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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 280 · M ontag, 2. Dezember 2019 5· ·<br />
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Politik<br />
Wahlkampf im Zeichen des Terrors<br />
Die politische Pause nach dem Attentat von London währte nur kurz. Premier Johnson fordert härtere Strafen, Labour-Chef Corbyn Aufklärung von der Regierung<br />
VonKatrin Pribyl<br />
Es dauerte nur wenige Stunden,<br />
bis der Anschlag in<br />
London vonder Politik vereinnahmt<br />
wurde.Dahalf es<br />
auch nicht, dass sich der Vater von<br />
Jack Merritt, eines der beiden Opfer,<br />
am Wochenende zu Wort meldete<br />
und seinen Sohn als „Champion der<br />
Underdogs“ und „wunderbare<br />
Seele“ pries,„die sich immer auf die<br />
Seite der Schwächeren gestellt hat“.<br />
Bevorerdarauf hinwies,dass der 25-<br />
jährige Jack nicht gewollt hätte,„dass<br />
sein Tod als Vorwand dafür missbraucht<br />
wird, noch drakonischere<br />
Gefängnisstrafen zu verhängen oder<br />
Menschen unnötig einzusperren“,<br />
forderte Premierminister BorisJohnson<br />
bereits härtereMaßnahmen und<br />
eine Verschärfung der Gesetze.<br />
Man solle Terroristen einsperren<br />
und den Schlüssel wegwerfen,<br />
meinte der konservativeRegierungschef<br />
im Kampagnen-Modus gestern<br />
in der „Sunday Times“. Immerhin, es<br />
herrscht Wahlkampf auf der Insel.<br />
Am 12. Dezember bestimmen die<br />
Briten ein neues Parlament. Johnson<br />
und der Labour-Oppositionsführer<br />
Jeremy Corbyn liefern sich folglich<br />
einen Wettbewerb darum, wer mehr<br />
Stärke, wer eine härtere Hand im<br />
Kampf gegen den Terrorismus demonstrieren<br />
kann. Die Wahlkampfpause<br />
währte nur wenige Stunden<br />
unmittelbar nach dem Angriff am<br />
Freitag auf der London Bridge.<br />
Die berührenden Worte des trauernden<br />
Vaters gingen im Getöse und<br />
Gestreite unter. AmFreitagnachmittag<br />
hatte der 28-jährige Brite Usman<br />
Khan zwei Menschen mit einem<br />
Messer getötet und drei weitere verletzt.<br />
Ausgerechnet ein Mann, der<br />
2012 wegen Terrordelikten verurteilt<br />
worden war.Ein Mann, der vorzeitig<br />
auf Bewährung entlassen wurde und<br />
seit Dezember 2018 eine elektronische<br />
Fußfessel getragen hatte. Wie<br />
konnte das passieren? Das Justizsystem<br />
im Königreich muss sich unangenehme<br />
Fragen gefallen lassen.<br />
Unvermittelter Angriff<br />
Am Tatort: Premierminister Boris Johnson (2.v.r.) mit Innenministerin Priti Patel (M.)<br />
und Metropolitan Police Commissioner Cressedia Dick (2.v.l.).<br />
AP/STEVE PARSONS<br />
Die Umstände klingen makaber:<br />
Khan nämlich befand sich vor der<br />
Attacke auf einer Konferenz zum<br />
Thema Resozialisierung von Ex-<br />
Häftlingen in der Fishmongers’Hall,<br />
einem Gebäude der Londoner Fischergilde.<br />
Dort stach er nach dem<br />
Mittagessen unvermittelt und wahllos<br />
auf Teilnehmer und Organisatoren<br />
der Veranstaltung ein. Jack Merritt,<br />
ein Mitarbeiter der Kriminologie-Abteilung<br />
der Cambridge-Universität,<br />
betreute das<br />
Rehabilitationsprogramm und leitete<br />
das Seminar „Zusammen lernen“<br />
am Freitag. Neben ihm verlor<br />
eine Frau ihr Leben, deren Identität<br />
zunächst nicht bekannt gegeben<br />
wurde.<br />
Die Briten sind geschockt über<br />
die Tatund die Hintergründe –und<br />
huldigen gleichzeitig den „Helden“,<br />
die den Attentäter auf seiner Flucht<br />
über die nahe gelegene London<br />
Bridge überwältigten, bevor er von<br />
einem Sonderkommando der Polizei<br />
erschossen wurde. Videos von<br />
Passanten zeigen, wie mehrere<br />
Männer Khan zusetzten, etwa der<br />
polnische Koch Lukasz, ein Augenzeuge<br />
aus der Fishmongers’ Hall. Er<br />
hatte einen zur Dekoration angebrachten,<br />
anderthalb Meter langen<br />
Stoßzahn eines Narwals von der<br />
Wand gerissen und ging mit diesem<br />
auf den Attentäter los. Ein weiterer<br />
Mann besprühte Khan mit dem<br />
