AUS DERMIDLIFE CRISISIN EINNEUES LEBEN—ANDREAS KOCH90
Wandel hat oft einen Ursprung, einen konkretenPunkt im Leben, an dem wir unspersönlich bewusst entscheiden, vom Wegabzugehen und einen neuen Weg einzuschlagen.Mein Jahr des Wandels war das Jahr 2012, ein Jahr,in dem plötzlich alles anders wurde. Meine Ehe wargescheitert, mein Berufsleben erfüllte mich nichtmehr und ich hatte mit 42 Jahren eine Midlife-Krise,die ich lange versuchte zu ignorieren. Alles standplötzlich in Frage: Bin ich überhaupt beziehungsfähig,wie und wovon kann ich leben, womit möchte ichZeit verbringen, was stärkt, was schwächt mich?Ich vernahm oft diese leise Stimme, die mirzart zuflüsterte, die allerdings immer von derlauten Stimme übertönt wurde, die mich aufforderte,etwas zu tun, die verglich, bewerteteund prüfte. Ich hatte kein Vertrauen zu dieserleisen, zaghaften Stimme. Doch 2012 fragteich mich immer öfter, wo mich diese lauteStimme hinführte, woher sie kam und ob sienicht die wahre Dirigentin genau dieses Szenarioswar, in dem ich mich befand. Ich bindankbar, dass ich sehr wache Menschen ummich hatte, die mir nicht nur Trost spendetenin diesem intensiven Jahr, sondern mir Fragenstellten. Eine der mächtigsten Fragen in dieserZeit war die Frage: »Und was ist das Geschenkdieser Krise?« Ich hatte keine sofortige Antwort,aber ich wusste aus meinen Erfahrungen,dass es mir immer gut tat zu reisen.Auf Reisen hatte ich schon öfter einen besserenZugang zu dieser inneren leisen, zaghaftenStimme. Ich nahm mir vor, Reisen alsmein Training für den Alltag zu sehen, dennauf Reisen lasse ich mich gerne treiben undhabe ein deutliches Gefühl für Orte und Menschen,die mir gut tun, die mich stärken. Solernte ich, dieser Stimme mehr zu vertrauenund ihr besser zuzuhören. Ich erinnere michan einen dieser magischen Orte in Neuseeland,an dem ich in einer einsamen Buchtmit meinem Camper aufs Meer schaute undRobben und Pinguinen bei ihrem Spiel mitdem Meer beobachtete. In dieser Bucht setzteich mich an den Strand und es sprudeltetagelang nur so aus mir heraus und formteWörter und Sätze. Ich beobachtete diese Offenheitund schrieb einfach mit. Dieses Jahrerschien plötzlich so anders in meiner Wahrnehmung:»Manche Umwege sind nötig, umwieder auf den richtigen Weg zu kommen,wenn du genauer schaust, waren sie sogarnotwendig, um den wahren Weg überhaupterkennen zu können«, sagte die leise Stimme.Ich nahm mir vor, dieser Stimme, die vorallem in Momenten der Stille und der Entschleunigungzu mir laut und deutlich sprach,immer mehr zu vertrauen.Ich ließ mich durch diese Stimme und denZeichen an meinem Wegesrand führen, diemir nun wie Leuchtfeuer vorkamen. Sie führtenmich zu den Orten, zu den Menschen, zuden Erlebnissen meiner Bestimmung. Seit2012 bis zum heutigen Tag, an dem ich diesschreibe, lasse ich mich so führen und erlebemeine Welt anders als zuvor. Ich habe diesesPhänomen – nach dem Ort meiner Entdeckung– die Reise ins Neu Seh Land getauft.Ich lernte neu zu sehen, mir und denMenschen, die ich treffe und mit denen ichbewusster in Beziehung gehe, mehr zu vertrauen.Ich spüre mehr, wenn die Worte, diezu mir sprechen, zu den Taten passen, dieich beobachte, wenn jemand natürlich strahlt,weil er (oder sie) nicht mehr sucht, sondernetwas gefunden hat für sich.Ich beobachtete bei mir auch, dass ich michunwohler fühlte, wenn ich nicht ausdrückte,was ich fühlte. Dann klangen die ungesagtenWorte wie Echos in meinem Kopf undich notierte in meinem kleinen Heft der Erkenntnisse:»Freiheit ist anders – Freiheitsagt das Unsagbare.« Dabei ist dies nochheute eine der größten Herausforderungenfür mich, da ich mich nach Harmonie sehneund lieber jede Auseinandersetzung ver-91