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KÖHLMEIER, Märchen aus Corona-Zeiten_Leseprobe 2020

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Wohnh<strong>aus</strong> des Gehöfts. Stefan und Katharina stellten sich links und<br />

rechts des Stalltors auf, sodass sie von außen nicht gesehen werden, sie<br />

aber der alten Frau zuschauen konnten.<br />

Lili stellte sich ans Fenster, durch das sie zuvor geblickt hatte, und<br />

klopfte gegen die Scheibe, mehrmals und ziemlich heftig. Weil sich<br />

nichts rührte, begann sie auch noch zu schreien: „He! Huberbauer! Hallo!<br />

He!“<br />

Nach einiger Zeit wurde das Fenster aufgerissen, der Huberbauer<br />

reckte den Kopf ins Freie. Wieder standen ihm die Haare hoch zu Berge.<br />

Die Augen konnte er kaum offenhalten. Er gähnte heftig, ohne sich dabei<br />

die Hand vor den Mund zu halten. und präsentierte so ein riesiges<br />

dunkles Loch mit zwei braungrauen Zähnen. Was sie denn wolle, die<br />

Alte, fragte er unwirsch. Gleichzeitig setzte er die Flasche, die er in der<br />

Hand hielt an den Mund und nahm einen kräftigen Schluck.<br />

Lili fragte, ob der mächtige Nussbaum weit vorn an der Straße, ob<br />

der noch auf dem Grund des Huberhofs stehe.<br />

„Sicher“, prahlte der Bauer, „soweit das Auge reicht, gehört alles mir.<br />

Alles! Verstehst, Alte?“<br />

Aber sicher nicht mehr lang, wenn du so weiter säufst, dachte Lili.<br />

„Dann gehört die Kiste Schnaps, die unterm Baum steht, bestimmt dir.<br />

Oder kann ich sie behalten, weil ich sie gefunden habe?“<br />

Der Huberbauer spuckte den Schluck, den er gerade genommen<br />

hatte, in weitem Bogen <strong>aus</strong>. Lili konnte gerade noch <strong>aus</strong>weichen. „Was<br />

sagst du da? Eine Kiste Schnaps?“ Sein Mund stand offen. Er kratzte<br />

sich am Kopf und schien angestrengt nachzudenken. Wie wohl die Kiste<br />

Schnaps unter den Nussbaum auf seinem Grund und Boden gekommen<br />

war, dürfte er sich gefragt haben.<br />

„Also, darf ich sie behalten, die Kiste?“<br />

„Moment! Moment! Moment! Wart, ich komm’ gleich r<strong>aus</strong>!“ Der<br />

Bauer verschwand vom Fenster. Lili drehte sich zum Stall hin und zeigte<br />

mit dem Daumen nach oben. Gleich darauf stolperte der Huberbauer<br />

<strong>aus</strong> dem H<strong>aus</strong>. In einen alten, dreckigen Morgenmantel gehüllt und<br />

Gummistiefel an den Füßen ging er auf die alte Frau zu und forderte sie<br />

auf, loszugehen und ihm zu zeigen, wo sie den Fund gemacht hatte. Dabei<br />

hielt er Lili die Flasche unter die Nase und bot ihr einen Schluck an.<br />

Lili lehnte dankend ab. „Also, los!“, befahl der Huberbauer und marschierte<br />

voran.<br />

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