Wenn nichts mehr so ist,wie es war—VERA BARTHOLOMAY12
Mitten im Leben sterben,ohne wirklich in den physischenTod hinein zu gehen. Gibt es das?Für mich gibt es ein wiederholtes Sterben mittenim Leben. Damit sind nicht Nahtod-Erfahrungengemeint. Sondern Krisen und Umbrüche, die nichteinfach kleinere oder größere Lebenskrisen sind,sondern bei denen du das Gefühl hast, ein Stückweit als die Person zu sterben, die du bis dahinwarst.So etwas stellst du nicht mittendrin fest. Mittendrinist nur Verzweiflung, Schmerz und Angst.Erst später, viel später, weißt du, dass du in diesemMoment, in dieser Lebensphase tatsächlich»gestorben« bist. Ein großer, wichtiger Teil vondir ist aus deinem Leben getreten. Was dabei neuentsteht, weißt du noch lange nicht.Nicht immer ist etwas im Außen geschehen.Nicht immer ist es für andere nachvollziehbar.Mal ist es aber ein Schock, eine Krankheit, einschwerer Abschied. Es kann auch eine Geburt seinoder ein mystisches Erlebnis. Ein einschneidendesLebensereignis, aus dem du verändert hervorgehst.Danach gehst du auf zittrigen Beinen durch dieWelt. Die Erde trägt dich noch nicht ganz zuverlässig,der Boden schwankt etwas. Du bist empfindlichund überreagierst, bist hautlos und soverletzbar. Du lernst die Struktur deines neuenGewebes erst kennen. Vieles ist verwirrend undunverständlich.Dein Alltag kommt dir fremd vor. Alte Gewohnheitenhaben an Freude und Farbe verloren. Eswird eine Weile dauern, bis du die neuen Farbenwirklich sehen kannst. Für eine Weile ist Winterin dir. Du kannst nur hoffen, dass alles bereit liegtfür das Frühlingserwachen, das diesmal so strahlendund überwältigend sein wird wie nie zuvor.Denn erst später, viel später, wirst du feststellen,dass du Dinge tust und sagst, die in dieserIntensität vorher nicht denkbar waren. Du bistvielleicht geradliniger, klarer, essentieller, tiefsinniger,unerbittlicher oder kämpferischer geworden.Du diskutierst vieles nicht mehr.Dein Weg ist jetzt klarer.Für einen solchen tiefgreifenden Wandlungsprozesskönnen die 5 Phasen des Sterbens (oderauch 5 Phasen der Trauer genannt) der Psychiaterinund Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross eine hilfreiche Wegbegleitung sein. Sie beziehensich auf das physische Sterben, aber auchauf große Lebens- und Trauerkrisen, wie dieTransformationsphase, die die aktuelle Viren-Krise in uns ausgelöst hat. Wir sterben in der Corona-Krisemit großer Wahrscheinlichkeit nichtals körperliche Wesen. Aber wir befinden uns ineinem Zustand der Trauer nach einer tiefen gesellschaftlichenErschütterung. Durchaus mitähnlichen Erfahrungselementen wie bei Menschen,die eine bedrohliche Diagnose bekommenhaben. Etwas wird nie wieder so, wie es war.Vieles wird nicht mehr möglich sein. Werte verschiebensich.Also schauen wir uns die 5 Phasen an für denUmgang mit einer lebensbedrohlichen Diagnose,mit einem Schicksalsschlag oder mit der aktuellenVirus-Krise:.p h a s e1Ablehnung / Nichtwahrhaben wollen:Ich höre die schlechte Nachricht, aber ich will sie nicht wahrhaben.Die Diagnose oder die Untersuchungsergebnisse sind falsch, irgendjemandwird einen Fehler gemacht haben. Es wird alles nicht soschlimm sein.Dieser Virus betrifft mich nicht, ich bin stark und gesund, das Problemist weit weg in anderen Ländern und trifft andere Menschengruppen.Ich kümmere mich um mein Immunsystem und eine gesunde Lebensweise,deshalb werde ich geschützt sein.13