Mitteilungen DMG 03 / 04 2005 - Deutsche Meteorologische ...
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Tab. 1: Anzahl und maximale Höhen der mit Drachen und Fesselballonen<br />
in Lindenberg von 1905 bis 1914 durchgeführten Sondierungen<br />
Aeronautischen Observatoriums mit einer Summe<br />
von 458 Tausend Mark zu. Danach gingen die Bauarbeiten<br />
in Lindenberg zügig voran. Aßmann und seine<br />
Mitarbeiter entwickelten hier unter den optimalen<br />
Arbeitsbedingungen in kurzer Zeit die aerologischen<br />
Aufstiegsmethoden zu großer Vollkommenheit und<br />
führten täglich bis zu 4 Sondierungen mit Drachen<br />
und Fesselballonen durch (s. a. Tab. 1).<br />
Dies war nur durch eine Weiterentwicklung der<br />
Drachentechnologie möglich. Dafür schuf Aßmann<br />
die Stelle eines Drachentischlers, die er mit dem talentierten<br />
Hermann Schreck besetzte. Dieser konstruierte<br />
und erprobte den Lindenberger Normaldrachen,<br />
der eine Modifikation des Hargraveschen Drachens<br />
darstellte. Gegenüber seinem Vorbild zeichnete sich<br />
der Lindenberger Normaldrachen dadurch aus, dass<br />
er leicht zerlegt und transportiert werden konnte. Um<br />
1910 entwickelte Schreck den Lindenberger Schirmdrachen,<br />
bei dem ein Bambusstab in der Zellenmittelachse<br />
mit jeweils 4 Speichen eines Schirmgestells an<br />
beiden Enden versehen wurde, die gegen die Ecken<br />
beider Zellenkanten drückten.<br />
Für die Sondierung bei windschwachen Wetterlagen<br />
wurden kugelförmige Fesselballone eingesetzt.<br />
So standen für jede Wetterlage Geräteträger für die<br />
Gewinnung von Daten aus der freien Atmosphäre zur<br />
Verfügung.<br />
Schon bald stellte sich heraus, dass die Drachensondierungen<br />
auch in der zivilisatorischen Einöde<br />
von Lindenberg und Herzberg nicht völlig ohne Störungen<br />
verliefen. So wurden von den Lokomotiven<br />
auf der nahegelegenen Bahnlinie wiederholt Drachendrähte<br />
erfasst und in voller Fahrt zerrissen. Der<br />
spitze Turm der Herzberger Kirche schien eine magische<br />
Anziehungskraft zu haben, indem der Draht<br />
sich dort oftmals verfing. Wiederholt endeten die<br />
Kraftproben zwischen dem Windenhaus und der<br />
forum<br />
nahegelegenen Windmühle mit einer Zerstörung des<br />
Drachendrahtes. Diese Gefahrenquellen versuchte man<br />
durch Schutzdrähte auf hohen Stangen auszuschließen.<br />
Nach einigen Jahren praktizierter Drachensondierungen<br />
verstarben wiederholt Kühe der anliegenden<br />
Bauernhöfe. Zunächst fand man dafür keine Erklärung.<br />
Tierärzte fanden jedoch Drahtstücke im Verdauungstrakt<br />
der verendeten Tiere. Der Drachendraht<br />
war auf den Feldern liegengeblieben, von den Erntemaschinen<br />
zerstückelt worden und später in das Futter<br />
der Kühe geraten. Von 1910 bis 1914 verendeten so<br />
11 sogenannte Drahtkühe, für die von der Versicherung<br />
200 bis 300 Mark Schadensersatz geleistet wurde.<br />
Mit der Entwicklung der Automobilindustrie gelangten<br />
nach 1910 zunehmend auch Kraftfahrzeuge in die<br />
Lindenberger Umgebung. Die über der Straße liegenden<br />
Drachendrähte verhedderten sich mit den Rädern<br />
und führten zu einigen Unfällen, die naturgemäß den<br />
Unwillen der Betroffenen gegen das Observatorium<br />
hervorriefen.<br />
Als zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in Deutschland<br />
die zivile Luftfahrt rasante Fortschritte erzielte,<br />
kam es auch immer wieder zu Unglücksfällen durch<br />
unvorhergesehene Wetterwechsel. So wurde das Luftschiff<br />
LZ 4 des Grafen Zeppelin nach einer erfolgreichen<br />
Fahrt bei einer durch Motorausfall notwendig<br />
gewordenen Zwischenlandung bei Echterdingen am<br />
5. August 1908 plötzlich seitlich von einer Sturmbö<br />
erfasst und zerstört. Man schrieb damals dem meteorologischen<br />
Berater, Hugo Hergesell, die Schuld für<br />
dieses Unglück zu. Später wurde sogar seine Zusammenarbeit<br />
mit Graf Zeppelin gekündigt. Das Unglück<br />
zeigte, dass die Vorhersage gefährlicher meteorologischer<br />
Erscheinungen für die Entwicklung der Luftfahrt<br />
außerordentlich wichtig war. Mit der Häufung von<br />
Unglücksfällen um 1910 wurde die Lösung dieses Problems<br />
immer zwingender. Bereits auf der Internationalen<br />
Luftschifffahrt-Ausstellung 1909 in Frankfurt a.M.<br />
konnte ein Warnungsdienst für Luftfahrer demonstriert<br />
werden. Nun erkannte Aßmann wiederum die Zeichen<br />
der Zeit, indem er die Einrichtung eines ständigen<br />
Warnungsdienstes für Luftfahrer vorschlug und nach<br />
Zustimmung aller staatlichen Einrichtungen auch in<br />
die Wirklichkeit umsetzte. Dieser sogenannte Luftfahrer-Wetterdienst<br />
umfasste Anfang 1911 15 Stationen,<br />
die ihre Ergebnisse der Frühaufstiege zur Hauptzentrale<br />
nach Lindenberg übertrugen, von wo aus dann Sammeltelegramme<br />
verbreitet wurden.<br />
Über die täglichen Warnmeldungen hinaus konnten<br />
die Piloten der Luftfahrzeuge auch direkte Anfragen<br />
an Lindenberg richten. So wurden beispielsweise 1913<br />
1<strong>04</strong>0 derartige Luftfahrerauskünfte erteilt. Da die Luftfahrzeuge<br />
zunehmend mit Funkempfangsapparaten<br />
ausgerüstet wurden, ließ Aßmann 1913 in Lindenberg<br />
eine Funkstation zur direkten Übertragung der Warnungsmeldungen<br />
errichten. Dies war weltweit der ers-<br />
<strong>Mitteilungen</strong> <strong>03</strong>/<strong>04</strong> <strong>2005</strong><br />
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