Mitteilungen DMG 03 / 04 2005 - Deutsche Meteorologische ...
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forum<br />
Die von Richard Aßmann von 1888 bis 1899 organisierten<br />
Berliner wissenschaftlichen Luftfahrten mit<br />
Freiballonen hatten der Meteorologie eindrucksvoll<br />
den Weg in die dritte Dimension eröffnet und zum<br />
Verständnis über die Schichtung der Atmosphäre beigetragen.<br />
Aßmann, der zu diesem Zeitpunkt als Vorsteher<br />
der Abteilung für Gewitter und außerordentliche<br />
atmosphärische Vorkommnisse am <strong>Meteorologische</strong>n<br />
Institut in Berlin agierte, entwickelte den Plan zur<br />
kontinuierlichen Sondierung der freien Atmosphäre<br />
mittels Drachen und Drachenballonen, um mit diesen<br />
Daten die Wetterprognose substanziell zu verbessern.<br />
Dazu wurde am 1. April 1899 am <strong>Meteorologische</strong>n<br />
Institut in Berlin zunächst eine Aeronautische Abteilung<br />
und ein Jahr darauf in Berlin-Tegel nördlich des<br />
heutigen Kurt-Schumacherdamms das Aeronautische<br />
Observatorium gegründet und bereits am 1. Oktober<br />
1899 mit den ersten Sondierungen begonnen. Aßmann<br />
und seine Mitstreiter begegneten jedoch einer Vielzahl<br />
von Schwierigkeiten, die bald zu einer ernüchternden<br />
Bilanz führten. So stellte sich heraus, dass durch den<br />
anliegenden Kiefernwald der Wind abgeschwächt wurde<br />
und darüber meist Luftwirbel auftraten, die den Start<br />
von Drachen außerordentlich erschwerten und teilweise<br />
unmöglich machten. Man versuchte nun spezielle<br />
Drachen zu entwickeln, die bei den schwierigen Bedingungen<br />
günstigere Eigenschaften aufwiesen. Aber die<br />
Drachenherstellung blieb lange Jahre ein Kunsthandwerk.<br />
Als der tägliche Umgang mit den Drachen und Drachenballonen<br />
und die Vervollkommnung der Materialien<br />
zu zufriedenstellenden Ergebnissen führte, stellten<br />
sich andere Hindernisse in den Weg, die die Existenz<br />
dieser gerade geschaffenen Einrichtung bedrohten. So<br />
wurden bei den Drachenaufstiegen die sogenannten<br />
Abreißer zu einem ernsthaften Problem, weil der Drachendraht<br />
bei großem Zug oft an seiner schwächsten<br />
Stelle riss. Die Drachen flogen dann auf und davon und<br />
mussten durch aufwändige Drachenjagden gesucht<br />
und heimgeführt werden. Nicht in jedem Fall konnten<br />
die Mitarbeiter des Observatoriums bei derartigen Drachenjagden<br />
vor Ort sein. So kam es wiederholt dazu,<br />
dass sich die Knaben von Reinickendorf in erbitterten<br />
Schlägereien um die Drachen und deren Messgeräte<br />
stritten, weil für deren Auffindung eine Belohnung<br />
ausgesetzt war. Gefährlich wurde es, wenn der widerspenstige<br />
Drachendraht in wilden Schlingen von dem<br />
noch in der Luft befindlichen Drachen über den Boden<br />
geschleift wurde. So schlang sich am 26. Juli 1900<br />
eine Drahtschlinge um das Bein des drachenjagenden<br />
elfjährigen Richard Stolpe. Durch den plötzlichen<br />
starken Zug des Drachen durchtrennte der Draht den<br />
Unterschenkel bis auf den Knochen. Nach mehreren<br />
Krankenhausaufenthalten seines Sohnes klagte der Vater<br />
Stolpe für seinen Sohn eine lebenslange Rente ein.<br />
Allerdings wies das Gericht diese Klage ab.<br />
<strong>Mitteilungen</strong> <strong>03</strong>/ <strong>04</strong> <strong>2005</strong><br />
Bei den Drachenaufstiegen<br />
in Berlin-<br />
Tegel stellten die<br />
Oberleitungen der<br />
Straßenbahnen ein<br />
weiteres Gefahrenpotenzial<br />
dar. Seit<br />
1898 erfolgte ein<br />
rasanter Ausbau<br />
des Straßenbahnnetzes,<br />
das nach der<br />
Jahrhundertwende<br />
auch die AußenbezirkeReinickendorf<br />
und Tegel<br />
erreichte. Obwohl<br />
die Grosse Berliner<br />
Strassenbahn- Abb. 3: Start eines Fesselballons für die<br />
Gesellschaft auf Sondierung bei windschwachen Wetter-<br />
ihre Kosten in Reilagen.nickendorf und Tegel<br />
Schutzvorrichtungsanlagen errichten ließ, die<br />
im Falle eines Drachen-Abreißers den niederfallenden<br />
Draht von den Oberleitungen der<br />
Straßenbahn abhalten sollten, kam es am 4. März<br />
19<strong>03</strong> zu einem schweren Unglücksfall, als ein<br />
Drachengespann mit 4 Drachen abriss. Der Drachendraht<br />
legte sich über die Straßenbahn- und<br />
Telefonleitungen und verletzte eine Telefonistin<br />
des Fernsprech-Vermittlungsamtes Reinickendorf-<br />
Ost lebensgefährlich. Bei Kurzschlüssen fielen<br />
wiederholt meterlange Stücke des brennenden bzw.<br />
weißglühenden Drahtes auf die Straße herab und<br />
stellten eine ernsthafte Gefahr für Bewohner und<br />
Passanten dar.<br />
Schließlich kam es auch mit den anliegenden militärischen<br />
Einrichtungen zu einer Vielzahl von Zwischenfällen.<br />
Dies betraf einerseits die Truppenübungen<br />
auf dem militärischen Gelände, wo sich Pferde<br />
in den niedergefallenen Drachendrähten verhedderten<br />
und zu Schaden kamen. Andererseits begann das<br />
Luftschiffer-Bataillon 1902 in Tegel mit Ballonexperimenten<br />
zur militärischen Nutzung der drahtlosen<br />
Telegraphie. In der Folge kam es zu Verschlingungen<br />
militärischer Fesselballone mit den Drachendrähten<br />
des Observatoriums. Als das Kriegsministerium<br />
zu Beginn des Jahres 1902 den Eigenbedarf<br />
des Observatoriumsgeländes für seine militärischen<br />
Erprobungen der drahtlosen Telegraphie erkannte,<br />
kündigte es kurzerhand den Pachtvertrag des gerade<br />
aufgebauten Aeronautischen Observatoriums in Berlin-Tegel.<br />
So war Aßmann gezwungen, sich einen<br />
neuen Platz für seine Experimente zu suchen, den<br />
er nach langem Suchen endlich in Lindenberg fand.<br />
Das Preußische Abgeordnetenhaus stimmte auf seiner<br />
52. Sitzung am 14. April 19<strong>04</strong> dem Neubau eines