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Berliner Kurier 10.01.2020

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12 BERLIN<br />

BERLINER KURIER, Freitag, 10. Januar 2020<br />

Darf ich<br />

bitten? David<br />

und Lisa Regehr<br />

tanzen ein letztes<br />

Mal für den<br />

KURIER.<br />

Clärchens Ballhaus<br />

Die Wehmut bittet<br />

zum letzten Tanz<br />

Dasgroße Abschiedswochenende naht: Zum15. Januar<br />

müssen die Regehrs ihr Kult-Lokal nach 15 Jahren verlassen<br />

Clärchens Ballhaus an der Auguststraße ist eines der bekanntesten<br />

Tanzlokale Berlins: Ein neuer Investor hat für das Haus jetzt neue Pläne.<br />

Von<br />

ANNIKA LEISTER<br />

Mitte – Die Regehrs tanzen<br />

zum Abschied für die Kamera<br />

keinen Walzer. Sie tanzen<br />

Cha-Cha-Cha. Ein Tanz der<br />

Freude, wie es sich für Clärchens<br />

Ballhaus gehört. Auch<br />

wenn dem Ehepaar der Abschied<br />

von der Institution,<br />

die sie erst zu neuem Leben<br />

erweckt haben, wegen der sie<br />

sich kennen- und lieben gelernt<br />

haben, denkbar schwer<br />

fällt. An diesem Wochenende<br />

stehen David und Lisa Regehr<br />

ein letztes Mal auf dem<br />

Parkett.<br />

15 Jahre lang haben der Bühnenbildner<br />

David Regehr, die<br />

Tanzlehrerin Lisa Regehr und<br />

ihr Partner Christian Schulz<br />

Clärchens Ballhaus betrieben.<br />

Den mit seinem Schankraum-<br />

Charme seltsam anachronistischen<br />

Tanztempel in Mitte, der<br />

zum Zeitpunkt der Übernahme<br />

mehr Legende als noch Realität<br />

war. Der Spiegelsaal –die ganze<br />

obere Etage –war geschlossen,<br />

vollgestellt mit Gerümpel,<br />

die Fenster zugemauert. Das<br />

FrühereZeiten im Ballhaus: Vater,<br />

Clärchen, Margarete und ein Gast<br />

Haus öffnete nur noch zwei<br />

Mal die Woche. Schulz und die<br />

Regehrs haben Clärchens Ballhaus<br />

wieder zum brummenden<br />

Laden mit Tausenden Besuchern<br />

gemacht, mit Veranstaltungen<br />

an fast allen Tagen der<br />

Woche. Und sie haben sich dabei,<br />

das zeigt sich zurzeit, eine<br />

extrem loyale Fanbase erarbeitet.<br />

Doch für das Trio ist jetzt<br />

Schluss. Mit Yoram Roth hat<br />

Foto: Markus Wächter/privat<br />

Die roten Plüschsofas im Tanzlokal haben längst nostalgischen Charme:<br />

Schon damals wurde hier getrunken, geflirtet und sich unterhalten.<br />

Noch ist der Spiegelsaal in Clärchens Ballhaus mit bunten Girlanden, Lamettaund<br />

Lampions geschmückt.<br />

ein neuer Investor das Haus<br />

übernommen – und hat den<br />

Mietvertrag der Betreiber nicht<br />

verlängert. Ab dem 15. Januar<br />

müssen die Regehrs raus sein,<br />

an diesem Wochenende feiern<br />

sie ihren Abschieds-Schwoof.<br />

Mit Notbesetzung hinter den<br />

Theken –die meisten der rund<br />

100 Mitarbeiter des Ballhauses<br />

haben schon seit Anfang des<br />

Jahres keinen Job mehr.<br />

Roth hat versichert, dass er<br />

weitertanzen lassen will. Geholfen<br />

hat das wenig: Die Fangemeinschaft<br />

bangt um das<br />

Ballhaus. Zwei Petitionen zur<br />

Rettung des Ballhauses in seiner<br />

jetzigen Form wurden gestartet,<br />

allein die jüngste wurde<br />

von mehr als 4000 Menschen<br />

gezeichnet. Sie fordert flehentlich,<br />

dass Roth den Betrieb mit<br />

den Regehrs fortsetzen soll.<br />

„Bitte schenken Sie den jetzigen<br />

Betreibern des Ballhauses<br />

das gleiche Vertrauen wie den<br />

Vorbesitzern“, steht im Brief,<br />

damit das „starke, alte Herz von<br />

Mitte“ weiterschlagen könne.<br />

Mit dem neuen Besitzer wird<br />

sich Clärchens Ballhaus verändern.<br />

Das Haus steht zwar<br />

unter Denkmalschutz. Doch<br />

das Haus soll barrierefrei werden,<br />

dafür bedarf es eines Aufzugs.<br />

Der Spiegelsaal soll besser<br />

belüftet werden, neue Möglichkeiten<br />

für Auftritte geschaffen<br />

werden. Roth, der Fotograf ist,<br />

weiß aber auch um die Verantwortung,<br />

die er übernimmt: „Es<br />

bringt nichts, das Haus kaputt<br />

zu sanieren“, sagt er. „Ich will<br />

die Seele erhalten.“ Ein Abschied<br />

ist auch immer ein Neuanfang.

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