doktorinwien 03/2020
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COVERSTORY AM PULS<br />
Foto: Andy/GettyImages<br />
► „Frau Doktor, das Medikament,<br />
das Sie mir verschrieben haben,<br />
ist in meiner Apotheke nicht erhältlich.<br />
Können Sie mir ein Rezept<br />
für ein anderes Medikament geben?“<br />
„Herr Doktor, das Medikament, das Sie<br />
mir seit Jahren verschreiben, gibt es in<br />
meiner Apotheke nicht. Man hat mir<br />
stattdessen ein anderes gegeben – aber<br />
die Tabletten haben eine andere Farbe,<br />
daher habe ich mich nicht getraut,<br />
sie einzunehmen.“ Sätze wie diese bekommen<br />
Ärztinnen und Ärzte in letzter<br />
Zeit immer häufiger zu hören. Der<br />
Grund: Immer mehr Medikamente<br />
sind in Österreich nicht oder nur eingeschränkt<br />
lieferbar. Manche sprechen<br />
von Arzneimittelknappheit und Versorgungsengpässen.<br />
„Die Lieferschwierigkeiten<br />
machen uns das Leben in<br />
unseren Ordinationen schwer“, klagt<br />
Yvetta Zakarian, Allgemeinmedizinerin<br />
in Wien-Währing und stellvertretende<br />
Referentin des Referats Ärztefunkdienst<br />
der Ärztekammer für Wien.<br />
Enormer Mehraufwand<br />
Betroffen sind die unterschiedlichsten<br />
Arzneimittelgruppen in allen Preissegmenten,<br />
etwa Antihypertensiva,<br />
Antidepressiva, Antiepileptika, Osteoporosemedikamente,<br />
Schmerzmittel.<br />
Auch vor wichtigen Impfstoffen macht<br />
die Arzneimitteknappheit nicht halt:<br />
Vor einigen Monaten war in Wien der<br />
Masern-Mumps-Röteln-Impfstoff eine<br />
Zeit lang ausverkauft, nach Masernausbrüchen<br />
in Salzburg und Kärnten<br />
war dort zu Jahresbeginn das Einzelserum<br />
gegen Masern nicht erhältlich –<br />
und das nicht zum ersten Mal. „Wenn<br />
ein Präparat nicht lieferbar ist, muss ich<br />
meinen Patienten ein anderes Präparat<br />
verordnen“, erklärt Zakarian: „Das ist<br />
oft mit einem enormen Mehraufwand<br />
verbunden.“ Der Aufwand geht nämlich<br />
weit über die Ausstellung eines<br />
neuen Rezeptes hinaus: Der chronisch<br />
Kranke will auch darüber aufgeklärt<br />
werden, warum etwa sein gewohntes<br />
Medikament – das er bereits seit Jahren<br />
regelmäßig einnimmt – plötzlich einen<br />
anderen Namen trägt und anders aussieht.<br />
Außerdem kann ein Medikament unter<br />
Umständen nicht einfach so durch<br />
ein anderes ersetzt werden. Im Wundmanagement<br />
etwa setzt Zakarian auf<br />
das antibiotische Puder Baneocin®.<br />
Doch dieses Medikament ist immer<br />
wieder nicht lieferbar. Sie muss daher<br />
mit einer antibiotischen Salbe vorliebnehmen.<br />
„Nässende Wunden gehören<br />
aber eigentlich trocken verbunden“,<br />
sagt die Allgemeinmedizinerin. Von<br />
den Lieferengpässen betroffen ist auch<br />
das Schmerzmittel Novalgin®. Zakarian<br />
ist daher gezwungen, auf ein Generikum<br />
wie Metagelan® umzusteigen.<br />
Bei Novalgin® handelt es sich jedoch<br />
um Filmtabletten, während Metagelan®<br />
nicht mit einer glatten Schicht<br />
überzogen ist. „Patienten mit Schluckbeschwerden<br />
haben große Schwierigkeiten,<br />
Tabletten ohne Film zu sich zu<br />
nehmen“, weiß die Währinger Ärztin.<br />
Nicht zuletzt haben Präparate mit demselben<br />
Wirkstoff oft eine unterschiedliche<br />
Galenik. Die Schilddrüsenmedikamente<br />
Euthyrox® und L-Tyrox® etwa<br />
beinhalten denselben Wirkstoff – Euthyrox®<br />
jedoch ist laktosefrei, während<br />
sich unter den Zusatzstoffen von L-Tyrox®<br />
Laktose befindet. „Bei Patienten<br />
mit Laktoseintoleranz kann man daher<br />
nicht einfach das eine durch das andere<br />
Präparat ersetzen“, betont Zakarian.<br />
Auch wenn oft das Gegenteil behauptet<br />
wird: Der Umstieg von einem Präparat<br />
auf ein anderes – vor allem von einem<br />
Generikum auf ein anderes Generikum<br />
– ist immer wieder mit Problemen<br />
