interview Leere Leinwand, bald gefüllt: Katrin Mundt in der Lagerhalle Raum für Projektionen 10 <strong>STADTBLATT</strong> 4.<strong>2019</strong>
Katrin Mundt ist seit Oktober 2018 Leiterin des Bereichs „Film & Video“ des PEuropean Media Art Festivals (EMAF) Osnabrück. Wer ihren Lebenslauf kennt, weiß, wie folgerichtig das ist. Ihre Stationen reichen von den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen bis zur Duisburger Filmwoche, von der Leitung des Wettbewerbs für Experimentalfilm und Videokunst beim goEast Festival, Wiesbaden, bis zur Programmkommission des Kasseler Dokumentarfilm- und Video-Fests. Im In- und Ausland hat sie Ausstellungen kuratiert, sie schreibt und hat Lehraufträge an der Ruhr-Universität Bochum. Eine starke Nachfolgerin für EMAF-Urgestein Ralf Sausmikat. Für das EMAF 32, „Wild Grammar“, verspricht sie, „eindimensionale Weltbilder in Frage zu stellen“. INTERVIEW HARFF-PETER SCHÖNHERR | FOTO REBECCA BRASSE <strong>STADTBLATT</strong>: „Wild Grammar“: Wer den Titel des EMAF <strong>2019</strong> entziffern will, braucht beinahe Dechiffrierkünste wie, sagen wir mal, Kryptoanalytiker Alan Turing, der Anfang der 1940er die legendäre deutsche Schlüsselmaschine „Enigma“ knackt. Warum eine so schwer zugängliche Typografie? KATRIN MUNDT: Sie hat sich aus unserem Thema entwickelt. Wir beschäftigen uns ja nicht zuletzt damit, wie Sprache sich verstellt, sich tarnt. Die Typografie spielt mit dem Betrachter ein Spiel, fordert ihn heraus, verstört ihn, und das im frühestmöglichen Stadium, noch bevor er überhaupt etwas sieht von der Ausstellung, vom Filmprogramm. Diese Verstörung funktioniert übrigens auch auf lautlicher Ebene. <strong>STADTBLATT</strong>: Wenn ich den Titel laut ausspreche? KATRIN MUNDT (lacht): Genau. Das war zwar keine Absicht von uns, das hat uns selbst überrascht. Aber einige assoziieren offenbar: Wild Grandma. Ein Filmprogramm, das die Filmklasse der Braunschweiger Hochschule für Bildende Künste zusammengestellt hat, heißt daher sogar so: „Wild Grandma“. Ein Sprachspiel, in direkter Umdeutung unseres diesjährigen Mottos. Schön! <strong>STADTBLATT</strong>: Wer sich auf das EMAF einlässt, liest, dass es um „lectures“ geht und um die „transformative Kraft der Sprache“. Das EMAF, signalisiert das, bleibt etwas für Intellektuelle. Oder täuscht das? KATRIN MUNDT: Sagen wir: Unser Publikum ist unerschrocken, ist sehr offen für Neues, und es ist ziemlich international. Intellektualität? Ja, vielleicht. Aber es ist kein Problem, sich das Ganze auch ohne Vorwissen anzusehen. Das Phänomen, mit dem sich Wild Grammar befasst, ist ja im Grunde universalverständlich. Und es ist in unser aller Alltag unmittelbar erfahrbar: Dass Sprache Wirklichkeit verändern kann, umkehren. Das sieht man ja nicht zuletzt an den Fake News der Sozialen Medien. Klar, wer sich mit dem EMAF auseinandersetzt, braucht schon ein bisschen Mut, da geht es nicht um schnelle Zugänge. Aber wir wollen keine Insellage, wir wollen verstärkt auch hier in der Stadtgesellschaft ankommen, in der Region, beim breiten Publikum. Kein einfacher Spagat. <strong>STADTBLATT</strong>: Es geht in Wild Grammar um „widerständiges Handeln gegen den Status Quo“, um „Gegenreden“, um „versuchte Befreiuungsschläge“, auch um „subversives Potenzial“. Hört sich nach Revoluzzertum an. KATRIN MUNDT: Einige unserer Künstler sind auch aktivistisch tätig, aber wir zeigen keine aktivistische Kunst. Es geht uns darum, eindimensionale Weltbilder in Frage zu stellen, eine künstlerische Sprache zu finden, die der Vereinfachung und Verfestigung unserer Sicht auf die Wirklichkeit entgegentritt, die für neue Formen der Erfahrbarkeit von Welt plädiert. <strong>STADTBLATT</strong>: Der Staatsschutz kann also zuhause bleiben? KATRIN MUNDT (lacht): Kann er! Wir haben viele Wirkungsabsichten, aber die Untergrabung der Staatsgewalt gehört nicht dazu. „Unser Publikum ist unerschrocken, ist sehr offen für Neues.