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SPD-Geschichte in Sachsen-Anhalt - SPD-Landesverband Sachsen ...

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Als am 9. Oktober am Ende der Friedensgebete die Domprediger Giselher Quast und<br />

Waltraud Zachhuber e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gliche Appelle an die etwa 4500 Besucher richteten, den<br />

Sicherheitskräften, die sich <strong>in</strong> großer Zahl r<strong>in</strong>gs um den Dom postiert hatten, ke<strong>in</strong>en<br />

Anlass zum E<strong>in</strong>greifen zu bieten und gleich <strong>in</strong> die bereitgestellten Straßenbahnen zu<br />

steigen, die Menge brav nach Hause fuhr und ke<strong>in</strong> Knüppel zum E<strong>in</strong>satz kam, war<br />

die Erleichterung (auf beiden Seiten) groß.<br />

Provokationen und Aufruhr sehen wohl anders aus. Aber es kam nachträglich auch<br />

e<strong>in</strong> wenig Scham auf: <strong>in</strong> Leipzig hatten 70 000 demonstriert - und es hatte auch<br />

ke<strong>in</strong>erlei Gewalttätigkeiten gegeben!<br />

An diesem 9. Oktober hatte es e<strong>in</strong>en Dammbruch gegeben. Nun waren die Fronten<br />

klarer. Es gab große Mengen Bürger, die nach Veränderungen, Reformen und<br />

Bürgerrechten riefen und e<strong>in</strong>e hilflose Staatsmacht, die vor den Massen kapitulierte.<br />

Darauf war sie nicht vorbereitet: aufrecht gehende, friedliche, mutige Demonstranten,<br />

republikweit.<br />

Ich hatte <strong>in</strong> Leipzig e<strong>in</strong>e Weiterbildung von e<strong>in</strong>er Woche Dauer zu absolvieren und<br />

konnte daher am 16. Oktober an der zweiten Großdemo über den Innenstadtr<strong>in</strong>g<br />

teilnehmen. Ich war stark bee<strong>in</strong>druckt von der gelösten Atmosphäre dieser riesigen<br />

Menge Menschen, die weiter nichts unternahmen, als „auf die Straße zu gehen“. An<br />

den Schwarzen Brettern der Universität und der Kunsthochschule gab es<br />

Diskussionspapiere, die den schon aufkommenden freien Geist der<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung <strong>in</strong> der “Heldenstadt“ Leipzig widerspiegelten.<br />

In den Magdeburger Dom waren am 16.10 schon 7000 zum Fürbittgottesdienst<br />

gekommen, der sich nun auch zu e<strong>in</strong>em Forum für Bürgerrechtler erweitert hatte. Da<br />

im Dom Gerüste <strong>in</strong> der Vierung standen, versammelten sich die Menschen, von<br />

denen viele sicher zum ersten Mal <strong>in</strong> dieser Kirche waren, die schon Monate lang<br />

Protestlern und Bedrängten e<strong>in</strong> schützendes Dach geboten hatte, vor der Ernst-<br />

Kapelle. Von hier aus wurden <strong>in</strong> den folgenden Wochen Gebete und Fürbitten<br />

gesprochen, Appelle gerichtet und Informationen gegeben. So nannte Konrad Elmer<br />

am 9.10. im Dom die Adresse von Markus Meckel <strong>in</strong> Niederndodeleben für die SDP –<br />

und am nächsten Tag fuhr Willi Polte zur ersten Kontaktaufnahme dort h<strong>in</strong>.<br />

Die erste große Demo nach e<strong>in</strong>em Fürbittgottesdienst (geschätzte 10 000) <strong>in</strong><br />

Magdeburg fand am 23.10. statt. Me<strong>in</strong>e Frau konnte mit demonstrieren, ich hielt<br />

e<strong>in</strong>en Volkshochschulkurs, den ich nicht absagen konnte. In Leipzig g<strong>in</strong>gen ca. 300<br />

000 nun schon geübte und nicht mehr zu ängstigende DDR-Bürger um den<br />

Innenstadtr<strong>in</strong>g mit dem Ruf „Wir s<strong>in</strong>d das Volk“.<br />

Die Ereignisse überstürzten sich <strong>in</strong> diesen Oktober- und Novemberwochen.<br />

Honecker wurde von se<strong>in</strong>en bisher engsten Getreuen abgesetzt, von Krenz, der<br />

knapp e<strong>in</strong>en Monat später von Modrow ersetzt wurde, e<strong>in</strong>em sogenannten<br />

Hoffnungsträger.<br />

Am 4.11. gab es auf dem Magdeburger Domplatz e<strong>in</strong>e Kundgebung (ca. 50 000<br />

waren gekommen), die nicht von der Beratergruppe Dom oder oppositionellen<br />

Gruppen veranstaltet wurde – die friedliche Revolution hatte sich ohne feste<br />

Organisation verselbständigt und die Volksmassen erreicht. Die hohen Funktionäre<br />

von Partei, Stadt und Bezirk wurden zur Rede gestellt, dann aber ausgepfiffen. Ganz<br />

still dagegen hörte die riesige Menge Hans Jochen Tschiche zu, Pfarrer und<br />

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