verbunden. „Bei Blutdrucksenkern<br />
muss der Patient dann oft neu eingestellt<br />
werden“, berichtet Zakarian. Das<br />
ist mit einem abermaligen Aufwand<br />
für die Hausärztin und mit höheren<br />
Kosten verbunden: denn für die Neueinstellung<br />
ist eine 24-Stunden-Blutdruckmessung<br />
bei einem Internisten<br />
vonnöten. Bei einer von Zakarians Patientinnen<br />
hat eine solche Umstellung<br />
sogar ernste Probleme verursacht: „Das<br />
Antihypertensivum, das ich ihr immer<br />
verordnet hatte, war nicht mehr erhältlich.<br />
Ich musste auf ein generisches<br />
umstellen, das jedoch zu massiven<br />
Blutdruckkrisen geführt hat.“<br />
Erschwerend dazu komme, dass die<br />
Kasse – bislang die Wiener Gebietskrankenkasse,<br />
nunmehr die Österreichische<br />
Gesundheitskasse (ÖGK) – so<br />
tue, als gäbe es die Arzneimittelknappheit<br />
nicht. „Originalpräparate sind in<br />
den meisten Fällen problemlos in der<br />
Apotheke erhältlich, erläutert Zakarian:<br />
„Wenn also ein Generikum nicht lieferbar<br />
ist, könnte ich aus medizinischer<br />
Sicht locker auf ein Originalpräparat<br />
umsteigen.“ Das jedoch würde ihr im<br />
Durch die<br />
Fusion von<br />
kleinen und<br />
mittelgroßen<br />
Pharmaunternehmen<br />
und Herstellern<br />
zu<br />
großen Unternehmen<br />
und globalen<br />
Konzernen<br />
liegt die Produktion<br />
in<br />
den Händen<br />
von immer<br />
weniger Anbietern.<br />
„amikalen Gespräch“ von der ÖGK vorgehalten<br />
werden. „Die Kasse akzeptiert<br />
bislang die Begründung ,Arzneimittelknappheit‘<br />
als Grund für die Verordnung<br />
eines Originalpräparates nicht“,<br />
ärgert sich die Ärztekammerfunktionärin<br />
und berichtet: „Mittlerweile habe<br />
ich Patienten, die das Originalpräparat<br />
aus der eigenen Tasche bezahlen.“<br />
Weltweites Problem<br />
„Die Vertriebseinschränkungen bei<br />
Arzneimitteln haben in den letzten Jahren<br />
drastisch zugenommen“, weiß auch<br />
Christa Wirthumer-Hoche, Leiterin<br />
des Geschäftsfeldes Medizinmarktaufsicht<br />
der Österreichischen Agentur für<br />
Gesundheit und Ernährungssicherheit<br />
(AGES). Sie weist auch darauf hin,<br />
dass es sich nicht nur um ein österreichisches<br />
Problem handelt: „Das Problem<br />
der Liefereinschränkungen ist ein<br />
weltweites.“<br />
Ein erster Schritt<br />
Jetzt hat das Gesundheitsministerium<br />
auf die immer prekärer werdende Arzneimittelknappheit<br />
reagiert. Eine Verordnung,<br />
die am 1. April <strong>2020</strong> in Kraft<br />
tritt, sieht eine verpflichtende Meldung<br />
von nicht beziehungsweise eingeschränkt<br />
lieferbaren Arzneimitteln sowie<br />
ein temporäres Exportverbot für die<br />
entsprechenden Arzneimittel vor. Dieser<br />
Schritt wird von allen Akteuren der<br />
Vertriebskette – Hersteller beziehungsweise<br />
Lizenzinhaber, Großhändler,<br />
Apotheken – und auch von Johannes<br />
Steinhart, Obmann der Kurie niedergelassene<br />
Ärzte und Vizepräsident der<br />
Ärztekammer für Wien, begrüßt: „Die<br />
Verordnung des Gesundheitsministeriums<br />
ist ein erster sinnvoller Schritt, um<br />
der Problematik von Lieferengpässen<br />
entgegenzuwirken.“<br />
Verpflichtende Meldung<br />
Jede Einschränkung der Vertriebsfähigkeit<br />
einer verschreibungspflichtigen<br />
Arzneispezialität ist künftig unverzüglich<br />
dem Bundesamt für Sicherheit im<br />
Gesundheitswesen (BASG) zu melden.<br />
Als Einschränkung der Vertriebsfähigkeit<br />
gilt eine über voraussichtlich zwei<br />
Wochen hinausgehende Nichtverfügbarkeit<br />
oder eine über voraussichtlich<br />
vier Wochen hinausgehende nicht<br />
ausreichende Verfügbarkeit. Experten<br />
wie Wirthumer-Hoche hatten ein<br />
solches verpflichtendes Meldesystem<br />
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<strong>03</strong>_<strong>2020</strong> doktor in wien 23