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Mitteilungen DMG 03 / 04 2005 - Deutsche Meteorologische ...

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Erleichtert die pleistozäne marine<br />

Paläogeographie das Verständnis von<br />

Dansgaard-Oeschger-Ereignissen?<br />

Wolf Tietze<br />

Das allgemeine und im Laufe des 20. Jahrhunderts<br />

stetig zunehmende Interesse am Gang des Klimas<br />

der Erde sowie sich mit der Zeit verbessernde Forschungsmöglichkeiten<br />

haben viele neue Befunde<br />

erbracht, darunter auch manche, die nicht ohne weiteres<br />

erklärlich wirken. Zum Beispiel hat man aus<br />

dem Inlandeis sowohl von Grönland als auch der<br />

Antarktis Eisbohrkerne aus Teufen bis über 3000 m<br />

bergen können und damit Eis gewonnen, das in seinen<br />

untersten Schichten bis ca. 500000 Jahre alt ist.<br />

Analysen solcher Eisbohrkerne weisen unerwartet<br />

kurzfristige und zugleich drastische Klimaschwankungen<br />

aus – um mehrere °C binnen weniger Jahre,<br />

allenfalls Jahrzehnte. Diese Ergebnisse stimmen<br />

überein mit Befunden von Bohrkernen aus Tiefseeböden,<br />

von Lößprofilen sowie von lakustrischen Sedimenten<br />

aus beliebigen Erdzonen, so dass an dem<br />

globalen Charakter derartiger Klimaschwankungen<br />

nicht zu zweifeln ist. Nicht wenige der Proben haben<br />

sich sogar zeitlich koordinieren lassen. Fast alle<br />

entstammen den pleistozänen Eiszeiten. Für die Zeit<br />

danach fanden sich jedoch keine Merkmale für solche<br />

heftigen, schnellen Klimaschwankungen, für die<br />

sich die Bezeichnung „Dansgaard-Oeschger-Ereignisse“<br />

eingebürgert hat nach den beiden Forschern<br />

Willi Dansgaard (Dänemark) und Hans Oeschger<br />

(Schweiz), die sich ganz besonders mit diesem Phänomen<br />

befasst haben.<br />

Jedes neue Phänomen hat die Frage nach seiner<br />

Ursache im Gefolge. Die Vorstellung, das Klima<br />

könnte sich sehr schnell und spürbar verändern, fällt<br />

offensichtlich schwer. Wie in anderen ähnlichen Situationen<br />

werden auch in diesem Fall außerirdische,<br />

kosmische Ursachen für denkbar gehalten. Statt dessen<br />

sei der Blick auf die Paläogeographie der pleistozänen<br />

Eiszeiten geworfen, aus denen ja die Befunde<br />

stammen. Vielleicht findet sich hier eine Erklärung.<br />

Noch vor 20000 Jahren war Nordamerika südwärts<br />

bis über den 50. Breitenkreis hinweg von bis über<br />

3 km mächtigem Inlandeis bedeckt. Ostwärts reichte<br />

forum<br />

diese Eismasse über Grönland hinaus bis zum Europäischen<br />

Nordmeer, westwärts teilweise über das Bering-<br />

Meer bis nach Sibirien. Europa trug ein eigenes großes<br />

Inlandeis, zeitweise ähnlich dem sibirischen aus mehreren<br />

Teilstücken bestehend. Auch die Hochgebirge<br />

waren tief vergletschert, sogar auf der Südhalbkugel.<br />

Dort war vor allem das Eis der Antarktis viel mächtiger<br />

und ausgedehnter als heute. Die in dem Gletschereis<br />

gebundenen Wassermassen hatten zum Ausgleich<br />

eine eustatische Absenkung des Meeresspiegels um<br />

mehr als 100 m zur Folge. Während diese Meeresspiegelabsenkung<br />

global ziemlich gleichmäßig erfolgte,<br />

zeigte die gleichzeitige isostatische Absenkung der<br />

Landoberfläche infolge der Eisauflast regional große<br />

Unterschiede – maximal bis über 800 m. Im einzelnen<br />

ist hierzu noch viel Forschung nötig.<br />

Die Inlandeise unterlagen während langer Zeitabschnitte<br />

einem hochpolaren Klima ähnlich wie heute<br />

die Antarktis. In diesen Phasen reichte die Wärme der<br />

Atmosphäre nicht, das Gletschereis in nennenswerter<br />

Menge zum Schmelzen zu bringen. Folglich breitete<br />

es sich in breiter Front seewärts über die Küsten hinaus<br />

aus. Auf See schwamm es auf und bildete einen Eisschelf<br />

und wurde zu Schelfeis, das heißt: Es schmolz<br />

nicht durch die Wärme der Luft, sondern von unten<br />

durch den Wärmestrom vom Meerwasser zum Eis bis<br />

zu einem Ausgleich, der erreicht wurde, nachdem sich<br />

genügend Schmelzwasser unter dem Eis gesammelt<br />

hatte, um den Wärmefluss zum Eis bis zur Bedeutungslosigkeit<br />

zu behindern. Dieser Ausgleich erklärt die<br />

auffallend gleichmäßige Mächtigkeit aller Schelfeise<br />

gegenwärtig in der Antarktis (200 m).<br />

Selbstverständlich unterliegen die aufschwimmende<br />

Teile der Eisschelfe auch immer dem jeweiligen Tidenhub.<br />

Das hat zur Folge, dass überall, wo das Eis auf<br />

dem Untergrund aufliegt, also an der submarin-subglazialen<br />

Uferlinie des Festlandes wie ebenso der vom<br />

Schelfeis umschlossenen Inseln im Zeittakt und in der<br />

Höhenspanne des Tidenhubs ein rigoroser Frostwechsel<br />

herrscht: Alle sechs Stunden von der Meerwassertemperatur<br />

(bei Flut) zur Temperatur des Eises von ca.<br />

–20°C (bei Ebbe) – so gegenwärtig in der Antarktis.<br />

<strong>Mitteilungen</strong> <strong>03</strong>/<strong>04</strong> <strong>2005</strong><br />

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