Schaum eines Feuerlöschers. Andere<br />
rangen den Terroristen zu Boden,<br />
obwohl er eine ArtSprengstoffgürtel<br />
trug, die sich später als Attrappe<br />
entpuppen sollte.Einem Po-<br />
lizisten in Zivil gelang es, Khan das<br />
große Messer zu entreißen.<br />
Die Terrorgruppe des sogenannten<br />
„Islamischen Staats“ teilte später<br />
mit, für die Messerattacke verantwortlich<br />
zu sein.<br />
Das Statement aber bedeute<br />
nicht, dass es eine direkte Verbindung<br />
zwischen Khan und der Organisation<br />
gebe, schränkte der Terror-<br />
Experte Peter Neumann vomLondoner<br />
King‘s College ein. Der ISversuche<br />
seit einiger Zeit, „sogenannte<br />
einsame Wölfe zu inspirieren“, um<br />
dann die Taten für sich zu reklamieren.<br />
Während westliche Staaten<br />
lange Zeit mit „Unbekannten“ umgehen<br />
mussten, besteht seiner Ansicht<br />
nach heute und in naher Zukunft<br />
die Herausforderung darin,<br />
dass die Terroristen den Behörden<br />
im Grunde bekannt sind.<br />
Häftlinge, Rückkehrer, Dschihadisten-Veteranen,<br />
bedingt aus der<br />
Haft entlassene Täter –viele der in<br />
den vergangenen Jahren verhafteten<br />
Dschihadisten kämen in den nächsten<br />
zwei bis drei Jahren wieder frei, in<br />
Frankreich etwa über die Hälfte, so<br />
Neumann.<br />
Boris Johnson forderte, Terroristen<br />
sollten mindestens 14 Jahre hinter<br />
Gittern verbringen. Es ergebe<br />
„keinen Sinn, wenn Menschen, die<br />
wegen terroristischer Straftaten verurteilt<br />
wurden, vorzeitig entlassen<br />
werden“, sagte der Premier, der in<br />
Wahlumfragen deutlich vor Corbyn<br />
liegt. Johnson schob Labour die<br />
Schuld an der frühzeitigen Freilassung<br />
zu und wies die Kritik an der<br />
Sparpolitik der Konservativen zurück,<br />
wegen der etwa tausende Polizistenstellen<br />
gestrichen wurden. Seit<br />
2010 führen die Tories die Amtsgeschäfte.<br />
Mehr Geld für Gefängnisse<br />
Oppositionschef Corbyn kritisierte<br />
die Regierung und verlangte eine<br />
„vollständige Untersuchung“. Die<br />
Umstände der vorzeitigen Entlassung<br />
des Terroristen seien ein „komplettes<br />
Desaster“. Es sei fragwürdig,<br />
ob der Täter überhaupt hätte aus der<br />
Haft entlassen werden dürfen. „LängereStrafen<br />
könnten vielleicht etwas<br />
helfen, aber sie lösen das Problem<br />
nicht, sondern verschieben es nur<br />
auf ein paar Jahre später“, sagte Terror-Fachmann<br />
Neumann. „An mehr<br />
Investitionen besonders im Gefängnissystem<br />
führtkein Wegvorbei, insbesondere<br />
in Großbritannien, wo<br />
die Mittel in den vergangenen Jahren<br />
starkgekürzt wurden.“<br />
Khan war 2012 gemeinsam mit<br />
acht weiteren Tätern zunächst zu einer<br />
Mindesthaftstrafe von acht Jahren<br />
verurteilt worden. Die Gruppe<br />
plante einen Bombenanschlag auf<br />
die Londoner Börse. Ein Berufungsgericht<br />
hob die Urteile gegen Khan<br />
und zwei Mittäter im April 2013 auf<br />
und verhängte gegen den jetzigen Attentäter<br />
eine Freiheitsstrafe von 16<br />
Jahren. Dem Londoner Polizeisprecher<br />
Neil Basu zufolge wurde der<br />
Brite auf Grundlage einer „umfangreichen<br />
Liste vonAuflagen“ freigelassen,<br />
an die er sich zunächst gehalten<br />
habe.Bis zum vergangenen Freitag.<br />
DER BERLIN-DIALOG HAT GEZEIGT:<br />
BERLIN BRAUCHT EINEN PAKT<br />
FÜR FAIRES WOHNEN.<br />
1.<br />
3.<br />
Um durch konsequenten Neubau<br />
dringend benötigten Wohnraum<br />
zu schaffen.<br />
Um Sanierungen zu fördern, die<br />
Kostenverteilung zu regeln und so<br />
den Klimaschutz voranzubringen.<br />
2.<br />
4.<br />
Um Mieter entsprechend ihrer individuellen<br />
Einkommenssituationen zuunterstützen und<br />
zu schützen.<br />
Um ungenutztes Bauland für die<br />
Stadtentwicklung zurückzugewinnen.<br />
Die komplexen Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt erfordern einen Zusammenschluss<br />
aller Akteure. Nur so lassen sich nachhaltige, von allen getragene und gerechte Lösungen finden.<br />
Mehr unter faires-wohnen.berlin