“ Katrin Mundt <strong>STADTBLATT</strong>: Aber unpolitisch ist das EMAF nicht. KATRIN MUNDT: Absolut nicht. Es geht, nicht zuletzt, um die Neorechten, etwa um die Sprache der Alt-Right-Bewegung, um rechtsgerichtete Enzyklopädien, die „alternatives Wissen“ propagieren. Es geht um den Palästinakonflikt, Umweltgefährdungen, die Aidskrise. Das ist sehr gesellschaftskritisch. Aber in allem arbeiten wir künstlerisch. Und spielerischer als 2018, als es in „Report – Notizen aus der Wirklichkeit“ um die journalistische Rolle der Sprache ging. Diesmal erlauben wir es uns, weit lustvoller zu sein. <strong>STADTBLATT</strong>: Spielerischer? Da hätte ich gern ein Beispiel. Oder zwei. KATRIN MUNDT: Nehmen wir „Word Movie“ von Paul Sharits: Es zielt darauf, unsere Wahrnehmung zu verändern, auch ganz physisch. Das ist ein Flicker- Film – schwarze und weiße Bilder wechseln in schneller Folge, Worte flackern auf, blenden rein, aber es ist unmöglich sie zu lesen. „Close Your Eyes“ von Naho Taruishi geht noch einen Schritt weiter. Der Zuschauer betrachtet den Film mit geschlossenen Augen. <strong>STADTBLATT</strong>: Ich nehme also nur seinen Sound wahr? KATRIN MUNDT: Nein, nur Bildsignale. Farben, durch die Augenlider. Wir werden auch eine Live-Performance zeigen, die eine Aktion von Tony Conrad nachstellt, von 1974: „7360 Sukiyaki“. Dabei wird Filmmaterial in Stücke geschnitten und gekocht, ganz real. Das Ergebnis wird dann auf die Leinwand geworfen, also projiziert. Auch hier geht es um Zweckentfremdung. Darum, etwas auf links zu drehen. <strong>STADTBLATT</strong>: Seit Anfang Oktober 2018 sind Sie jetzt Leiterin des Bereichs „Film & Video“ des EMAF. Ein Beispiel dafür, was sich durch Sie beim EMAF ändert? KATRIN MUNDT: Ich möchte den Bereich Langfilm ausbauen. Aber das braucht ein bisschen Zeit. Außerdem interessieren mich Film-Performances. Da haben wir dieses Jahr schon ein paar schöne Arbeiten ausgewählt. <strong>STADTBLATT</strong>: Allein die Sichtung der Einreichungen für Wild Grammar hat ja auch sicher viel Zeit gekostet. KATRIN MUNDT:: 2.200 waren es insgesamt, davon 1.800 filmische. <strong>STADTBLATT</strong>: Wie bewältigt man sowas? KATRIN MUNDT: Wir teilen uns das natürlich auf. Unsere Kommission ist ja fünf Köpfe stark; neben mir besteht sie aus Godart Bakkers, Juan David González Monroy, Stefanie Plappert und Sebastiaan Schlicher. Über weite Strecken arbeiten wir dezentral, wir sitzen ja weit verteilt, von Amsterdam bis Brüssel. Ab und zu kommen wir natürlich auch zusammen. <strong>STADTBLATT</strong>: Aber nicht jeder sieht alles? KATRIN MUNDT: Das würde nicht gehen, dazu ist das einfach viel zu viel. Aber es gibt zu allen Einreichungen mindestens eine Zweitmeinung. <strong>STADTBLATT</strong>: Was, wenn man schon nach Sekunde 15 merkt: Das hier ist nicht wirklich überzeugend? KATRIN MUNDT: Dann sieht man sich das natürlich nicht zwingend bis zum Ende an. <strong>STADTBLATT</strong>: Gibt es technische Trends, die sich abzeichnen? KATRIN MUNDT: Auffällig ist: Es gibt wieder mehr Einreichungen, die mit klassischem Analogfilm oder auch VHS-Video arbeiten. Schöne, neue Dinge, aus alten Medien heraus entwickelt, mit viel Handarbeit. <strong>STADTBLATT</strong>: „Wild Grammar“ verspricht nicht nur die Diskussion einer Atmosphäre, in der „die freie, widerständige oder auch uneindeutige sprachliche Äußerung zunehmend als Bedrohung eingestuft wird, deren unkontrollierte Verbreitung es offenbar zu unterbinden gilt“, sondern auch die „Poesie des Widerspruchs“. Poesie: Ein Begriff, der klingt wie aus der Zeit gefallen. KATRIN MUNDT: Ein Begriff, mit dem man Probleme haben kann. Aber gerade viele junge Filmemacher füllen ihn heute mit neuem Inhalt. Da geht es dann darum, das Tempo zu reduzieren, sich Langsamkeit zu erlauben, um Entschleunigung auch im psychologischen Sinn. Darum, auf Subtilität zu setzen, nicht auf Spektakuläreffekte. Darum, mit Inhalten herauszufordern, bei denen man nicht auf den ersten Blick weiß, was man vor sich sieht. Dabei entstehen oft unglaublich aufgeladene, satte Bilder, die große Lust am Zuschauen machen. <strong>STADTBLATT</strong> 4.<strong>2019</strong> 11