25.09.2020 Aufrufe

KÖHLMEIER, Märchen aus Corona-Zeiten_Leseprobe 2020

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

„Das ist ja …“, knurrte der Großvater, drückte Stefan die Taschenlampe<br />

in die Hand, lief zu dem kleinen Kälbchen, hob es <strong>aus</strong> dem Dreck und<br />

legte es auf einen halbwegs trockenen Platz auf die paar Büschel Heu,<br />

die noch nicht zu faulendem Mist geworden waren.<br />

In diesem Moment hörten sie im Hof draußen ein Auto vorfahren.<br />

Katharina und Stefan zuckten zusammen und sahen ihren Opa an. Sie<br />

bekamen es mit der Angst zu tun. Der Großvater beruhigte sie aber. Das<br />

wird der Mann vom Tierschutzverein sein, meinte er. Er nahm die Taschenlampe<br />

und leuchtete Richtung Stalleingang. Dort stand ein Mann,<br />

der sich die Hand vor die Augen hielt – der Lichtstrahl blendete. „Gruber!<br />

Ich bin vom Tierschutzverein“, rief er. Großvater richtete den Lichtstrahl<br />

zum Kälbchen. Der Herr vom Tierschutzverein kam langsam näher<br />

und war entsetzt über die Tiere, die im Dreck lagen oder standen<br />

und laut und qualvoll schrien.<br />

„Das ist ja schrecklich!“, empörte sich Herr Gruber und drückte dem<br />

Opa und dann auch Katharina und Stefan die Hand. „Wir müssen die<br />

Tiere rasch befreien. Lange halten die das nicht mehr <strong>aus</strong>. Die sterben<br />

alle, wenn wir nichts tun“, stellte er fest.<br />

Der Großvater zeigte auf das Kälbchen, das vor ihnen lag. „Manche<br />

werden wir r<strong>aus</strong>tragen müssen. Die sind nicht mehr in der Lage, selbst<br />

zu gehen.“ Stefan sollte mit Herrn Gruber, dem Mann vom Tierschutzverein,<br />

die rechte Seite des Stalls und Katharina mit Opa die linke … Sie<br />

planten gerade ihre Tierrettungsaktion, als sie von draußen die Sirenen<br />

von Einsatzfahrzeugen vernahmen; gleich darauf huschten Blaulichter<br />

im regelmäßigen Rhythmus durch den Stall und erzeugten eine geradezu<br />

gespenstische Stimmung.<br />

Katharina begann zu weinen. Stefan drückte die Hand seiner Schwester.<br />

Großvater leuchtete wieder zum Stalleingang, wo zwei, drei, vier<br />

Polizisten auftauchten. „Die Taschenlampe runter! Und die Hände<br />

hoch!“, schrie einer von ihnen.<br />

„Ich bin vom TSV!“, rief Gruber. Der Polizist hörte gar nicht hin und<br />

wiederholte: „Taschenlampe runter! Hände hoch! Aber schnell!“<br />

Großvater legte die Lampe auf den Boden. „Hebt die Hände hoch,<br />

Kinder!“ Er versuchte, Ruhe <strong>aus</strong>zustrahlen, um Stefan und Katharina<br />

Sicherheit zu geben. Nichts half. Jetzt weinte auch Stefan.<br />

„Die Hände hoch!“, hallte es wieder durch den Stall in die Schreie der<br />

Kühe und Schweine hinein. Jeder der vier Polizisten hielt eine Taschen-<br />

19

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!