätzen in Tirol<br />

mehr und mehr zum Luxusgut und<br />

was heißt das für das „Haus auf der<br />

grünen Wiese“?<br />

Ich spreche im Zusammenhang mit<br />

Tirol gerne vom „Haus am steilen<br />

Hang“ – eine Tatsache, die das Bauen<br />

noch schwieriger und kostspieliger<br />

gestaltet. Das Einfamilienhaus<br />

ist bereits ein Luxusgut und wird es<br />

mehr und mehr werden. Auch die<br />

Tatsache, dass viele Gemeinden die<br />

Größe der verfügbaren Baugründe<br />

minimieren, spricht langfristig dafür,<br />

dass das Einfamilienhaus nicht<br />

mehr Thema Nummer Eins sein wird.<br />

Wir werden wohl eher das Generationenwohnen<br />

wie vor 100 Jahren<br />

wiedererleben, wenn auch in Form<br />

von generell sozialwirtschaftlicheren<br />

Modellen. Das klassische Familienbild<br />

ist vom Aussterben bedroht,<br />

was es braucht, sind hingegen innovative<br />

und flexible Wohnformen für<br />

Gemeinschaften der unterschiedlichsten<br />

Art.<br />

Ein Projekt, das Sie unbedingt verwirklichen<br />

möchten und warum?<br />

Für mich waren das immer drei Sachen:<br />

eine Bibliothek, eine Kirche<br />

und ein Opernhaus. Nachdem ich mit<br />

der Universitäts- und Landesbibliothek<br />

Tirol Erstgenanntes abhaken<br />

konnte, blieben noch letztere Institutionen<br />

offen. Aufgrund aktueller Tendenzen<br />

würde ich die beiden Bauaufgaben<br />

gerne unter dem Motto „Haus<br />

der Begegnung“ zusammenfassen<br />

und einen echten Treffpunkt für die<br />

Allgemeinheit schaffen, der konsumpflichtige<br />

wie -freie Angebote bietet.<br />

Als Inspiration dienen mir hier die<br />

alten Markthallen in Spanien, die zu<br />

modernen Foodcourts umgewandelt<br />

wurden – mit einer sozialen und kulturellen<br />

Komponente versehen, wäre<br />

dies mein nächstes Wunschprojekt<br />

für einen schönen Ort.<br />

•<br />

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